Dass das Designen und das Durchführen von Online-Trainings komplett neue Fähigkeiten der Trainer erfordern, ist klar. Doch welche Skills sind das konkret? Und wie muss ein Online-Seminar konzipiert sein? TRAiNiNG im Gespräch mit zwei Experten1 auf diesem Gebiet.
Lernen auf Distanz – Distance Learning – ist spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Krise ein Begriff, den alle kennen. Primär durch den Begriff »Home-Schooling«, der in letzter Zeit so oft durch die Medien geht.
Unter dem Begriff versteht man alle Arten von Lernen, bei dem die Lernenden den Lehrern oder Trainern nicht unmittelbar gegenüber sitzen. Er umfasst das Live-Online-Lernen, Webinare, asynchrones virtuelles Lernen, LernApps etc. In diesem Artikel spezialisieren wir uns auf Live-Online-Trainings und hinterfragen, welche spezielle Didaktik notwendig ist, um Teilnehmer an Online-Seminaren optimal zu fördern und um ihnen das entsprechende Know-how zu vermitteln.
Unter Didaktik versteht man die Wissenschaft des Lernens. Seit Jahrhunderten wird geforscht, wie Lernen funktioniert bzw. wie es besser funktioniert. Relativ neu an dieser Forschung ist die Didaktik bei Online-Kursen. Doch gerade im letzten Jahr hat sich umständehalber viel getan.
E-Learning funktioniert anders als Präsenzlernen, obwohl häufig die gleichen Lernziele verfolgt werden. Eine Basisausbildung in Didaktik, wie sie etwa in Trainerausbildungen vermittelt wird, ist hilfreich, um die Mechanismen zu verstehen, wie gelernt wird. TRAiNiNG hat bei zwei Experten nachgefragt, worauf es bei Online-Trainings speziell ankommt.
Anna Langheiter (Experte für Trainingsdesign) über die verschiedenen Methoden des Online-Lernens: »Digitales Lernen besteht aus drei Komponenten: Beim E-Learning werden dem Teilnehmenden unterschiedliche Möglichkeiten angeboten, sich mit Hilfe von Apps, Web-based-Training, Lernvideos und anderen Tools aus dem Microlearning Wissen anzueignen. Beim kooperativen Online-Lernen erarbeiten sich Gruppen von Teilnehmenden die Inhalte und wenden Gelerntes im Alltag an. Im Live-Online-Training treffen sich Trainer und Teilnehmende synchron im digitalen Raum und arbeiten interaktiv. Welche Komponenten man davon einsetzt, ist im Präsenzlernen wie im digitalen Lernen abhängig davon, welches Ziel erreicht werden soll. Die Didaktik richtet sich dann nach dem Lernziel und ist sehr ähnlich.«
Sabine Prohaska (Trainerausbildner und Geschäftsführer von seminar consult prohaska) über die Vorteile der modernen Lernformen: »Durch die Digitalisierung können wir bei den möglichen Formaten so richtig aus dem Vollen schöpfen. Wir sollten aber nicht aus dem Blick verlieren, dass es immer auf eine zielführende Mischung ankommt, aus online und Präsenz, asynchronen und synchronen Formaten, 1:1-Coaching oder begleitenden Maßnahmen. Mehr Verbindlichkeit aufseiten der Teilnehmenden erreichen wir z. B. durch synchrone Formate wie ein Live-Online-Training oder einen Kick-off-Workshop im Präsenzformat. Wenn die Teilnehmer im Rahmen der Weiterbildung einiges selbstorganisiert ausprobieren sollen, braucht es begleitende Formate wie ein Expertenforum, um Fragen stellen zu können.«
Das Erreichen der jeweiligen Lernziele ist Voraussetzung, um von einem erfolgreichen Seminar bzw. von einer erfolgreichen Schulung zu sprechen. Egal ob virtuell oder präsent. Können die Teilnehmer nach dem Seminar genau das, was sie lernen wollten? Wurde das gesetzte Ziel erreicht? Gleichgültig, ob dies nun ein theoretischer Stoff ist oder z. B. die Fähigkeit, professionelle Präsentationen abzuhalten.
Sabine Prohaska: »Beim E-Learning muss der Prozess vorab festgelegt werden, wofür ein sehr klares Design nötig ist. Mehr denn je braucht es dafür eine didaktische Kompetenz und ein sauberes Abklären wichtiger Informationen über die Zielgruppe oder das Seminarziel – und das im Vorfeld.«
Anna Langheiter: »Die Qualität von Seminaren erkennt man daran, ob die Lernziele erreicht werden, und das ist im Präsenzlernen und Distance Learning gleich. Der große Unterschied zum Präsenzlernen liegt darin, dass Online-Lernen viel mehr Interaktion benötigt. Beim Live-Online-Training empfiehlt sich die 5-Minuten-Regel – also alle 5 Minuten eine Interaktion mit den Teilnehmenden, wie zum Beispiel eine Frage im Chat beantworten, eine Abstimmung zu einem Thema oder eine Stimmungsabfrage mit Emojis. Beim Blended Learning und digitalen Lernstrecken ist zusätzlich durchdachtes E-Tutoring wichtig. Die Lernenden werden im gesamten Lernprozess begleitet. Für inhaltliche, organisatorische und technische Fragen steht permanent jemand zur Verfügung und unterstützt vor allem beim selbstgesteuerten Lernen.«
Aufmerksamkeitsspanne und längere Aus- bzw. Fortbildungen
In wissenschaftlichen Kreisen wird diskutiert, wie lange die Aufmerksamkeitsspanne beim Lernen anhält. Das hängt immer von der gewählten Uhrzeit, der körperlichen Verfassung und dem Interesse des Zuhörers ab. Die Zahlen, die immer wieder genannt werden, reichen von wenigen Sekunden bis hin zu 20 Minuten. Tatsächlich ist man, und das haben vermutlich alle schon einmal persönlich erfahren, bei Online-Meetings oder -Vorträgen noch schneller abgelenkt und unaufmerksam. Es kommt eine Nachricht auf dem Smartphone oder ein E-Mail, und schon ist man gedanklich woanders. Bis man wieder bei der Sache ist, vergehen einige Sekunden.
Es ist auch wesentlich anstrengender und ermüdender, einen Tag lang eine Online-Schulung zu absolvieren als eine Präsenzschulung. Daher empfehlen der Dachverband der Trainer in Deutschland (BDVT) und die Vereinigung der Business Trainer in Österreich (VBT), einen Online-Tag auf maximal 3 Lerneinheiten à 90 Minuten zu gestalten. Eventuell noch mit einem informellen vierten Teil. Viel mehr ergibt keinen Sinn.
Sabine Prohaska: »Auch wenn sich – sinnvollerweise – Arbeit und Lernen immer stärker vermischen, sollte man beim Erstellen von Lernarrangements darüber nachdenken, für welche Inhalte welche Zeiten am besten geeignet sind. Alles, was tiefe Reflexion und Abstand zum Nachdenken braucht, sollte in Zeiten außerhalb der Arbeitszeit verlagert werden. Grundsätzlich darf nicht vergessen werden, dass Lernen Zeit braucht!«
Und wie können längere Ausbildungen online gestaltet werden?
Anna Langheiter: »Das Design bei längeren Curricula hängt ganz eng mit der Trainingsbedarfsanalyse zusammen und damit, was im Unternehmen auch an Lernmöglichkeiten und Lernkultur gegeben ist. Denn optimales Design ist das eine, ob die Durchführung zu den Rahmenbedingungen passt, das andere. Digitale Lernstrecken können für kurze Trainings und lange Curricula gebaut werden. Da sind der Fantasie des Trainingsdesigners kaum Grenzen gesetzt. Trifft allerdings die Fantasie auf die Unternehmensrealität, sieht es anders aus: Können die Teilnehmenden mit der Technik umgehen? Bekommen diese einen ruhigen Lernort während der synchronen Trainings? Bekommen sie Zeit für E-Learning und das kooperative Lernen? Wissen die Führungskräfte, wie sie die Teilnehmenden bestmöglich unterstützen? Werden ›Moments that matter‹ eingeplant, also die Anwendungsfälle, wo das Gelernte auch umgesetzt werden kann? Und ja: Viele der Fragen treffen auch auf das Präsenztraining zu. Nur erlebe ich, dass das virtuelle Lernen oft ›nebenher‹ erledigt wird, Teilnehmende direkt abgezogen werden, das1 wichtigste Kunde gerade da ist und sich dann Lernen und Transfererfolg nicht einstellen werden. Daher: Schaffen wir für unsere Teilnehmenden eine Lernumgebung und eine Lernkultur, in der Lernen auch virtuell gut stattfinden kann.«
Gestalten von Lerneinheiten
Eine Lerneinheit dauert im Regelfall 60 bis 90 Minuten. Das ist online ähnlich wie bei Präsenzveranstaltungen. Wie muss diese Zeit gestaltet sein, um das beste Lernerlebnis zu erzeugen? Welche Unterschiede gibt es?
Anna Langheiter: »Im Seminarraum besteht eine Lerneinheit aus vier Phasen:
1. Fokus: den Sinn für das Lernen aufbauen,
2. Information: die Inhalte schulen,
3. Erfahrungen mit dem neuen Wissen machen lassen (=üben lassen!)
4. einen Transfer in den Alltag schaffen.
Beim Distance Learning kann das völlig anders organisiert werden: Fokus und Information können schon im Vorfeld durch E-Learning oder kooperatives Online-Lernen durchgeführt sein (also im Sinne eines Flipped Classroom) und im Live-Online-Training wird nach einer kurzen Wiederholung nur noch geübt. Andererseits können die Inhalte im Live-Online-Training durchgenommen werden und die Erfahrung in Kleingruppen außerhalb des Trainings gemacht werden. Der Transfer kann dann im nächsten synchronen Treffen erfolgen. Viele Varianten und Kombinationen sind hier möglich.«
Sabine Prohaska über die Taktung von Lerneinheiten: »Die Taktung, also die Länge der Zeiträume zwischen den Aufgaben, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Das gilt auch für die Überlegung, ob man alle Informationen und Aufgaben auf einmal zur Verfügung stellt oder ob man sie häppchenweise freischaltet. Bei der sequenziellen Bereitstellung von Lernmaterialien ist die Zeitdauer der Bearbeitung geschickt zu wählen. Es sollte nicht zu viel Zeit zwischen den einzelnen Infoblöcken liegen, um der Vergessenskurve gegenzusteuern. Die Sequenzen dürfen aber auch nicht zu rasch aufeinander folgen. Denn gerade im Arbeitskontext soll Lernen nicht zusätzlichen Stress erzeugen, sondern den Lernenden mittels Freude an der Sache echten Nutzen bringen.«
Die ersten Schritte
Um ein breiteres Online-Lernangebot für Kunden oder für Mitarbeiter zu etablieren, sind einige Punkte zu beachten. Sabine Prohaska hat dafür noch ein paar sehr wichtige Tipps auf Lager:
Langsames Heranführen der Lernenden
Je nach Vorerfahrung mit digitalen Lernsettings wird es notwendig sein, den Formatmix so zu wählen, dass die Teilnehmenden langsam mit den neuen Bedingungen vertraut werden.
Gehirngerechte Portionen/Learning Nuggets:
Bei der Erstellung von Materialien sollte auf kurze Lerneinheiten geachtet werden, sogenannte Learning Nuggets oder Micro Learnings.
Transferkampagnen einplanen
Nach einem Lernimpuls, einem Online-Seminar oder Video etc., sollten Menschen idealerweise positive Erfahrungen machen, um mit Freude und Motivation am Thema dranzubleiben. Zum Beispiel mit Remindern im Alltag, die kleine, ganz praktische Aufgaben enthalten.
Orientierung geben
Gerade für selbstorganisierte Lernzeiten ist es für die Lernenden wichtig zu wissen, wo sie stehen. Das betrifft zum Beispiel den Lernpfad des Kurses oder Lehrgangs. Für die Selbstorganisation der Teilnehmer ist außerdem eine Orientierung über die voraussichtliche Dauer der Selbstlernphase wichtig. Dazu kann man die Dauer von Videos oder die Lesedauer von Dokumenten angeben. Außerdem brauchen Führungskräfte Klarheit darüber, wie viel Zeit sie ihren Mitarbeitern am Arbeitsplatz für E-Learning zur Verfügung stellen sollen.
Ausreichend Planungszeit
Die Konzeption wirkungsvoller Lernarrangements erledigt sich nicht mal eben so und nebenbei. Die Planung des Konzepts braucht unter Umständen viel mehr Zeit, da auch weitreichendere Möglichkeiten der Gestaltung zur Verfügung stehen.
Lernbegleitung
Selbstlernphasen und Transferaufgaben verlagern die Verantwortung für den Lernprozess immer mehr in Richtung der Teilnehmer. Das bedeutet aber nicht, dass sie von den Trainern von nun an gänzlich links liegen gelassen werden. In guten Lernarrangements wird immer eine Begleitung mitgedacht.
Wir-Gefühl nicht unterschätzen
Menschen sind soziale Wesen, unser individuelles Denken und Verhalten sind stark durch Gruppenzugehörigkeit geprägt. Diese Tatsache wird sich auch durch die fortschreitende Digitalisierung nicht ändern. Neben allen inhaltlichen und methodischen Fundamenten müssen wir auch soziale Grundlagen für optimales Lernen schaffen.
Fazit
Manche Lernwillige sind skeptisch, was Online-Seminare betrifft, sie wollen lieber auf Präsenztermine warten. Diese Skepsis ist bei professionell durchgeführten Online-Seminaren jedoch nicht gerechtfertigt. Manche Online-Seminare sind einem Präsenzseminar in puncto Lernmöglichkeit sogar überlegen. Wo der soziale Aspekt allerdings bleibt, das ist eine andere Geschichte …