Führung funktioniert anders als noch vor 10 Jahren. Welche Rahmenbedingungen neu sind und wie Führung anders gestaltet werden kann, lesen Sie hier.
Vor welchen aktuellen Herausforderungen stehen Führungskräfte und Organisationen?
Abgesehen von den bekannten gesellschaftlichen Trends bemerken wir, dass Führungskräfte immer mehr gefordert sind, Entscheidungen nach unten zu delegieren. Das hat mehrere Gründe: Führungskräfte können zum Teil fachliche Entscheidungen aus Mangel an Wissen nicht mehr treffen, oder müssen sich mehr auf strategische Themen fokussieren. Ein anderer Punkt ist der, dass die Geschwindigkeit immer mehr zunimmt. Auch die Führungsspanne hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Weiters beobachten wir eine dramatische Zunahme von Stress, sowohl bei Führungskräften als auch bei Mitarbeitern. Sie sind daher mehr gefordert, auf sich selbst zu schauen – Achtsamkeit ist hier das Gebot der Stunde.
Wollen Menschen aufgrund der erhöhten Anforderungen überhaupt noch Führungskräfte sein?
Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. In vielen Organisationen geht die Position natürlich mit Vorteilen einher, sei es mehr Gehalt, mehr Anerkennung oder mehr Verantwortung im positiven Sinne. Und natürlich ist es eine Chance, mitzugestalten und mitzuentscheiden. Das ergibt für viele Menschen Sinn. Ich beobachte auch vor allem bei jüngeren Generationen den Anspruch nach mehr Freizeit und eben genau die Suche nach Sinn an der Arbeit.
Wie können Führungskräfte unter der Prämisse der Ungewissheit vernünftige Entscheidungen treffen?
Hier müssen wir uns noch eine Frage vorab stellen: Sollen Führungskräfte überhaupt noch Entscheidungen treffen, oder gibt es Alternativen? Eine Möglichkeit dazu sind Gruppenentscheidungen. Das bedeutet, dass die Führungskraft »nur« mitentscheidet oder im Extremfall die Entscheidungskompetenz sogar komplett an ein Team delegiert und nur noch über die getroffene Entscheidung informiert wird. Eine weitere Möglichkeit für Führungskräfte ist es, mehr auf das eigene Bauchgefühl zu achten. »Intuition« als Basis für Entscheidungen wird immer mehr akzeptiert und ergänzt kognitive Prozesse. Vor einiger Zeit ging sogar durch die Medien, dass ein CEO einer großen Bank eine Entscheidung über mehrere Millionen Euro durch seine Intuition gerechtfertigt hat. Das Thema wird zusehends auch im Top-Management positiv gesehen. Führungskräfte müssen also lernen, ihrem Gefühl zu vertrauen und weg von reinen »Excel-Tabellen-Entscheidungen« kommen.
Was kommt auf Führungskräfte in der Zukunft zu?
Das Erste, das immer wichtiger wird, ist der Umgang mit sich selbst – also Selbstführung. Work-Life-Balance ist ein veralteter Versuch der Trennung von Privat und Beruf. Führungskräfte sollten eher auf eine Balance von Energie und täglichen Stressabbau achten. Hier sollten konkrete Spielregeln vereinbart werden. Beispielsweise wie mit Anrufen an Tagesrandzeiten umgegangen wird, oder innerhalb welcher Zeit E-Mails beantwortet werden müssen. Natürlich auch, ob E-Mails am Wochenende beantwortet werden etc. Immer mehr beschäftigen sich auch mit Meditation, Yoga oder anderen Methoden, um den Stress abzubauen. Der zweite wichtige Punkt ist, dass Führungskräfte sich mit neuen Organisationsformen auseinander setzen. Die klassische Hierarchie ist nur eine Möglichkeit, ein Unternehmen zu organisieren. Die Anforderungen an Unternehmen haben sich verändert, Führungskräfte müssen sich daher mit innovativen Organisationsformen auseinandersetzen, die teilweise noch nicht renommiert sind. Sie müssen Organisationen selber »bauen«, testen und anpassen. Dazu brauchen sie Change- und OE-Kompetenzen.
Wie könnte eine Organisationsform der Zukunft aussehen?
Mein Kollege Christian Hauser hat eine Master-Arbeit zu diesem Thema geschrieben und dabei einige hierarchiearme Firmen analysiert. Die Entscheidungs- und Verantwortungskompetenz wird dort bereits nach unten delegiert. Oft gibt es keinen Letztentscheider bei internen Entscheidungen. Es werden dort Führungskreise gebildet, in denen gemeinsam strategische Entscheidungen getroffen werden. Und das funktioniert prima.
Ich war vor kurzem selbst in einem Produktionsunternehmen, wo 15 parallele Teams operativ eigenverantwortlich entscheiden und nur 3 % des Personals in der Verwaltung tätig sind. Dort waren alle Besprechungsräume leer, da die Entscheidungen direkt am Arbeitsplatz getroffen werden. Der Mitarbeiter entscheidet z. B. selbstständig, auf welches Seminar er geht. Es herrscht dort so viel Transparenz, dass er selber weiß, ob es dafür Budget gibt. Somit kann er selbst entscheiden, ob er z. B. ein Schweißseminar buchen kann. Auch hier brauchte es Führung hin zur Selbstführung!
Gibt es dann überhaupt noch Führung?
Eindeutig ja. Organisationen brauchen Führung. Aber nicht im alten Sinne, in dem eine Person »oben« die Mitarbeiter »unten« führt. Sondern dass Führung von mehreren Personen übernommen wird, die jeweils für einzelne Verantwortungsbereiche zuständig sind. Mitarbeiter sind Geführte und Führungskraft zugleich, je nach Rolle. Das erfordert ein völlig neues Verständnis des Themas. Silodenken wird dadurch aufgehoben und es kommt zu einer Vernetzung und Kommunikation auf Augenhöhe. Es schafft gleichzeitig flexiblere Strukturen und eventuelle Konflikte werden lateral bereinigt.
Wie schafft man es, so eine neue Führungskultur aufzubauen?
Indem man mit kleinen Schritten beginnt. Sie müssen aber groß genug sein, um klar erkennbar zu machen, dass sich etwas verändert. Es muss klar ersichtlich sein, dass es kein kleines Optimieren des alten Systems darstellt. Man sollte Führung auch nicht gleich komplett rausnehmen und darauf hoffen, das neue Führung von alleine entsteht. Das funktioniert überhaupt nicht. Im Gegenteil: Am Anfang müssen Führungskräfte sogar noch stärker Führung übernehmen, um den Menschen Sicherheit im Change zu geben. Ein hilfreiches Tool ist hier systemisch Konsensieren. Hier können Gruppen über die Messung von Widerständen leichter zu gemeinsam getragenen Entscheidungen gelangen und die Führungskräfte entlasten.
Durch diese neue Art des Führens verlieren Führungskräfte Status. Wie können Unternehmen damit umgehen?
Reiz und Nutzen, die Verantwortung abzugeben, müssen größer sein als das negative Gefühl des Statusverlustes. Wenn der Aufbau des neuen Systems anerkannt wird, sind die meisten Führungskräfte bereit, von ihrem bisherigen Denken abzurücken. Anerkennung passiert über andere Mechanismen, Führen auf Augenhöhe wird positiv erlebt. Die Wirkung von Status lässt sich mit Alpakas leicht erlebbar machen, sie geben unmittelbar Feedback. Wenn eine Führungskraft im »Niederstatus« Führung übernehmen möchte, übernimmt das Tier sehr schnell die Führung. Wechselt jedoch die Führungskraft in einen positiven Hochstatus, lassen sich Alpakas wirklich gut führen.
Welchen Einfluss haben Räume auf Führung?
Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit der Gestaltung von Büroräumlichkeiten und modernen Arbeitswelten. Dazu haben wir bisher bereits 9 Organisationen begleitet, unter anderem die neue Mobilitätszentrale des ÖAMTC. Wir beobachten einen starken Einfluss von der Raumgestaltung auf die Art, wie miteinander gearbeitet, kommuniziert und geführt wird. Menschen müssen darauf vorbereitet werden, in Open-Space-Räumlichkeiten zu arbeiten und zu führen. Wenn die Planung durch die Betroffenen selbst erfolgt, erleben wir nachhaltig positive Effekte auf die Unternehmenskultur.