Was die Wirtschaft aus dem Spitzensport lernen kann und was dabei die Visualisierung im Stande zu leisten ist, darüber schreibt Gastautorin Lizz Görgl.
Sowohl im Spitzensport, in dem ich tätig war und immer noch bin, als auch in Unternehmen geht es immer um Spitzenleistungen und Performance. Vieles dreht sich darum, die vorhandenen Ressourcen bestmöglich zu nutzen und auszuschöpfen.
Der Sportler hat vor allem seinen Körper. Er muss diesen entsprechend trainieren, stets vorbereitet sein und sich die Technik über langes, hartnäckiges Training aneignen. In der Wirtschaft sind das die fachspezifischen Kenntnisse, die es braucht, um überhaupt in der Lage zu sein, im Unternehmen bzw. in der jeweiligen Position erfolgreich zu arbeiten.
Wege zum Erfolg
Meine persönliche Situation war intrinsisch motiviert. Ich habe Leidenschaft verspürt, mich zu bewegen. Von Kind auf hatte ich Freude an der Bewegung. Es hat mir Spaß gemacht und mich dazu gebracht, es gerne zu tun und durch Training und ein unterstützendes Umfeld wurde ich dann stetig besser. Die Frage, wie viel Talent notwendig ist, sei dahingestellt. Manche Theorien besagen, das, was man oft und gerne macht, ist Talent. Da ich mich im Sport tatsächlich durchgesetzt habe und über die Jahre in meiner Karriere Stufe für Stufe weiter gekommen bin, habe ich wichtige Erfahrungen sammeln dürfen. Um mich immer weiter zu entwickeln, hat es neben der Begeisterung, der intrinsischen Motivation und dem Handwerkzeug vor allem den Fleiß gebraucht. Irgendwann habe ich erkannt, welche Faktoren und Ressourcen zusätzlich zur Leistung bzw. zum Erfolg gehören und habe immer versucht, jeden dieser einzelnen Bereiche zu optimieren.
Die Reflexion und die Analyse, das ehrliche Erkennen von Fehlern und daraus entsprechende Veränderungen einzuleiten, spielen dabei eine große Rolle. Das ist in der Wirtschaft ebenso interessant. Die schonungslose und hartnäckige Suche nach Schwachstellen und das Beheben dieser führen zum unternehmerischen Erfolg.
Wir Menschen denken in Bildern und haben eine Vorstellung, wie etwas aussehen soll. Auch ich bin ein Typ, der ein Bild im Kopf hat und dann sagt: »Da will ich hin, das ist mein Ziel.«
Visualisierung
Visualisierung funktioniert einerseits als Orientierung, als Wegweiser, wo das Ziel ist und andererseits als Tool, wie man zum Ziel kommt.
Als Kind hatte ich ein ganz spezielles Erlebnis dazu. Eine Kollegin gewann die internationalen U12-Weltmeisterschaften in Whistler Mountain, Kanada. Ich konnte die Vorausscheidung krankheitsbedingt nicht mitmachen, hatte also gar keine Chance, mich für die Teilnahme zu qualifizieren. Damals hatte ich zu mir selber gesagt: »Wenn ich das einmal schaffe, wäre es ein absoluter Wahnsinn!« – Und ich habe mir dieses Bild vorgestellt, ohne mir selber zu sagen, dass ich es schaffen muss. Es war für mich etwas Utopisches. Ich habe aber gespürt, dass es mich überwältigen würde, wenn ich dort erfolgreich wäre.
Ein Jahr später stand ich am Siegerpodest ganz oben. Diese Vorstellung hatte sich also erfüllt.
Visualisierung bzw. Vision hat, so habe ich es erfahren, etwas mit Utopie zu tun. Die Vorstellung von etwas Unvorstellbaren, einer Utopie, ist mit dem Verstand nicht greifbar und hat daher eine besondere Kraft. Die Macht der Bilder, die man nicht von außen aufgedrückt bekommt, sondern die aus einem selber entstehen, ist enorm.
Visualisierung ist ein wichtiges Tool, um sich gut vorzubereiten auf den Wettkampf oder auch auf die Performance im Business. Im Skisport ist die Visualisierung bei mir permanent zum Einsatz gekommen. In der Abfahrt beispielsweise besichtigt man den Lauf ein erstes Mal, kann aber die Geschwindigkeit und Kurven noch nicht einschätzen, weil man noch nicht hinunter gefahren ist vor dem ersten Training. Vielmehr geht es darum, sich zu merken, wann man was zu tun hat. Man kommt mit Höchstgeschwindigkeit auf schwierige Passagen hin, da wäre es fatal, falsch zu reagieren. Ich habe mir immer alles genau eingeprägt. Je öfter ich das im Kopf durchging, desto sicherer wurde ich. Für mich war es immer wichtig, ganz genau zu besichtigen. Den Boden zu lesen und mit mir und dem, was ich sehe und fühle, in Einklang zu bringen. Je mehr ich sehe und einspeichere, umso weniger überrascht bin ich, wenn ich zu dieser Stelle komme. Das funktioniert im Unternehmen z. B. bei Verhandlungen ganz genauso.
Exemplarisch erinnere ich mich an eine Stelle in Lake Louise, Kanada. Der »Fallaway« ist eine Passage, wo du genau an einem Punkt wechseln und richtig reagieren musst, um die Kurve zu schaffen und auch schnell zu sein. Genau diese Stelle hat mir öfters größere Probleme bereitet. Um diese Herausforderung zu lösen, bin ich den Lauf in Form meiner täglichen Meditation ganz bewusst durchgegangen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich an der besagten Stelle im Kopf immer einen Stopp hatte und nicht wusste, was ich zu tun habe. Ich habe mich mit dem Streckenabschnitt so lange auseinander gesetzt, bis ich für mich eine Lösung gefunden hatte. Durch dieses gedankliche Reinfühlen in die Situation und immer wieder Durchgehen bin ich zur Lösung gekommen.
Die Visualisierung hat es mir ermöglicht, verschiedene Linien im Kopf durchzuspielen und mich zu fragen, ob ich das schaffe und mir das zutraue. Zentimeter für Zentimeter habe ich mich in der Fallaway-Kurve durch diese Technik vorgearbeitet, bis ich meine Linie gefunden hatte, die am nächsten Tag auch funktionierte. Ich wusste genau, was ich zu tun hatte und bin das so gefahren – und war schnell.
Mehrere Szenarien in einer Visualisierung durchzugehen, ist wichtig. Dabei kommt dem Spielraum auch eine große Bedeutung zu. In meinem Beispiel aus Lake Louise ist mir für jene Situation der Idealfall gelungen. Manchmal braucht es das, zu 100 % präzise zu sein, weil nicht viel Spielraum vorhanden ist. In anderen Passagen, wie beim Gleiten, wo ich Spielraum habe, ist die Präzession weniger wichtig, da gilt es dann locker und flexibel zu sein.
Sich für kritische Situationen vorab zu überlegen, was passieren kann, ist anstrengend. Ich denke aber, dass es zu einer professionellen Arbeitsweise gehört. Nichts ist schlimmer, als mögliche Chancen zu vertun, weil man einfach nicht vorbereitet ist oder sich im Vorfeld nicht aktiv damit auseinander gesetzt hat. Das gilt im Spitzensport genauso wie in einer beruflichen Spitzenposition. Wenn man die Vorbereitung gut gemacht hat, kann man auch loslassen. Das bedeutet, sich darauf verlassen zu können, dass die vorbereitete Materie intuitiv und im richtigen Moment auch zur Verfügung steht. Die Visualisierung schlägt klar in diese Kerbe. Um gut zu performen, müssen viele Dinge situativ und automatisiert ablaufen. Ein Schwung läuft so schnell ab, da ist es nicht mehr möglich, nachzudenken.
Beim vielbeschriebenen »Flow Zustand« passiert genau das – Zeit und Raum lösen sich auf, man sieht sich aus der Vogelperspektive, die Zeit scheint stehen zu bleiben, man ist selber schneller, als das, was gerade passiert. Es geht alles ganz leicht, weil man automatisch tut, was zu tun ist, ohne zu denken!
Fazit
Das eigene Potenzial zu suchen, zu finden und zu entwickeln ist etwas ganz Großartiges, Gewinnbringendes und im Grunde sogar ein Auftrag an uns selbst. Die eigenen Talente, Neigungen, Leidenschaften zu entwickeln und zu entfalten und sich nicht davon abringen zu lassen, bringt uns näher an uns selbst. Es lässt uns soviel über uns und unser Umfeld lernen und macht uns zu glücklichen, erfolgreichen und zufriedeneren Menschen.