Wenn Algorithmen Personalisten werden

Immer häufiger liest man über Künstliche Intelligenz. Auch in das Personalwesen hat sie Einzug gehalten. Doch was kann sie heute wirklich schon? Und was wird die Zukunft alles bringen? Und müssen Personaler Angst um ihren Job haben? TRAiNiNG hat recherchiert.

Künstliche Intelligenz (KI) – häufig auch als Artificial Intelligence (AI) bezeichnet – ist ein Megatrend, der sich in HR-Kreisen immer mehr durchsetzt. Unter KI versteht man die Automatisierung intelligenten Verhaltens und maschinelles Lernen. Es sollen Systeme geschaffen werden, die relativ eigenständig Probleme bearbeiten können und selbstständig dazulernen. Dabei wird zwischen schwacher KI und starker KI unterschieden. Als schwache KI werden Systeme bezeichnet, die sich auf die Lösung konkreter Anwendungsprobleme konzentrieren. Die Lösung erfolgt hierbei auf Basis von Algorithmen, die speziell für die jeweilige Anforderung entwickelt und optimiert werden. Das daraus resultierende System ist in der Lage, sich selbst zu optimieren. Alle heute existierenden Systeme fallen noch unter die Kategorie der schwachen KI, z. B. individuelle Ausstrahlung von Stelleninseraten auf sozialen Kanälen. Starke KI ist die Form der Künstlichen Intelligenz, die die gleichen intellektuellen Fertigkeiten wie der Mensch hat oder ihn darin sogar übertrifft. Die anfängliche Euphorie, dieses Ziel in naher Zukunft zu erreichen, scheint nicht berechtigt zu sein. Auch glaubt man derzeit nicht, dass ein System jemals in der Lage sein wird, Gefühle wie Stress, Ärger oder Liebe zu fühlen. Es wird aber in der Lage sein, die Konsequenzen dieser Gefühle zu simulieren.
Die meisten Lösungen im HR-Bereich, die am Markt angeboten werden, wurden von Softwaregiganten entwickelt, wie z. B. »Watson«, die Künstliche Intelligenz von IBM. Auch ein paar Start-ups setzen auf die neue Technologie und bieten Lösungen für HR. Die Ideen zu KI gibt es schon seit vielen Jahren. Damals hat die entsprechende Hardware gefehlt. Die Rechenleistung der Prozessoren war noch nicht bereit dafür. Heute ist sie das schon. Aber, wie weit sind wir in der Anwendung? In welchen Bereichen werden KI-Systeme im HR eingesetzt?

Reinhard Guggenberger (Geschäftsführer Soaring Fox Consulting und Trainer an der ARS – Akademie für Recht, Steuern & Wirtschaft): »Künstliche Intelligenz hat natürlich auch im HR-Bereich Einzug gehalten – auf der Suche nach noch schnelleren, effizienteren und fehlerresistenteren Anwendungen. Besonders im Such- und Auswahlverfahren setzen einige Großunternehmen bereits KI-Lösungen ein, die helfen sollen, die ›perfekte Besetzung‹ zu finden. Sogenannte ›Chatbots‹ überprüfen auf Basis der Daten aus Bewerbungsunterlagen, Webinteraktionen und Social-Media-Aktivitäten die Eignung der Kandidaten für die anvisierte Stelle, oder schlagen sogar alternative Jobangebote vor. Aber auch im Entwicklungsbereich werden KI-Lösungen eingesetzt, die das persönliche Profil der Mitarbeiter mit Informationen aus internen und externen Quellen anreichern und dafür sorgen, dass sich zum Beispiel Mitarbeiter mit Personen vernetzen können, die als Mentoren, oder Coach agieren können. Stark präsent ist KI auch im Performance Management, wo versucht wird, eine holistische Sicht auf die Leistung von Mitarbeiter und Teams zu erlangen, indem z. B. auch ›Impact‹-Daten aus anderen Fachbereichen bei der Beurteilung der eigenen Zielerreichung herangezogen werden.«

Künstliche Intelligenz lässt sich gut in vielen Bereichen des Recruitings einsetzen.
Rudi Bauer (Geschäftsführer StepStone Österreich) über KI im Recruiting: »Schon vor dem Bewerbungsprozess etwa können Algorithmen helfen, einen hohen ›cultural fit‹ sicherzustellen: Indem Kandidatenprofile mit Arbeitgebern abgestimmt werden, erfahren Bewerber schon vorab, ob ein Unternehmen zu ihren ganz persönlichen Wertvorstellungen und Interessen passt. Das wiederum erhöht die Qualität der Bewerber – und stellt sicher, dass Neueinstellungen auch zufrieden für viele Jahre an Bord bleiben.« Auch am Anfang der Candidate Journey mache ein automatisierter Analyseprozess Sinn, so Bauer: »Er filtert Kandidaten nach zuvor definierten Kriterien und nimmt damit dem (menschlichen) Recruiter die Vorauswahl zu einem großen Teil ab. Ein intelligenter Filter an dieser Stelle hat zudem den Vorteil, dass Vorurteile und typische Beurteilungsfehler wie der ›Halo-Effekt‹ keine Rolle spielen: Dem Computer ist es egal, wie jemand aussieht, woher er kommt oder wie alt er ist.«
Doch es gibt noch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel beim Corporate Learning. Bei IBM, die selbst natürlich auch mit ihrem Produkt »Watson« arbeiten, hat jeder Mitarbeiter Zugriff auf eine eigene Lerndatenbank, in der jeder gezielt nach bestimmten Lerninhalten suchen kann. Watson macht auf Basis von Künstlicher Intelligenz auch eigene Vorschläge, welches Wissen für den jeweiligen Mitarbeiter wichtig wäre und erstellt selbstständig eine Art E-Learning für die relevanten Wissensbausteine.
Weiters kann Künstliche Intelligenz für das Karrierecoaching verwendet werden. KI bietet tolle Möglichkeiten, das Potenzial jedes Mitarbeiters voll zu erfassen und selbstständig regelmäßig zu screenen, auf welche Stelle im Unternehmen diese Kompetenzen noch passen würden. Dabei lernt die KI ständig mit, und basiert nicht nur auf die in den Bewerbungsunterlagen angeführten Stärken und Ausbildungen.

KI in der Zukunft

Momentan handelt es sich noch um schwache KI, also banal ausgedrückt um komplexe Algorithmen im Sinne von »wenn – dann«. Wir befinden uns noch in den Anfangsstadien von KI. Der Fantasie, was alles möglich werden könnte, sind fast keine Grenzen gesetzt.

Reinhard Guggenberger: »Systeme werden technisch immer besser in der Lage sein, Daten zu einzelnen Personen, Gruppen und Märkten zu beziehen, zu analysieren und Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten. Besonders im Bereich der ›emotionalen Intelligenz‹, in deren Erfassung und Analyse, wird KI in den nächsten Jahren gewaltige Fortschritte machen und auch für den Bereich der zwischenmenschlichen ›Chemie‹ immer bessere Analysen und Daten liefern können. Spannend werden auch KI-basierte Lösungen zum Thema Wissensmanagement, das bis heute viele Unternehmen vor große Herausforderungen stellt.«

Rudi Bauer sieht vor allem in der intelligenten Erhebung von Daten eine große Chance für KI: »Je mehr Daten dem Algorithmus zur Verfügung stehen, desto genauer kann sich die Künstliche Intelligenz auf Bedürfnisse der Kandidaten und Unternehmen einstellen. Damit wird sowohl für Unternehmen als auch für Kandidaten das Kennenlernen vor dem Bewerbungsgespräch vereinfacht – weil man schon im Vorfeld all das über das Gegenüber erfahren kann, was einen wirklich interessiert. Und das sind längst nicht mehr nur die ›hard facts‹: Unternehmenskultur, Mitarbeiter und Kollegen, Arbeitszeiten, Verdienstmöglichkeiten oder aktuelle Entwicklungen im Unternehmen interessieren Bewerber oft mehr als eine schnöde Aufzählung der geforderten Qualifikationen. Unternehmen, die diese Informationen automatisiert und zugeschnitten auf die jeweiligen Interessen der Kandidaten anbieten, haben im Wettbewerb um die besten Köpfe die Nase vorn und können ihre Personalplanung optimieren.«
In dem Artikel »KI soll Mitarbeiter auf die Zukunft der Arbeit vorbereiten« aus der Computerwelt vom 29. Oktober 2018 liest man Folgendes: »Dass Automation und KI den Arbeitsplatz verändern werden, wissen sowohl Führungskräfte als auch deren Mitarbeiter. Zugleich zeigen verschiedene IBM-Studien jedoch, dass sich heute nur wenige Unternehmen in der Lage sehen, die damit verbundenen Vorteile tatsächlich zu nutzen:
In den kommenden drei Jahren müssten allein in den zehn größten Industrien weltweit etwa 120 Millionen Angestellte neue Qualifikationen erwerben.
Während zwei Drittel der CEOs glauben, dass KI ihren Unternehmen helfen wird, sind nur 11 % der Personalführung (Chief Human Ressource Manager) davon überzeugt, dass die benötigten Fähigkeiten in den Unternehmen bereits ausreichend vorhanden sind.
82 % der Angestellten glauben, dass KI ein Wettbewerbsvorteil sein kann. Die Hälfte gibt an, dass die Unternehmen auf die Nutzung nicht vorbereitet sind oder die Unternehmenskultur der Einführung im Weg stehen würde.«

Konsequenzen für HR

Was bedeutet das alles denn nun für HR-Manager in Österreich? Wer verliert seinen Job? Wer bleibt? Welche Rolle werden HR-Verantwortliche in Zukunft einnehmen? Welche Gefahren birgt künstliche Intelligenz für HR-Manager?

Rudi Bauer ist optimistisch, dass es Personaler noch länger geben wird: »Während einfache Verwaltungsaufgaben und standardisierte Prozesse sicher verstärkt von Künstlicher Intelligenz übernommen werden, wird es ohne Personalexperten aus Fleisch und Blut auch in Zukunft nicht gehen. Gerade im Recruiting braucht es den menschlichen Faktor und ein gutes Gespür für Situationen: Etwa, wenn ein Kandidat im Vorstellungsgespräch besonders nervös ist oder nur durch auswendig gelernte Antworten beeindrucken möchte. Schlussendlich betrifft die Entscheidung für oder gegen einen Bewerber mehrere Menschenleben – und die sollte man daher nicht einfach einem Algorithmus überlassen.«

Reinhard Guggenberger: »Digitalisierung und erst recht KI stecken noch in den Kinderschuhen, sodass ich nicht glaube, dass HR-Manager sich unmittelbar Sorgen um ihren Job machen müssen. Wie bei jeder technischen Revolution wird es für diejenigen schwierig, die sich dem Thema verschließen, oder es ignorieren. Ich sehe Chancen für HR-Manager, was ich auch in meinem Seminar bei der ARS zu dem Thema vermittle: Expertise in diesen Bereichen aufzubauen, Erstens, bei der transparenten Einführung von KI-Systemen im Unternehmen, zweitens im Bereich der operativen und ethischen Entscheidung, welche Datenquellen zugelassen werden und außerdem in der Beratung von Management und Mitarbeitern, wie die KI-Daten zu verstehen und anzuwenden sind. Risiken bestehen immer dort, wo KI nicht als Werkzeug verstanden und eingesetzt wird, sondern als ›Entscheidungsträger‹. Wir dürfen aber ob all der Begeisterung der neuen Möglichkeiten nicht vergessen, dass KI-Systeme nie besser sind, als die Daten die ihnen zur Verfügung stehen. Die Entscheidung, wie die Daten zu verwenden sind, trifft immer noch der Mensch.«

KI im Recruiting

Künstliche Intelligenz kann bereits heute den Recruitern bei der Suche nach den richtigen Kandidaten für eine ausgeschriebene Stelle helfen. Die KI berechnet selbstständig den Personalbedarf und schreibt die passende Stelle auf den richtigen Plattformen für die passende Zielgruppe selbstständig aus. Dass das großartig funktioniert, zeigen Beispiele aus dem »Roboter-Journalismus«. KI-Systeme schreiben bereits heute Spielberichte zu Fußballspielen, die von den Besuchern entsprechender Websites häufiger angeklickt werden als die von menschlichen Journalisten verfassten Berichte.

»Das klassische Stelleninserat hat ausgedient«, skizziert Rudi Bauer die Zukunft des Recruitings. »Eine bloße Aufzählung von Qualifikationsanforderungen und lange Listen an Tätigkeitsbeschreibungen lockt keine Kandidaten mehr hinter dem Ofen hervor. Vielmehr wollen Bewerber wissen, wie es sich anfühlt, für einen Arbeitgeber zu arbeiten: Was passiert hinter den Kulissen, wie wird zusammengearbeitet, kommuniziert und gelebt? Eine moderne Jobanzeige muss Antwort auf all diese Fragen bieten – und zwar zugeschnitten auf die individuellen Interessen der Bewerber. Diese Darstellung ist keine Vision, sondern längst Realität: Bei Stepstone etwa passt ein Algorithmus Jobanzeigen an das jeweilige Suchverhalten von Bewerbern an und hebt diejenigen Elemente einer Stellenanzeige hervor, die den Kandidaten besonders interessieren. Das kann eine Gehaltsangabe sein, aber auch Informationen dazu, wie einfach man mit dem Fahrrad in die Arbeit kommt, oder ob es in der Kantine auch veganes Mittagessen gibt.«

Konkrete Lösungen

Abschließend stellen wir noch einige Unternehmen bzw. deren Tools vor, die unsere Leser vielleicht noch nicht kennen.
Das Start-up »Textio« aus den USA bietet für automatisierte Stellenausschreibungen eine »augmented writing«-Software an, die monatlich bis zu zehn Millionen Stellenausschreibungen analysiert und bewertet und mit Hilfe eines Algorithmus die Performance der Stellenanzeigen vorhersagt. Während der HR-Verantwortliche eine Stellenanzeige verfasst, macht die Software Vorschläge zur Verbesserung. Noch gibt es die Software nur für englischsprachige Ausschreibungen. Auf www.textio.com kann das Produkt kostenlos getestet werden.

Die Erstansprache von Kandidaten kann bereits heute von Chatbots übernommen werden. Der Chatbot Mya ist hierfür ein Beispiel. Der Hersteller verspricht eine qualifizierte Kommunikation mit Kandidaten, um für diesen den künftigen Job zu finden. Unter Mya.com können Personalisten eine Demo-Unterhaltung führen. Ebenfalls nur in englischer Sprache.

Spannend ist auch das Startup »Eightfold.ai«. Es will das Bild einer idealen Belegschaft erstellen, das auf öffentlich verfügbaren Daten aus der ganzen Welt basiert. Dieses Bild eines idealen Unternehmens wird dann über die aktuelle Belegschaft gelegt. So soll herausgefunden werden, welche Mitarbeiter fortgebildet und für welche Stellen nach neuen Mitarbeitern gesucht werden müsste.

Die Firma Precire bietet eine Software an, die sprachliche und schriftliche Kommunikation von z. B. Bewerbern analysiert und daraus objektive psychologische Schlüsse zieht. Sie bietet somit eine Hilfe für Bewerbungsgespräche.

Fazit
Um Künstliche Intelligenz werden auch HR-Manager nicht herum kommen, auch wenn deren Einsatz derzeit noch häufig auf Ablehnung stößt. So war das auch einmal bei Computern. Personalisten sollten bei dem Thema dranbleiben und Konferenzen dazu besuchen, Artikel lesen und mit Herstellern über konkrete Möglichkeiten für ihr Unternehmen sprechen.

Schreiben Sie einen Kommentar!


*

KI_AI

 

Seminartipps:

Arbeitswelt 4.0 – Voraussetzungen, Planung und Umsetzung digitaler HR-Prozesse
Wann & Wo: 21. bis 22. Oktober 2019 in Wien
www.ars.at/article/arbeitswelt-40/21664/HR982102

 

Artificial Intelligence im Unternehmenseinsatz
Wann & Wo: 4. Juni 2019 in Wien
www.controller-institut.at