Seit einigen Jahren erfahren interkulturelle Seminare einen Höhenflug. Das ist selbstredend durch die steigende Globalisierung zu erklären. Immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen arbeiten immer öfter zusammen, ob im Ausland oder in Österreich.
Teamarbeit ist oftmals mit Konflikten behaftet, auch wenn ausschließlich Menschen aus demselben Kulturkreis zusammenkommen. Das Ganze wird wesentlich verschärft, sobald die Teammitglieder aus verschiedenen Ländern mit anderem kulturellen Hintergrund kommen, wie z. B. aus den USA oder aus den Vereinigten Emiraten. Selbst im Umgang mit unseren liebsten Nachbarn werden massive Unterschiede sichtbar. Obwohl wir doch dieselbe Sprache sprechen, die uns ja auch trennt, soll zumindest Karl Kraus behauptet haben. Damit für Firmen wenig Reibungsverluste im Umgang mit verschiedenen Kulturkreisen entstehen, werden interkulturelle Seminare angeboten. Wie so ein Seminar abläuft, ob ein 2-Tages-Seminar sichtbare Änderung erzeugt, und was sich in den letzten Jahren bei interkulturellen Seminaren verändert hat, erfuhr TRAiNiNG von vier Experten.
Seminarablauf
Wie werden in einem Seminar interkulturelle Kompetenzen vermittelt? Welche Kompetenzen sind es überhaupt? Welche Übungen können den Lernerfolg vertiefen?
Chris Fuchs (Geschäftsführer KICK OFF Management Consulting GmbH): »Ich arbeite in meinen Seminaren grundsätzlich mit dem eklektischen Ansatz. Ich verbinde also die unterschiedlichsten Theorien und Studienergebnisse zum gegebenen Thema, ergänze diese durch meine praktischen Erfahrungen und Expertise. Ich biete praktische Übungen an, die den Teilnehmern Selbstreflexion zum Thema eigene Kultur und eigene Persönlichkeit ermöglichen. Somit erkennen die Teilnehmer, wie andere Kulturen wahrgenommen werden können und wie sie selbst von anderen erlebt werden. Die Kunst eines interkulturellen Workshops liegt in der Kompetenz, die Studien der letzten 44 Jahre verknüpfen zu können, das Thema bodenständig und handlungsorientiert zu vermitteln und viele Beispiele aus eigenen Erfahrungen zu geben. Eine meiner liebsten Übungen ist das Feedback-Geben innerhalb der Gruppe anhand gewisser kultureller Dimensionen, z. B. Dimension Zeit. Die Teilnehmer geben einander Feedback zur Frage ›Wie erlebe ich dich im Arbeitsalltag in Bezug auf Umgang mit Zeit.‹«
Martina Jeric-Ruzovits (Geschäftsführerin CL: CasaLinguae) über ihre Seminare: »Je mehr man über andere Kulturen und deren Business-Etiquette weiß, desto sicherer kann man agieren und desto wohler fühlt man sich. Die zusätzlichen Module (interkulturelle Workshops) dienen dazu, sich auf ein bestimmtes Land zu konzentrieren, Übungen zu machen und einen Leitfaden für die nächste private oder geschäftliche Reise zu erstellen. Noch bevor das Seminar beginnt, versuche ich herauszufinden, woher die Teilnehmer kommen. Anhand dessen werden in einer Übung zu jedem Land einige Aussagen aufgeschrieben. Dazu zählen auch Vorurteile dem Land oder Personen gegenüber. Die Länder, die im Seminar vertreten sind, werden ebenfalls aufgelistet. Die Teilnehmer werden dann in Kleingruppen eingeteilt und sollen die Aussagen einem Land oder einer Kultur zuordnen, danach werden die Antworten verglichen. Es gibt prinzipiell eine Auflösung, nach der gewisse Aussagen einem bestimmten Land zuzuordnen wären, aber im Grunde geht es um den einzelnen Menschen, und daher polarisieren die Antworten auch. Man hört dann im Seminar sehr häufig ›So bin ich doch gar nicht!‹ Und das ist ein guter Anfang!«
Karin Schreiner (Inhaberin von Intercultural Know How Training & Consulting) gibt Einblick in eine spannende Übung: »In einem Seminar zu interkultureller Kompetenz fokussiere ich auf drei Aspekten: der Entwicklung von Kommunikationskompetenz, Sozialkompetenz und Ambiguitätstoleranz, das heißt Umgang mit Unsicherheiten. Dabei arbeite ich vor allem mit Fallbeispielen aus dem Arbeitskontext zur Veranschaulichung von schwierigen Interaktionssituationen, interaktiven Übungen zu Kommunikation, Körperkontakt sowie Hierarchieverständnis und mit Rollenspielen. Interkulturell kompetent zu kommunizieren bedeutet, sich ständig im Hinterkopf zu fragen: ›Was bedeutet das? In welchem Kontext stehe ich? Wie antworte ich entsprechend kultursensibel?‹ Dazu eignet sich ein Rollenspiel bzw. eine Simulation, bei der zwei Gruppen aufeinandertreffen, die konträre Kommunikationsweisen haben und in Verhandlung treten müssen. Ziel ist es, ein gutes Ergebnis bzw. eine Win-win-Situation zu erreichen. Die Teilnehmer lernen dabei den Umgang mit ungewohnten Kommunikationsweisen und auch, dass sie, um zu einem Ergebnis zu gelangen, aus ihrer Rolle bzw. Komfortzone herausgehen und auf die anderen zugehen müssen. Sozialkompetenz äußert sich vor allem in Empathie anderen gegenüber, aber auch Konfliktfähigkeit und Teamfähigkeit bzw. Umgang mit Gruppendynamiken. In einem Seminar können auf der Basis von Fallbeispielen schwierige Situationen durchgespielt werden, etwa kulturelle Konflikte oder Missverständnisse. Wichtig dabei ist die Analyse und Auflösung, Erklärung von unterschiedlichen Wertehaltungen und Lebenskonzepten.«
Benoit Langelier (Verhandlungstrainer für internationale Führungskräfte bei En GardE Verhandlungstraining) erzählt ein Beispiel aus der Praxis: »In einem kürzlich für ein global agierendes Unternehmen auf Englisch abgehaltenen Seminar konnten wir beobachten, wie sich ein US-amerikanischer Teilnehmer und sein chinesischer Kollege in die Wolle kriegten. Das war spannend zu beobachten, sowohl live als auch auf Video. Der Chinese litt an Jetlag, war nicht wirklich in geselliger Stimmung und auch ganz allgemein nicht daran interessiert, seinen Kollegen außerhalb des Seminarraums das ›große China‹ zu erklären. Der US-Amerikaner, ein recht bulliger Kerl, hatte die rein geschäftliche Seite seines Jobs voll im Griff, war sehr bestimmend, laut und außerdem auch der einzige Englisch-Muttersprachler. Er unternahm keinerlei Anstrengungen, für seine Kollegen langsamer und verständlicher zu sprechen. Die beiden stießen so in vollster Härte zusammen. Beide rissen die Führungsrolle in der Verhandlung an sich, weit und breit nicht ein Anflug von Teamwork und fanden keine Lösung für eine Sache, die im Grunde ganz einfach war. Zuerst versuchten wir ihr Verhalten in der üblichen Feedbackphase (vorsichtig) in Frage zu stellen, mussten aber letztendlich beide getrennt für ein kurzes Ad-hoc-Coaching zur Seite nehmen.«
Kultursensibilisierung in 2 Tagen
Was kann nun realistisch in einem kurzen, vielleicht nur 2 Tage dauernden Seminar zu diesem Thema erreicht werden? Was dürfen sich die Teilnehmer erwarten?
Karin Schreiner: »Für mich ist es besonders schön, wenn am Ende der 2 Tage Teilnehmende so eine oder eine ähnliche Aussage machen: ›Sie haben mir die Augen geöffnet. Ich sehe jetzt vieles klarer. Das Bild mit den verschieden farbigen Brillen machte mir klar, dass wir alles durch unsere eigenen kulturellen Brillen sehen. Auch wenn wir eine andersfarbige Brille aufsetzen, können wir unsere eigene Brille nicht einfach ablegen.‹
Wenn ich so eine Aussage am Ende eines Seminars höre, habe ich mein Ziel der Kultursensibilisierung erreicht – tatsächlich in nur 2 Tagen. Wesentlich dafür sind: anschauliche Beispiele, um unterschiedliche kulturelle Kontexte aufzuzeigen, Reflexionsübungen zum eigenen kulturellen Hintergrund, Modelle, die helfen, mit kulturellen Unterschieden umzugehen, Simulationen, um Ungewohntes auszuprobieren und Teilnehmer, die sich offen und engagiert auf das Angebot einlassen und mitmachen.«
Auch Benoit Langelier hat gute Erfahrungen durch das sofortige Feedback nach einem Seminar: »Das unmittelbar gewonnene Bewusstsein unserer Teilnehmer spricht für sich. Wenn wir sie in der finalen Feedbackrunde fragen, was sie aus dem Seminar konkret mitnehmen, dann wird immer die ›Behandlung von Interkulturalität und Genderaspekten‹ angeführt. Doch Bewusstsein ist natürlich nur das eine. Konkrete Verhaltensänderungen müssen dann nach dem Seminar folgen.«
Martina Jeric-Ruzovits: »Es geht im Seminar nicht darum, sofort die eigene Einstellung zu ändern, sondern sich bewusst zu werden, dass es Unterschiede gibt und zu verstehen, warum Personen im direkten Umfeld anders arbeiten und denken als andere. Daher erhalten unsere Seminarteilnehmer einen Einblick in andere Kulturen und inwiefern sich diese von ihrer unterscheiden. Die Übungen sind so ausgelegt, dass die Teilnehmer nicht nur die Kultur der anderen Person kennenlernt, sondern auch die eigene unter die Lupe nimmt und herausarbeitet, wo Reibungspunkte oder Konflikte entstehen könnten, um diese eventuell in Zukunft zu vermeiden. In unserem 2-tägigen Seminar lernt man zu akzeptieren, dass nicht jeder gleich ist und nicht immer so handelt wie man selbst, und dass es genau diese Unterschiede sind, die uns ausmachen.«
Chris Fuchs: »Teilnehmer lernen, Kulturen wertschätzend zu analysieren und wertschätzend über sie zu sprechen. So wird z. B. die Aussage ›… die halten sich nicht an Vereinbarungen …‹ übersetzt in ›… sie kommen aus einer partikularen Kultur und setzen somit andere Prioritäten, reagieren immer situativ und flexibel …‹. Konkret bedeutet dies, dass in partikularen Kulturen manche Vereinbarungen nicht eingehalten werden, weil andere eine höhere Priorität haben. Das zu wissen, ist sehr dienlich. Nach einem 2-tägigen Seminar wissen die Teilnehmer also, wie man mit Menschen aus partikularen Kulturen umgehen muss, ohne sie abzuwerten. Es wurde eine ›neue Sprache‹ etabliert. Innerhalb der 2 Tage werden 7 bis 8 Dimensionen behandelt, deren Kombination immer sehr interessant ist, z. B. die Zusammenarbeit mit Menschen aus den USA (eine monochrone Kultur, wo Hoffnung auf Erfolg motiviert und die universal geprägt ist) im Vergleich zu Menschen aus UAE (eine polychrone Kultur, wo Fehlervermeidung motiviert und die einen partikularen Umgang mit Regeln hat). Durch diese Vergleiche werden den Teilnehmern die Unterschiede in der Zusammenarbeit sehr schnell klar und sie bleiben handlungsfähig.«
Neue Entwicklungen
Seminare und deren Inhalte müssen sich regelmäßig weiterentwickeln, um am Punkt zu sein. Kaum ein Seminar ist heute so, wie es noch vor 10 Jahren war. Daher wollten wir wissen, wie sich Seminare für interkulturelle Kompetenzen in den letzten Jahren entwickelt haben.
Karin Schreiner über die Veränderungen der letzten Jahre: »Kultur bedeutet heute sozio-kulturelle Praxis in mehreren parallel zueinander bestehenden kulturellen Kontexten und ist nicht mehr auf Nationalgrenzen einschränkbar. Daher greifen Kulturmodelle, die sich auf Nationalkulturen beziehen – wie z. B. das Modell der Kulturdimensionen von Geert Hofstede –, heute nur mehr bedingt. Unser Blick hat sich von ehemals postulierter Homogenität von (National-)Kulturen hin zu kultureller Heterogenität vielschichtiger Gesellschaften gerichtet. Heute steht Vielfalt in jeder Hinsicht im Mittelpunkt. Die Vielschichtigkeit von kulturellen Kontexten, aber auch von Identitäten, beschäftigen uns. Interkulturelles Lernen hat daher heute zum Ziel, Vielfalt und Vielschichtigkeiten in Bezug auf Lebenswelten, Identitäten und Denkweisen zu erfassen. Begriffe wie Perspektivenwechsel und Ambiguitätstoleranz stehen im Vordergrund. Nutzen der Ressourcen von kultureller Vielfalt und Finden von Synergien für die Zusammenarbeit sind Ziele interkulturellen Lernens heute.«
Chris Fuchs: »Die Hauptentwicklung liegt in der Vernetzung der unterschiedlichen Theorien und Dimensionen, die für sich alleinstehend stereotypisierend sein können. Die Kombination erzeugt jedoch ein Bild, welches ein wertschätzendes Miteinander sowie die Zielerreichung fördert. Weitere neue Entwicklungen entstehen im Moment ebenfalls in der Analyse von Big Data. Hier geht es um die Erkennung der Tendenzen der Verhaltensweisen von Menschen mit regionalen, kulturellen oder anderen Verknüpfungen. Hier wird noch viel Neues auf uns zukommen.«
Martina Jeric-Ruzovits: »Vor einigen Jahrzehnten war das interkulturelle Lernen kein allzu großes Thema. Mit der Globalisierung und der weltweiten Vernetzung über soziale Medien und dem Internet änderte sich die Einstellung dazu stark. Bereits in den Schulen werden die Schüler dazu erzogen, offener mit anderen Kulturen umzugehen. Bei Firmen spielt es eine immer wichtigere Rolle, da die Teams international tätig sind und die Teammitglieder aus anderen Ländern kommen und zusammenarbeiten. Ein kulturelles Verständnis ist von größter Bedeutung, allerdings muss das Bewusstsein der Firmen und jedes Einzelnen in Bezug auf das interkulturelle Lernen noch geschärft werden.«
Benoit Langelier: »Heutzutage sind die Anforderungen der Personalabteilungen hoch, denn ein interkulturelles Training wird – bei entsprechender Zielgerichtetheit – als sehr wertvoll erachtet. Wir spezialisieren uns auf Verhandlungstrainings im Geschäftsumfeld und unserer Erfahrung nach haben kulturelle und geschlechterspezifische Themen in diesem Bereich eminente Bedeutung erlangt. Seminaranbieter müssen diese Themen heutzutage ansprechen können und dabei die laufenden Weiterentwicklungen aus der Verhaltensforschung miteinbeziehen. Daher passen wir unsere Inhalte auch laufend an und verfolgen einen modularen Ansatz, wenn wir unseren Kunden ein maßgeschneidertes Training anbieten.«
Fazit: Da bei interkulturellen Seminaren den Teilnehmern durch gezielte Übungen häufig die Augen für ein für sie neues Thema geöffnet werden, ergeben auch kürzere Seminare bereits Sinn. Besprechen Sie mit einem Trainer, den Sie eventuell buchen wollen, im Vorfeld in Ruhe und ganz konkret die Ziele, damit es keine bösen Überraschungen gibt.