Konkrete Tipps zur Umsetzung neuer Lerntrends und einen Ausblick in die (nicht mehr so ferne) Zukunft des Lernens gibt Dominik Etzl.
Viele von uns kennen das Weiterbildungsdilemma in Unternehmen: Mitarbeiter sollen sich in bestimmten Themen weiterbilden, aber die vorgegebenen Lerninhalte wirken oft eher demotivierend. Intrinsische Motivation? Fehlanzeige. Für dieses Dilemma gibt es auch leider kein vorgefertigtes »1., 2., 3.«-Lösungskonzept. Dabei lieben wir es doch, uns auszutauschen und neues Wissen anzueignen. Wie z. B. das Lernen eines Instruments, einer Sprache, oder andere Hobbys, denen wir in unserer Freizeit gerne nachgehen.
Betriebliches Lernen neu denken
Ein Trend geht eindeutig in Richtung ATAWAD, das bedeutet Lernen »anytime, anywhere & any device«. Die »Generation Google« ist damit aufgewachsen. Die meisten Vorgänger haben es sich im Nachhinein angeeignet. Wer z. B. eine Sprache lernen möchte, bucht meist keinen standardisierten Kurs mehr. »Denn wer weiß, ob mir dieser Kurs und dieser Sprachlehrer zusagen oder ob ich immer dienstags um 18.00 Uhr Lust zum Lernen habe?« Da ist es deutlich attraktiver, sich die richtigen Inhalte zum richtigen Zeitpunkt autonom von unterschiedlichen Quellen zusammenzusuchen: z. B. auf YouTube die Sprachgrundlagen von einem millionenfach bewerteten Videogrundkurs, oder auf Duolingo den Sprachschatz zu den geläufigsten Themen. All diese Inhalte sind – im Gegensatz zum klassischen Sprachkurs – zu jeder Zeit, an jedem Ort und auf jedem Gerät verfügbar. Und noch dazu gratis.
Es ist nicht verwunderlich, dass selbstbestimmtes Lernen attraktiver ist als das lineare Durcharbeiten von einem vorgegebenen A bis Z Lernpfad. Auch wenn dieser noch so abwechslungsreich mit Videos, Audios oder Animationen gestaltet ist. Die Auswahl der Inhalte ist auf eine gewisse Art und Weise stets standardisiert und wurde nicht persönlich getroffen. Wie lernen Sie lieber? Durch selbstständiges Zusammensuchen von relevanten Learning Nuggets und dies auf verschiedenen Plattformen, oder durch einen vom Arbeitgeber vorgegebenen linearen Lernpfad?
Der Weg weg vom Lernpfad hin zur Lernlandkarte
Bildlich vorgestellt, stehen wir hier vor zwei unterschiedlichen Wegen. Der eine »klassische« Weg ist linear, voraussehbar und von Anfang bis Ende vorgegeben. Also wie ein Pfad zur Bergspitze ohne Abzweigungen. Der andere Weg ist verzweigt, wird erst während des Gehens sichtbar und hat nur Anfang- und Endpunkt festgelegt. Er ermöglicht aber auch das Stehenbleiben und Genießen einer Aussicht, ähnlich wie eine Landkarte. Auch hier ist der Berggipfel eingezeichnet, aber der Weg dahin darf selbst gewählt werden. Überlegen Sie für sich: Ist Lernen bei Ihnen im Unternehmen eher wie ein Pfad oder eine Landkarte?
Die 3 wichtigsten Prinzipien einer Lernlandkarte:
Warum lernen wir in vielen Fällen lieber mit »Landkarten«, als mit vorgegebenen »Pfaden«?
1. Individualisierung: Keine zwei Personen sind gleich. Daher ist auch jeder Lernprozess individuell und sollte nicht Schritt für Schritt vorgegeben sein. Eine Lernlandkarte nimmt die Einschränkungen weg und öffnet damit die Möglichkeit, individuell optimierte Schritte zu setzen.
2. Autonomie: Mit der Individualisierung des Lernprozesses geht auch die Autonomie einher. Laut Daniel Pink ist Autonomie einer der 3 Hauptmotivatoren, der bei keinem Lernvorhaben fehlen sollte. Man kann bei einer Lernlandkarte zu jeder Zeit wählen, was – innerhalb eines vom Unternehmen gestellten Rahmens – wann und wie erlernt, oder auch übersprungen wird – ATAWAD!
3. Augenhöhe: Der Weg vom Lernpfad hin zur Lernlandkarte ist auch ein systemisch bedeutsamer: Das Unternehmen hört somit auf, die Verantwortung für den Lernerfolg zu übernehmen. Das Unternehmen behält nur die Verantwortung, die bei ihm liegt, nämlich jene der Zielsetzung und Erreichungskontrolle. Prozesstheoretisch ändert sich die Beziehung von Eltern-Kind zu Erwachsenen-Erwachsenen Beziehung. Dadurch hören Lernprogramme auf, Ballast zu sein und beginnen, Ressource zu werden.
Bausteine einer Lernlandkarte
Nun haben wir abstrakte Prinzipien destilliert, die uns die Richtung zu einer modernen Organisations-Lernkultur weisen können. Aber wie kann dies nun konkret umgesetzt werden? Folgender Baukasten unterstützt Sie dabei, Lernlandkarten statt Lernpfade zu erstellen.
Definieren Sie beim Erstellen einer Lernlandkarte:
- Zweck und Endpunkt: Die Erwartung und das »Warum« müssen klar sein. Das gilt für eine Lernlandkarte auf Grund der erhöhten Autonomie noch mehr als für lineare Lernpfade.
- Weg-Empfehlungen: So wie in den meisten Landkarten Wanderwege zur Orientierung eingezeichnet sind, empfehlen auch wir, ein paar Hinweise beispielsweise in Form von Videos, Artikel oder Plattformen zur Verfügung zu stellen. Auch hier gilt wieder: Diese Ressourcen sind kein Muss, sondern eine Hilfestellung. Kleiner Tipp: Erst ab 3 Möglichkeiten beginnt die Wahlmöglichkeit. Alles darunter wird als Vorgabe wahrgenommen.
- Ergebnisevaluierung: Trotz der hohen Freiheit braucht es einen klaren Rahmen, wie das Gelernte evaluiert wird. Lernlandkarten sollen nämlich keinesfalls laissez faire sein. Weil es keine verpflichtenden Lernmaßnahmen gibt, muss die Evaluierung auf Fähigkeiten, Verhalten im Alltag oder Zielerreichung anvisieren. Dies ist auch aus Lerntransfer-Sicht sinnvoll (vgl. Kirkpatrick). Evaluierung kann z. B. durch Fragebögen oder regelmäßige Check-ins mit Führungskräften erfolgen.
- Erfolg feiern und Wissen teilen: Teil jeder Lernlandkarte sollte auch das Feiern von Erfolgen und Teilen von Wissen sein. Erstellen Sie z. B. ein Zertifikat für den Absolventen und bitten Sie darum, die wichtigsten Learnings im Intranet zu teilen.
- Guides: Bei jeder »Wanderung« kann es passieren, dass man sich verliert und nicht weiterkommt. Bieten Sie daher einen Guide an oder involvieren Sie die Führungskraft.
- Zeitrahmen: Zuletzt geben Sie auch einen zeitlichen Rahmen vor, in dem das Ziel erreicht werden soll.
Welche Plattformen gibt es?
Es gibt mittlerweile einige Plattformen, die von klassischen Lernpfaden abweichen. Meist werden diese unter dem Titel LXPs (Learning Experience Platforms) zusammengefasst und haben ein paar zentrale Funktionen, wie z. B. durch AI personalisierte Lernempfehlungen. Hier wird mittels »Crawl-Engines« das Internet nach relevanten Materialien abgesucht. Dies bietet sich besonders für das Erstellen von Lernlandkarten an, weil die genannten Funktionen das persönlich gesteuerte Lernen unterstützen. Noch wichtiger als die gewählte Plattform ist unserer Meinung nach jedoch, wie die Plattform genutzt wird. Wenn eine Plattform die obigen »Bausteine« abdeckt, so eignet sie sich für das Erstellen einer Lernlandkarte.
Die Zukunft des Lernens
Schon jetzt gibt es Plattformen, die automatisch personalisierte Inhalte aus dem Internet vorschlagen. Wenn diese absolviert werden, können aktuelle Plattformen die Inhalte aber noch nicht sinngemäß erfassen und bestimmten Zielen zuordnen. Die neuesten AI-Entwicklungen messen und bewerten bereits, anhand von Sprachanalyse und Nutzerdaten, die Learning-Nuggets außerhalb der Lernplattform. Sobald sich dies etabliert, wird das Lernen weg von nur einer Plattform, hin zu einer Verteilung auf verschiedene gehen. Im Hintergrund werden Fortschritte gemessen und entsprechend weitere Vorschläge geliefert. Zusammengefasst ist die aktuelle Lernentwicklung vom Lernpfad in Richtung Lernlandkarte eine sehr spannende, welche befähigt und intrinsische Motivation fördert. Die Thematik ist auch nicht schwarz oder weiß – es spricht nichts dagegen, eine hybride Form zwischen den beiden zu erstellen.