Unsere Stimme gehört zum ersten Eindruck genauso dazu wie unser Aussehen. Sie kann Kompetenz, Freundlichkeit, Sympathie, aber auch das Gegenteil vermitteln. Was Experten wirklich aus der Stimme heraushören, und warum das gerade im Recruiting wichtig ist, lesen Sie hier.
Was macht den Unterschied? Ich meine, wissen Sie, warum Sie jemanden, den Sie gerade kennengelernt haben, als kompetent einstufen? Oder als freundlich, naiv, verantwortungsvoll, leistungsstark, ehrlich, oberflächlich etc.?
Warum schaffen Sie es, einem Speaker genussvoll eine Stunde zuzuhören und beim nächsten Redner greifen Sie bereits nach einer Minute zu Ihrem Mobiltelefon? Noch auffälliger ist es natürlich am Telefon, wenn Sie zum ersten mal mit jemandem telefonieren. Bereits nach kurzer Zeit haben Sie ein Bild des Gegenübers in Ihrem Kopf. Alter, ungefähre Herkunft, Tagesverfassung usw. und natürlich unterstellen Sie ihm auch, ob er fähig ist, oder eben nicht. Die Botschaften, die die Stimme vermittelt, sind unbewusst und erzeugen dennoch ein klares Bild über eine Person.
Es gibt ja immer wieder Situationen im Leben, in denen wir uns ›irgendwie‹ unbehaglich fühlen, aber nicht klar sagen können, wo es herkommt. Im Seminarraum z.B. kann es die Beleuchtung sein, die Gemälde an den Wänden oder die Stühle. Und schon fühlen sich die Teilnehmer generell nicht wohl, und sie wissen nicht warum. Die unbewusste Wahrnehmung lässt grüßen.
Oder Sie lesen ein Buch, eine Zeitschrift und haben das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt: es kann die Schrift sein, die Sie vollkommen unbewusst dazu bewegt, nicht mehr weiterzulesen. Die Schriftfamilie muss zum Text passen.
Bei der Stimme verhält es sich genauso. Sie muss zum Menschen und zur Situation passen.
Wenn wir sprechen, dauert es in etwa 0,2 Sekunden, bis das Gehirn unseres Gesprächspartners die ausgesprochenen Wörter erfasst hat. Doch unser Gehirn analysiert noch etwas anderes: Klingt die Stimme sympathisch? Interessant? Aggressiv? Ehrlich?
TRAiNiNG hat bei zwei Stimmexperten nachgefragt und Interessantes über unsere Stimme erfahren.
Was verrät die Stimme über eine Person wirklich? Sind hier seriöse Persönlichkeitsprofile möglich?
Petra Maria Berger (diplomierte Sprechtrainerin und Inhaberin von Sprichmitmir – Stimme | Rhetorik | Persönlichkeit): »Stimme und Persönlichkeit sind untrennbar miteinander verbunden. Jede Sprechweise sagt unheimlich viel über den jeweiligen Menschen aus. Aber die verbalen Ausdrucksformen, die feinen Unterschiede in Tonfall und Aussprache sind so mannigfaltig, dass jede Checkliste von vornherein fehlerhaft wäre. ›Leise und überhaucht‹ zu sprechen gilt gemeinhin als Merkmal von schüchternen Menschen. Es gibt aber leise geführte Stimmen, die eine Schärfe und Kälte mitschwingen lassen, die das Fürchten lehren können. ›Laut und polternd‹ muss kein Hinweis auf Selbstbewusstsein und Kasernenhof-Führungsstil sein, es könnte auch auf eine situative Unsicherheit hinweisen. Das erkennt ein darauf sensibilisierter Mensch dann z. B. aufgrund der Satzmelodie und der Körpersprache.«
Zwischen allen Modulationen gibt es unendlich viele Nuancen. Überdies wurden viele Sprechgewohnheiten im sozialen Umfeld oder im Elternhaus anerzogen. Wir lernen Sprechen in allen melodischen und sprechtechnischen Merkmalen ausschließlich durch Nachahmung. Viel davon bleibt erhalten, manches bis ins hohe Alter. »Eine Psychologisierung dieser Eigenarten kann ordentlich ins Auge gehen und ist daher abzulehnen. Es ist einfach gefährlich, Menschen aufgrund solcher äußeren Eigentümlichkeiten in ihrem Charakter zu beurteilen. Man kann sehr falsch mit einem definierten Urteil liegen. Ein unbewusstes bilden wir uns aber ohnehin – immer und bei jedem Menschen.«, so Petra Maria Berger weiter.
Barbara Blagusz (Sprechtrainerin, Wirtschaftscoach und Inhaberin von sozusagen – die Stimme im Verkauf): »Die Stimme verrät die innere Haltung. Gnadenlos. Schon Sokrates wusste, ›nicht was du zeigst, sondern wie du sprichst, verrät die Persönlichkeit eines Menschen‹. Diese Macht der Assoziation, in der Psychologie bekannt als Halo-Effekt, passiert blitzschnell. Ein Aspekt strahlt auf andere ab – positiv wie negativ. So lässt Sie schon ein leichtes Stocken insgesamt unsicher erscheinen. Umgekehrt bringt Ihnen eine starke, nach Außen gerichtete, warme Stimme insgesamt mehr wahrgenommene Kompetenz.«
Stimme macht Stimmung. Wir lassen im Zuhörer anklingen, wie es uns selbst als Sprecher geht. Dies ist messbar. Wissenschaftliche Analysen können sogar objektiv manche Krankheiten aufgrund der Stimme diagnostizieren. So erkannte schon vor einigen Jahren eine Software mit über 90-%iger Treffsicherheit ADHS bei Schülern, nur aufgrund deren Stimme. Großen Nutzen versprechen sich Forscher auch vom Einsatz solcher Stimmanalysen bei Depression. »Die Sprechmelodie ist bei Depressiven deutlich monotoner, sie tendiert dazu, sich um denselben Ton herum zu bewegen«, sagt die Psychologin Daina Langner in einem Interview mit »Zeit online«. Und auch im Zuge eines Bewerbungsverfahrens werden bereits automatisierte Analysen herangezogen, dazu aber später mehr.
Barbara Blagusz: »Sind wir unsicher, rutschen wir mit der Stimme in die Höhe, sprechen zögerlich, zittern, stocken, ziehen die Satzenden hoch. Wollen wir offen und freundlich sein, betonen wir mit vielen Tonhöhen. Sind wir klar und selbstsicher, betonen wir mit Lautstärke und sprechen auf Punkt. Wenn auch abhängig von der Situation, hat doch jeder Mensch Grundbetonungsmuster – den persönlichen Stimmcode©. Der Vorteil: Kenne ich mein Sprechmuster, kann ich auch die fehlenden Stimmcodes entwickeln. Dies ist technisch einfach, hat jedoch eine erstaunliche Auswirkung auf die Person.«
Die feinen Stimm- und Artikulationsmuskeln lassen sich leicht beeinflussen, so schlagen sich unzählige Faktoren im Stimmklang nieder, teilweise nur schwer hörbar. Und sie verändert sich laufend, mit dem Alter, der Position oder mit der Tagesverfassung. Eine Untersuchung hat z.B. gezeigt, dass die Stimmen deutscher Frauen in den letzten 20 Jahren tiefer wurden. Früher lag sie noch eine ganze Oktave über den Männerstimmen. Nun beträgt der Unterschied nur noch eine Quinte, also etwas mehr als die Hälfte des ursprünglichen Wertes. Wie ist es nun trotzdem möglich, unsere Stimme absichtlich zu beeinflussen? Sie ganz beabsichtigt an verschiedene Situationen, z.B. schwere Mitarbeitergespräche anzupassen?
Barbara Blagusz: »Wenn Ihnen Ihre eigene Stimmwirkung bewusst ist, können Sie diese auch verändern. Dazu gilt es zu verstehen, mit welchen Betonungsmustern wir welche Emotion erzeugen. Wir wissen meist gut, wie wir freundlich klingen können. Nicht so, wenn es um Kompetenz geht. Wenn wir auch gut darin sind, diese bei anderen zu hören, so fehlt uns oft jegliche Vorstellung, wie wir Kompetenz, Vertrauen oder Glaubwürdigkeit hörbar machen können. Wissen wir jedoch, was sprechtechnisch zu tun ist, geht die Veränderung meist sehr schnell.«
Petra Maria Berger gibt Tipps für zuhause: »Stimme und Sprechweise können immer verändert und trainiert werden. Das hat dann auch stets eine positive Auswirkung auf die Psyche und auf das Selbst-Bewusstsein. Üben Sie mit Aufzeichnungsgeräten und sprechen Sie Alltagssätze oder Sätze aus der Zeitung. Spielen Sie mit Aussprache, Satzmelodie und Stimmklang! So bekommen Sie ein Sensorium dafür, wie unterschiedlich Sie wirken können. Im nächsten Schritt nehmen Sie sich einmal im Alltag auf – z B. bei einem am Festnetz geführten Telefonat – und hören Sie sich kritisch die gesagten Sätze an! Ginge es bestimmter? Freundlicher? Klarer? Kürzer? Glaubwürdiger? Üben sie es! Sie werden sich mögen!«
Stimme im Bewerbungsgespräch
In ein Bewerbungsschreiben lässt sich vieles schnell und leicht reinschreiben. Da glänzen die tolle Ausbildung, das in Mindestzeit absolvierte Studium oder die Erfahrung bei namhaften Unternehmen.
Doch schon beim ersten Bewerbungsgespräch wird schnell klar, ob der Bewerber auch hält, was er verspricht. Die Stimme ist natürlich nur ein Mosaikstein in dem großen Gesamtkunstwerk »Mensch«. Doch jede Kleinigkeit kann einen Unterschied machen, für den Kandidaten bzw. für das Unternehmen. Es ist für Recruiter daher sinnvoll, auch auf die Stimme der Bewerber zu achten.
Petra Maria Berger gibt dafür wertvolle Ratschläge: »Führen Sie einen Bewerber inhaltlich auf ein sicheres Terrain und lassen Sie ihn frei über ein Interessensgebiet seiner Wahl sprechen! Fragen Sie interessiert nach und geben Sie der Person ausreichend angstfreien Raum! Dann hören Sie am ehesten, wie ein Mensch tickt. Aber werden Sie sich bitte immer gewahr, dass in Ihnen auch Ihre Vergangenheit zuhört und urteilt. Irgendetwas an der Sprechweise eines Kandidaten erinnert Sie vielleicht unbewusst an einen ungeliebten Lehrer oder einen lästigen Verwandten. Und dafür kann Ihr Gegenüber wirklich nichts.«
Es gibt heute schon Software, die die Stimme von Kandidaten auswertet. Der Computer ruft einen Bewerber an, fragt ihn 15 Minuten über Belangloses aus (Wie sieht ein typischer Sonntag aus? Wohin geht Ihr nächster Urlaub?). Dabei ist der Inhalt der Antwort vollkommen irrelevant. Die Software wertet vielmehr seinen Sprachrhythmus, die Geschwindigkeit, die Betonung, Satzbau, Wortwahl etc. aus. Danach erstellt die Software ein Persönlichkeitsprofil über den Kandidaten. Mit überraschender Treffergenauigkeit – das sagen zumindest die Hersteller der Software. Und dann gilt es abzuwägen, ob dieses Persönlichkeitsprofil zu der gesuchten Stelle passt. Genau das sollten auch Recruiter machen, nämlich darauf achten, dass die Stimme einer Person zu der Stelle passt.
Barbara Blagusz dazu: »Die Anforderungen an einen Bewerber hängen von der angestrebten Tätigkeit ab. Einmal wird vor allem Freundlichkeit, Geduld und Empathie verlangt werden, ein andermal Vertrauen und Ruhe und wieder ein anderes Mal Klarheit, Kraft und Ausdauer. All diese Eigenschaften zeigen sich natürlich unterschiedlich in der Stimme. Ein Mensch, der Herzen erwärmt, wird mit derselben Stimme als Arzt vielleicht nur geringe Glaubwürdigkeit vermitteln. Oder würden Sie Verona Pooth die Rechtsanwältin abnehmen? Überlegen Sie sich daher nicht nur, ob Ihnen dieser Mensch von seinen Fähigkeiten her zu Gesicht steht, sondern was sich die Menschen im Berufsalltag von ihm erwarten. Hier kommt nun das Bauchgefühl ins Spiel. Lassen Sie Stimmen auf sich wirken. Stimmen berühren körperlich. Ist dies unangenehm, wenden wir uns innerlich ab. Schön, wenn es ein angenehmes Gefühl ist. Dann liegen Sie richtig. Wer Stimme und ihre Sprechwirkung richtig ›lesen‹ kann und sich seiner eigenen bewusst ist, wird mehr über andere Menschen erfahren!«
Schlechte Nachrichten übermitteln
Besonders wichtig für Recruiter, aber auch für Führungskräfte ist es, zu wissen, wie man schlechte Nachrichten überbringen kann, eine telefonische Absage von Bewerbern beispielsweise.
Petra Berger: »Es ist von Vorteil, wenn Sie sonor und pointiert in klaren Aussagen und kurzen Sätzen sprechen, Aussagesätze mit Tiefschluss beenden und nach dem Ende schweigen. Es ist wichtig, dass Ihre Stimme freundlich aber bestimmt klingt und dass Sie die schlechte Botschaft nicht mit kompensatorischen Wendungen verwässern. In Feedbackgesprächen darf die Stimmführung milder und weicher sein, aber bitte kein einlullender Singsang. Aussage und Aussprache sollen immer klar sein und auf den Punkt gebracht werden.«
Barbara Blagusz: »Generell gilt. So wie Sie sich fühlen, werden Sie gehört. Ziehen Sie gedanklich einen Zettel auf dem steht: ›Ich fühle mich stark und sicher.‹ Gehen Sie dann mit dieser Haltung ins Gespräch. Selbst bei schlechten Nachrichten wünschen wir uns eine Führungskraft, die klar ist und Orientierung gibt, gleichzeitig aber auch ehrliches Verständnis zeigt und dies auch hörbar macht. Niemand liebt es, negative Nachrichten zu übermitteln. Aus Angst vor der Emotion legen sich dann viele einen Panzer der Emotionslosigkeit um und versuchen, die Sache schnell und sachlich zu lösen. Mein Tipp: Trennen Sie die Person von der Sache. Dies hilft meist, um den Druck der schlechten Nachricht abzumildern. Die Sache können Sie dann kurz und prägnant übermitteln. Zeigen Sie ehrliches, hörbares Verständnis und geben Sie Zuversicht sprich: einen positiven Ausblick, wohin die Reise gehen kann. Überzeugend wirkt dabei, wer stimmlich sicher wirkt und seine Stimme flexibel einsetzt.«
Fazit
Die Wirkung der Stimme wird unterschätzt. Nicht nur Experten können aus der Stimme des Gegenübers etwas heraushören, jeder Mensch bildet sich mitunter durch die Stimme ein Bild des Gegenübers – im privaten wie im beruflichen Bereich. Sich seiner Stimme bewusst zu werden und damit zu experimentieren oder mit Profis daran zu arbeiten, ist für viele Situationen sinnvoll.