Darf ich im Job sein, wer ich will?

Rund 10 % der Bevölkerung haben eine »andere« sexuelle Orientierung. Das sind in Österreich rund 880.000 Menschen. Welche Relevanz hat das für das Arbeitsleben?

»Stell Dir vor, Du bist heterosexuell und keiner darf das wissen!«, mit diesem Gedankenexperiment beginnt Astrid Weinwurm-Wilhelm (Präsidentin Pride Biz Austria) ihre Ausführungen bei einer hybriden Veranstaltung des HR- und CSR-Circle in der Labstelle in Wien.

Denn genau dieses Problem haben Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen. Das Dilemma beginnt gleich am Montag in der Früh, wenn die Kollegen nach dem Wochenende fragen. Erzählen Sie von ihrem Ausflug mit der Familie? Heterosexuellen Menschen ist meist nicht bewusst, dass sie sich mehrmals täglich outen: Sie erzählen von ihrer Familie oder haben ein Foto des Kindes auf dem Schreibtisch stehen. Oder sie erzählen wenig, werden immer introvertierter, um sich eben nicht outen zu müssen. Das kostet Energie und mindert nachweisbar die Arbeitsleistung. Sexuelle Orientierung ist damit eben keine Privatsache mehr, im Unterschied zu sexuellen Handlungen. 59 % der nicht-heterosexuellen Menschen sprechen im Arbeitsleben nicht über ihre Orientierung, da sie eventuelle Nachteile wie Diskriminierung oder Mobbing befürchten. 9 % lassen andere in falschem Glauben und weitere 9 % halten das Thema komplett geheim.

LGBTIQ steht für Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer, also für alle »anderen« sexuellen Orientierungen. Astrid Weinwurm-Wilhelm: »Anhänger der LGBTIQ-Community suchen sich ganz bewusst Arbeitgeber aus, die ein hohes Diversity-Engagement zeigen und offen sind.« Wie oben erwähnt, sprechen wir hier von 10 % der Arbeitskräfte am Markt, also einer relevanten Größe in einem Kampf um Talente. Doch es geht nicht nur um Arbeitskräfte. Auch LGBTIQ-Kunden kaufen lieber von Unternehmen, die bei diesem Thema keine Diskriminierung an den Tag legen.

Die Veranstaltung wird live gestreamt und von Bettina Kerschbaumer professionell moderiert – was bei einer hybriden Veranstaltung – also mit Live- und Online-Diskutanten gar nicht so einfach ist.
Online virtuell zugeschaltet, meldet sich Christine Catasta (PwC Österreich) und erzählt aus der Praxis: »Am erfolgreichsten sind Unternehmen, wenn sie alle Talente nutzen. Wenn Unternehmen das ›Anderssein‹ erlauben, entsteht eine positive Unternehmenskultur, Mitarbeiter sind produktiver und bekommen mehr Bewerbungen.«

Auch Louisa Holub (Diversity Management an der TU Wien) wird zugeschaltet und erzählt aus ihrer Erfahrung: »Bei uns an der Technischen Universität in Wien ist Frauenförderung schon lange ein großes und erfolgreiches Projekt. Seit Kurzem engagieren wir uns auch beim Thema LGBTIQ. Die Idee kam von der österreichischen Hochschülerschaft und wir haben mit der ÖH gemeinsam ein LGBTIQ-Netzwerk etabliert. Dabei geht es vor allem um eine Signalwirkung nach außen, um Diskriminierung zu reduzieren und alle Talente anzusprechen.«

LGBTIQ als vernachlässigtes Thema?

Im Zuge des Diversity Management von Unternehmen wird das Thema LGBTIQ eher wenig thematisiert. Warum ist das eigentlich so? Zuerst werden häufig die offenkundigeren Dimensionen bearbeitet:
Gender um den Frauenanteil in relevanten Positionen zu heben
Ethnie, wenn Personen aus vielen Nationen beschäftigt und diese kulturellen/sprachlichen Ressourcen als Wert erkennt
Maßnahmen im Generationenmanagement oder für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen.
Es braucht sicherlich Mut im Unternehmen, wenn das vermeintliche Tabu gebrochen werden muss, über sexuelle Orientierung offen zu sprechen.

Sabine Mlnarsky (Head of HR Erste Bank) ist live bei der Diskussion dabei und erzählt von der Gründungsidee der Erste Bank. Vor 200 Jahren war es nämlich genau die Idee, eine Sparkasse für alle zu bieten und niemanden auszugrenzen. Das war damals ganz und gar nicht üblich. Umso schöner ist es, dass die erste Kundin eine junge, arme Frau war. Auch heute ist Diversity Management ein großes Thema für die Erste Bank. Kundenberater werden auch zum Thema LGBTIQ ausgebildet, denn nicht selten kommen homosexuelle Paare in ein Beratungsgespräch und wollen z. B. einen Kredit für einen Hausbau aufnehmen. Hier müssen die Kreditberater kompetent agieren und nicht über die »unübliche« Situation verwirrt sein. Sabine Mlnarsky gibt abschließend noch einen wichtigen Tipp an Unternehmer: »Unterschätzen Sie die Toleranz ihrer Umwelt nicht. Hier liegt viel Potenzial!«

Als Fazit der Veranstaltung lässt sich festhalten:
Maßnahmen, zur besseren Sichtbarkeit von LGBTIQ-Personen führen zu
höheren Unternehmenswerten, Aktien-Renditen, Produktivität und Rentabilität
Stärkung des Employer Branding, der Personalbindung und im War for Talents
Erfüllung der Erwartungshaltung der heute ins Berufsleben eintretenden – der Millennials: Sie erwarten häufig ein diversitätsorientiertes Arbeitsumfeld – selbst wenn sie selbst nicht von diskriminierenden Tendenzen betroffen sind, also bspw. heterosexuell, männlich, gut gebildet und der Mehrheitsgesellschaft zugehörig.

Derzeit fehlen noch mehr wissenschaftliche Forschungsergebnisse, um gewisse Mechanismen zu verstehen und die Vermutung, dass Gleichbehandlung der sexuellen Orientierungen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am Arbeitsmarkt steigert, zu bestätigen.

Unter www.magazintraining.com/lgbtiq kann die Veranstaltung nachgesehen werden.

 

Über den HR-Circle

Der HR Circle ist ein österreichweites B2B-Netzwerk für Personalverantwortliche. Der Verein besteht bereits seit über 14 Jahren und zählt mehr als 200 HR-Entscheidungsträger als Mitglieder. Der Verein wird von folgenden Unternehmen getragen: BONUS Vorsorgekasse AG, Der Standard, ARS – Akademie für Recht, Steuern und Wirtschaft, Gruppe Hollenstein, SD Worx und dem Magazin TRAiNiNG.

Neben hochkarätigen Rednern und Diskutanten werden auch Exkursionen zu spannenden und innovativen Unternehmen angeboten.

Die Veranstaltungen finden sowohl vor Ort als auch online statt.

Nächster Termin:
3. November 2020, 9.00 bis 10.00 Uhr, Online-Webinar:
»Corona und Unternehmenskultur – Wechselwirkungen und Chancen«
mit Ronny Hollenstein (Geschäftsführer der Gruppe Hollenstein), Sabine Mlnarsky (Head of Human Resources Erste Bank Österreich & Holding) und Andrea Stürmer (Vorsitzende des Vorstandes der Zürich Versicherungs-Aktiengesellschaft)

Werden Sie gleich Mitglied und bezahlen Sie für 2020 keine Mitgliedsgebühr!
www.hrcircle.at

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von links nach rechts:
Cornelia Dankl, Sabine Mlnarsky, Christoph Wirl, Astrid Weinwurm-Wilhelm, Bettina Kerschbaumer
© Martina Draper