Das Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement ist topaktuell. Doch nicht nur die Organisation kann unmittelbaren Einfluss auf die Gesundheit und damit die Produktivität der Mitarbeiter nehmen. Auch die Führungskräfte sind gefordert.
Viele Selbstständige und auch viele Mitarbeiter widmen ihrer körperlichen Fitness viel Engagement. Doch wie sieht es mit der psychischen Fitness aus? Führungskräfte nehmen bei diesem Thema eine zentrale Rolle ein, wie aus der Top-Job-Trendstudie der Universität St. Gallen klar ersichtlich ist. Nämlich, dass gesunde Führung die psychische Gesundheit im Unternehmen beeinflusst. Dennoch ist ein gesunder Führungsstil in nur 2 % der untersuchten Unternehmen sehr gut und in nur 22 % gut etabliert. Und das, obwohl laut der Studie psychisch gesunde Mitarbeiter sich um 54 % mehr mit dem Unternehmen identifizieren, sich um 23 % stärker integrieren, um 30 % zufriedener sind und um 26 % mehr Bindung zum Unternehmen empfinden.
Zuständigkeit im Unternehmen
Um ein erfolgreiches betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen, muss das Unternehmen im ersten Schritt gewisse Rahmenbedingungen schaffen, die es jedem Mitarbeiter ermöglichen, aktiv für seine Gesundheit tätig zu werden. Erst wenn dieser Schritt erledigt ist, sollten sich Unternehmen bewusst mit dem Thema der »gesunden Führung« beschäftigen. Dafür bedarf es Führungsleitbilder, Führungsstandards und Führungskräfte, die gesund sind.
Monika Herbstrith-Lappe (Geschäftsführerin Impuls & Wirkung) über die Zuständigkeit und die Rolle der Führungskräfte: »Es kann nur funktionieren, wenn alle im Unternehmen – in unterschiedlichen Rollen – das Thema Gesundheit leben und vorleben. Unser Hirn ist dafür gebaut, Herausforderungen zu meistern und dadurch die Eigenwirksamkeit zu stärken. ›Ich kann das schon alleine‹ fordern schon kleine Kinder ein, damit sie dieses gute Gefühl, ich kann mir selbst helfen, erleben dürfen. Ohnmachtsgefühl, Situationen hilflos ausgeliefert zu sein, sich fremdgesteuert zu fühlen ist hingegen nicht nur frustrierend, sondern auch ungesund. Alles, was Eigenwirksamkeit stärkt, ist Teil der Lösung. Alles, was sie reduziert, fördert das Problem. Neben der Vorbildwirkung ist es wesentlich, dass Führungskräfte gesundheitsfördernde Maßnahmen nicht nur dulden, sondern auch bestärken und fördern. HR – ich nenne es lieber ›People und Culture‹ – sollten dafür einen gesunden Nährboden schaffen, Konzepte zur Verfügung stellen und Werkzeuge anbieten.«
Gesundheit betrifft also immer die gesamte Organisation. Jedes Unternehmen ist im Sinne des Betrieblichen Gesundheitsmanagements und im Speziellen des Arbeitnehmerschutzgesetztes sogar verpflichtet, Strukturen und Prozesse vorzugeben, die Gesundheit fördern und Krankheit vermeiden. Rein rechtlich steht an erster Stelle der Verantwortungskette die Geschäftsführung. Sicherheitsfachkräfte, Arbeitsmediziner und Betriebsrat unterstützen hierbei. HR ist häufig in einer umsetzenden, manchmal auch in einer gestaltenden Rolle. In vielen Betrieben wird die BGM-Verantwortung auch klar an HR delegiert. Darüber hinaus ist Gesundheit aber eben auch eine wesentliche Führungsaufgabe.
Nathalie Karré (Geschäftsführerin ACCELOR und Trainerin am WIFI Wien): »Eine Führungskraft, die selbst die Grundprinzipien gesunder Lebensführung einhält und deren Umsetzung im Betrieb sicherstellt, wird Mitarbeiter eher positiv beeinflussen, als ein Vorgesetzter, der jeden Abend bis 23:00 Uhr im Büro sitzt und das letzte E-Mail um 2:00 Uhr früh versendet. Bei letzterem Verhalten interpretieren Mitarbeiter häufig, dass dies auch von ihnen gefordert ist und reagieren entsprechend. Mit den zu erwartenden Folgen für die langfristige Gesundheit. Nicht zuletzt ist jeder Mitarbeiter selbst für seine persönliche Gesundheit – natürlich über seinen Arbeitsplatz hinaus – verantwortlich. Unternehmen können dies durch unterschiedliche BGF (Betriebliche Gesundheitsförderung)-Maßnahmen fördern.«
Gesundheitsorientierter Führungsstil
Die Unternehmenskultur wirkt immer auf die körperliche und psychische Gesundheit der Mitarbeiter (und umgekehrt), und dies wirkt sich auf Unternehmenserfolg, Kosten, Engagement und Produktivität wesentlich aus. Unternehmen, die sich durch eine vertrauensbasierte Kultur hervorheben, verzeichnen beispielsweise nur 7 Krankheitstage je Mitarbeiter/Jahr. Der österreichische Durchschnitt ist gemäß HV der Sozialversicherungsträger 12,5 Tage (2016).
Nathalie Karré: »Eine der wichtigsten Grundhaltungen von Führungskräften ist, Menschen zu mögen und Freude daran zu haben, die Potenziale in Menschen zu entdecken und zu fördern. Führungskräfte, die in dieser Haltung mit Menschen arbeiten, tragen ganz automatisch zur Gesundheitsförderung und zum Wachstum von Unternehmen bei.«
Einige Hauptfaktoren, die einen gesundheitsorientierten Führungsstil ausmachen, sind folgende Punkte: Sicherheit am Arbeitsplatz vermitteln, ehrliche Wertschätzung, adäquate Belastung (nicht zu viel, nicht zu wenig), Handlungsspielräume einräumen und ein positives soziales Betriebsklima schaffen.
Ein gesunder Führungsstil lässt sich erlernen. Daher ist das Angebot an Seminaren in diesem Bereich in Österreich durchaus vorhanden.
Nathalie Karré stellt eine konkrete Maßnahme vor, die Unternehmen sofort umsetzen können: »Ein aktuell viel diskutierter Beitrag zur Gesundheitsförderung, den Führungskräfte einfach umsetzen können, ist die Achtsamkeitspraxis und Meditation. Einige Unternehmen, mit denen ich arbeite, haben beispielsweise bereits vor mehreren Jahren eingeführt, Meetings mit einer 2-minütigen Präsenzübung zu beginnen, in der sich jeder mit geschlossenen Augen auf seine Atmung konzentriert. Diese kurze Achtsamkeitsübung führt neben kürzerer Meetingdauer zu einer deutlich höheren Fokussierung und geringerer Smartphonenutzung in den Meetings und gemäß Mitarbeiter-Befragung zu einem höheren Wohlbefinden in der gesamten Belegschaft.«
Um psychische Gesundheit von Mitarbeitern zu halten bzw. zu erreichen, ist das Sinn-Thema ein ganz zentrales. Nur wenn Mitarbeiter in ihrem beruflichen Tun Sinn erkennen, werden sie ihre Arbeit mit Freude ausführen und sich nachhaltig psychisch fit fühlen. Führungskräfte sind im Sinne eines gesunden Führungsstils angehalten, Mitarbeiter regelmäßig dabei zu unterstützen, den Wert ihrer Arbeit zu erkennen.
Monika Herbstrith-Lappe: »›Häufig leiden wir darunter, dass wir so viel arbeiten und so wenig Aufgabe haben‹, bringt es Helmut Walters auf den Punkt. Daher sind meine Lieblingsfragen für Mitarbeitergespräche: ›Was macht Ihren Einsatz wertvoll?‹ ›Welchen Nutzen bewirken Sie?‹ ›Was ginge verloren, wenn Sie Ihre Aufgaben nicht oder nicht gut erfüllen würden?‹ Und auch die Frage ›Was sind in Ihrer Freizeit Ihre persönlichen Quellen des Auftankens?‹ ist im Rahmen von Mitarbeitergesprächen höchst sinnvoll. Menschen, die sich in ihrer Freizeit regenerieren können, sind in hohem Maß gegen Stress immunisiert.«
Grenzen der Führung
Nur selten erkennen Führungskräfte ihre Grenzen bei diesem Thema und häufig erst dann, wenn es zu spät ist. Manche Führungskräfte neigen dazu, es allen recht machen zu wollen. Gerade besonders engagierte Führungskräfte sind an diesem Punkt besonders gefährdet, ihre eigene Gesundheit zu missachten und neigen oft dazu, die Dinge zu persönlich zu nehmen. Hier ist es wichtig, eine entsprechende Distanz aufzubauen.
Nathalie Karré: »Eine Grenze ist die eigene Leistungsfähigkeit der Führungskraft. Nur wer sich selbst gut führen kann, kann andere gut führen. Hierzu gehört ein Grundverständnis von Persönlichkeit und angewandtes Selbst- und Energiemanagement sowie die Fähigkeit, die eigene Resilienzfähigkeit zu aktivieren und weiter zu entwickeln. Je intensiver eine Führungskraft diese Fähigkeiten entwickelt hat, umso besser kann sie ihre Verantwortung in der gesunden Führung wahrnehmen – im Selbstmanagement ebenso wie in der umsichtigen Führung ihrer Mitarbeiter.«
Monika-Herbstrith-Lappe: »Wie bei allem anderen auch, geht beim Thema Gesundheit gar nicht, ›Wasser zu predigen und Wein zu trinken‹. Vorbild wirkt viel stärker als Vorschrift. Völlig kontraproduktiv wäre der Ansatz: ›Ihr braucht Gesundheitsförderung, und ich als starke Führungskraft bin darüber erhaben. Ich halte es aus, eisern und beinhart, lang und pausenlos zu arbeiten.‹ Weit offen steht auch die Gut-gemeint-Falle: ›Lass dir aus dem Wasser helfen oder du wirst ertrinken‹ sprach der Affe – und setzte den Fisch auf den sicheren Baum. So meinen sportliche Führungskräfte, die ganz unrund werden, wenn sie sich länger nicht bewegen können, bei allen ihren Mitarbeitern müsse das auch so sein. Oder weil sie selbst gerne meditieren, müsse das auch allen anderen gut tun. Doch so wie Glück ein Maßanzug ist, ist es auch das Thema Regenerieren, Entspannen und Auftanken.«
Messbarkeit
Positive Auswirkungen (auch des Führungsstiles) sind in vielfältiger Hinsicht durch Betriebliches Gesundheitsmanagement nachweisbar. Über kontinuierliche Mitarbeiterbefragungen messbar ist z. B. die Unternehmensklimaveränderung insgesamt, aber selbstverständlich auch Detailparameter wie Krankenstandszahlen, Fluktuationsquote (Kosten der Personalsuche und Einschulungskosten), Arbeitsbewältigungsfähigkeit bis hin zu Kundenzufriedenheit sind messbar. Manche Methoden bzw. Befragungen sind sehr aufschlussreich, was die Bedürfnisse der Mitarbeiter betrifft, und zeigen auf, wo es im Unternehmen Lern- und Veränderungsbedarf gibt.
Nathalie Karré: »Natürlich gilt es unternehmensintern, durch Kennzahlenvergleich den Erfolg der jeweiligen Maßnahmen zu messen. Für jedes Thema fließen hierzu individuelle Fragen in die ohnehin kontinuierlich durchgeführten MA-Befragungen ein bzw. kann ein versierter BGM-Controller auch auf Daten aus der Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung und Personalstatistik zurückgreifen und zielorientiert Vergleiche anstellen und Führungskräfte in Mitarbeiter-Gesprächen auch dieses Thema ansprechen. Das Thema BGM könnte also strategisch mitgedacht werden und so zur Gewinnoptimierung beitragen.«
Monika Herbstrith-Lappe: »In einer verdeckten wissenschaftlichen Studie wurde behauptet, messen zu wollen, wie sich Ergonomie des Arbeitsplatzes auf die Rückenmuskulatur auswirkt. Dazu ließ man die zwei Gruppe jeweils nur 8 Minuten entweder ergonomisch aufrecht oder unergonomisch gekrümmt sitzen. Danach hat die aufrecht sitzende Gruppe im Mittel 20 % längeres Durchhaltevermögen als die andere Gruppe vollbracht. Alles was Sie für die Ergonomie am Arbeitsplatz und Rückengesundheit tun, tun Sie auch für die Leistungsstärke Ihrer Mitarbeiter. Evaluierung psychischer Belastungen ist der oben beschriebene kontraproduktive ›Nocebo-Effekt‹ in Reinkultur. Ich werde so lange gefragt, worunter ich leide, bis es mir wirklich schlecht geht. Fragen Sie lieber differenzierend die psychischen Rahmenbedingungen ab: ›Was ist für Sie förderlich? Was können Sie ändern? Welche Unterstützung brauchen Sie von anderen?‹«
Da seit 1. Jänner 2013 Evaluierungen psychischer Belastungen gesetzlich vorgeschrieben sind, loht es sich daher sehr, sich damit auseinanderzusetzen, wie dies konstruktiv erfolgen kann.
Fazit
Ein gesunder Körper und ein gesunder Geist arbeiten mit mehr Freude und damit produktiver als permanent unter Druck stehende und gestresste Mitarbeiter. Bereits kleine Maßnahmen am Arbeitsplatz und die Vorbildwirkung der Führungskraft können hier Wunder verbringen.
Aktuell:
Zum Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement erschien im Springer-Verlag ein neues Buch, bestückt von praxisnahen Beiträgen des Arbeitskreis BGM der Fachgruppe UBIT-Wien (http://www.bgm-consultants.at): https://www.springer.com/de/book/9783658227371
Ich kann der o.a. Feststellung zur unglücklichen Umsetzung der vom Gesetzgeber gut gemeinten Evaluierung psychischer Belastungen nur zustimmen: Von über 200 Verfahren für die Evaluierung / Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen im deutschsprachigen Raum sind nach unserer Recherche nur VIER positiv formuliert => d.h. nur diese suchen gezielt nach RESSOURCEN.
Zwei dieser Verfahren stammen aus Österreich. Eine gezielte Suche nach diesen kostenpflichtigen aber sehr effizienten Verfahren lohnt sich also!
PS: eine Umfrage unter 45 Personalisten im Rahmen des HR-Summit 2018 ergab, dass alle die Evaluierung der psychischen Belastungen bereits durchgeführt haben, jedoch in KEINEM Unternehmen messbare Erfolge erzielt werden konnten. Mit „positiven Fragebögen“ geht das!