Wie der Trend zur Digitalisierung die Unternehmenskultur verändern wird,
lesen Sie in diesem Interview mit Valerie Höllinger, Geschäftsführerin des bfi Wien.
Wohin müssen sich Unternehmen kulturell wandeln, damit sie für die Digitalisierung gerüstet sind?
Was in erster Linie in die Köpfe der Unternehmen muss, ist die Tatsache, dass die Digitalisierung kein reines Technologiethema ist. Die neuen Technologien sind nur das Mittel zum Zweck – die notwendige Infrastruktur, wenn man so will. Und ja, selbstverständlich ist das Wissen, um diese Technologien erfolgreich zu nutzen, gleichermaßen essenziell. Was darüber hinaus aber aus meiner Sicht notwendig ist, ist ein Paradigmenwechsel in unserer Denkweise als Unternehmen. Vier Punkte gewinnen dabei an Bedeutung: Offenheit, Dynamik, Komplexität und Konvergenz.
Was meinen Sie damit konkret?
Ich möchte zur Erklärung eine Analogie zu biologischen Systemen heranziehen. Diese sind per se »offen«. Sprich, sie lassen einen Energiefluss durch das System von außen zu. Und diese Offenheit ist wesentliches Fundament sowohl des Erhalts als auch der Weiterentwicklung des Systems. Umgelegt auf Organisationen und Digitalisierung bedeutet Offenheit, die von uns selbst auferlegten Grenzen zumindest zu dehnen, den Influx von innen und außen nicht nur zuzulassen, sondern zu fördern. Und so neue Gedanken, Ideen, Möglichkeiten von außen in das System zu lassen. Unter Dynamik verstehe ich ein Weiterdenken dessen, was Leadership bedeuten könnte. Wir müssen »Beyond Leadership« gehen und uns von den »absolutistischen« Unternehmenslenkern wegentwickeln und erkennen, dass wir vom Kopf zum Ermöglicher werden sollen. Das bedeutet, dass die Unternehmenslenker nicht mehr jeden einzelnen Schritt von oben herab verordnen und steuern dürfen, sondern den Mitarbeitern mehr Entwicklungs- und Entscheidungsspielraum geben müssen. So können sie wiederum zum wichtigen Influx werden. Diese Herangehensweise erhöht natürlich den Grad der Komplexität. Plötzlich werden Abteilungsgrenzen aufgebrochen, Hierarchien aufgeweicht. Stattdessen formen sich hierarchie- und unternehmensübergreifende Communities, die gemeinsam an der Problemlösung arbeiten.
Das ist aber schwieriger steuer- und planbar, oder?
Ja, natürlich verändert sich dadurch auch die Form der Führung. Nicht jeder Prozess kann gefiltert und bis ins letzte Detail gesteuert werden. Das ist sicher ein großes Vertrauensthema. Mehr Freiheit bedeutet auch Sicherheit aufgeben. Dieser neue Freiheitsgrad bringt aber Gemeinschaften mit hohem Interaktionsgrad und ständigem Austausch hervor. Und diese werden oft zu Inkubatoren für Verbesserungen und Weiterentwicklungen. Sie sind auch der Nährboden für Serendipity – also das Finden von etwas Ungesuchtem aber doch sehr Erfreulichem. Systemisch betrachtet sind es neue Elemente und entsprechend viele neue Interaktionen, die einen Beitrag zu Offenheit und Dynamik darstellen und uns gemeinsam in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen weiterbringen.
Wie kann dieser Change-Prozess erfolgreich sein?
Wie alle Umbrüche und Veränderungen zwingt ein Kulturwandel die Menschen dazu, sich anzupassen, sich weiterzuentwickeln. Um die offene Auseinandersetzung nicht nur mit Erfolgs-, sondern auch Misserfolgsfaktoren möglich zu machen, muss Führung in diesem Transformationsprozess für geschützte Räume und offene Kommunikation ohne Sanktionen sorgen. Der unspezifische Ruf nach einer Vertrauenskultur allein reicht da nicht. Es ist auch eine Frage der Begeisterung, des »Mitreißens«, wenn man so will. Die Menschen müssen die positiven Aspekte der Kulturveränderung verinnerlichen. Dafür ist viel Begeisterungs- und Inspirationsarbeit notwendig. Unter der Oberfläche lauern oft subtile, aber mächtige Hindernisse und jede Menge Widerstand. Und das ist verständlich, weil menschlich. Die Menschen brauchen Zeit, um ihr Weltbild neu auszurichten, vorsichtig eigene Vernetzungs-Erfahrungen zu sammeln, sie auszuwerten und sich zu öffnen. Das ist ein gradueller Prozess und braucht Unterstützung sowie die Vermittlung neuer Kompetenzen. Das beginnt bei Schulungen im Bereich Design Thinking und »neues« Führen wie auch die gesteigerte Nachfrage nach Angeboten wie diesen in unserem Institut zeigt. Und natürlich spielt auch das Konvergenzthema eine Rolle: Hierarchie-, abteilungs- und auch kulturübergreifende Zusammenarbeit benötigt eine neue Form der Kooperationskompetenz. Und die will gelernt sein.
Viele Menschen wollen gar nicht in jungen, hippen, coolen Unternehmen arbeiten. Muss wirklich jedes Unternehmen innovativ und inspirierend sein?
Nicht jedes Unternehmen muss hip oder cool sein. Ich bin aber überzeugt, dass jedes Unternehmen innovativ und inspirierend sein muss. Dabei geht es nicht um Technikgizmos und Spielhallen am Firmenareal oder jede Woche ein neues Produkt im Verkaufsraum. Es geht auch nicht darum, dass jeder digitalisierte Produkte anbietet. Vielmehr ist es entscheidend, die eigenen Mitarbeiter für die gemeinsame Sache zu begeistern. Es geht um den »perfect fit« zwischen Unternehmen und Belegschaft. Immer mehr Menschen suchen in einem Job nicht nur eine Einkommensquelle, sondern die Befriedigung der eigenen Sinnsuche. Dementsprechend ziehen inspirierende Unternehmen inspirierte Menschen an, die mit Leidenschaft für das Unternehmen arbeiten und so den Betrieb mit einer ganz neuen Dynamik mit- und vor allem weiterentwickeln.
Wie schaut eine Unternehmenskultur der Zukunft aus?
Wenn es sich entwickelt, wie eingangs erwähnt, sind Co-Creation, vernetztes Arbeiten, fluide Organisationen, grenzenlos und ganz im Dienst am Kunden die Zutaten einer Unternehmenskultur der Zukunft. Ob das auch Realität wird, hängt sicherlich davon ab, ob die Menschen und Mitarbeiter das auch wollen und dementsprechend mitziehen.
Sie waren vor kurzem im Silicon Valley. Wie ist der Stand dort?
Im Silicon Valley ist dieser Kulturwandel bereits vollzogen. Die Themen Inspiration und Communities sind hier schon seit geraumer Zeit gelebter Alltag. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass hier viele junge Start-up-Gründer in kurzer Zeit ebenso junge High Potentials um sich scharen konnten und diese Kultur nicht aufoktroyiert wurde. Sie ist quasi systemimmanent entstanden. Und dann wurde daraus eine riesige Eigendynamik: Spannende und inspirierende Unternehmen ziehen kluge Köpfe an, die etwas bewegen wollen. Das bringt wiederum das Unternehmen weiter und es wird zum Perpetuum mobile.