Das Gehen ist völlig unterschätzt. Wie wichtig es nicht nur für den Körper, sondern vor allem auch für das Hirn ist, täglich viele Schritte zu gehen, lernt man in diesem Vortrag.
Katharina Turecek wird zu Beginn ganz kurz vom Veranstalter (Österreichische Gesellschaft vom Goldenen Kreuz) als Rednerin, Medizinerin, Kognitionswissenschafterin und Buchautorin vorgestellt, und schon geht es los: Sie begrüßt das Publikum, erzählt mit einem Augenzwinkern, dass ihr Mann an ihrem guten Gedächtnis leide und beginnt dann gleich mit der ersten Fitnessübung: Wir sollen mit dem Daumen verschiedene Finger berühren, dann mit beiden Händen gleichzeitig, aber jeweils andere Finger. Das ist schwieriger als gedacht. Das Publikum hat seinen Spaß damit. Sofort ergänzt sie die lustige Übung mit einer ernsten Aussage: Bewegung ist für die Gesundheit des Gehirns ganz wesentlich. Sie spricht von unmittelbaren und langfristigen positiven Effekten der Bewegung und entführt uns so in die sehr spannende Welt des Gehirns. Zur Unterstützung und Veranschaulichung hat sie ein Modell eines menschlichen Hirns mitgebracht.
Für erlernte Fähigkeiten und Fertigkeiten gilt: Use it or lose it! Und schon ruft sie zur nächsten Übung auf, »Gehirnjogging für zwischendurch« nennt sie es: Wir sollen mit unseren Sitznachbarn Synonyme für »gehen« suchen. Das Publikum ist sofort bei der Sache, manche nehmen es sportlich und zählen, wie viele Synonyme ihnen einfallen.
Im genau richtigen Moment fängt Katharina Turecek ihre Zuhörer wieder ein: »Wenn ich immer nur ›gehen‹ sage, werde ich die anderen Begriffe verlieren.« Es geht (!) aber nicht nur um die Fertigkeiten, sondern auch um die Struktur selbst. Während sie das Hirn-Modell in der Hand hält und dort die Position des Hippocampus zeigt, erscheint hinter ihr auf der Projektionsfläche eine hervorragend gestaltete Animation des Hippocampus. Dieser ist nicht nur für unsere Erinnerungsleistung verantwortlich, sondern auch für unsere räumliche Orientierung. Er ist sensibel, und gerade für ihn gilt: Use it or lose it! Wenn wir den Hippocampus nicht nützen, dann schrumpft er schneller. Er schrumpft in etwa um 1 % jährlich. Eine eingeblendete Grafik zeigt, dass das vor allem ab dem 30. bis 35. Lebensjahr passiert. Katharina Turecek erläutert, dass diese Kurve umso flacher abfällt, je länger man aktiv lernt, also z. B. je länger die aktive Schul- und Uni-Karriere ist.
Apropos Grafik: Die visuelle Unterstützung der Inhalte ist ausgezeichnet: Bewegtbilder, Fotos, Charts, alles dabei und wie aus einem Guss. Bei den einzelnen Elementen sind stets die Quellen angeführt. Das sieht man in dieser Qualität (leider) nur sehr selten.
Neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft erzählt die Vortragende mit großer Leidenschaft und leicht verständlich: Auch beim Erwachsenen wachsen Nervenzellen im Gehirn nach, aber nur im Hippocampus. Das passiert allerdings nicht von selbst, das muss ausgelöst werden. Auch wenn man kein Gedächtnistraining macht, schneidet man bei Gedächtnistests besser ab, wenn man viel spazieren geht. Wer die Frequenz seiner Spaziergänge steigert, kann dafür sorgen, dass der Hippocampus wächst statt schrumpft. Interessanter Weise zeigen Studien diese positiven Effekte auch dann, wenn man am Laufband geht, also fürs Gehirn kaum Eindrücke zu verarbeiten sind.
Die verschiedenen Inhaltsfäden, die Katharina Turecek im Laufe ihres Vortrags ausgelegt hat, laufen gegen Ende alle zusammen und münden in einen kraftvollen Appell, mehr Gehen in den Alltag zu bringen – weil das sehr gut für unsere Gesundheit und vor allem für unser Gehirn ist, wesentlich besser als »die Pulver und Tabletten, die uns die Apotheken verkaufen wollen«.
Es braucht aber nicht nur körperliche, sondern auch geistige Bewegung, wir müssen den neuen Nervenzellen auch eine Funktion geben. Die Gesundheit des Gehirns ist eine ganzheitliche Sache!
Immer wieder bringt sie mit gut gesetzten und auf das Publikum abgestimmten Pointen ebendieses zum Lachen. Am Ende des einstündigen Vortrags gibt sie ihren Zuhörern ganz konkrete Übungen für den Alltag mit. Ich verlasse den Saal gut gelaunt und hoch motiviert, ab jetzt mehr zu Fuß zu gehen. Schade, dass mein Auto um die Ecke geparkt ist.
