»Avatare trocknen keine Tränen«

Coaching ist ein sehr persönliches Gespräch. Der Coach achtet dabei viel auf nonverbale Signale und auf Botschaften, die zwischen den gesprochenen Worten mitschwingen. Ist digitales Coaching trotzdem eine Alternative? TRAiNiNG hat darüber mit erfahrenen Coaches gesprochen.

Vor einiger Zeit erzählte ein Redner und Coach bei einem Vortrag über Digitalisierung von den ersten Versuchen eines Coaching-Chatbots. Ein Anbieter meinte, er hätte einen ersten Prototypen entwickelt und möchte ihn gerne von einem professionellem Coach testen lassen. Der Coach stellte dem Chatbot eine einfache Frage: »Ich habe Hunger, was soll ich tun?« Der Roboter antwortete: »Versuch einmal, dich auf etwas Positiveres zu konzentrieren und nicht im Problem verhaftet zu bleiben!«

Egal, ob das eine wahre Geschichte ist, sie ist recht passend für den aktuellen Stand von Coaching-Chatbots, zumindest im deutschsprachigen Raum. Ein Chatbot wird wohl in den nächsten Jahren kein Coach werden, aber er kann vermutlich Coaching-ähnliche-Gespräche führen und passende Fragen stellen. Interessante Fakten über KI (Künstliche Intelligenz) im Coaching lesen Sie im Artikel »Coaching-Session mit dem Roboter?« in TRAiNiNG 3/19.

Derzeit bleibt es wohl ein »menschliches Business«. Aber das muss nicht heißen, dass man sich wirklich physisch treffen muss. Digitales Coaching zeichnet sich ab. Darunter versteht man einen Begleitprozess, der sich für die Kommunikation zwischen Coach und Klient digitaler Medien bedient. Von E-Mail, Telefon, Chatrooms, Videokonferenzsystemen, virtuellen Meetingräumen (VR), Smartphone-Apps bis hin zu 3D-Avatar-Animationen ist hier alles möglich. Mit weitem Abstand jedoch ist das klassische Coaching-Setting – von Mensch zu Mensch – immer noch am beliebtesten, trotz aller Vorteile, die virtuelles Coaching bieten kann (siehe Kasten am Ende des Artikels).

Veronika Aumaier (Eigentümerin Aumaier Coaching Consulting GmbH): »Unserer Erfahrung nach wird Online-Coaching im Führungskräftebereich in Österreich so gut wie nicht nachgefragt. Möglicherweise auch, weil Präsenzcoaching gegenüber dem digitalen Coaching so eklatant stärker wirkt. Ich glaube, dass es in der derzeit praktizierten Art als Ergänzung in Frage kommt, nicht aber als Ersatz. Im Führungskräftecoaching findet derzeit eher eine nach Zielgruppen differenzierte Präsenzcoaching-Entwicklung statt: Sparring für Topmanager in Form halbjährlicher, kompakter Präsenz-Coachingeinheiten über zwei und mehr Tage, die manchmal mit Telefonie und einzelnen Coachingstunden ergänzt werden. Regelmäßige, monatliche Präsenzcoachingeinheiten für das Mittelmanagement, insbesondere auch im ersten Jahr als Onboarding-Setting. Wir können uns derzeit nicht vorstellen, das dies durch digitales Coaching zukünftig auch nur annähernd abgelöst wird.«

Auch Dagmar Grafeneder (Managing Partner und Gesellschafterin bei KICK OFF) ist ähnlicher Meinung: »Unserer Einschätzung nach ist das digitale Coaching in Österreich noch recht wenig etabliert, besonders wenn es darum geht, mit speziellen Tools zu arbeiten. Deren Installierung kostet Zeit und Geld und der Coach muss gut mit diesen Tools umgehen können. Sofern digitales Coaching heute überhaupt angewendet wird, sind es am häufigsten wohl Kombinationen aus Präsenzcoachings und digitalen Kontakten wie Telefonaten, Videocalls, Chatrooms, textbasierten Kontakten etc. Je mehr jedoch die Generationen der Digital Natives auf den Arbeitsmarkt drängen werden, umso mehr werden sich auch die Methoden im Coaching verändern.«

Coaching kann sich, was die Wirksamkeit betrifft, ein wenig der Erfahrung aus der Psychotherapie bedienen. Im Artikel »E-Coaching – Neuland, das es sich zu betreten lohnt?« im Coaching-Magazin 3/2017 schreiben die Autorinnen Folgendes: »Die Forschung zu E-Psychotherapie liefert erste Hinweise, wurden hier doch bereits früh erste Schritte in die computervermittelte Auslagerung der therapeutischen Praxis gewagt. Empirische Befunde lassen dabei ein Potenzial der computer- und internetbasierten Therapie erkennen. Diese erzielt beispielsweise bei der Behandlung von Depressionen Erfolge, die mit der klassischen Psychotherapie via Face-to-Face-Kommunikation durchaus vergleichbar sind. Zahlreiche weitere Studien bekräftigen diese Befundlage.«
Der Erfolg hängt jedoch von einem wesentlichen Faktor ab, nämlich davon, ob und wie oft sich der Therapeut mit dem Klienten tatsächlich physisch trifft. Je regelmäßiger auch ein echter Kontakt ergänzend stattfindet, umso besser die Therapieergebnisse. Die Autoren fassen ihre Recherche zusammen: »Unter bestimmten Bedingungen kann E-Psychotherapie ebenso gut funktionieren wie die klassische.«

Birgit Fischer-Sitzwohl (Geschäftsführerin Coverdale) sieht genau diesen Faktor auch bei Coaching-Sitzungen als erfolgsrelevant an: »Aus heutiger Sicht glaube ich, dass es zum Start einer Coaching-Beziehung zumindest auch einen persönlichen Kontakt geben sollte. Viele Coachings entstehen aus vorherigen Trainings- oder Beratungssituationen. Wenn eine Coachingbeziehung erst einmal etabliert ist, ist ein Telefon-Coaching oft eine schnelle Möglichkeit, zu Tagesrandzeiten ein akutes Thema zu besprechen. Das wird zumindest von unseren Kunden gerne angenommen. Für österreichische Expats ist Videotelefonie zum Beispiel mit Online-Tools wie einem elektronischen Systembrett oft der einzige Weg, eine Coaching Beziehung aufrecht zu erhalten, bzw. sich regelmäßig mit einem Coach als Sparring-Partner auszutauschen.«

Zukunft im Coaching

Niemand weiß, wie die Zukunft konkret aussehen wird. Wenn wir jedoch den Digitalisierungstrend beachten, müssen wir davon ausgehen, dass auch digitales Coaching im weitesten Sinne wachsen und professionalisiert wird.

Veronika Aumaier: »Eventuell wird Human Resources zukünftig im breiten Mitarbeiterumfeld digitales Coaching anbieten. Dies ist möglicherweise eher budgetmotiviert. Inhaltlich tendiert das eher zu ›Rat auf Draht‹, was mehr einem Beratungsansatz als einem Coachingansatz entspricht. In konkreten Situationen ist dies im Mitarbeiterbereich dennoch zielführend. Speziell für Lebenskrisen und Stresssituationen wird dies ja auch heute schon erfolgreich angeboten und in Anspruch genommen.«

Jüngere Generationen haben andere Erwartungen bzw. sind anders aufgewachsen, als die Top-Führungskräfte der Generation X.
Dagmar Grafeneder über den Generationenwandel und die Auswirkungen auf Coaching: »Generation Z ist bereits in einer völlig anderen Realität aufgewachsen wie die Generation X. Damit gehen auch unterschiedliche Fertigkeiten sowie Lernmethoden einher. Coachingmethoden sollten sich daher soweit mitverändern, dass sie bei den zukünftigen Klienten anschlussfähig bleiben. Je nach Themenstellung wird die digitale Begleitung einmal sehr gut bzw. auch etwas weniger passend sein. Für eine Generation, die es gewohnt ist, sich in virtuellen Räumen zum Spielen zu treffen, oder mit dem Freund in Amerika zu skypen, ist es auch völlig selbstverständlich, sich mit einem Coach digital auszutauschen. Sofern das Verständnis und die emotionale Unterstützung durch den Coach über die digitalen Medien transportiert werden können, ist eine virtuelle Begleitung durchaus denkbar. Sind Coach und Coachee in guter Verbindung, beide für digitale Methoden prinzipiell offen und ist das Thema passend, ist gegen digitales Coaching nichts einzuwenden und es ist sicherlich der Trend der Zukunft.«

Coaching-Themen

Welche Themen eignen sich nun für digitale Formen des Coachings und welche weniger? Typische Coaching-Themen sind Burn-out, Work-Life-Balance, Führungsthemen, persönliche Karrierewege, Konflikte, Strategie- und Organisationsthemen, Gesundheitspräventionsthemen und einiges mehr. Was sagen die Expertinnen?

Birgit Fischer-Sitzwohl: »Bei klassischem Coaching glaube ich, dass es möglich sein wird, ebenso bei Anwendungsberatung. Immer dann, wenn das Thema ›Körper‹ keine große Rolle spielt, funktioniert digitales Coaching. Für mich gibt es da eher keine thematische Beschränkung – solange es sich um ›Coachingthemen‹ handelt und zwischen Coach und Coachee eine Vertrauensbasis herrscht, bzw. beide Seiten mit elektronischen Medien gut umgehen können.«

Dagmar Grafeneder: »Coachingarbeit kann auf drei Ebenen durchgeführt werden. Auf der ersten Ebene werden Themen aus dem Management reflektiert und bearbeitet. In diesem Bereich sind digitale Methoden wie Telefonate, textbasierte Varianten oder auch Skype-Gespräche sehr gut anzuwenden. Die Effektivität ist durchaus mit Präsenzcoaching vergleichbar.
Auf der zweiten Coaching-Ebene, wo es um Verhaltensänderungen oder um intra- bzw. interpersonale Konflikte geht, ist digitales Coaching ebenfalls anwendbar, sofern der Coach sehr gut zuhören kann. Da durch digitale Medien viele körpersprachliche Reaktionen wegfallen, muss der Coach emotionale Befindlichkeiten sehr genau erfragen und passende Tools für Visualisierungen oder Aufstellungsarbeit anbieten können. Auf der dritten Ebene des Coachings arbeiten wir mit Musterunterbrechungen. Für diese Art der Arbeit ist digitales Coaching unseres Erachtens nach kaum geeignet. Hier ist der persönliche Kontakt unverzichtbar. Es braucht den unmittelbaren, ungefilterten Kontakt mit dem Coachee, um als Coach spontan und feinfühlig reagieren zu können.«

Coaching mit der VR-Brille

Die Anwendung von VR-Brillen (Virtual Reality) ist tatsächlich auch in Österreich schon ein Thema, der Markt wächst. Hier müssen zwei Varianten unterschieden werden.

Variante 1:
Bei einem Coachinggespräch mit VR-Brille sitzen Coach und Coachee wie gewohnt physisch beieinander. Der Unterschied ist jedoch, dass der Coach dem Klienten immer wieder die Brille aufsetzt und ihm verschiedene Szenen vorspielt und diese danach mit ihm reflektiert. Ein konkretes Anwendungsbeispiel dazu lesen Sie im Artikel » Der Trainer aus der Brille« in TRAiNiNG 8/18.

Variante 2:
Variante zwei ist, dass man sich virtuell gegenüber sitzt, aber physisch doch ganz woanders auf der Welt ist.

Dagmar Grafeneder über diese beiden Anwendungsmöglichkeiten und deren Vorteile: »Die VR-Brille ist für das Coaching ein sehr spannendes Tool. Einerseits ist die Brille eine Methode, um einander virtuell gegenüber zu sitzen. In diesem Sinne ist sie vergleichbar mit Videotelefonie oder ähnlichem. Hierbei gilt wie für all diese Tools die Herausforderung, eine vertrauensvolle, tragfähige Coach-Coachee Beziehung aufzubauen. Da für die Gestaltung nicht alle Sinne zur Verfügung stehen, ist es durch den Coach nötig, viel genauer und konkreter Feedback über den emotionalen Zustand des Coachees zu erfragen, da die körpersprachlichen Reaktionen nur bedingt wahrgenommen werden können. Videobilder und Avatare trocknen keine Tränen …
Auch in einem anderen Sinne ist die VR-Brille jedoch interessant. Sie wird zurzeit als ›Wunderwaffe‹ beim Einsatz gegen Stress und für Burn-out-Prophylaxe angepriesen. Innere Bilder bestimmen unser Leben. Wer hat nicht schon bei traurigen Filmen geweint oder bei einem Thriller mitgefiebert? Daher werden in Zukunft Coaches, Psychotherapeuten und Mentaltrainer, die auch heute schon mit der Wirkkraft der inneren Bilder arbeiten, den Einsatz von VR-Brillen nutzen. Die Arbeit mit inneren Bildern kann sehr rasch zu positiven Veränderungen führen.«

Veronika Aumaier: »Wir warten sehr gespannt auf den Einsatz von VR-Brillen. Speziell für Kunden, die aufgrund räumlicher Distanzen nicht jederzeit zum Coaching kommen können, wäre das eine sehr begrüßenswerte Entwicklung. Der Vorteil von VR ist, dass viele Präsenz-Methoden einsetzbar sind. So könnten VR-Coachingeinheiten zu Präsenzcoachingeinheiten eine durchaus vertretbare, abwechslungsreiche Variante sein. Was leider auch mit VR nicht vermittelt werden kann, ist die Atmosphäre, die zielgerichtet ausgestatteten Coachingräume und die persönliche Haltung und Präsenz des Coaches. VR-Coaching wird für alle Organisations- und Interaktionsthemen möglich sein. Seine Grenzen – so wie digitales Coaching auch – wird es im Persönlichkeits- und Gesundheitscoaching haben. Geführte Augenbewegungen, stressreduzierende Körperarbeit und das breite Feld der Mentaltechniken werden dem Präsenzcoaching vorbehalten bleiben.«

Fazit
Der Coaching-Markt verändert sich, wenn auch langsam. Versuche mit Chatbots bzw. vollautomatischen Robotern zeigen in der Psychotherapie erste Erfolge. Das kann auch im Coaching funktionieren. Der technische Fortschritt wird hier in Zukunft einige Alternativen bieten. Digitales Coaching über E-Mail oder Telefon wird in Österreich derzeit fast nur ergänzend zu Präsenzsitzungen angewandt. Die VR-Brille könnte auch hier in Zukunft etwas ändern.

 

Vor- und Nachteile von virtuellem Coaching

Vorteile von virtuellem Coaching (auch im Outplacement)

  • Zeiteffizienz: An- und Abreise fallen weg.
  • Kosteneffizienz: Es entstehen keine Reisekosten.
  • Flexibilität: Die gesteigerte Flexibilität erlaubt flexiblere Termine oder sogar Ad-hoc-Unterstützung in Krisensituationen.
  • Bequemlichkeit: Die Teilnahme erfolgt sehr häufig direkt von zuhause aus und damit sogar in vertrauter Atmosphäre.
  • Ortsungebunden: Termine sind auch bei Reisetätigkeit oder Aufenthalten im Ausland wie gewohnt möglich.

Nachteile von virtuellem Coaching (auch im Outplacement)

  • Fehlende Akzeptanz: Nicht so stark anerkannt wie die persönliche Variante. Akzeptanz ist aber Voraussetzung für die Wirksamkeit.
  • Ablenkungen: Wenn die Arbeitsumgebung nicht die Ruhe und technische Ausstattung bietet, um störungsfrei teilzunehmen.
  • Fehlender Blickkontakt: Die fehlende gemeinsame Anwesenheit in einem Raum lässt den Sichtkontakt und die Einbeziehung der Körpersprache entfallen.
  • Fehlende Krisenintervention: Im Falle belastender Situationen und psychischer Krisen ist die Intervention weitaus schwieriger als in einem persönlichen Gespräch.

Quelle: Erich Nepita, Management Partner bei Lee Hecht Harrison/OTM, www.lhhaustria.at

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