Wir alle leben in einer Welt, die nicht mehr planbar und vorhersehbar ist. Wie das Management dennoch funktionieren kann, lesen Sie hier.
Wir leben in einer VUCA-World – dieser Begriff beginnt schön langsam in die Gedanken- und Wissenswelt der Unternehmen einzusickern. Damit einher geht die mittlerweile krampfhaft anmutende Suche nach einer endgültigen Lösung für dieses Problem. In allen einschlägigen Fachzeitschriften vergeht kein Monat, in dem nicht darüber berichtet wird, dass die Welt volatil, ungewiss, komplex und mehrdeutig (VUCA in deutscher Übersetzung) geworden ist und digitalisiert wird und wir uns daher anzupassen haben. Ein Hype bildet sich in Österreich gerade heraus – Design Thinking. Dass große Konzerne scharenweise diese Methode zum Einsatz bringen, um endlich über neue Kunden begeisternde Produkte und Dienstleistungen ihre Agilität und damit Lebensfähigkeit zu beweisen, gibt dem Hype so richtig Feuer. Liest man die Berichte über Design Thinking, so könnte man auch glauben, das Heilmittel gefunden zu haben. Selbstverständlich ist diese Innovationstechnik eine sehr praxisorientierte Methode, neue, kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen zu kreieren. Wie immer, verbirgt sich das, worauf es ankommt, hinter der Methode – es gilt also, sich zu fragen: Was sind die Grundprämissen, damit Design Thinking erfolgreich funktionieren kann:
- ein methodischer, ergebnisoffener aber iterativer Prozess (Verstehen – Beobachten – Entwickeln – Ausprobieren – Verfeinern), der seine Zeit braucht,
- arbeiten in interdisziplinären Teams und Einbindung Außenstehender sowie
- Aufmerksamkeit und Verständnis für Menschen und Situationen.
Wenn wir uns mit diesen 3 Grundprämissen auseinandersetzen, können wir erkennen, dass das eine radikale Veränderung bisheriger Denkmuster voraussetzt:
- Es gibt keinen direkten Weg mehr von A nach B, hier Problem – hier Lösung – zack zack.
- Scheitern und Fehler machen ist Bestandteil der Lösungssuche und darf nicht mit Versagen verwechselt werden.
- Problemlösungskompetenz liegt in den Händen aller – ohne Ansehen von Position, Rang und Namen.
- Die Komplexität kann von einem allein nicht mehr bewältigt werden – Netzwerke müssen geschaffen werden.
- Entscheidungen werden dort getroffen, wo sie notwendig sind und nicht, wo Hierarchien dies vorgeben.
- Mitarbeiter engagieren sich zum gemeinsamen Zweck der Organisation und die Verantwortlichen leben dieses Vertrauen.
- Offenheit ist eine Grundvoraussetzung.
- Die Zukunft ist nicht planbar – wir wissen nicht und können auch nicht prognostizieren, was morgen sein wird, woher also wissen, welches Ziel das richtige ist?
Abgesehen vom derzeitigen Hype-Thema Design Thinking, gibt es noch andere Methoden und Denkanstöße, der vuca-World bzw. der Digitalisierung Herr zu werden: Leadership 4.0, Digital Leadership, Agiles Management, Scrum, Holocracy, Effectuation etc., um einige zu nennen. Untersucht man diese Methoden genauer, so stößt man auf die gleichen Prämissen, die auch wir oben herausgearbeitet haben.
Es ist wohl der große Verdienst von S. Sarasvathy (Darden Graduate School of Business, University of Virginia), dass sie uns als Erste einen lernbaren Ansatz geliefert hat, wie Menschen in einer Welt großer Ungewissheit erfolgreich vorgehen. 5 Prinzipien sind es, die zu berücksichtigen sind (www.effectuation.at):
Bird in Hand Prinzip: Nicht nach Zielen fragen, sondern mit vorhandenen Mitteln/Ressourcen ins Handeln kommen (dabei geht es nicht um ein wahlloses Handeln, sondern um ein Handeln entsprechend explorierter Werte, Visionen und Wunschvorstellungen).
Affordable Loss Prinzip: Nicht was den maximalen Gewinn verspricht anstreben, sondern überlegen, was man bereit ist, im schlimmsten Fall zu verlieren und das zu investieren.
Serendipity (oder auch Lemonade) Prinzip: Nicht das Ziel vor Augen haben, sondern erkennen, welche Chancen sich aus dem Tun ergeben (Serendipität = zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist).
Crazy Quilt Prinzip: Patchworkprinzip – nicht Abschirmung und Geheimhaltung, sondern Offenheit und exponieren der Ideen, um Partner zu finden, die mitmachen wollen, ja sogar die Ideen mitverändern.
Pilot in the Plane Prinzip: Nicht wir sind abhängig von der Zukunft, die Zukunft wird von uns, durch unser Tun gestaltet.
Vergleicht man diese 5 Prinzipien, die von Sarasvathy in Effectuation beschrieben und in einem iterativen Prozedere zusammengefasst sind, mit den oben dargestellten notwendigen Veränderungen in unseren Denkmustern, so kann man erkennen, dass sich eine gute Deckung ergibt. Der Schluss liegt nahe, dass diese Prinzipien einen Erfolg versprechenden Führungsansatz in einer VUCA-World liefern. Sie müssen in jedem Fall gewährleistet sein, welche Methode man immer anwendet.
Insbesondere das Prinzip Pilot in the Plane dürfte ein zentrales Prinzip sein, stellt es doch auf die eigene Handlungsfähigkeit ab und ist damit wohl gleichzeitig das Prinzip, das die größten Veränderungen in unseren Denk- und Handlungsgewohnheiten fordert. Heißt es doch aktiv zu werden, Entscheidungen zu fällen, Taten zu setzen und natürlich auch die Verantwortung für die Folgen dieses Tuns zu übernehmen. Sicherheit durch Nichts-Tun, ein weithin verbreitetes Handlungsmuster, ist damit also nicht mehr gegeben. Man kann sich vorstellen, wie schwierig die Umsetzung dieses Prinzips ist und dass es nicht reichen wird, einfach eine neue Methode einzuführen – hier braucht es schon eine grundlegende Veränderung unserer gewohnten Denkweisen.
Wenn wir die zunächst aus dem Design Thinking abgeleiteten Prinzipien methodenunabhängig für eine digitalisierte VUCA-World verallgemeinern wollen, so lässt sich der folgende Ansatz darstellen:
- Handeln gestaltet die Zukunft durch die eintretenden Folgewirkungen.
- Bewusste Aufmerksamkeit lässt uns die daraus nutzbringenden Chancen erkennen, die wiederum weitere Handlungen ermöglichen.
- Einbindung anderer/vieler erweitert den Nutzen-/Lösungsraum und erhöht die Handlungseffekte auf die Zukunft.
Was ist in der Praxis zu beachten?
Es lebe der Unternehmergeist! An die Kosten zu denken ist dabei nur ein Teil – hauptsächlich geht es beim Unternehmertum um die Nutzung von Chancen durch aktives Handeln mit vorhandenen Mitteln (siehe oben Effectuation). Das setzt aber voraus, dass wir die Chancen auch erkennen. In unserer klassisch kausalen Management-Denkart sind wir verleitet, Chancen, die sich abseits des Weges ergeben, eher als Bedrohung denn als Chance zu sehen – schließlich hält uns das davon ab, unseren Plan zu verfolgen und das Ziel zu erreichen. Die Untersuchungen von K. E. Weick/K. M. Sutcliffe (Das Unerwartete managen) zeigen drastisch auf, wie Planung und Hierarchie uns blind machen für alles, was außerhalb des Erwarteten liegt. Deren Vorschläge für eine achtsame Organisation sollten in einer VUCA-World durchaus Beachtung finden und unsere Aufmerksamkeit gegenüber Chancen professionalisieren helfen.
Die wohl am kritischsten beobachtete Veränderung ist die Demokratisierung der Arbeitswelt, ebenfalls eine Prämisse aller Methoden, die sich mit der VUCA-World auseinandersetzen. Vor noch nicht allzu langer Zeit konnten wir in den Medien lesen, welch hervorragende Ergebnisse mit der Demokratisierung erzielbar sind. Mittlerweile erscheinen Artikel, die uns sagen, dass das nicht so einfach ist mit der Arbeitswelt auf Augenhöhe. Es bräuchte klare Regelungen und entwickelte Mitarbeiter, damit Demokratisierung auch wirklich zu guten Ergebnissen führt – selbstverständlich, was sonst.
Eine neue Methode ist eben rasch eingeführt und ausprobiert – die Nutzung aller Potenziale neuer Methoden braucht jedoch eine tatsächliche Veränderung in unserer Denkweise, also in unserer Kultur – und das ist, wie wir wissen, nicht ganz so einfach. Wer tatsächlich die vollen Potenziale neuer Methoden nutzen möchte, der kann jedoch auf die altbewährten Methodiken der Organisationsentwicklung zurückgreifen, um die Anpassungen in der Kultur zu unterstützen – das funktioniert immer noch.