Was Unternehmen von Start-ups lernen können, erfuhren die Teilnehmer des jüngsten Business Breakfast der WIFI Wien Unternehmensentwicklung von Martin Giesswein.
Traditionelle und teils behäbige Konzernstrukturen und die frische innovative Start-up-Welt waren lange Zeit Paralleluniversen. In digitalen Zeiten, in denen Agilität und Veränderung sowie innovative Entwicklung immer wichtiger werden, ist es jedoch ein wesentlicher Faktor, sich aufeinander zuzubewegen und voneinander zu lernen. »Wer die richtigen strategischen Partner findet und die für die Organisation passende Methode anwendet, profitiert«, so Martin Giesswein, Experte für Digitalisierung und Start-up-Themen. »Martin Giesswein versteht es, beide Welten miteinander zu verflechten, sodass Synergien für alle Beteiligten aufgedeckt und genutzt werden können«, so kündigte Barbara Haslinger vom WIFI Wien den Vortragenden an. Knapp 50 HR-Verantwortliche kamen der Einladung der WIFI Wien-Unternehmensentwicklung zum jüngsten Business Breakfast nach. Schwerpunkt der Betrachtung: Was große traditionelle Unternehmensstrukturen von Start-ups lernen und welche Methoden sie anwenden können, um sich diesen »Start-up-Spirit« in die eigene Firma zu holen.
Auch HR braucht mehr Agilität
Die Digitalisierung zwingt uns zu einer Anpassung in Richtung Agilität und Innovation. Alle Unternehmen versuchen nun, die »Digitalos«, Mitarbeiter mit digitalen Kompetenzen und Innovationsspirit, für sich zu gewinnen. Doch diese spezielle Zielgruppe hat andere Ansprüche an Arbeit. Daher muss sich auch das HR-Denken, das Employer Branding und speziell das Recruiting verändern, so dass sich diese High-Potentials abgeholt fühlen. Das beginnt bei modernen Jobplattformen und Apps und geht bis hin zu modernen innovationsfördernden Arbeitsplätzen – in Campus-Atmosphäre – und nicht zu vergessen, autonom und flexibel gestaltbare Arbeitszeiten und Vertragsmodelle. »Auch hier heißt es in Zukunft, noch mehr aus der Komfortzone zu gehen und Out-of-the-box-Denken« zu forcieren«, so Giesswein.
Je kleiner, desto klarer
Doch nicht nur der Recruiting-Prozess wird sich verändern, sondern auch die Art, wie Organisationen funktionieren und wie sie strukturiert sind, wie Neues entwickelt wird bzw. wie untereinander gelernt wird. All das braucht Raum für neue Ansätze. Lernprozesse werden informeller und flexibler, Hierarchien flacher oder gar ganz abgeschafft. Arbeiten und Denken in einzelnen Projekten oder individuellen Problemstellungen, gewinnt an Bedeutung gegenüber klar definierten Positionsbeschreibungen. Denn: Einer der Vorteile, den Start-ups gegenüber Großen haben, ist »eine direktere klarere Kommunikation«, weiß der Experte. Je kleiner ein Team, desto weniger Kommunikationslinien, desto weniger Informations- und Zeitverlust. Außerdem kommuniziert die digitale Generation weniger via E-Mail und mehr per Firmen-Chat. »Mit dem Kommunikationsverhalten werden Ideen, Abläufe und Innovationen viel rascher weitergebracht sowie einfacher umgesetzt«, erklärt Giesswein.
Performer und Innovatoren
Wichtig ist auch der Zugang, mit dem sich Projektteams einem Problem nähern. Neue Ansätze wie Design Thinking, die die Reflexion rund um ein Problem in den Fokus stellen, fördern die Entwicklung von innovativen Ideen. Das muss nicht flächendeckend so sein. »Unternehmen sollten jedoch je nach Phase, in der sie sich gerade befinden, zu einem gewissen Prozentanteil, auch Freiräume dafür schaffen«, weiß der Referent. Ebenso wie die Innovatoren, wird es auch immer die Performer, die das Grundgerüst des Betriebes absichern, benötigen. »Und dort ist es gut, Prozesse und Richtlinien zu haben und auf Altbewährtes zu setzen«, so Martin Giesswein. Derzeit fehlen vielerorts noch die Innovatoren in den Unternehmen. Diejenigen, die ein spezielles Mindset mitbringen, sollten im Betrieb ermittelt werden. Wenn es sie nicht gibt, sollten sie bewusst mit attraktiven Angeboten ins Unternehmen geholt werden. Für die Innovatoren sei es essenziell, dass diese freigespielt werden, um sich der Innovation zu widmen. Ein Tipp dazu: »Keinen Stress durch Zeitvorgaben produzieren. Innovationsteams müssen frei arbeiten können, ohne Zeitdruck und Zielvorgabe.« Das Erfolgsrezept für die Integration von Innovation und Start-up-Spirit ist die richtige Mischung und die richtigen Rahmenbedingungen für beide, die Performer und die Innovatoren, zu forcieren. Jedes Unternehmen, abhängig von Lebenszyklus, Branche, Struktur und anderen Faktoren, hat hier unterschiedliche Maßstäbe.
Mehr Start-up-Spirit
Um die Innovatoren zu bekommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. HR sollte zuerst nach dem vorhandenen Potenzial im Unternehmen suchen. Danach bildet das Unternehmen diese Personen aus und schafft förderliche Arbeits- und Rahmenbedingungen für Innovationsteams. Das sind die sogenannten »Intrups«, die internen Start-ups. Bei der Ausgestaltung dieses Modells gibt es viel Spielraum – von einer Karenzierung fürs Projekt bis hin zu einer Gesellschaftsausgliederung, bei der sich ein Team in einem eigenen Unternehmen den Produktinnovationen widmet oder einer einfachen Gewinnbeteiligung. Eine andere Variante ist es, sich externe Start-ups als Partner mit ins Unternehmen zu holen. Hier ist es für beide Seiten – das Start-up wie auch für den Konzern – wichtig, gewisse Kriterien zu selektieren, um sicher zu gehen, dass beide gut zusammenpassen und der jeweils andere den Nutzen erfüllt, den man sich vorstellt. Auch hier gibt es unterschiedliche Szenarien der weiteren Zusammenarbeit, nachdem eine Produktinnovation entwickelt wurde. Übernahme des Start-ups durch den Konzern, Beteiligung der Start-up-Gründer im Konzern oder der Konzern fördert das Start-up weiter, dieses ist jedoch völlig unabhängig. Oder beide gehen nach einem Geschäft wieder getrennte Wege. Hierzu rät Martin Giesswein, »kann externes Know-how für eine erfolgreiche Vermittlung strategischer Kooperationen und der vertraglichen Ausgestaltung helfen«. In Österreich gibt es bereits einige Plattformen und Initiativen, die Unterstützung bieten wie z. B. Innovation to company – die Start-up-Challenge der WK Wien, das Pioneers Festival, Start-up-Festival oder i2B-der Businessplan Wettbewerb, TEDx Vienna u. v. m. Einige große Konzerne starten eigene Challenges, und man kann natürlich auch Investoren und Partner über Crowdfunding-Plattformen generieren.