Martin Mayer steht dem angeblichen Erfolgsmodell der 4-Tage-Woche skeptisch gegenüber und erläutert seine Gründe.
Wir sehen, dass es von vielen Menschen einen großen Wunsch nach einer Arbeitszeit rund um 30 bis 32 Stunden in der Woche gibt. Diese Tendenz kann man schon seit einigen Jahren beobachten, doch hat sich dieser undifferenzierte Wunsch mit dem Berufseinstieg der Generation Z in eine konkrete Forderung manifestiert. Die Gründe liegen einerseits in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Sinne der Gleichberechtigung hat sich in den letzten Jahren einiges geändert, das sich auch in der Forderung nach einer stärkeren Gleichberechtigung in der Kindererziehung ausdrückt. So ist der familiäre Kompromiss oftmals eine Aufteilung in eine jeweils 30-Stunden-Woche beider Elternteile. Durch die Umstellung unseres Ausbildungssystems auf das Bologna-System haben wir eine weitere Situation, die den Wunsch nach einer 30-Stunden-Woche hervorruft. Viele Studenten schließen das Bachelorstudium ab und steigen danach ins Berufsleben ein. Die Masterprogramme studieren zahlreiche berufsbegleitend mit reduzierter Arbeitszeit. Wir erleben das selbst im Unternehmen sehr stark. Nach dem Abschluss des Masterstudiums bleibt oft der Wunsch nach der verkürzten Arbeitszeit.
Was genau ist die 4-Tage-Woche?
Es gibt hier zwei Ansätze. Entweder wird die Regelarbeitszeit (meist 38,5 bis 40 Stunden in der Woche) auf 4 Tage aufgeteilt oder es geht um eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 bis 32 Stunden in der Woche. Den ersten Ansatz betrachte ich sehr skeptisch und arbeitsökonomisch bzw. arbeitspsychologisch als nicht sehr sinnvoll. Ich habe große Zweifel daran, dass es ein großer Fortschritt ist, Menschen 3 Tage Freizeit zu geben und dafür aber 4 Tage einer zehnstündigen Arbeitsbelastung auszusetzen. In Ausnahmen sind 10 Stunden Arbeitszeit am Tag möglich, aber als Regelsystem ist es langfristig ungesund. Meiner Meinung nach wird das in der Diskussion über die 4-Tage-Woche nicht sehr offen diskutiert und das Thema nicht transparent geführt. Während der Arbeitgeber oft unter der 4-Tage-Woche den ersten Ansatz (40 Stunden in 4 Tagen) versteht, sprechen Arbeitnehmer von einer Arbeitszeitverkürzung (32 Stunden in 4 Tagen). Die eigentliche Diskussion sollte die Arbeitszeitverkürzung sein. Aus individueller Sicht verstehe ich den Wunsch nach einer 30- bis 35-Stunden-Woche, allerdings vermisse ich in diesen Diskussionen die ganzheitliche und gesamtwirtschaftliche Sicht.
Arbeitskräftemangel verschärft sich
In Zeiten wie diesen, in welchen es einen Arbeitskräftemangel gibt, würde sich dieser noch mehr verschärfen, wenn ein großer Teil der Menschen weniger Stunden leistet. D. h., wenn ich sowieso schon eine Unterbesetzung in Teams habe, dann führt das in aller Regel noch mal zu einer Überforderung bei den bestehenden Mitarbeitern. Diese brennen noch schneller aus und kündigen noch schneller die Jobs – das hat eine Spirale zur Folge, die nach unten freigesetzt wird. Der Bereich, in dem das momentan stark zu beobachten ist, ist das Gesundheitssystem. Arbeitszeitverkürzung muss immer mit einem Produktivitätsfortschritt verbunden sein – d. h. mit einer Effizienz-Steigerung. Das funktioniert in gewissen Branchen, aber bei personenbezogenen Dienstleistungen – aus meiner Sicht – nicht. Die 4-Tage-Woche ist kein geeignetes Modell für Branchen wie die Pflege oder Gastronomie.
Der Druck steigt
In aller Regel wird die Forderung einer 4-Tage-Woche mit gleichem Verdienst erhoben. Das ergibt eine Verschärfung des Kostendrucks auf Unternehmen. In einem Hochpreis- und Hochkostenland wie Österreich sehe ich das problematisch, noch dazu mit der aktuellen Wirtschaftslage, in der wir auf eine weltweite Rezession zusteuern. Die Kernfrage, die dahinter steht, ist: Kann das Unternehmen eine 4-Tage-Woche leben? Dann würde es bedeuten, dass das Unternehmen ohne Probleme 20 % Effektivität steigern kann, wenn man denselben Output generieren möchte. Ich glaube nicht daran, dass in einem Markt, der wie der österreichische im Wettbewerb steht, solche Produktivitätssteigerungen für viele Unternehmen möglich sind. Es mag aber einzelne Branchen geben, in denen auch die Zahlungsbereitschaft des Kunden so hoch ist, dass Unternehmern bei Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich in der Lage sind, die Kosten auf den Kunden weiterzugeben. In dem Moment, in dem man auf dem internationalen Markt/Konnex ist, glaube ich nicht, dass es funktioniert.
Produktivitäts- oder Wohlstandsverlust?
Ich glaube, es ist eine gefährliche Diskussion. Wenn die 4-Tage-Woche gesamtwirtschaftlich eingeführt wird, müssen wir in Wahrheit mit 10 bis 15 % Produktivitätsverlust oder einem Wohlstandsverlust rechnen, da die Gehälter in diesem Ausmaß gekürzt werden müssen. In Österreich gibt es einen hohen Prozentsatz von Menschen, die mit ihrem Erwerbseinkommen am Existenzminimum sind. Diese würden aufgrund einer Stundenreduktion in eine prekäre finanzielle Situation geraten. Aus einer individualistischen Perspektive klingt eine 4-Tage-Woche oft fein, aber aus Sicht einer Makroebene finde ich das enorm und bin deswegen kritisch gegenüber diesem Thema.
Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt
Wahrscheinlich ist in 50 % der Jobs aufgrund der Versorgungssicherheit die 4-Tage-Woche nicht möglich, da es einfach zu wenig Arbeitskräfte gibt. Wenn gewisse Branchen die 4-Tage-Woche einführen, führt das zu einem gewissen Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt und dazu, dass verschiedene Jobs höher bewertet werden als andere. Stattdessen sollten die systemerhaltenden Jobs, von Kindergärtner und Pfleger bis hin zum Straßenkehrer, aufgewertet werden. In der Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig diese sind! Diese Jobs werden leider immer abqualifiziert. In diesen Berufen wird eine 4-Tage-Woche mit einer Stundenreduktion nicht möglich sein, da es in diesem Sektor ohnehin schon zu wenige Personen gibt.
Work-Life-Balance
Hinter dem Thema 4-Tage-Woche steht immer eine Work-Life-Balance-Diskussion. Ich glaube, hier gibt es oft ein großes Missverständnis. Der moderne Zugang wäre, Work und Life viel mehr integrativ zu betrachten. Durch das Thema Digitalisierung verschwimmen diese Bereiche immer mehr und es geht eigentlich darum, die Kombination aus Work und Life zu perfektionieren. Eine 4-Tage-Woche produziert für mich genau das Gegenteil. Es geht um eine extreme Separierung. Vier Tage auf Hochdruck arbeiten und drei Tage das Leben genießen. Die Welt geht in eine andere Richtung, eigentlich in eine ständige Verfügbarkeit von Informationen. Der Mensch erwartet in seinem Konsumverhalten jederzeit sofortige Reaktionen. Das ist allerdings genau das Gegenteil von dem, was die 4-Tage-Woche suggeriert.
Gegenantwort: Flexibilität
Die Gegenantwort wäre eher, die Arbeit noch mehr zu flexibilisieren und nicht zu verkürzen. Mitarbeiter sollten die Möglichkeit haben, ihre Arbeit so flexibel zu gestalten, dass es egal ist, ob die 40 Stunden in vier, fünf, sechs oder sieben Tagen abgewickelt werden oder ob es in der Früh, am Abend oder in der Nacht passiert. Das versteht sich immer in einer gewissen Abhängigkeit von der Tätigkeit. Ich bin Veränderung nicht abgeneigt, auch die Arbeitswelt verändert sich, aber ich glaube trotzdem, dass sich ein Arbeitszeitmodell von 40 Stunden in der Woche seit vielen Jahrzehnten als Erfolgsmodell bewährt hat. Dieses jetzt zu verlassen und die Stundenanzahl zu reduzieren, finde ich unter den oben genannten Parametern sehr gefährlich.