Aber – Kadabra

Warum wir NICHT jedes »Aber« mit dem Wort »und« ersetzen sollen, und welche weiteren Euphemismus-Tretmühlen es gibt, lesen Sie in diesem Artikel.

»Streichen Sie ›aber‹ aus Ihrem Wortschatz. Ersetzen Sie es durch das Wort ›und‹ …«, empfehlen Silke und Joachim Günster in ihrem Selbsthilfe-Buch »Ab heute mache ich alles anders«.  Dieser magisch einfache Trick soll Einwände freundlicher erscheinen lassen, die Gegenwehr im Verkaufsgespräch brechen und mehr Motivation bringen. Aber-Kadabra.
Dieser »Und-statt-aber-Tipp« ist sehr beliebt bei Vortragenden, in Trainings, NLP-Coachings,  Selbsthilfe-Videos und Büchern. Bekannter amerikanischer Vertreter dieses Ratschlags ist Stanford-Professor Bernard Roth. Und wenn Sie politisch-korrekte Freunde haben, dann wurden Sie von diesen vielleicht auch schon darauf hingewiesen, dass Sie in Zukunft auf das negative A-Wort verzichten sollten – wenn Sie nicht die A-Karte ziehen wollen.

Was dahinter steht ist verständlich: Jeder von uns kennt notorisch-kritische »Ja, aber«-Sager, die konstruktive Gespräche stören. Ist es da nicht sinnvoll, das Wort »aber« einfach aus dem Sprachgebrauch zu verbannen? Die Antwort: Es ist ein Musterbeispiel gut gemeinter Trainingstipps, die ein reales Problem adressieren, jedoch als radikale Lösungsvorschläge unerwünschte Nebenwirkungen haben. Und gleichzeitig steht dieses Beispiel für eine Reihe ähnlich schönfärbender Worte, wie z. B. Herausforderung statt Problem.
Schauen wir uns dazu den »Und-statt-aber-Tipp« in der Anwendung genauer an. In manchen Sätzen funktioniert er, wie z. B. beim Aber-Satz: »Letztes Jahr waren wir erfolgreich, aber in diesem Jahr wollen wir noch erfolgreicher sein.« Hier ist auch ein Und-Satz möglich: »Letztes Jahr waren wir erfolgreich und in diesem Jahr wollen wir noch erfolgreicher sein.« Wichtig dabei: Das »aber« wurde hier nicht in seiner Hauptbedeutung als Einleitung eines Einwandes oder Gegensatzes verwendet, sondern in seiner selteneren Bedeutung als verstärkende Anknüpfung. In diesem Fall ist das Verbindende »und« zwar schwächer in der Bedeutung, doch ist es ein möglicher Ersatz.
Ganz anders ist die Situation, wenn das Wort »aber« einen Gegensatz einleitet, dann verfälscht die »Und-Ersetzung« den Sinn und führt zu Missverständnissen.

Die drei zentralen Wortfunktionen des Wortes »aber« dienen dem Abgrenzen – es leitet Gegensätze, Einwände und Widersprüche ein. Und hier führt das Ersetzen durch ein Wort wie »und« zu Missverständnissen. Einen Satz wie »Ich möchte gern ins Kino gehen, aber ich muss noch arbeiten«, sollte man laut den Tipps von Bernard Roth durch diesen ersetzen: »Ich möchte gern ins Kino gehen, und ich will noch arbeiten.« Den Pferdefuß spüre ich spätestens, wenn ich dann einen vorwurfsvollen Anruf erhalte: »Ich warte hier im Kino auf Dich. Du wolltest doch mitkommen und dann arbeiten.« Wenn »aber« einen Einwand einleitet, dann führt das mildere »und« zum Klarheitsverlust. Wir nehmen die beiden Intentionen nicht mehr als Widerspruch wahr. Ein Schelm, der nun denkt: Genau das ist im Verkaufsgespräch die Chance, seinem Gegenüber etwas anzudrehen. Doch auch wenn so ein geschicktes »Und-Verkaufsargument« durchrutscht, bleibt beim Kunden der schale Nachgeschmack, rhetorisch über den Tisch gezogen worden zu sein.

Besonders problematisch am »Und-statt-aber-Tipp«: Er erzeugt genau das, was er zu verhindern vorgibt, nämlich die negative Abgrenzung. Plötzlich erheben sich die »Und-Erleuchteten« über das gemeine »Aber-Volk«. Doch die meisten Menschen haben bei dem Wort »aber« nichts Schlechtes im Sinn und die wenigsten von ihnen sind lästige »Ja, aber«-Sager. Mit dem »Und-statt-aber-Postulat« wird nun plötzlich mangelnde Wertschätzung unterstellt. Die »Und-statt-aber-Gläubigen« quittieren nun jedes »aber« des Gegenübers mit kopfschüttelnder Überlegenheit und orten bei ihm Unbedarftheit oder Mikro-Aggressionen. Die Zweiklassen-Psychogesellschaft lässt grüßen.

Euphemismus-Tretmühle

Und noch etwas anderes passiert: Je häufiger Sie »und« als Gegensatzeinleitung statt »aber« verwenden, desto weniger verbindend wirkt das Wort »und«. Wer in seinem Umfeld »Und-statt-aber-Spezialisten« hat, hört bei jedem »und« genau hin: Ist er in Wirklichkeit dagegen und meint eigentlich »aber«? Will sie mir was verkaufen? Oder meint sie das »und« wirklich echt? Für diese negative Bedeutungsverschiebung hat Harvard-Professor Steven Pinker den Begriff Euphemismus-Tretmühle geprägt. Es ist der Effekt schönfärbender Worte, mit der Zeit die negative Bedeutung des Vorgängerausdrucks anzunehmen. Mit anderen Worten: Die aufwertende Bedeutung nutzt sich ab und der neue, positivere Begriff wird mit der Zeit negativ. Wir kennen solche Bedeutungsverschiebung z. B. beim Wort Erotik, das ursprünglich feinerer Sinnesfreude vorbehalten war, wie der erotischen Kunst. Je mehr das Pornoheft und der Sexshop sich mit dem Begriff Erotik aufwerteten, desto mehr Wertigkeit verlor er. Wer denkt heute bei Erotik noch an Kunst? Die Euphemismus-Tretmühle begegnet uns auch in Unternehmen: Betriebsschließung und Entlassung werden immer häufiger durch abwickeln und freisetzen ersetzt – doch je öfter die neuen Bezeichnungen verwendet werden, desto negativer werden sie.

Radikale Wortkosmetik scheitert oft und kann die dahinterliegende, vermeintlich hässliche Welt eben nicht verschönern. Denn wir ahnen sofort: Hier will uns jemand etwas vormachen. Eine Atombombe wird nicht dadurch entschärft, dass man sie radioaktivitätserhöhende Defensiv-Waffe nennt. Als ob die Atombombe nicht schlimm genug wäre, ärgern wir uns nun auch noch darüber, dass uns jemand ein X für ein U vormachen will. Sprache ist dann stark, wenn sie echt ist und sich nicht im Dunkel irgendeiner Ideologie mit bemühter Schönfärbung verbiegt. George Orwell nannte im Roman 1984 diese Art von verordneter Tarnsprache Neusprech (Newspeak).
Selbst weniger drastische Schönfärbungen haben es schwer. Wahrscheinlich kennen Sie den angepriesenen Tipp: Ersetzen Sie das negative Wort »Problem« einfach durch das positive Wort »Herausforderung«. Was dahinter steht, ist nachvollziehbar: Wenn ich Probleme als Herausforderung begreife, zeige ich mehr Lösungswillen, als wenn ich vor einem unüberwindbar scheinenden Problem-Berg stehe. Wir haben jedoch in einem Unternehmen eindrucksvoll erlebt, welche merkwürdigen Konsequenzen es hat, wenn »Problem« pauschal durch »Herausforderung« ersetzt wird. Als es dann eine Panne gab, schrieben sie den Kunden: »Bitte entschuldigen Sie die Lieferherausforderung.« Die Kunden empfanden das allerdings als befremdend. Zusätzlich stellten Mitarbeiter sich gleich das Schlimmste vor, wenn Führungskräfte nun von Herausforderung sprachen. Hier hatte es eine zynische Bedeutung angenommen, die noch negativer wirkte als zuvor das Wort Problem. Die Euphemismus-Tretmühle hatte zugeschlagen und zur Bedeutungsumkehr geführt.

Vor diesem Hintergrund wird der gut gemeinte Tipp »Ersetzen Sie doch einfach immer …« zum Fiasko. Trotzreaktionen und negative Neusprech-Assoziationen sind die Folge. Das richtet besonders dann mehr Schaden als Nutzen an, wenn es um Alltagsbegriffe geht und die neue Wortbedeutung unglaubwürdig positiv ist.

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Bullshit Busters
Irrtümer und Mythen aus Vorträgen,
TV und Büchern

Christoph Wirl, Axel Ebert
Goldegg Verlag
ISBN: 978-3-99060035-1
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