Integration in den Arbeitsmarkt
Wer integriert Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt und welche Verantwortung liegt bei den Unternehmen? Das lesen Sie in diesem Interview.
Im Jahr 2015 wanderten rund 214 000 Personen nach Österreich ein, während im gleichen Zeitraum rund 100 000 Personen das Land verließen. Das ergibt eine Netto-Zuwanderung von 114 000 Personen. Dafür verantwortlich zeigte sich in erster Linie die ansteigende Zuwanderung von Asylsuchenden bei einer gleichzeitig hohen Zahl von zugewanderten Arbeitskräften, Familienangehörigen und Studierenden aus der EU (Quelle: Statistisches Jahrbuch 2016, ÖIF).
Für den Arbeitsmarkt stellt sich nun die Frage, in welcher Form diese Menschen zu integrieren sind. Und welchen Beitrag die Erwachsenenbildung dazu leisten kann, soll und muss. TRAiNiNG befragte dazu Martin Röhsner (Geschäftsführer die Berater®).
In welcher Weise ist dieses Thema für die Bildungsbranche relevant?
Die Bildungsanbieter sind durch das Schulungsangebot natürlich im Brennpunkt vieler Diskussionen. Bei uns ganz konkret im Asylbereich, im Bereich Sprachen und weiters dort, wo es um das Überprüfen von Kompetenzen geht. Wir arbeiten mit vielen Organisationen zusammen, z. B. mit dem Arbeitsmarktservice Österreich und dem Österreichischen Integrationsfonds. Bei uns geht es auch um Migranten aus der 2. und 3. Generation. Bei dieser Personengruppe ist das Bildungsthema generell ein wesentlicher Gradmesser für Berufschancen, für Einkommen etc.
Bekommen Ihrer Meinung nach alle Bevölkerungsgruppen den gleichen Zugang zur Bildung?
Hier müssen zwei Punkte klar unterschieden werden: Das staatliche Bildungssystem für die Erstausbildung und der Bereich der Erwachsenenbildung. Für lebenslanges Lernen, dieser Begriff ist ja seit Langem in aller Munde, wird in Österreich nach wie vor viel zu wenig getan. Eine Frage, die uns immer wieder beschäftigt ist die, ob Kinder von weniger gebildeten Eltern Zugang zu Bildung haben und einen höheren Bildungsgrad erreichen können. Das ist, meiner Ansicht nach, leider nicht immer so. Hier scheitert es häufig an Strukturen, was natürlich volkswirtschaftliche Auswirkungen hat, z. B. beim Fachkräftemangel. Hier besteht Handlungsbedarf. Bei Flüchtlingen geht es derzeit immer nur darum, sie verpflichtend in Deutschkurse zu schicken. Das ist natürlich wichtig, aber es darf nicht dabei bleiben. Sonst kann hohes Potenzial verloren gehen.
Wer ist für Erwachsenenbildung zuständig?
Ich höre häufig, dass die Wirtschaft für ihre eigenen Mitarbeiter verantwortlich sei und daher auch für die Weiterbildung aufkommen muss. Es stellt sich hier die Frage, inwieweit die öffentliche Hand für die Erwachsenenbildung zuständig ist oder nur für die Erstausbildung. Derzeit kommt die größte Nachfrage nach Bildungsveranstaltungen vom AMS mit der Zielsetzung, Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber es werden auch zusätzliche Anreizsysteme für Unternehmen benötigt. Und natürlich ist auch das Individuum verantwortlich, sich selbst weiterzubilden. Das ist aber oftmals vom Einkommen abhängig.
Dafür gibt es staatliche Förderungen!
Die Förderlandschaft in Österreich ist durch das föderale System sehr differenziert. Die Bundesländer agieren frei und so gibt es starke Unterschiede, meist abhängig vom Wohnort. Die Förderungen sind schwer durchschaubar und betreffen immer nur bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die meisten Förderungen gibt es für Beschäftigte. Ein Arbeitsloser ist vom AMS abhängig und kann kaum Förderungen für Weiterbildung am freien Markt beanspruchen. Daher sollte meiner Meinung nach der Staat den Zugang zur Bildung für jeden ermöglichen und generell die Menschen für das Thema sensibilisieren.
Auch Medien und Erwachsenenbildungsinstitute sollten verstärkt auf das Bildungsthema aufmerksam machen und zur Sensibilisierung beitragen. So könnten Bildungsträger eigene Angebote für diese Zielgruppe entwickeln und dies über verschiedene Kanäle kommunizieren. Es ist natürlich auch die Pflicht von Bildungsinstituten, auf Erwachsenenbildung ganz generell hinzuweisen und sie zu forcieren.
Sprechen wir nochmals von der Erstausbildung. Wie funktioniert die Integration von Migranten und Flüchtlingen in unser Schulsystem?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Die Person ist unter 16 Jahre alt, dann ist der Eintritt in unser Schulsystem möglich. Ist jemand über 16 – und damit außerhalb der Schulpflicht – hat er keinen Anspruch auf einen Schulplatz. Nehmen wir einmal an – und diese Fälle gibt es oftmals – eine 17-jährige Schülerin kommt als Flüchtling aus Damaskus, sie steht ein Jahr vor der Matura. In Österreich kann sie sehr schwer und nur in Ausnahmefällen den Schulabschluss erreichen, weil sie über 16 ist. Sie könnte, rein theoretisch, mit erfolgreich abgelegter Matura studieren und eine Fachrichtung wählen, die in Europa dringend gebraucht wird. Sie könnte somit gut integriert werden. Diesen Karriereweg sieht das System aber so leider nicht vor. Meistens dürfen diese Menschen die Schule hier nicht fertig machen, und können nicht studieren. Integration leider fehlgeschlagen, zurück zum Start.
Wenn Integration gelingen soll, und ich spreche hier nicht nur vom Erwerb der Deutschkenntnisse, muss der Staat die Möglichkeit schaffen, dass Migranten den Zugang zur Weiterbildung haben. Wenn nämlich die Weiterbildung für Flüchtlinge eingeschränkt ist und gleichzeitig der Arbeitsmarkt wegen der langen Asylverfahren den Migranten verschlossen bleibt, bleiben unzählige Personen untätig in Warteposition. Das kostet die Allgemeinheit einerseits viel Geld und andererseits gibt es keine Chance, dass sich Migranten und Flüchtlinge auch nur annähernd integrieren. Sie sitzen in ihren Heimen ohne Aufgabe, ohne Lernmöglichkeiten, obwohl die Mehrheit arbeiten und/oder lernen möchte.
Österreich hat einerseits einen Fachkräftemangel, der mit Zuwanderern zumindest teilweise gedeckt werden könnte. Andererseits ist niemand bereit, für diese Gruppe den Zugang zur Bildung zu ermöglichen. Diese Integration muss aus oben angeführten Gründen gefördert werden, sowohl von öffentlicher Hand als auch von Unternehmen. Hier beißt sich die Katze leider auch häufig in den Schwanz. Ich kenne viele Unternehmen, die bereit wären, Migranten aufzunehmen und auszubilden. Doch die Menschen haben keine Arbeitsbewilligung und daher kann das Unternehmen sie nicht beschäftigen. Solche Situationen sind wirklich grotesk.
Die Situation, die wir derzeit vorfinden, ist zugegeben, schwierig. Es besteht permanent ein Zuwanderungsthema, im großen Stil zuletzt mit der Jugoslawienkrise. Natürlich sind uns Migranten aus Ex-Jugoslawien kulturell näher als Flüchtlinge aus arabischen oder afrikanischen Ländern, aber auch für Personen aus fremden Kulturen sollten verstärkt Perspektiven geschaffen werden, auch wenn es anfangs schwierig erscheint.
Ist daher die gesellschaftliche Integration der 1. Schritt?
Wenn wir Integration wirklich möglich machen, müssen wir Flüchtlingen auch die Möglichkeit dazu geben – wie bereits beschrieben. Erst dann stellt sich im Einzelfall heraus, ob jemand bereit ist, sich unserem System und unseren Werten anzupassen. Dies muss keineswegs zwangsläufig bedeuten, dass diese Menschen ihre Kultur oder Religion aufgeben müssen. Es würde ja schon extrem helfen, wenn wir ein wechselseitiges Verständnis schaffen könnten. Das ist eben auch Aufgabe der Erwachsenenbildung.
Was meinen Sie damit genau?
In einem Bewerbungsgespräch sorgen die Unterschiede oft für Verwirrung. In Europa z. B. ist Blickkontakt während des Gesprächs wichtig. Im arabischen Raum gilt das allerdings als Unhöflichkeit. Das ist ein sehr banales Beispiel, hat aber große Auswirkungen im Unternehmenskontext. Daher gilt es, primär interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln. Sowohl an die Flüchtlinge als auch an Österreicher.
Es können auch Berufsbilder völlig unterschiedlich sein. Nehmen wir als Beispiel den Beruf Friseur. Ein Flüchtling belegt, dass er in Syrien Friseur gelernt hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir ihn hier gut unterbringen können. Wenn das z. B. ein Mann ist, kann es sein, dass er aus seinem Kulturverständnis heraus keine Frauen frisieren möchte. Und vielleicht ist er auch nur auf Bärte spezialisiert. Hier genügt es einfach nicht, zu sagen: »Der muss sich anpassen.« Im Extremfall ist diese Qualifikation dann bei uns nichts wert.
Was wäre eine optimale Lösung für die Bildungspolitik?
Wenn Menschen zu uns kommen, die mit relativ wenig Aufwand ihre Schulbildung hier abschließen könnten, um so den Zugang zu höherer Ausbildung zu erlangen, muss das möglich sein, unabhängig vom Alter oder anderer Barrieren. Besonders wenn es um Ausbildungen geht, die bei uns stark nachgefragt werden. Und wir müssen erkennen, dass Sprache lernen allein nicht ausreicht. Die Erwachsenenbildungsträger müssen hier mehr in die Verantwortung genommen werden. Klar ist aber auch, dass es keine Gesamtlösung geben kann, Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt müssen mit einbezogen werden. Wir dürfen nicht mehr von »den Migranten« oder »den Flüchtlingen« sprechen, sondern es muss wirklich pro Einzelfall entschieden werden. Akzeptieren wir doch auch den Umstand, dass diese Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen und Kulturkreisen kommen. Daher muss es auch unterschiedliche Antworten geben.
Was können Unternehmen tun?
Wie schon erwähnt, bin ich überzeugt davon, dass viele Unternehmen bereit wären, mehr zu tun, wenn die bürokratischen Hürden fallen würden und Rechtssicherheit bestünde. Es gibt schon einige Pilotversuche, wo Integration wirklich gut funktioniert hat. Allerdings aufgrund des hohen formalen Aufwands machen dies derzeit vorwiegend Großunternehmen. Kaum ein Klein- oder Mittelbetrieb hat den Mut, einen Flüchtling anzustellen, weil sich dabei niemand so richtig auskennt. Es mangelt meiner Meinung nach auch an genauer Information an die Unternehmen.
Danke für das Gespräch.