Quo vadis Training?

Das Jahr 2020 hat es in sich. Corona verändert das soziale Leben enorm. Auch das berufliche Leben organisiert sich neu. Home-Office und Distance Learning erleben einen Boom. Wie sich Weiterbildung verändert und worauf wir uns in der Zukunft einstellen müssen, lesen Sie hier.

2020 bedeutet für die meisten Trainer ein massives Umsatzminus. Und natürlich ist der Markt der offenen Seminare seit März besonders hart getroffen. Speaker und Eventveranstalter spüren die Krise deutlich, auf der anderen Seite zeigt sich jetzt doch auch ein stark erhöhter Weiterbildungs- und Coachingbedarf in Unternehmen. Führungskräfte müssen lernen, mit der neuen Situation umzugehen; Stichwort: Distance Leadership. Personalentwickler müssen lernen, ihr internes und externes Weiterbildungsprogramm auf Online-Medien umzustellen. HR-Verantwortliche brauchen regelmäßige rechtliche Updates, um über Home-Office-Regelungen oder Kurzarbeit am aktuellen Stand zu bleiben.
Weiterbildung erfährt jetzt einen fundamentalen Wandel. Der Bedarf und die Wünsche nach neuem Wissen sind nach wie vor hoch, vielleicht sogar höher als vor der Krise. Das Wissen veraltet immer schneller. Auch Resilienz und Burn-out-Prophylaxe sind Themen, die in Krisen-Zeiten von enormer Bedeutung sind. Durch die immer höher werdende Professionalisierung im digitalen Weiterbildungsbereich wird der Zugang für viele Menschen erleichtert.
Im Laufe der Krise hat sich am Markt jedoch einiges verändert: Manch ältere Trainer haben den Weg in die Pension (vielleicht auch vorzeitig) gefunden, manche jüngere, die am Anfang ihrer Karriere standen, entschieden sich doch für einen anderen Berufsweg. Gut aufgestellte Trainer und Institute haben ihre Angebote angepasst und schnell gelernt, wie Online-Seminare ablaufen können und müssen. Andere haben rasch Train-the-E-Trainer-Kurse angeboten und konnten aus der Krise heraus mit diesem neuen Angebot sogar ein Umsatzplus verzeichnen. Andere wiederum, die darauf gehofft haben, dass die Krise so schnell weiterzieht, wie sie gekommen ist, und ihr Angebot nicht adaptiert haben, sind in wirtschaftlichen Nöten.
TRAiNiNG hat bei Experten nachgefragt, wie sie die Krise wahrgenommen haben und zu welchen Veränderungen es in der Weiterbildungslandschaft kommt und noch kommen wird.

Veronika Aumaier (Geschäftsführerin Aumaier Consulting Training GmbH): »Viele würden jetzt vermutlich sagen – ›alles online!‹ Kein Wunder, da durch die Corona-Hygieneregeln vor allem das physische Miteinander massiv eingeschränkt und beeinflusst wurde. Aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt der tatsächlichen Veränderungen. Die Flucht nach vorne – raus aus der persönlichen Begegnung, rein in die virtuelle Welt – ist naheliegend, aber dauerhaft zu wenig persönlich befriedigend. Wir sind soziale Wesen und ziehen über die persönliche Begegnung und den persönlichen Austausch weit mehr als nur sachliche Informationen. Wir kennen alle mittlerweile den Unterschied zwischen einem Videomeeting und einem persönlichen Meeting. Die Stimmung im Raum, die persönliche Distanz und Nähe, die nonverbalen Signale wie Mimik, Gestik, Körperhaltung sind ein wesentlicher Teil unserer Kommunikation und beeinflussen das Ergebnis. Was wir schon seit langem wissen, durften wir jetzt ein halbes Jahr intensiv erleben. Ein Ergebnis daraus kann sein, dass die Weiterbildungslandschaft punkto angebotener Formate zielgruppenspezifischer und maßgeschneiderter wird.«

Richard Melbinger (Geschäftsführer ARS Akademie): »Unternehmen mussten sich von einem Tag auf den anderen mit Themen auseinandersetzen, die vor Corona nicht an erster Stelle standen: Digitalisierung, virtuelle Führung oder Datenschutz im Home-Office und IT-Security sind nur einige Beispiele dafür. Hier war auf einmal absolute Schnelligkeit gefragt. Auch im Arbeitsrecht und in der Lohnverrechnung mussten die Unternehmen rasch reagieren, um Kurzarbeit und Co rechtssicher abrechnen zu können. Ganz sicher gab es einen Shift von der klassischen Weiterbildung im Seminarraum hin zum Online-Seminar im Virtual Classroom. Generell haben wir den Eindruck, dass die Lernform nicht mehr im Vordergrund steht, sondern der Inhalt. Denn sowohl das Präsenz-Seminar als auch das Online-Seminar haben ganz klare Vorteile. Noch eine Veränderung nehmen wir wahr: In Zeiten von sinkenden Umsätzen sind Kreativität, Agilität und Innovationskraft noch mehr gefragt, um Umsätze zu halten und die Produktivität zu steigern. Wissen, das dafür noch nicht im Unternehmen vorhanden war, muss aufgebaut werden.«

Was bringt die Zukunft?

Die unmittelbare Zukunft, zumindest im nächsten halben Jahr, ist schwer planbar. Manche Experten sprechen (nicht in der Öffentlichkeit) von stets wiederkehrenden Lockdowns. Also von einem unplanbaren Zustand zwischen »Seminare dürfen durchgeführt werden« und »alles wird abgesagt«. Dieser Zustand wird vermutlich noch länger dauern. Das macht es der Wirtschaft nicht einfach. Andererseits erhöht es wie schon eingangs beschrieben den Bedarf an Weiterbildung. Der Inhalt wird wichtiger, das Format, die Art der Wissensvermittlung wird flexibler werden müssen. Im Oktober und November diesen Jahres wurden Veranstaltungen teilweise eine Nacht vor dem Termin komplett umgestellt auf online. Viele Veranstalter und auch interne Personalentwickler haben hier Höchstleistungen vollbracht. Vermutlich ist es genau diese Flexibilität, die in den nächsten Monaten gefragt ist, um in der Trainingsbranche zu überleben.

Wie sieht Weiterbildung aus, wenn Covid ›unter Kontrolle‹ ist?

Veronika Aumaier: »Die weltweite Veränderung in der Gesellschaft und Wirtschaft, die durch Corona ausgelöst wurde, befördert das Thema ›Change und Transformation‹ auf den Spitzenplatz der zukünftigen Weiterbildungslandschaft. Der Schwerpunkt wird sich aber sukzessive vom strukturellen, organisatorischen Bereich in den Bereich Verhalten und Haltung verlagern. Das bedingt Prozessbegleitungen statt Trainingsangebote, die sich punkto Formate und Settings zielgruppenspezifischer, maßgeschneiderter und vielfältiger darstellen. Beispielsweise Kleingruppentrainings, die dem Theorieinput, dem Lernen von den Anderen und dem begleiteten Praxistransfer dienen. Plus nachgelagerte Einzelsessions – virtuell und/oder Präsenz –, die die authentische Verankerung verstärken. Und on top agile Netzwerkmeetings unter Gleichgesinnten, die die neuen Verhaltensweisen durch einen intensivierten Erfahrungsaustausch mit anderen festigen.«

Richard Melbinger: »Wir gehen davon aus, dass – wenn Corona unter Kontrolle ist – die Menschen große Lust an der analogen Weiterbildung im Seminar- bzw. Kongressraum verspüren werden. Bei unseren Themen-Jours-­fixes und Tagungen ist der Austausch mit den Referenten und auch in der Gruppe ein wichtiger Bestandteil des Produktes. Die Interaktion der Seminar- oder Tagungsteilnehmer kann im besten Online-Format nicht den Face-to-face-Kontakt ersetzen. Aber ich glaube auch, dass Online-Lernformate in Zukunft deutlich mehr Anhänger haben werden als bisher. Und da sind wir schon bei einem anderen Thema, das meiner Meinung nach an Bedeutung gewinnen wird: Menschen möchten auch bei der Weiterbildung das Lernformat je nach ihren individuellen Bedürfnissen wählen können. Ein rasches Info-Update im digitalen Raum, eine Experten-Tagung mit anschließendem Gala-Dinner oder auch ein Workshop mit Live-Schaltung zu einem Experten, so wird individuelles Lernen der Zukunft aussehen.«

Trainings hatten schon immer den Anspruch, Wissen zu trainieren und nicht nur zu vermitteln. In jedem Fitnessstudio wird mit den vorhandenen Ressourcen trainiert, um besser zu werden. Dieser Trend dürfte sich noch mehr verstärken. Ein gut designtes Training vermittelt nicht mehr nur Inhalte, sondern trainiert mehr oder weniger Bekanntes. Wie sieht das konkret aus? Sich Wissen zu Hause über Bücher oder online anzueignen, ist keine große Kunst. Im Seminar wird dann darauf aufgebaut. Nehmen wir z. B. ein Präsentationstraining. Der Trainer schickt im Vorfeld aktuelle Theorien über mitreißende Präsentationen. Der Kunde nimmt nach dem Selbststudium ein Video auf und schickt es dem Trainer. Der gibt dazu Feedback – alles noch vor dem Seminar. Im Seminar können die Teilnehmer dann zeigen, wie sie das Feedback umgesetzt haben und weiter trainieren. Es braucht in vielen Seminaren keine Kennenlernrunde, keine Abschlussrunde, es geht schlichtweg darum, zu trainieren. Dieser Trend ist schon seit Jahren zu erkennen und zieht sich hoffentlich auch weiter.
Auch Coaching leidet unter der Krise, obwohl Coachingeinheiten schnell auf ein Online-Medium umgestellt werden konnte, und das von Anfang an ohne viel Vorerfahrung von Coach und Coachee funktioniert hat.

Veronika Aumaier über die weitere Entwicklung von Coaching: »Es ist zu erwarten, dass Coaching in Form des Sparrings vom Topmanagement verstärkt in Anspruch genommen wird. Denn die strategische Führungsarbeit, die vor allem die zukünftigen Entwicklungen der Kontextfaktoren wie Markt, Kundenverhalten, Produktanforderungen betrachtet, stellt sich zusehends unberechenbar und uneinschätzbar dar. Es braucht visionäre Vorstellungskraft und wirkungsvolle, emotionale Begeisterungsfähigkeit, um für die Umsetzung ausreichend Mitstreiter und Gefolgschaft zu erhalten. Einzelreflexionsarbeit, die im Sparring wirkungsvoll unterstützt und begleitet werden kann. Das ist neu und könnte Coaching im Businessbereich aus der Ecke des ›esoterischen‹ herausholen und ihm als Unterstützung die Bedeutung geben, die es im Spitzensport schon lange hat: Ohne Coaching ist kein Sieg möglich!«

Weiterbildungsbudgets

Die jährliche Weiterbildungsstudie der Plattform für berufsbezogene Erwachsenenbildung (PBEB) lässt auf ein optimistisches Bild in der Zukunft blicken, trotz der Corona-Krise. Etwa jedes 5. Unternehmen plante das Weiterbildungsbudget für 2020 im Vergleich zu 2019 zu erhöhen. Selbst nach dem ersten Lockdown gaben noch immer rund 16 % an, mehr Geld in die Weiterbildung zu investieren.

Richard Melbinger über seine Erfahrungen dazu: »Wir gehen in Summe über alle Branchen und Unternehmen von stabilen Budgets aus. Grund für diese Annahme ist, dass Weiterbildung ein wesentlicher Motor für Unternehmen auf ihrem Weg der Digitalisierung und Produktivitätssteigerung ist. Die Entscheidung, zu investieren, wird durch staatliche Fördermaßnahmen, wie z. B. der Corona-Arbeitsstiftung, erleichtert. Damit stellt die Regierung 700 Millionen Euro für Aus- und Weiterbildung zur Verfügung. Neue Förderungsfelder sind im Sinne des lebenslangen Lernens und der immer kürzeren Halbwertzeit von Wissen das ­Upskilling von Menschen mit Berufserfahrung, sowie generell die Qualifizierung von Beschäftigten. Diese große, nie dagewesene Aufmerksamkeit der Politik für das Thema Aus- und Weiterbildung ist sowohl für Unternehmen als auch für die zu qualifizierenden Personen ein wichtiger Schritt in Richtung Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.«

Veronika Aumaier: »Wenn sich Weiterbildungsprogramme zur Transformationsprozessbegleitung wandeln, die eine zielgerichtete, vielfältige Unterstützung vorsehen, werden Unternehmen auch in 2021 entsprechende Budgets zur Verfügung stellen. Wahrscheinlich nicht unter dem Titel ›Weiterbildung‹, sondern unter dem Titel ›Innovation & Transformation‹. Das sind zielgerichtete, einmalige Budgetmittel, die die soziale und persönliche Kompetenzstärkung in so manchen internen Academy-Angeboten budgetmäßig ablösen könnten. Das bestehende betriebliche Academy-Angebot auf online umzustellen, ist nur für die Wissensvermittlung im fachlichen Bereich eine Dauerlösung. Besser ist, das interne Bildungsangebot zu verschlanken und gezielt Veränderungen für Schlüsselfiguren und Bereiche mit maßgeschneiderter Coachingbegleitung zu unterstützen.«

Neue Kompetenzen für Trainer

Trainer und die interne Personalentwicklung brauchen mehr denn je neue Kompetenzen für die Wissensvermittlung. Dabei sind nicht nur Online-Kompetenzen gefragt. Es geht um Trainingsdesign, Prozessbegleitung und ein neues Bewusstsein über die Trainerrolle. Und Trainer werden auch Techniker sein müssen.
Richard Melbinger: »Die Digitalkompetenz der Trainer wird zu einem ›must have‹ werden. Denn das digitale Lernen erfordert neue Fähigkeiten in der Didaktik, in der Moderation von Diskussionen, aber auch in der technischen Problemlösungskompetenz. Trainer müssen wissen, wie man virtuelle Diskussionsräume einrichtet, zwischen unterschiedlichen Präsentationen switcht oder auch Tonprobleme rasch löst. Besonders herausfordernd ist es auch für versierte Trainer, wenn eine Seminar-Gruppe aus sowohl Präsenz-Teilnehmern als auch Online-Teilnehmern besteht. Es gilt, beide Lerngruppen zu integrieren und auch über Stunden zu motivieren. Da braucht es Trainer, die neben ihrer fachlichen Kompetenz auch eine große Portion an Begeisterungsfähigkeit mitbringen. Trainer, die auch Entertainer sind, werden in Zukunft besonders gefragt sein.«
Veronika Aumaier: »Die Zeit der Wissensvermittlung tauscht sich ab mit der Zeit der Wissensanwendung. Trainer brauchen daher Coachingkompetenzen, um Haltungs- und Verhaltensänderungen begleiten zu können. Fundiertes Management- und Leadershipwissen sind eine notwendige Wissensbasis und Voraussetzung. Coachingtechniken und -methoden bilden darauf aufbauend die Kürkompetenzen. Denn das Verändern von Wertehaltungen wie Einstellungen, Glaubenssätzen, emotionale Widerstände und der Abtausch ungünstiger, unzulänglicher Kommunikationsmuster braucht andere Techniken und Tools, als sie im Training seit langem bewährt angewendet wurden. Sie sind in üblichen Gruppengrößen entweder nicht einsetzbar oder nicht zielführend. Kleingruppen- und Einzelsettings, die den notwendigen diskreten Rahmen bieten, sind das erfolgversprechende Setting. Methoden und Techniken aus dem systemisch-lösungsorientierten Coachingansatz das wirkungsvolle Toolset. Eigentlich keine Überraschung, sondern eine sich schon lange abzeichnende Entwicklung der Trainingslandschaft, die mit dem Einzug des Coachings seinen Anfang nahm.«

Fazit
Die nächsten Jahre werden, nicht nur für die Wirtschaft, hart. Experten wie Trainer und Coaches können helfen, dass Unternehmen auf Erfolgskurs bleiben oder ihn wieder aufnehmen. Dennoch: Weiterbildung verändert sich, und dabei ist der Weg in die Digitalisierung nur ein Baustein.

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