Damit Lernen wirklich stattfindet

Vertreter von Seminarhotels und Veranstaltungsräumen buhlen um Seminargäste. Die meisten investieren regelmäßig, um eine optimale Lernumgebung zu schaffen. Was wirklich wichtig ist, um ein Seminar optimal stattfinden zu lassen, erfahren Sie in diesem Artikel.

Der Seminarraum ist klein, und gar nicht fein. Eng, dunkel, finster. Licht kommt von zwei Lampen. Tageslicht gibt es keines. Er befindet sich neben der Pool-Landschaft und der Kinderbetreuung. Die Tische schauen befremdlich aus. Kleiner, schmäler als üblich. Der ob dieser Räumlichkeiten etwas irritierte Trainer kommt allerdings nicht dazu, auf dieses Problem zu reagieren, denn er erkennt gerade eine andere Widrigkeit: Der Beamer steht mitten im Raum, die Kabel sind mit Klebebändern am Boden festgemacht. »Wie oft werde ich da wohl drüber stolpern?«, überlegt er. Kaum schiebt er diesen Umstand beiseite, bemerkt er, dass er in einem familienfreundlichen Hotel sein Business-Seminar halten wird. Der unmittelbar benachbarte Wellnessbereich ist schön voll. Kleine Kinder spazieren munter vorbei, die Eltern sind auch lustige Menschen. Gummischwimmtiere und Chlorgeruch markieren den Weg zum Seminarraum.

Diese hier fiktive Situation kommt leider öfters vor als man glauben möchte und ist nicht so stark übertrieben, wie sie beim Lesen zu sein scheint. In unserer Redaktion klagen regelmäßig Teilnehmer und Trainer über ihr Leid in und mit Seminarhotels. Kaum ist der Raum gebucht, ist der Kunde anscheinend nicht mehr viel wert.
Ein zweitägiges firmeninternes Seminar, das für 15 Teilnehmer konzipiert ist, kostet ein Unternehmen rund 15.000,– bis 20.000,– €, wenn wir Personalkosten, Trainerhonorare, Hotel und auch die Reisespesen berücksichtigen. Der Seminarraum, bzw. das Hotel macht zwar einen eher geringen finanziellen Betrag aus, hat aber einen überaus hohen Einfluss auf die Zufriedenheit und den Lernerfolg der Teilnehmer. Die Personalkosten machen dabei den größten Anteil aus. Und an dieser Schraube kann  kaum gedreht werden. Natürlich bemühen sich Unternehmen, den Preis für das Hotel so nieder wie möglich zu halten. Verständlich, nur bewahrheitet sich auch hier der Spruch: »Wer billig kauft, kauft teuer.« Ein Seminar ist Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern. Wenn beim Hotel allerdings merkbar gespart wird, vermittelt das leider ein völlig anderes Signal.

Es gibt wesentliche Punkte, worauf Trainer, Seminarveranstalter bzw. Unternehmen achten müssen, wenn sie ein Seminarhotel buchen. TRAiNiNG hat mit zwei Hoteliers aus der Branche gesprochen und gefragt, welche unmittelbaren Umstände das Gelingen eines Seminares beeinflussen.
Roland Hirtenfelder (Gastgeber des mit fünf Flipcharts ausgezeichneten Seminar- & Eventhotels Krainerhütte): »Eine auf Seminare abgestimmte Infrastruktur ist unerlässlich, um einen reibungslosen Ablauf ebensolcher Veranstaltungen zu ermöglichen. Das beginnt bei der flexiblen Ausstattung der Seminarräume und endet bei den Abläufen im Haus, z. B. in der Kulinarik oder beim Check-in. All das hat so effizient und gleichermaßen angenehm wie möglich zu erfolgen, denn die Zeit während des Seminars ist begrenzt und soll bestmöglich genutzt werden können.«
Durch die notwendige Spezialisierung auf Seminargäste ist eine Situation, wie in der Einleitung dargestellt, hoffentlich nicht mehr möglich, weil heutzutage untragbar.
Bei dem Medium »Tagen in Österreich» (www.tagen.at) werden durch ein Klassifizierungsverfahren Flipcharts vergeben, (ähnlich der Sterne-Bewertung der Restaurants). Im besten Fall sind es 5 Flipcharts, die ein Hotel auszeichnen.
So erkennen Buchende auf einen Blick, wie die Hotels ausgestattet sind und wo die Schwerpunkte liegen.

Ulli Retter (Geschäftsführerin des mit 5 Flipcharts ausgezeichneten RETTER Seminar Hotel Bio Restaurant): »Auftraggeber sollten überlegen, was sie konkret mit dem Seminar erreichen möchten. Will man z. B. Nachhaltigkeit und Natürlichkeit vorleben, ist es sinnvoll, ein natürliches Bio-Hotel zu wählen. Will man Stil und Hype leben, dann darf es auch ein Designer­hotel sein. Ist es ein ›normales‹ Meeting, sachlich, formell, dann tut es eben auch ein ganz ›normales‹ Hotel.«

Ein Seminarhotel sollte eine Umgebung bieten, in der die Teilnehmer den Kopf frei bekommen vom Alltagsstress und nach dem Seminar bleiben möchten. Fehlende, aber normale Selbstverständlichkeiten, die auch erwartet werden, lösen starke Unzufriedenheit aus. Ergonomische Stühle beispielsweise, auf denen es sich locker 2 Tage sitzen lässt. Stühle sind dann gut, wenn sie nicht auffallen, wenn der Teilnehmer sie gar nicht bemerkt. Wenn er sich jedoch häufig umsetzt, unruhig ist, und irgendwie das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt, könnten es die Stühle sein. Oder der Tisch. Oder die Luft.
Apropos Luft: Frischluft und Tageslicht schenken Energie – und die brauchen Seminarteilnehmer. Wie oft erleben wir es, dass sich Fenster in Meetingräumen nicht öffnen lassen, sofern es überhaupt welche gibt? Die Klimaanlage ist überfordert, die Luft verbraucht sich rasch. Die Motivation, etwas zu lernen, auch. Es gibt für die Effizienz von Seminarräumen zwar keine Studien, aber vergleichbar sind Ergebnisse von Studien über den Einfluss der Luftqualität auf die Leistung von Schülern. Hier gibt es zahlreiche Publikationen, die in den letzten Jahren Empfehlungen hinsichtlich einer fördernden Belüftungsstrategie ausgesprochen haben. Es gilt als nachgewiesen, dass eine gute Raumluftqualität und ein behagliches Lernumfeld das Lernverhalten und den Lernerfolg von Schülern beeinflussen. Das wird auch unter Erwachsenen vermutlich genauso sein.

Natürlich muss das gastronomische Angebot stimmen. Wer kennt sie nicht, die Aktivierungsübungen nach der Mittagspause, die angeblich über das Suppenkoma helfen sollen? (Der Name »Suppenkoma« ist übrigens unpassend, denn Suppen sind an sich gut, um geistig fit zu bleiben. »Schnitzelkoma« wäre hier passender.)
Meist sind es körperliche Übungen, die die Teilnehmer nerven. Man springt 5 Minuten wie gestört umher, (hoffentlich wird man nicht beobachtet) und schon ist man wieder aufnahmebereit – so die Erklärung der Trainer. Es finden sich dazu auch keine Untersuchungsergebnisse, ob dadurch tatsächlich die geistige Aktivität erhöht wurde oder nur die zwischenmenschliche Peinlichkeit. Anders ist es bei kurzen Powernaps nach dem Essen oder längeren Spaziergängen, die zeigen erwiesenermaßen Wirkung.
Einfacher wäre es, die Ursache des Suppen-, Pardon, Schnitzelkomas zu beheben. Also weg mit dem Schweinsbraten, dem Schnitzerl oder den Spaghetti Bolognese, hin zu einem energetisch wertvollen Essen aus biologischen Zutaten.
Ulli Retter: »Das gesamte Küchen- und Getränkeangebot soll auf Seminare abgestimmt sein – und ganz wichtig – die Zeitabläufe müssen eingehalten werden. Denn niemand möchte in der Mittagspause lange auf sein Essen warten.«

Der Einfluss auf den Lernerfolg

Lernräume verändern sich in Konzeption und Gestaltung. Belüftung, Beleuchtung, Farben, Stühle, Tische, Technik und vieles mehr sind in einem guten Seminarraum durchdacht und nicht dem Zufall überlassen. Es gibt auch Untersuchungen, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Beleuchtung, Raumfarbe, Akustik etc. und Lerneffekt nachweisen. Viel zu wenige Anbieter von Lernräumen denken darüber nach bzw. suchen sich dazu einen Experten. Viele Räume sind noch auf die »alte« Art des Lernens ausgerichtet, also Frontalvorträge.
Vor einiger Zeit war ich bei einem Seminar, bei dem es keine Tische im Raum gab. Die Stühle standen wahllos im Raum. Es gab rund 50 Teilnehmer, der Trainer war nicht im Raum. Die langsam eintreffenden Teilnehmer setzten sich etwas verwirrt. Jedoch – automatisch bildete sich ein »Vorne« . Alle Teilnehmer blickten in dieselbe Richtung, von der die Mehrheit annahm, dass hier  vorne sein müsse. Der Trainer hatte hier ganz bewusst eine chaotische Bestuhlung gewählt, um unter anderem Konditionierung sichtbar zu machen und um die Kreativität zu fördern. Quod erat demonstrandum: Es muss nicht immer die klassische Lernumgebung (wie Sesselkreis, Kino etc.) sein.

Roland Hirtenfelder sagt über den Zusammenhang zwischen der Lernumgebung und dem Lernerfolg: »Seminarteilnehmer brauchen eine sichere Umgebung, in der sie sich gut aufgehoben fühlen und den Alltag ein Stück weit beiseite schieben können. Dadurch fällt es ihnen leicht, Vertrauen zu schenken und sich auf Neues einzulassen. Und erst dann gelingt es, auch schwierige Themen anzusprechen und komplexe Sachverhalte zu erörtern. Das Gesamtpaket aus Seminarinfrastruktur, Hotelambiente, Kulinarik sowie persönlicher Betreuung muss stimmen und natürlich auch flexibel an die Trainerbedürfnisse angepasst werden.«
Auch Ulli Retter ist vom Einfluss eines Seminarhotels überzeugt: »Ein Seminarhotel bietet Tapetenwechsel zum Arbeitsalltag und kann ein wertvoller Beitrag zur Wertschätzung der Mitarbeiter sein. Das Hotel sollte auch weit genug vom Unternehmen entfernt sein, damit nicht einige Teilnehmer nach Hause fahren. Es sollte nichts an den Arbeitsalltag erinnern.«

Seminarhotel und Thema

Trainer und Unternehmen haben meistens ihre Lieblingshotels, die sie für alle Seminare buchen, egal welches Thema. Von dem Verkaufstraining über das Persönlichkeitsseminar hin zu Fachschulungen finden alle im gleichen Seminarhotel ums Eck statt. Das hat Vorteile: Jeder kennt sich aus, die Preise sind vorab definiert und vermutlich gut verhandelbar, wenn ein gewisses jährliches Kontingent gebucht wird. Es spricht sich im Unternehmen herum, und im Optimalfall mögen es die Teilnehmer und freuen sich schon richtig darauf. Eine gewohnte Lernumgebung bringt weniger Unsicherheit mit sich, und die Teilnehmer können sich voll auf das Seminar konzentrieren. Doch es hat auch Nachteile. Wie oben schon erwähnt, ist nicht jedes Hotel für jedes Thema geeignet. Natürlich abgesehen von Outdoor-Möglichkeiten, die bei Bedarf entsprechend vorhanden sein müssen, gibt es noch weitere Faktoren.

Ulli Retter weiß darüber gut Bescheid: »Je nach Seminarthema soll die Größe des Seminarraumes passen und es müssen eventuell ausreichend Gruppenräume für Breakout-Sessions vorhanden sein. Natürlich ergibt es Sinn, Theorie gleich in der Praxis zu erleben. Was nützt mir das tollste Teamseminar in einer unterkühlten Atmosphäre eines riesigen Hotels. Es muss und soll immer menscheln.«

Roland Hirtenfelder: »Es ist weniger eine Frage des Trainingsthemas, sondern vielmehr eine Frage der Herangehensweise des Trainers an das Thema. Welche Übungen sind geplant, um das Thema zu bearbeiten? Welche Rahmenprogramme sind erwünscht, um Erlerntes emotional zu festigen? Seminarhotels, die flexibel auf die Bedürfnisse von Seminarveranstaltern und Trainern reagieren, können für fast jedes Thema hervorragende Rahmenbedingungen schaffen – zumindest wenn sie der grundsätzlichen Ausrichtung des Seminars entsprechen. Sind etwa Ruhe und Rückzug für Reflexion nötig, wird ein Seminar in der Wiener Innenstadt nur bedingt funktionieren. Und natürlich gilt: Je spezieller die Wünsche, desto gezielter muss man das Hotel auswählen.«

Bei der Hotelauswahl ist den Teilnehmern vor allem eine Frage besonders wichtig: Gibt es genügend Zimmer in der gleichen Kategorie? Schnell fühlt sich jemand benachteiligt, wenn er ein kleineres Zimmer bekommen hat.

Roland Hirtenfelder: »Für Seminarteilnehmer ist die Zeit im Seminarhotel eine willkommene Abwechslung vom meist hektischen Alltag. Sie legen daher großen Wert auf komfortable Zimmer, hochwertige Kulinarik und perfekten Service – also auf die klassischen Hotelleistungen. Sie setzen hier ein stimmiges Gesamtpaket als Grundlage für das Wohlfühlen voraus. Doch damit alleine lässt sich das Erlernte nicht langfristig festigen. Vielmehr bedarf es gemeinsamer Erlebnisse, wie etwa Lagerfeuer, Kochkurs, Picknick etc. Von solchen Aktivitäten zeigen sich die Seminarteilnehmer meist begeistert.«

Ulli Retter kennt noch weitere Details, auf die Seminargäste Wert legen: »Natürlich die Klassiker wie Sauberkeit, einen ruhigen Schlaf, vielfältiges Essen, das Energie gibt. Aber auch auf persönliche Erlebnisse und Begegnungen mit den Hotelmitarbeitern legen Gäste Wert. Ein Seminarhotel soll einen Tapetenwechsel zum normalen Arbeitsumfeld bieten, gut klimatisiert bzw. temperiert sein und ein perfektes Service bieten. Ein Wellnessbereich, Sportmöglichkeiten in der freien Natur zum Ausgleich oder ein 24 Stunden geöffnetes Fitnesscenter sind zusätzliche Benefits, die von Teilnehmern gerne genutzt werden.«

Fazit
Beim Hotel zu sparen, bringt zahlreiche Nachteile. Die Teilnehmer fühlen sich weniger wertgeschätzt und der Lernerfolg kann unter schlechten Bedingungen nicht stattfinden. Achten Sie auf die mit Flipcharts zertifizierten Betriebe. Hier ist ganz klar, dass der Seminargast im Vordergrund steht, und das Hotel mit entsprechenden Gruppen umgehen kann und die Prozesse funktionieren.
Andererseits ist ein Seminarhotel ja kein Urlaubshotel. Der Hotelier muss daher den Spagat schaffen zwischen Wohlfühlambiente und professioneller Seminarumgebung. Und dass das einfach ist, hat niemand behauptet. Aber – etlichen Hotels gelingt das seit vielen Jahren. Und diese Häuser muss man nur finden. Sei dies durch Gespräche mit anderen aus der Branche, oder sei dies durch das erwähnte Medium Tagen in Österreich.

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