Der Coach als Reflexionsfläche

Mit den Anforderungen an Führungskräfte steigt auch die Anzahl an konsumierten Coaching-Stunden. Coaching ist bei dieser Zielgruppe schon ein Statussymbol geworden. TRAiNiNG hat bei Experten für  Führungskräftecoachings nachgefragt.

In ausgeschriebenen Führungspositionen werden vor allem junge, flexible Personen mit viel Erfahrung als Führungskraft gesucht, die teamfähig und belastbar sind, ein hohes Durchsetzungsvermögen besitzen und den Willen zum Erfolg haben – die eierlegende Wollmilchsau also. Dass solche Anforderungen schnell zu Überforderung führen können, sehen wir unter anderem an den steigenden Burn-out-Zahlen. Unternehmen reagieren auf die wachsende Überlastung und bieten den Führungskräften – auch schon in niedrigeren Hierarchiestufen – die Möglichkeit, Coaching in Anspruch zu nehmen. Was früher eher stillschweigend konsumiert wurde, gehört nun zum guten Ton: gecoacht zu werden. Zeigt es doch, dass das Unternehmen in die jeweilige Person gerne investiert. Welche Themen derzeit bei Führungskräften aktuell sind, hinterfragte TRAiNiNG bei erfahrenen Coaching-Anbietern.

Veronika Aumaier (Geschäftsführerin AUMAIER & Partner Coaching GmbH) über aktuelle Themen in ihren Coachings: »Organisationsmanagementthemen wie z. B. Zielsetzung und Strategien, Prozesse und Schnittstellen sowie Aufgabenverteilungen und Ressourcenmanage­ment sind häufige Themenschwerpunkte. Ein anderer liegt im Beziehungsmanagement wie beispielsweise Führen von Mitarbeitern, Kommunikation mit Kollegen oder dem Chef, Zusammenarbeit mit dem Headquarter etc. Die inoffiziellen Themen, die im Unternehmen nicht genannt werden, die aber im Coaching häufig in den Mittelpunkt geraten, sind seit geraumer Zeit Themen wie Selbstmanagement und Gesundheitsvorsorge sowie generell Werte, persönliche Standortbestimmung, Entstressung, Entspannung etc.«

Jörg Krenmayr (Geschäftsführer CETE – Center of Excellence in Training and Education): »Auf Geschäftsführungsebene sind es aktuell fast allesamt Themen, die mit der Gewinnung, Bindung und Stärkung von Leistungsträgern zu tun haben. In vielen Bereichen können Aufträge nicht bedient werden, weil einfach die Mitarbeiter fehlen, die diese abwickeln können. Unternehmen erkennen immer klarer, dass in der nahen Zukunft jene im Wettbewerb vorne liegen, die echte Attraktivität für genau jene Leute ausstrahlen, die sie für ihre Zukunft brauchen.«
Die Themen unterscheiden sich aber auch in ihrer Ausprägung je nach Hierarchieebene der Führungskraft. Häufig erarbeiten sich Mitarbeiter ihre erste Führungsrolle aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und verfügen demnach nicht automatisch über Führungsqualitäten. Daher hat auch eine »neue« unerfahrene Führungskraft andere Themen im Coaching.

Veronika Aumaier: »Lower und Middle Management haben operativere Führungsthemen, Senior- und Top-Management haben vor allem strategische Themen. Aufgabenverteilung, Schnittstellen und Teamkultur sind Themen für das Mittel-Management. Outsourcing, M&A, Kernprozesse, Corporate Cultural Change, Digitalisierung, Standardisierung, Automatisierung sind Top-Management-Themen. Im Grunde sind beides Organisations- und Beziehungsthemen, aber in der Ausprägung, in der Lösungsfindung und in der Umsetzung sind sie sehr unterschiedlich.«

Jörg Krenmayr: »Im operativen Bereich und der untersten Führungsebene ging es zuletzt oft darum, dass die Menschen wieder mehr Leichtigkeit, Selbstvertrauen und Sinn in ihrem Leben und Berufsleben haben möchten. Sehr oft schimmert die Burn-out-Problematik durch. Im mittleren Management überwiegt die Problematik der indirekten Kommunikation. Mitarbeiter geben wenig, indirektes und nicht immer ehrliches Feedback. Durch widersprüchliche und fehlende Informationen navigieren die Führungskräfte dadurch oft im dichten Nebel. Im Top-Management spaltet es sich, meinen Eindrücken nach, etwas auf. Manche gehen in Richtung Visionsarbeit und versuchen den Ur-Sinn ihres Unternehmens auszugraben, um auf diesem Fundament die Zukunft aufzubauen. Andere gehen in Richtung klassischer Organisationsoptimierung. Dann geht es stärker um Themen wie verbesserte Zielerreichung, Prozesseffizienz, Vertriebsoptimierung, Kommunikation.«

Auch der professionelle Umgang mit Konflikten gehört zum Alltag einer Führungskraft. Manche versuchen, die Konflikte vorschnell zu lösen, ohne auf das dahinterliegende Problem einzugehen. Auch hier kann gezieltes Konfliktcoaching helfen.

Christian Fuchs (diplomierter Coach mit 30-jähriger Erfahrung als Führungskraft): »Konflikte im oberen Management werden fast ausschließlich von externen Experten begleitet. Darunter wird anfangs noch versucht, die Angelegenheit intern zu regeln, was aber oft dazu führt, dass die Situation noch verfahrener wird und sich dadurch ein ›Flächenbrand‹ entwickeln kann. Darüber hinaus sind die Anlässe für professionelles Coaching, basierend auf der Vielfältigkeit, die das Leben bietet, äußerst breit gefächert. Sei es um die Verbesserung des Führungs- und Kommunikationsverhaltens, die eigene Entwicklung planen, den Umgang mit Sinnkrisen im Unternehmen, der unterschiedlichen Erwartungshaltung zwischen Geschäftsführung und zweiter Ebene, der Neubesetzung von Führungskräften, der Erschließung neuer Märkte, der Weiterentwicklung der Abteilung und damit des Unternehmens, Blockaden in einzelnen Teams bis hin zu persönlichen Krisen, die nicht das Arbeitsfeld betreffen.«

Coachingpraxis

Eine der wichtigsten Regeln im Coaching lautet, es solle immer freiwillig erfolgen. Wird jemand gezwungen, Coachingleistungen zu konsumieren, ist das meist rausgeworfenes Geld. Für einen erfolgreichen Coachingprozess sind Offenheit und Vertrauen von Coach und Coachee Grundvoraussetzung. Nur wenn beide wirklich offen miteinander sprechen können, werden die wahren Themen, um die es geht, erkannt und können gelöst werden. Eine durchschnittliche Coachingsitzung dauert zwischen 45 und 60 Minuten, kann in Sonderfällen aber auch bis zu 2 Stunden dauern. Viel länger ist nicht zielführend, da ein gutes Coaching sowohl für den Coach, als auch für den Coachee sehr intensiv und anstrengend sein kann.
Wie läuft nun ein professionelles Coaching in der Praxis ab und wie funktioniert die Zielvereinbarung zwischen Unternehmen, Coachee und Coach?

Christian Fuchs: »Grundsätzlich führe ich ein Coaching-Gespräch so, als wäre es auch das letzte Gespräch. Es wird davon ausgegangen, dass auch kleine Veränderungen ausreichen, um den entscheidenden Unterschied zu machen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ein werteorientiertes, lösungsfokussiertes Coaching über viele Sitzungen stattfinden sollte oder sogar muss. Zu Beginn einer Zusammenarbeit wird positive Arbeitsatmosphäre auf Augenhöhe geschaffen. Hier wird nach Möglichkeit noch nicht lange über das Thema bzw. über das Problem gesprochen, sondern nur über den Rahmen und die Vereinbarungen, die für das Coaching und die vertrauensvolle Zusammenarbeit wichtig sind. Ziel ist der Aufbau einer positiven und vertrauensvollen Arbeitsatmosphäre. Fakt ist, dass es vielen Klienten ein Anliegen ist, das Problem in allen Details zu beschreiben. Auch dafür muss ein würdiger Zeitrahmen vorgesehen werden.«

Veronika Aumaier beschreibt ihre Arbeit, und die ihres größeren Teams im Coaching Club: »Ein Standardpaket im Business Führungskräftecoaching umfasst 5 x 2 Stunden. Die grundsätzliche Auftragsklärung samt Rahmenbedingungen erfolgt mit der Human-Resources-Abteilung. In manchen Fällen gibt es im Firmenumfeld Kick-off-Gespräche mit der HR-Abteilung, dem Coachee und der direkten Führungskraft. Daraus resultiert die Coachingprozesszielsetzung, die in den meisten Fällen Leadership Development oder Change Support lautet. Mit dem einzelnen Teilnehmer klären wir im Rahmen der Prozesszielsetzung das persönliche Coachingziel und die individuellen Themen, die pro Coachingeinheit benannt werden. Der Kunde steuert die Themenstellungen und Inhalte – der Coach unterstützt die Lösungsfindung. Über Feedback-Schleifen und Reflexionen forciert der Coach die praktische Umsetzung der theoretischen Lösungsansätze. Die letzte Coachingeinheit dient zur Reflexion des Coachingprozesses und zur Absicherung der nachhaltigen Schritte im praktischen Alltag. Ein anderes Modell ist unser Coaching Club. Damit bieten wir Geschäftsführern, Vorständen und Eigentümern von Start-up-Unternehmen eine unlimitierte 1-jährige Sparringbegleitung mit monatlicher Flatrate. Sukzessive nimmt dieses Coachingangebot Benefit-Charakter ein, das immer öfter bei New Placements oder Inplacements im Topmanagement gewährt wird.«

Jörg Krenmayr bedient sich in seinen Coachings einer Persönlichkeitsanalyse: »Seit zwei Jahren nutze ich bei jedem Coaching die MPA – Master Persönlichkeitsanalyse –, um eine Basis für die Gespräche zu haben. Sie liefert mir auf vielen Ebenen Vorabinformationen, um mein Gegenüber besser abholen und die Probleme schneller auf die Ursachen rückführen zu können, sofern sie in der Persönlichkeit liegen. Im Coaching ist es mein Ansatz, die Problematik so anzureichern, so klar und verständlich für beide Seiten zu machen, dass sie mein Gegenüber auch mit seiner Wirkung darin fassen und Lösungen nehmen kann. Die Dauer von Coachings ist hochindividuell. Manchmal ist nach 2 Stunden schon alles klar, weil es nur den Coach als Reflexionsfläche brauchte, um Probleme für sich klarer sehen und lösen zu können. Wenn jemand wirklich an zentralen persönlichen Fähigkeiten arbeiten möchte, dann sind auch monatelange Begleitungen sinnvoll, da man ja systemisch immer wieder kleine Dinge ändert, die im Alltag gefestigt werden, um dann den nächsten Schritt zu gehen.«

Coaching ist ein Prozess, der eben je nach Thema gewisse Zeit braucht. Besonders die Intervalle zwischen den Sitzungen, die häufig mit der Anzahl der absolvierten Sitzungen größer wird, haben für den Prozess hohe Bedeutung. Ist das doch die Zeit, wo der Coachee Neues ausprobieren kann und Erfahrungen mit neuen Verhaltensweisen sammeln kann.
Steigen wir nun noch ein wenig tiefer in die Materie ein und schauen uns ganz konkrete Beispiele eines FK-Coaching-Prozesses an:

Christian Fuchs: »Maria M. ist die Leiterin der HR-Abteilung eines großen, internationalen Produktionsbetriebes, der sehr männerdominant agiert. Sie muss erleben, dass ihre Tätigkeit zwar in vielen Bereichen unterstützt wird, ihre Projekte aber mehr oder weniger mit freundlichen Worten gewürdigt, allerdings nicht wirklich unterstützt werden. Frau M. kann dies einige Jahre wegstecken, aber der Motivationsverlust und die damit verbundene Frustration bestimmen nun ihr tägliches Leben. Maria M. wollte nun mit externem Coaching herausfinden, ob es geeignete Strategien im Umgang mit den involvierten Personen gibt, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen. Im Coaching bemerkte sie schnell, dass es um viel grundsätzlichere Fragen geht, nämlich ob das Arrangement noch ihren Wünschen und Fähigkeiten entspricht und dass sie neue Fähigkeiten und Einstellungen entwickeln muss, um ihre Motivation wieder dauerhaft zu gewinnen.«
Veronika Aumaier erzählt ein Beispiel aus ihrer Coaching-Praxis: »Ein High Potential interessierte sich im Besonderen für gruppendynamische Effekte in einem Team mit jungen und älteren, langjährigen Mitarbeitern. Seine bisherigen, erfolgreichen Verhaltensmuster im Umgang mit derartigen Teammitgliedern werden ihm im Coaching durch Hinterfragen bewusst gemacht. Verhaltensunsicherheiten werden beschrieben und alternative Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten entwickelt. In schnellen, kurzen Rollenspielen werden sie eingeübt und nachhaltig verankert. Geeignete kleine Hausaufgaben zur Absicherung des Praxistransfers werden vereinbart und dienen der Reflexion, Vertiefung und weiteren Verankerung in den folgenden Coachingeinheiten.«

Der geeignete Ort für ein Coaching

Für eine Führungskraft ist »Zeit« ein wesentlicher Faktor. Daher ist es auf den ersten Blick absolut sinnvoll, die Coachings in einem Besprechungszimmer des Unternehmens abzuhalten. So erspart sich die Führungskraft den Weg zum Coach. Doch es kann auch große Vorteile haben, es extern abzuhalten.

Jörg Krenmayr: »Die meisten Coachings halte ich in den jeweiligen Firmen ab. Geht es um Themen, bei denen sich die Coachees nicht so wohl fühlen, z. B. wenn es um Konflikte mit Kollegen geht, dann gehe ich aber lieber aus deren vertrautem Umfeld hinaus. Auch ein Spaziergang und die damit verbundene Bewegung und ständige Veränderung der Perspektive ist ein gutes Setting.«
Veronika Aumaier: »Executive Coachings finden so wie alle übrigen Coachings idealerweise in unseren Räumlichkeiten statt. Unsere Räume sind durch Form, Farbe und Ausstattung darauf ausgerichtet, kraftvolle, effektive Sparrings und Coachings zu bieten. Die Ergebnisse einer Haltungs- oder Gehaltsveränderung werden kurzfristiger und nachhaltiger erzielt. Coaching in der Firma der Führungskraft ist eher ein Arbeitsmeeting im Umfeld und Kontext der Führungskraft. Es unterstützt logisch-analytische Prozesse. Es regt nicht zu Haltungs- und Verhaltensänderungen an.«

 

Fazit und Ausblick

Coaching für Führungskräfte kann relativ rasch helfen, in eingefahrenen Situationen neue Ideen und Impulse zu bekommen. Der Coachingprozess beginnt meistens mit einem Erstgespräch, um den Rahmen zu definieren. Die Dauer hängt stark vom Thema ab und kann zwischen einer und 10 Sitzungen variieren, manchmal auch länger. Viele Führungskräfte freuen sich, wenn ihnen die Möglichkeit eines Coachings geboten wird. Die heutigen Themen im Coaching sind mannigfaltig, je nach Thema eignet sich manchmal das eigene Unternehmen als Coachingort, manchmal ist ein gemeinsamer Spaziergang von Coach und Coachee zielführend und sehr häufig ist es für den Prozess förderlich, in den professionellen Räumlichkeiten des Coachs zu arbeiten.

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