Mitte Mai fand der zweite Corporate Culture Jam in Wien statt. Rund 150 Teilnehmer erhielten Inspirationen für das eigene Unternehmen.
Dienstag, 15. Mai 2018, Ankerbrotfabrik in Wien Favoriten, 9 Uhr morgens. Die Band »Crossover« beginnt zu spielen. Ruhige, angenehme Musik erklingt als Zeichen für die frühstückenden Teilnehmer, sich in den Plenarsaal zu begeben. Die Stimmung ist gut, einige bewegen sich sogar rhythmisch zur Musik.
Karin Krobath (Partnerin bei identifire) eröffnet die Konferenz mit einem Appell: »In unserer schnelllebigen Zeit fühlen wir uns häufig »hinten nach« statt »vorne weg« – das ist oft schwierig auszuhalten. Gegenmittel gibt es keines, aber im »Opening Out« gegenüber anderen Abteilungen, Unternehmen oder der Gesellschaft liegt viel ungenütztes Potenzial, das wir bei diesem Jam beleuchten und heben wollen. Grundbedingung ist nur, dass wir unsere Beine sortieren und wissen, was unser Stand- und was das Spielbein ist«.
Bei diesem insgesamt dritten Corporate Culture Jam (veranstaltet von SUCCUS | Wirtschaftsforen, in Kooperation mit identifire® und M.O.O.CON) gibt es Neuerungen, die sich aus den Erfahrungen der letzten Jahre ergeben haben. So gibt es z. B. ein eigenes, aufwändig und sinnvoll gestaltetes »Cult-Book«, um sich die neuen Gedanken stilvoll zu notieren. Weiters neu: Im Raum steht eine grüne Tafel, die an die Schulzeit erinnert. Auf diese können die Teilnehmer ihre Gedanken und Fragen anbringen, um diese später in einem informellen Rahmen zu diskutieren.
Geblieben ist das Setting, das diese Veranstaltung so einzigartig macht. Die Teilnehmer sitzen in halben Sesselkreisen zu je ca. 10 Personen im Konferenzsaal. Der Kreis ist in Richtung Bühne geöffnet. Nach jedem Vortrag werden in ca. 30-minütigen Jam-Sessions – begleitet von der Band – die Themen und Impulse aus den Keynotes mit Branchenkollegen besprochen und diskutiert, wie diese Ideen in die eigenen Unternehmen, in die eigene Kultur übertragen werden können – oder auch nicht.
Noch vor der ersten Keynote betritt der aus »Dancing Star« bekannte Tanzlehrer Andy Pohl die Bühne, um in wenigen Minuten den Saal zum Tanzen zu bringen – und das, ohne dass es auch nur eine einzige Minute peinlich war – ehrlich! Er spricht dabei vom Standbein, dass jeder Tänzer, aber auch jeder Manager und Unternehmer braucht, und vom Spielbein, auf dem wir etwas flexibler sind. Er erkennt die Parallelen von Tanz und Wirtschaft – Führung, Vertrauen, Partnerschaft! Zumindest die 10 Teilnehmer aus dem eigenen Sesselkreis kennt man jetzt bereits etwas näher.
Rainer Peraus, Experte für Disruption und Future-Change-Artist, hält die Eröffnungskeynote und spricht über Zukunftstabus. Er thematisiert die möglichen kommenden Veränderungen und stellt einige »Überlebensfaktoren« vor. Als wichtigste Fähigkeit, um auch in den geänderten Rahmenbedingungen der Zukunft erfolgreich zu sein, nennt Peraus »Transformationsfähigkeit«, also die Kompetenz, die Organisation und sich selbst rasch anzupassen. Die größten Bremser in Transformationsphasen seien Ängste vor Kontrollverlust, Machtverlust, Beziehungsverlust und Identitätsverlust. Er appelliert, alle Tabus in Unternehmen anzusprechen und einen Blick über den Tellerrand zu wagen. Fragen wie »Was wäre, wenn wir ab morgen keine Führungskräfte mehr haben?«, können neue Perspektiven erschaffen.
Julia Culen (Partnerin bei Culen Mayhofer Partner) referiert über Mythen der Selbstorganisation. Dabei geht sie auf viele Punkte ein, die Unternehmen nur zu häufig als selbstverständlich nehmen, wie z. B. der Glaubenssatz: »Hierarchie ist verstaubt und muss abgeschafft werden« oder »Selbstorganisation führt zu Markterfolg«. Diese Behauptungen des modernen Managements stimmen einfach nicht so unreflektiert. Auch der Ruf nach ständiger Veränderung ist nicht zwangsläufig ein Erfolgsrezept. »Change or die« wird zwar oft behauptet, es gibt aber auch Unternehmen, die schlichtweg an ihrem aktuellen Erfolg ohne große Veränderungen festhalten können.
Danach suchen sich die Teilnehmer aus mehreren Parallelworkshops die Themen aus, die für sie am interessantesten sind. Zur Auswahl gibt es Themen wie Authentizität im HR-Management, neue Arbeitswelten, Employer Branding, Digitalisierung und Achtsamkeit.
Im Laufe des Tages präsentiert Simon Sagmeister (The Culture Institute, Zürich) und Reza Razavi (BMW AG München) ein Modell zur Messung von Unternehmenskultur. Der Vortrag ist gleichzeitig ein Workshop, humorvoll und professionell, zählt für viele zum Highlight der Konferenz. Die beiden Referenten bezeichnen die Unternehmenskultur als das Herz, den Verstand und die Seele der Organisation. Führungsverhalten führt zu Kultur und muss demnach mit einer Vorbildwirkung vorhanden sein. Simon Sagmeister appelliert ebenfalls an die Flexibilität der Unternehmen und zitiert die Boxlegende Mike Tyson: »Jeder hat eine Strategie, bis er eine auf die Nase bekommt.« Transformationsfähigkeit ist die wichtigste Überlebensfähigkeit der Zukunft.
Nach zwei weiteren großartigen Keynotes über Innovation bei der Swisscom und über Bullshit in der Berater-Szene folgt die letzte Jam-Session des Tages und ein gemütlicher Ausklang bei Musik, gutem Essen und spannenden Gesprächen.
Der zweite Konferenztag, moderiert von Sabine Zinke (Senior Consultant bei M.O.O.CON), beginnt genauso spannend, wie der erste geendet hat.
Sabine Kluge leitet eine »Work out Loud«-Session zum Thema: »Wenn Digitalisierung das Problem ist – warum ist dann soziale Vernetzung die Lösung?« Sie stellt Lösungsansätze vor, wie Unternehmen aus dem Silodenken herauskommen können.
Später am Tag hören die Teilnehmer einige weitere Praxisbeispiele, unter anderem vom ÖBB Innovation Campus, über die Unternehmenskultur bei willhaben, über smarte Bürostühle, mit denen wir unseren Computer teilweise steuern können und über das »agile Afrika« bzw. was wir von afrikanischen Unternehmen lernen können.
Als kurzen Impulsvortrag spricht Helmo Pape (Obmann Generation Grundeinkommen) über die Vorteile, die das bedingungslose Grundeinkommen für Österreich hätte. »34 % gründen in Österreich kein eigenes Unternehmen aus existenzieller Angst. Dieses Problem wäre mit einem Grundeinkommen gelöst und wir hätten viel mehr innovative Unternehmer«.
Im letzten Programmpunkt wird der Urheber und Erfinder der »New Work«, Frithjof Bergmann live via Skype aus den USA in den Konferenzsaal zugeschaltet und stellt sich einigen Fragen. Seine Kernaussage für eine erfolgreiche Unternehmenskultur der Zukunft: »Wenn Menschen im Unternehmen nur noch das tun, was sie wirklich, wirklich wollen, läuft das Unternehmen besser, es geht den Menschen besser, und es geht damit der Wirtschaft besser. Er appelliert daher an alle Anwesenden, genau darüber nachzudenken, was sie wirklich, wirklich wollen, und was unsere Mitarbeiter wirklich wirklich wollen.
Mit dieser philosophischen Frage endet auch der inhaltliche Teil der Konferenz. Nun haben die Teilnehmer noch kurz Gelegenheit, ihre Learnings aus den zwei Tagen in humorvoller Art zu präsentieren und ihre persönlichen Gedanken weiterzugeben.
Nächste Termine:
25. bis 26. September 2018, Düsseldorf
21. bis 22. Mai 2019, Wien
www.corporate-culture-jam.at