In völlig neuem Gewand präsentierte sich der Speaker-Slam am 23. April erstmals in der Wiener Karl-Marx-Halle.
Der Wechsel des Veranstaltungsorts brachte auch einen Wechsel im Wesen des Speaker-Slams mit sich. Vom kuschelig-samtenen Ambiente des Metro-Kinos, das die beiden ersten Ausgaben beherbergte, zur industriellen Größe der Karl-Marx-Halle; von rot, warm und voll zu violett, kühl und halb leer.
Die Umstellung war nicht leicht, gerade für die Speaker, die zum wiederholten Male bei diesem Wettbewerb antraten. Der Wettbewerbscharakter wurde durch das neue Setting jedenfalls verstärkt, vorbei mit der familiären Atmosphäre, hinauf ins Licht der gewaltigen Bühne. Hier ging es darum, zu bestehen: vor dem Publikum, das es mit den allerersten Worten zu fesseln galt – sonst hörte es einfach nicht zu. Auf eine wohlmeinende Vorschuss-Sympathie durfte man als Teilnehmer nicht hoffen, die Aufmerksamkeit musste man sich verdienen. Bestehen musste man auch vor der Jury, die rechts auf der Bühne saß – und damit die Speaker zwang, eine schwierige Entscheidung zu treffen: Stellt man sich ans hintere Ende der großen Bühne, also seitlich zur Jury, aber weit weg vom Publikum – oder stellt man sich vorne hin, also zum Publikum, und hat dann aber die Jury im Rücken? Platz gab es ja genug, auf der Bühne hätte man Fußball oder Volleyball spielen können. Aber dieser Platz wollte natürlich auch genutzt werden. Das ist gar nicht leicht für eine einzelne Person ohne Requisiten. Und genau das schreiben die Regeln des Speaker-Slams ja vor: keine Requisiten.
Die Redezeit betrug für jeden der 15 Teilnehmer dieses Mal nur 7 Minuten. Das ist kurzweiliger für Jury und Publikum, aber sehr herausfordernd für die Speaker. Einige hatten am Ende des Auftritts ein Zeitproblem, manche sprachen auch noch, als das Mikrofon bereits abgeschalten war und sie daher niemand mehr hören konnte. Die meisten hatten sich aber auf das kürzere Format sehr gut eingestellt und vorbereitet. Insgesamt lief dieses Jahr alles ein bisschen professioneller ab: die Bühne, die Technik, die Show, das Drumherum. Auch die Teilnehmer waren als Gruppe professioneller. Es war niemand dabei, der nicht als Speaker sein Geld verdienen könnte, manche von ihnen tun das ja auch bereits. Es gab die eine oder andere Themenverfehlung, also Speaker, die nicht angetreten sind, um das Publikum zu unterhalten oder mit einem interessanten, neuen Thema zu überraschen oder gar zu begeistern, sondern die versuchten, von der Bühne herab ganz spezifische Dinge (z. B. Marketingberatung oder Bücher) zu verkaufen. Das funktionierte natürlich nicht besonders gut.
Diese Show – zu einer solchen ist der Speaker-Slam durch all die Neuerungen zweifelsohne geworden – fand auch vor einem größeren Publikum statt, als in den beiden ersten Jahren. Weil aber die Veranstaltungshalle derart groß war, war sie nur zur Hälfte gefüllt. Der Speaker-Slam 2017 war einer von vielen Programmpunkten des »Gamechanger«-Festivals des Fernsehsenders Puls 4, somit waren viele im Publikum nicht wegen des Speaker-Slams da, sondern einfach als Festival-Gäste, die halt einmal vorbeischauten, was auf der Bühne gerade geboten wurde. Wenn es ihnen gefiel, setzten sie sich, wenn nicht, gingen sie wieder. Eine echte Herausforderung für jeden Redner.
Die meisten bewältigten aber auch diese Hürde souverän und so bekamen wir viel von dem geboten, was den Speaker-Slam seit 2015 ausmacht und auszeichnet: ein Feuerwerk verschiedener Ansätze, Gedanken, Themen. Man hört Dinge, die man noch nie gehört hat, wird von einem Speaker zum Lachen gebracht und vom nächsten fast zum Weinen. Es sind auch Themen dabei, zu denen man sich wohl nie einen Vortrag angehört hätte – und gerade deswegen sitzt man da und bekommt innerhalb kurzer Zeit von verschiedenen Menschen den Horizont erweitert. Bei manchen Vorträgen kann man am Ende gar nicht glauben, dass schon 7 Minuten vorbei sind und würde noch gerne sehr viel mehr hören.
Einige Highlights: Von Florian Wildgruber lernen wir, dass man die Dinge auch tun und sich dabei etwas trauen muss: »Wer sich immer alle Türen offen hält, der wird sein Leben auf dem Flur verbringen – und dort ist es nicht lebendig!« Manuel Krautgartner erzählt von seinem schweren Autounfall, den prophezeiten, nicht eingetretenen Folgeschäden: »Das Gleis meines Lebenszugs gestalte ich selbst.« Wolfgang Bönisch erzählt von jenem Tag vor über 30 Jahren, als er als Polizist einem Einbrecher gegenüber stand, der eine Pistole auf ihn richtete. Dem Kernsatz seines Vortrags »Du bist, was du verhandelst« gibt er so eine ganz besondere Bedeutung, in seinem Fall: am Leben! Monika Herbstrith-Lappe erklärt uns in ihrem amüsanten, mit Wortspielen gespickten Vortrag, warum es überhaupt nichts bringt, sich über andere zu ärgern. Marcus Kutrzeba erzählt uns die bewegende Geschichte seines Vaters: von den Nazis in einen Zug Richtung Vernichtungslager gesperrt, aus diesem Zug abgesprungen, in polnischen Wäldern überlebt, sich in die USA durchgeschlagen, Eisverkäufer in New York, Yale-Studium, eigenes Stück am Broadway, das mit dem Tony Award ausgezeichnet wurde. Solche Geschichten gehen nahe und man kann auch einiges von ihnen lernen. Volker Busch gibt uns aus seiner Praxis als Psychiater wertvolle und leicht umsetzbare Tipps für den Umgang mit Stress und digitalen Medien. An dieser Stelle bin ich dankbar, hier dabei zu sein, all die Speaker erleben zu dürfen. Wo sonst bekommt man in so kurzer Zeit eine so große Vielfalt geboten?
Die Teilnehmeranzahl war im Vergleich zu den Jahren davor von den Organisatoren auf 15 herabgesetzt worden, sodass die gesamte Veranstaltung ziemlich genau 2 Stunden dauerte, inklusive Anmoderation durch eine Puls-4-Sprecherin, Vorstellen der Jury und Preisverleihung am Ende. Neu war auch, dass es nicht mehrere Preise wie z. B. einen Publikumspreis, einen Agentur-Award usw. gab, sondern nur einen Gewinner, der von der Jury ermittelt und unmittelbar nach dem Auftritt der letzten Rednerin verlautbart wurde. Nach den Reaktionen des Publikums zu urteilen, hätte der Gewinner aber ohnedies auch den Publikumspreis erhalten, Jury und Zuhörer waren sich also einig.
Einig, dass Christoph Zulehner an diesem Nachmittag der Beste war. Mit ruhiger Stimme, gemäßigtem Sprechtempo und einer Bühnen-füllenden Präsenz überzeugte er uns völlig unaufgeregt davon, dass das Faken wichtig, manchmal sogar notwendig sei. Jawohl, das Faken, wie er es nennt, also das Vortäuschen.
Er betritt die Bühne in einem weißen Arztmantel und erzählt von einer Nacht vor vielen Jahren, die sein Leben und auch das einer damals 60-jährigen Patientin für immer verändern sollte. Auf der nächsten Doppelseite erzählt Christoph Zulehner als Gastautor diese Geschichte nach, die auch eine nachdenklich machende Botschaft beinhaltet. Er ist der Einzige, der vom Publikum mit Zwischenapplaus bedacht wird, ein verdienter Sieger, der als solcher nicht nur eine Trophäe, sondern auch einige Preise mit nach Hause nimmt, z. B. einen Agenturvertrag und eine Kurz-Schulung am Lee Strasberg Theater & Film Institute in New York.