Was Agilität eigentlich bedeutet und ob derzeitige Führungskräfte überhaupt schon reif dafür sind, lesen Sie in diesem Artikel.
War die Reaktion der Menschen auf das Thema Agilität bis Mitte des vorigen Jahres noch: »… lasst mich bloß in Ruhe damit …« so merkt man mittlerweile deutlich, dass die Menschen ihr Verhalten und auch die Methoden, die sie anwenden, verändert haben. In unserer Zeit zunehmender Dynamik ist offensichtlich immer mehr Führungskräften bis hin zu den CEOs klar geworden, dass klassische hierarchische Systeme nach dem Muster Command & Control nicht mehr verlässlich funktionieren. Wir erleben ein starkes Spannungsfeld zwischen den derzeitigen und den neu nachrückenden Führungskräften. Wie Peter Kruse (Professor für Organisationspsychologie) schon nachgewiesen hat, führt die digitale Vernetzung zu immer mehr Komplexität, womit Planbarkeit, Prognosen und Marktstudien nicht mehr alleinige Entscheidungsgrundlage sein können. Führung auf Sicht ist angesagt – eben agiles Führen.
Agilität
Die Bedeutung des Wortes »Agilität« umfasst das schnelle und flexible Anpassen an veränderte Umfeldbedingungen. Agilität in unserem Sinne geht zurück auf die Überlegungen von 17 Softwareentwicklern und Vordenkern aus der IT-Branche, die ihre Gedanken und Lösungsansätze im Agilen Manifest niederschrieben:
- Individuen und Interaktion sind wichtiger als Prozesse und Tools,
- funktionierende Produkte und Leistungen sind wichtiger als umfangreiche Dokumentationen,
- Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als langwierige Vertragsverhandlungen,
- Reaktion auf Veränderung ist wichtiger als die Verfolgung eines Plans.
Hintergrund dieser Grundsätze ist die leidvolle Erfahrung vieler Projektmitarbeiter, dass oftmals Prozesse, Dokumentationspflichten, Pläne und Verträge wichtiger waren bzw. intensiver diskutiert wurden, als die Wünsche und Erwartungen der Kunden. Dabei ist das Problem, dass Kunden zu Beginn eines Projektes gar nicht so genau definieren können, was sie eigentlich wollen. Änderungswünsche im Projekt sind damit vorprogrammiert. Basierend auf dem agilen Manifest wurde SCRUM entwickelt. Ein klar definierter Interaktionsprozess mit klarer Rollen- und Aufgabenverteilung, der als eine der Grundlagen für agile Führung dienen kann.
S. Sarasvathy hat eine grundlegende Arbeit zum Thema unternehmerischer Expertise verfasst und darin Prinzipien dieses Denkens und Handelns unter dem Namen Effectuation niedergeschrieben. Dieses Set unternehmerischer Heuristiken ist immer noch der beste und konkreteste Ansatz, klar zu definieren, was Agilität ist, was es bedeutet und wie man vorgehen muss:
- Mittelorientierung statt Zielorientierung: Was habe ich? Wen kenne ich? Wer bin ich und was kann ich damit alles tun? Der grundlegendste Paradigmenwechsel gegenüber klassischem Management, das von Zielen ausgeht.
- Leistbarer Verlust statt erwarteter Ertrag: Da sich in ungewisser Zukunft keine Erträge vorhersagen lassen, sollte man nur das einsetzen, was man auch bereit ist zu verlieren.
- Umstände und Zufälle nutzen statt ausschließlichem Verfolgen eines Plans: Überraschungen und Umstände bieten Chancen, die es aufmerksam zu erkennen und zu nutzen gilt. Auch hier liegt ein Paradigmenwechsel gegenüber unserer Business-School-Denke vor, wo Planbarkeit dominiert und jede Abweichung als Bedrohung angesehen wird.
- Partnerschaft statt Konkurrenz: Öffne dich und dein Vorhaben und verbünde dich mit sich selbst selektierenden Partnern, die sich in einer frühen, unsicheren Phase beteiligen und damit neue Mittel und Ideen einbringen.
- Pilot-in-the-Plane-Prinzip: Durch mein Tun kann ich die Zukunft beeinflussen und daher mitgestalten. In ungewissen Umfeldern kann ich also durch meine Handlungen so viel Einfluss nehmen, bis mehr Gewissheit entstanden ist, um dann mit klassischen Methoden weiter arbeiten zu können.
S. Sarasvathy hat aus diesem Mindset einen Prozess definiert, wie Unternehmer die Prinzipien in ihren Handlungen umsetzen. Gerade hier wird die Bedeutung dieser Untersuchung für das Thema Agilität offensichtlich.
Auf der Grafik links unten ist gut erkennbar, wie das iterative Vorgehen zu mehr Klarheit, neuen Ideen und Produkten führt. Notwendigkeit und Bereicherung ist das Einbinden anderer bzw. vieler mit ihren jeweiligen Mitteln und ergänzenden oder auch neuen Zielvorstellungen.
Agile Führung
Es ist nicht so, dass man den Schalter umlegen kann und ab sofort arbeiten alle agil. Dazu braucht es Rahmenbedingungen, die oftmals erst mühsam geschaffen werden müssen – eben Raum und Zeit, in denen agil gearbeitet werden kann. Die Schaffung und Pflege dieser Rahmenbedingungen ist Aufgabe der agilen Führung – hier wird Führung endlich zu dem Dienstleister am Mitarbeiter, wie es ja schon in der Sinnthematik und im Leadership immer wieder gefordert wurde:
Commitment: Menschen, die sich dazu bekennen, einen klar definierten Beitrag zum Gesamten leisten zu wollen und zu können. Die Herausforderung für die Führung liegt dabei darin, die Voraussetzungen zu schaffen, die Commitment möglich machen. Grundbedingung ist, die Gruppe zu einem wirklichen Team zu machen und obwohl allseits bekannt ist, was dazu notwendig ist, sind in der nicht agilen Praxis kaum Teams anzutreffen. »Individuen und Interaktion« können wir hier als Hinweis aus dem Manifest anführen. Eine weitere Voraussetzung für Commitment ist, dass die Teammitglieder wissen, worauf sie sich einlassen, also Rollen- und Ziel- bzw. Aufgabenklarheit, verbunden mit einer hohen Orientierung an den sich entwickelnden Wünschen des »Kunden« – eine wahrlich herkulische Aufgabe für eine Führungskraft im klassischen Umfeld.
Selbstorganisation: Die hohen Erwartungen, die an die Demokratisierung der Arbeitswelt mit ihrer Leistungsmotivation gesetzt wurden, sind bitter enttäuscht worden, weswegen z. B. von Holokratie heute nicht mehr viel zu hören ist. Kein Wunder, ohne Regeln der Zusammenarbeit, klarer Rollen- und Interaktionsdefinitionen kann es nicht funktionieren. Agile Führung muss daran gemessen werden, inwieweit sie das Team handlungs- und lösungsfähig macht. Welcher Rahmen muss geschaffen werden bzw. welche Unterstützung braucht das Team, um sich im Rahmen des Vorhabens besser zu organisieren, das eigene Verhalten und die eigene Produktivität zu reflektieren und weiter zu entwickeln.
Transparenz: Eine der Voraussetzungen für Selbstorganisation und Commitment ist Transparenz. Damit ist die Wahrnehmbar- und Erkennbarkeit von Vorhaben, notwendigen Aufgaben und Prioritäten, der Kommunikations- und Entscheidungssysteme für alle im agilen Team und die andockenden Systeme gemeint. Es geht einmal um die sachlich-fachlichen Aspekte und einmal um die prozessual-mentalen Aspekte der Zusammenarbeit. Ersteres ergibt eine klare Ausrichtung auf Wirksamkeit in Bezug auf das Vorhaben und Letzteres sorgt für eine produktive Zusammenarbeit, Weiterentwicklung und gegenseitige Verantwortung.
Fazit
Die Rolle der agilen Führungskraft liegt also in der klaren Fokussierung auf die zu erfüllenden Erwartungen der Kunden, der Gestaltung der dazu notwendigen Rahmenbedingungen und Kommunikationsstrukturen und in der Weiterentwicklung der Teams. SCRUM und Kanban als Methode und Effectuation mit seinen Prinzipien als Grundlage für ein agiles Mindset können Führungskräften helfen, sich in der agilen Welt zu orientieren und einen guten Job zu machen. Wir erleben aber auch, dass wir uns noch auf dem Weg dahin befinden. Es braucht fast »einen anderen Menschen dazu«, der sich in seiner Rolle als Führungskraft und den Umgang mit Macht neu definiert!