Talentmanagement ist eines der wichtigsten Themen für Personalisten heute und auch in den nächsten Jahren. Talente erkennen, identifizieren, fördern und fordern ist nicht immer so einfach. Wie es funktionieren kann und warum es so wichtig ist, Zeit in Talentmanagement zu investieren, lesen Sie in diesem Artikel.
Talente, High-Potentials oder wie auch immer man sie nennt: Leistungsbereite und -fähige Mitarbeiter zu finden, zu bekommen und zu halten, stellt Unternehmen immer mehr auf die Probe. Fast 20 Jahre, nachdem zum ersten Mal über »War for Talents« gesprochen wurde, ist das Thema aktueller denn je. Rund drei Viertel aller Unternehmen (so liest man im CRANET Survey 2016) betreiben eigene Programme zur Förderung von Talenten. 69 % der Unternehmen besitzen Mitarbeiterbeurteilungssysteme, um die Leistung von Mitarbeitern zu erfassen.
Wie erkennt man aber überhaupt ein Talent? Wie kann man den entsprechenden Mitarbeiter im Unternehmen halten? Und wie geht man richtig mit Nicht-Talenten um? Fragen, die immer aktuell sind.
Talente erkennen
Das Identifizieren von High-Potentials – im Rahmen von Recruitingprozessen, wie auch im täglichen unternehmerischen Umfeld – zählt zu den wichtigsten und zugleich oftmals stiefmütterlich behandelten Aufgaben einer Führungskraft.
Susanne Summereder (Leiterin des Geschäftsbereiches LIMAK IN.SPIRE der LIMAK Austria Business School) kennt mehrere Gründe dafür:
»1. Die Identifikation und Entwicklung von Mitarbeitern wird oft als (alleinige) Aufgabe der Personalentwicklung (miss)verstanden.
2. Es gibt kein einheitliches unternehmensübergreifendes Verständnis für die Definition und die damit verbundenen Kompetenzen und Eigenschaften von Potenzialträgern.
3. Den Führungskräften mangelt es aufgrund der Vielzahl an operativen Aufgaben an Zeit und Energie, sich um die Identifikation und Entwicklung von High-Potentials zu kümmern.
4. Führungskräfte vermeiden die öffentliche Definition von Mitarbeitern als High-Potentials, um seitens der ›jungen‹ Talente keine falschen Hoffnungen und Erwartungen zu schüren, um – bei Angst vor Ersetzbarkeit – die eigene Position zu schützen, oder – und auch dies kommt öfters vor – um unternehmensübergreifendes Fischen im eigenen Goldfischteich zu vermeiden.
5. Die Unternehmenskultur hindert die effiziente (Be)Förderung von High-Potentials durch politische, eigentümergetriebene und/oder strategische Besetzungsentscheidungen.«
Bernhard Dworak (Geschäftsführer Master Human Resources Consulting GmbH) kennt noch eine weitere Schwierigkeit beim Erkennen von Talenten: »Es ist doch so: In jedem Unternehmen gibt es Mitarbeiter, die beliebter sind als andere. Mitarbeiter, die sich besser ›verkaufen‹ können als andere. Mitarbeiter, die mehr auffallen als andere. Talente sind nicht einfach zu erkennen – oft auch, weil sie es selber gar nicht wissen. Ohne geeignete Instrumente und einen transparenten Prozess ist es praktisch unmöglich, geeignete Talente zu identifizieren. Ein Talent zu identifizieren, bedeutet auch nicht, dass man sich einen Pool von ›Wunderwuzzis‹ heranzieht. Es bedeutet, dass man seine Mitarbeiter strukturiert auf Potenziale analysiert und konkrete Entwicklungspläne erarbeitet. Eine Person, die weiß, in welcher (angestrebten) Position sie in 5 Jahren sein könnte, wird alles daransetzten, diese Position auch zu erreichen. Viele werden im Laufe dieses Prozesses erkennen, dass sie ihre Talente anders einbringen möchten oder doch nicht dafür geeignet sind.«
Talente fördern
Beim Fördern von Talenten stehen manchmal die Kosten der Förderprogramme in keinem Verhältnis zum Nutzen. Und was natürlich nicht vergessen werden darf: Alle jene, die nicht zum elitären Kreis der Talente zählen, könnten sich zurückgewiesen fühlen und das nagt an ihrer Motivation. Was ist, wenn ein Talent darunter war, das übersehen wurde? Stehen möglicherweise einigen wenigen »Auserwählten« eine Horde von Mitarbeitern entgegen, die sich dadurch schlecht fühlen?
Susanne Summereder über den richtigen Umgang mit Talenten: »Basierend auf dem ersten Schritt, der richtigen Erkennung von Talenten, gibt es im zweiten Schritt drei grundlegende Überlegungen:
- Wie kommunizieren wir die Auswahl im Unternehmen?
- Wie fördern wir High-Potentials richtig?
- Welche Erwartungen schaffen wir dadurch?
Die Erfahrung zeigt, dass es mittlerweile fast zum guten Ton gehört, ein internes Trainee-Programm und/oder ein internes Talent/General-Management-Programm anzubieten, weshalb immer öfter offen kommuniziert wird, wer die ausgewählten High-Potentials sind. Damit wird (jungen) Mitarbeitern signalisiert, dass aktiv Förderung für kompetente und motivierte Mitarbeiter betrieben wird und Leistung sich auszahlt und belohnt wird. Bei der Kommunikation nach außen – sei es durch unternehmensübergreifendes Mentoring oder der Veröffentlichung von Best-Practice-Beispielen aus dem Unternehmen – ist man meist jedoch um vieles vorsichtiger. Handelt es sich doch bei den ausgewählten High-Potentials um die ›Golden Nuggets‹, Goldfische oder Zukunftsträger – wie man sie gern intern nennt. Die richtige Förderung liegt dabei wie in der Talente-Erkennung nicht im Gießkannenprinzip, sondern in der individuellen Förderung.«
Es gibt natürlich vieles, das getan werden kann, um es Mitarbeitern im Unternehmen so angenehm wie möglich zu machen und Talente zu fördern. Welche konkreten Maßnahmen denkbar sind, um Leistungsträger zu fördern, hat Helga Steiner (Geschäftsführerin bei STEINER Consulting) exemplarisch angeführt:
- »Aus- und Weiterbildung, die wirklich zur Person passt
- interessante, herausfordernde (jedoch erreichbare) Aufgaben verteilen
- einen intensiven bereichsübergreifenden Austausch bieten, damit auch die erforderliche Kommunikation vorhanden ist
- Förderung von fachlichen, persönlichen und sozialen Fähigkeiten
wenn die Möglichkeit gegeben ist, auch mit internationalen Themen betreuen
Auslandsaufenthalte fördern - einfach zuhören und Neues zulassen. Viele High-Potentials haben Top-Ideen oder andere Ansätze und Vorstellungen, wie sie an gewisse Aufgaben herangehen, z. B. ein Projekt durchzuführen. Dieses »anders« auch zulassen.
- Kreativitäts- und Hausverstands-Training
- nicht nur fachliche Weiterbildung fördern
- neue Arbeitszeitmodelle: Frei- und Arbeitszeit fließen verstärkt ineinander.«
Bernhard Dworak über Möglichkeiten, Talente zu fördern: »Fördermöglichkeiten gibt es viele. So können Menschen durch diverse Weiterbildungen in ihrem Streben nach Wachstum gut abgeholt werden. Wir streben nach mehr und die Herausforderung besteht darin, jene Personen zu identifizieren (intern oder extern), die den Willen und das Potenzial für eine bestimmte Laufbahn haben. Wir sprechen nicht von einer einzelnen Position, sondern davon, wie man entwicklungswilligen Personen (und dazu zählt nicht automatisch jede) einen Entwicklungspfad aufzeigen kann. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter durch Weiterbildung und Persönlichkeitsentwicklung fördern, betreiben automatisch nachhaltiges Personalmanagement. Die Kosten für diese Maßnahmen sind wesentlich geringer als die Kosten, die durch externes Recruiting (hier hauptsächlich Zeit), Motivationsverlust (resultiert in geringerer Produktivität) oder Know-how-Verlust verursacht werden.«
Talente halten
Was Talentmanagement von Personalentwicklung per se unterscheidet, ist die Beteiligung der jeweiligen Führungskräfte. Sie sind näher an den Mitarbeitern dran als die HR-Abteilung und kennen die Stärken und Schwächen des Teams. Ein Talentmanagement-System wird zwar von der Personalabteilung etabliert, muss jedoch von den Führungskräften gelebt werden, um erfolgreich zu sein. Die Folge daraus beschreibt Jürg Dietrich im Artikel »Talentmanagement für alle Mitarbeiter« so schön: »Talentmanagement muss für sämtliche Mitarbeiter konzipiert werden. Gleiches gilt für die Förderung horizontaler Entwicklungen und die Übernahme von verantwortungsvollen Aufgaben.«
Bernhard Dworak sagt über Mitarbeiterloyalität: »Ich kann niemanden zwingen, für ein Unternehmen mit vollem Einsatz zu arbeiten. In Österreich wird noch immer oft die Arbeitszeit bezahlt – nicht die Leistung. Sobald man sich einer leistungsgerechten Entlohnung zuwendet, wird offensichtlich, wie viele der Mitarbeiter motiviert sind und welche nur ›Zeit absitzen‹. Wenn man die richtigen Anreize setzt, muss man High-Potentials nicht ›binden‹, sondern sie bleiben und ziehen andere an. Unternehmen, die das verstanden haben, stellen sich ganz andere Fragen: Wie können wir all den motivierten Mitarbeitern Anreize, Auslastung und Möglichkeiten zur Verwirklichung anbieten? Ein Einsatz der Persönlichkeit entsprechend könnte in vielen Fällen viele Probleme lösen.«
Ein vernünftiges Laufbahnmanagement in regelmäßiger Abstimmung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft kann helfen, die Erwartungen der Belegschaft zu erfüllen. Außerdem helfen Instrumente des Kompetenzmanagements. So hat eine Führungskraft genauso wie die Personalabteilung stets die Übersicht, welcher Mitarbeiter welche Fähigkeiten hat. Vielleicht gibt es ja solche, die er in der aktuellen Position gar nicht benötigt, aber für eine Beförderung könnten sie hilfreich sein.
Susanne Summereder: »Um Talente zu binden, ist die Erkennung und positive Wertschätzung von Potenzialen sowie die Anerkennung von Leistung zentral. Dabei spielt die monetäre Anerkennung natürlich eine Rolle, darf jedoch nicht überschätzt oder als alleiniges Kriterium betrachtet werden. Beobachtet man doch, dass die meisten Mitarbeiter ihr Unternehmen nicht aufgrund schlechter Bezahlung, sondern aufgrund bestehender Unzufriedenheit mit ihrer Führungskraft verlassen. Essenziell ist daher – und diese Erfahrung spiegelt sich in 80 % unserer Führungskräftemaßnahmen wider – nach wie vor der regelmäßige Kontakt, das persönliche Gespräch und das kritisch konstruktive Feedback durch die jeweilige Führungskraft; jene Aufgaben, die vielen Führungskräften nach wie vor oft schwerfallen.«
Umgang mit »Low-Performern«
Die Anwesenheit von Talenten erzeugt gleichzeitig die Annahme, dass Nicht-Talente ebenso vorhanden sind. Manche nennen sie auch Low-Performer. In einem Arbeitsleben kann aus einem Low-Performer durchaus ein High-Performer werden und umgekehrt. Je nachdem, wie mit ihm umgegangen wird, wie er gefördert wird. Wie können Unternehmen nun mit Mitarbeitern umgehen, die nicht zu den Talenten zählen? Die sogar stark unter den Erwartungen performen? Sofort kündigen ist nur eine Möglichkeit, die jedoch arbeitsrechtliche Konsequenzen mit sich ziehen könnte.
Bernhard Dworak: »In meinen Augen sind ›Low-Performer‹ Personen, die nicht ihrer Persönlichkeit entsprechend eingesetzt werden. Eine Person, die gerne schnell entscheidet und in der falschen Unternehmenskultur arbeitet, möchte eigentlich viel mehr. Das Bremsen führt dann zu dieser ›Low Performance‹. Lösungsmöglichkeiten gäbe es viele – man muss ›nur‹ die Ursachen erkennen.«
Es hat eben nicht nur positive Auswirkungen, wenn ein paar Talente gefördert werden und der Rest der Belegschaft ignoriert wird.
Helga Steiner: »Natürlich darf es keine erkennbare Klassifizierung geben. Das widerspricht jeglicher Ethik. Es sollten alle Mitarbeiter im Ausmaß ihrer Fähigkeiten und Wünsche gefördert werden. Ein System, das eine Vergleichbarkeit widerspiegelt, ist langfristig nicht sinnvoll und wird nicht die gewünschten Früchte tragen. Das Mitarbeitergespräch ist ein Tool, in dem spezifisch Weiterentwicklungen, Ziele und Herausforderungen besprochen werden können.«
Susanne Summereder: »Ziel sollte es sein, jeden in seinem Bereich zu seiner individuellen ›High Performance‹ zu bringen. Das heißt nicht, dass ein Unternehmen zukünftig lauter Alpha-Tiere ›züchten‹ soll oder man davon ausgehen kann, dass sich jeder Arbeitnehmer 150 % für seine Arbeit aufgibt. Vielmehr bedeutet dies, dass erfolgreiche Unternehmen durch die Förderung von Diversität und der Suche nach den jeweiligen Stärken versuchen, auch die sogenannten ›Low-Performer‹ aus der Reserve zu locken, ihnen durch spezifische Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Team einen Platz zu geben und sie bei ihren jeweiligen Aufgaben zu fordern und zu unterstützen. Durch die Förderung der High-Potentials und die Schaffung eines förderlichen Lern- und Entwicklungsklimas im Team mag es vielleicht für den einen oder anderen auch interessant werden, selbst zukünftig mehr aus sich herausholen zu wollen.«
Fazit
Talentmanagement muss weiter denken und alle Mitarbeiter integrieren, sonst kann es zu starken Unzufriedenheiten kommen, die noch mehr »Low-Performer« erzeugt. Der Fokus auf ein paar wenige ist manchmal nicht mehr als ein Prestigeprogramm, das nach außen hin gut aussieht, aber in Wirklichkeit viel Geld kostet und wenig Nutzen stiftet. Integrieren Sie aktiv Führungskräfte in die Suche nach Talenten!