Das Führen von virtuellen Projektteams stellt Führungskräfte vor große Herausforderungen. Unterschiedliche Zeitzonen, unterschiedliche Kulturen, neue Technik sind nur ein paar der Themen, mit denen Projektleiter konfrontiert sind.
Während virtuelle Projektteams vor Corona primär länderübergreifend fungiert haben, finden sie nun auch im eigenen Land sehr häufig Einzug. Durch die Arbeit von zu Hause aus und die Forderung nach Social Distancing treffen sich Projektmitglieder immer seltener persönlich. Und doch funktioniert es virtuell immer besser, vor allem wenn die »Spielregeln« eingehalten werden. Außerdem bieten die »alten«, statischen Strukturen in Unternehmen und Projektorganisationen eine gefühlte Sicherheit, sie verhindern jedoch Flexibilität und Dynamik. Genau das, was agile Teams heute wirklich benötigen, um einen Prozess kontinuierlicher Verbesserung aufrecht zu erhalten.
Bei virtuellen Teams gelten grundsätzlich dieselben Grundsätze wie bei traditionellen Teams, jedoch mit dem Unterschied, dass sie sich seltener oder, im Extremfall, nie persönlich treffen. Durch geografische Distanz und den damit verbundenen Problemen, wie z.B. Zeitverschiebung, sind die Möglichkeiten von Besprechungen begrenzt. Das stellt sowohl die Projektteams als auch die Führungskraft vor besondere Herausforderungen. TRAiNiNG hat bei zwei erfahrenen Experten nachgefragt, was denn die größten Probleme bei virtuellen Projektteams sind.
Walter Sedlacek (Senior Consultant bei next level consulting): »Unter virtueller Zusammenarbeit bei Projektteams versteht man das Zusammenarbeiten von geografisch verteilten, unabhängigen, zielorientierten Teams bzw. Einzelpersonen, die eine Ergebnisverantwortung teilen. Sie kommunizieren und arbeiten hauptsächlich mit Hilfe von technischen Anwendungen. Meistens ist ein Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen die Folge. Eine zusätzliche Dimension ist also der interkulturelle Austausch, gekennzeichnet durch Teammitglieder unterschiedlicher Herkunft und Nationalität. Die Top-3-Herausforderungen sind erschwerte Kommunikation, zeitlicher und organisatorischer Mehraufwand und die soziale Distanz.«
Brigitte Schaden (Präsident Projekt Management Austria – pma): »Auf den ersten Blick sieht Arbeiten aus dem Home-Office natürlich großartig aus: flexiblere Zeiteinteilung, zwischendurch an ein, zwei Online-Meetings teilnehmen und das Gefühl von grenzenloser Freiheit spüren, die unser digitales Zeitalter mit sich bringt. Eine gut funktionierende IT ist ohnehin Grundvoraussetzung dafür. Bei der bewussten Entscheidung zu virtuellen, lokal verteilten Teams ist natürlich die Zeitverschiebung und die damit verbundene Erreichbarkeit ein großes Thema. Kurzfristige Abstimmungen sind dadurch oft schwieriger, auch wenn alles online passiert. Außerdem kann bei solchen Teams das Team-Building oft zu kurz kommen. Es ist nicht möglich, schnell mal am Weg zur Kaffeemaschine Smalltalk mit den Kollegen zu betreiben. Die Projektleitung hat in diesem Fall die Aufgabe, für soziale Interaktion einen Raum zu schaffen. Viele Unternehmen veranstalten zum Beispiel regelmäßig stattfindende Online-Team-Jour-fixes, die auch Platz für privaten Austausch bieten.«
Als wichtigste Herausforderungen lassen sich folgende Punkte zusammenfassen:
- erschwerte Kommunikation
- geringeres Vertrauen
- Zeitmanagement
- interkulturelle Unterschiede
- fehlender sozialer Austausch
- fehlende Strukturen und Prozesse
- mangelnde Technik und Tools
- schwächeres Wir-Gefühl
- verschiedene Zeitzonen
Arbeitsfähigkeit erhalten
In virtuellen Projektteams haben die bekannten Probleme von Teamarbeit (z.B. schlechte Stimmung im Team, verschiedene Werte oder falsche Erwartungen) aufgrund der räumlichen Trennung und des reduzierten persönlichen Kontakts zusätzliche Relevanz und damit verstärkte Auswirkung auf den Projekterfolg. Deshalb ist auf die Entwicklung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Teams besonders zu achten. Bereits die Zusammensetzung eines virtuellen Teams ist ein kritischer Faktor und sollte sorgfältig vorgenommen werden. Beim Auswahlprozess der Teammitglieder ist unbedingt darauf zu achten, dass die jeweiligen Mitarbeiter überhaupt für virtuelles Arbeiten geeignet sind.
Walter Sedlacek: »Die Erfolgsfaktoren virtueller Zusammenarbeit sind mannigfaltig. Die wichtigsten möchte ich wie folgt benennen:
- Die Identifikation mit dem Projektteam, also das Schaffen eines Wir-Gefühls, ist in der virtuellen Welt wesentlich wichtiger. Die Projektleiter müssen hier viel mehr Identifikation mit dem Projekt aufbauen.
- Einen gemeinsamen Sprachgebrauch für eventuelle Rückfragen von Stakeholdern zum Projekt gilt es zu entwickeln. Durch die eingeschränkte Kommunikation in der virtuellen Welt ist präziser Sprachgebrauch umso wichtiger.
- Spielregeln ausmachen und auch einfordern. Als Beispiele wären Kamera und Mikrofon immer anschalten und Outlook-Client geschlossen lassen zu erwähnen. Es können auch andere und weitere Spielregeln sein. Wichtig ist, diese zu vereinbaren.«
Brigitte Schaden: »Ob Auftraggeber-Meeting oder Projektstatus-Meeting – laufende Abstimmungen und Besprechungen sind im Projektmanagement besonders wichtig. Ohne transparente Kommunikation läuft da gar nichts. Grundsätzlich gilt, ob im virtuellen oder traditionellen Meeting, offen zu kommunizieren und den gemeinsamen Austausch zu fördern. Besonders wichtig erscheint mir bei Online-Meetings die Einhaltung einer gewissen Meeting-Etiquette und das aktive Einplanen sozialer Elemente, wie zum Beispiel virtual coffee breaks. Auch kurze Spiele oder Icebreaker sind ein Weg, Online-Meetings sozialer zu gestalten.«
Vor- und Nachteile virtueller Projektteams
Durch räumliche Distanz wird die Entwicklung eines Wir-Gefühls behindert, das für die Zusammenarbeit in einem Team von hoher Bedeutung ist. Räumliche Distanz ist ebenfalls nicht besonders förderlich, wenn es um das Lösen von (latenten) Konflikten geht. Gegenseitiges Vertrauen ist bei virtuellen Teams besonders wichtig und fungiert als unsichtbarer Helfer in vielen Situationen. Welche weitere Vor- und Nachteile virtuelle Projektteams mit sich bringen, wissen unsere Interviewpartner.
Brigitte Schaden: »Die neuen Videokonferenz-Tools machen nicht nur angesichts der aktuellen Home-Office-Situation Sinn, sondern sind auch außerhalb von Krisenzeiten wertvolle Werkzeuge für Unternehmen, indem sie beispielsweise (Reise-)Kosten verringern sowie die Effizienz und Produktivität steigern können. Weiterer Vorteil: Durch das Wegfallen von Anfahrtswegen kann man Online-Meetings, z. B. bei Krisen, auch kurzfristig einberufen. Regeln, die für Face-to-Face-Meetings gelten, sind auch für Online-Meetings relevant. Mein Tipp: Für regelmäßig stattfindende Besprechungen sollten die Erwartungshaltungen an die jeweiligen Meetings abgeklärt werden. Weiters gilt es, Spielregeln zu vereinbaren. Eine wichtige Regel, die viel zur Effizienz beitragen kann: Alle Teilnehmer kommen pünktlich und gut vorbereitet in die Besprechung.«
Walter Sedlacek: »Als Nachteile würde ich die Herausforderungen, die ich oben genannt habe, unterstreichen. Wichtige Vorteile sind:
- Virtuelle Zusammenarbeit spart unproduktive Reisezeit und das Geld für teure Business-Trips.
- Energieverluste wie Jetlag, frühes Aufstehen oder spätes Nachhausekommen gehören der Vergangenheit an.
- Nutzen von Know-how und Ressourcen fernab von Standortgrenzen.
- Erfahrungen und Best-Practice-Beispiele können über Landes- und Standortgrenzen hinweg ausgetauscht und integriert werden.
- Interkulturelle Teamarbeit schafft die Möglichkeit, von unterschiedlichen Kulturen zu lernen und interkulturelle Kompetenz zu entwickeln.«
Die häufigsten Fehler
Führungskräfte machen vermutlich täglich Fehler. Manche stehen dazu, andere versuchen, sie unter den Tisch zu kehren. Für das Führen in virtuellen Projekten bedarf es besonderen Geschicks. Was sind die häufigsten Fehler in der Führung virtueller Projektteams?
Walter Sedlacek: »Hier möchte ich nur den einen, für mich wichtigsten Grund, nennen: Es dauert länger. Projektarbeit, die nur im virtuellen Raum stattfindet, dauert im Schnitt 1/3 länger, als wenn man sich vor Ort treffen kann. Das muss in die Planung eingebracht werden. Darauf zu vergessen, ist ein Kardinalfehler.«
Brigitte Schaden: »Wie bei Face-to-face-Meetings ist es ratsam, das Besprechungsziel und die Besprechungsthemen im Vorfeld festzulegen. Die Agenda sollte idealerweise ein paar Tage vor dem Meeting an alle Teilnehmer geschickt werden. Auch die Zeiteinheiten pro Thema kann man auf der Agenda vorplanen. So fällt es leichter, Gesprächspunkte zu priorisieren und Endlos-Debatten ebenso wie Open-End-Besprechungen zu verhindern. Eine besondere Herausforderung bei virtuellen Teams ist es, die Stimmungslage der Team-Mitglieder wahrzunehmen. Dabei kann sich diese nachhaltig auf die Arbeitsweise und somit die Leistung auswirken. Ein häufiger Fehler ist meiner Meinung nach Unterbrechen und nicht Zuhören. Ausreden lassen und konzentriertes Zuhören sind mehr als gutes Benehmen. Sie helfen mit, dass Besprechungen effizient und effektiv abgehalten werden. Ohne unnötige Wiederholungen und ohne verärgerte Stimmung, die durch häufiges ins Wort fallen und/oder abgelenkte Teilnehmer leicht entsteht.«
Führung vs. Selbststeuerung
Einige (ältere) amerikanische Studien behaupten, dass der Erfolg von virtueller Zusammenarbeit im Wesentlichen von den Aktivitäten der Projektleitung abhängt – und gar nicht so sehr davon, ob sich die Teammitglieder persönlich treffen. Dadurch schreiben sie der Funktion der Projektführungskraft besondere Bedeutung zu. (Quelle: »Projektmanagement in virtuellen Teams, Gerhard P. Krejci). Wir haben nachgefragt, ob das unsere Experten auch so sehen.
Brigitte Schaden: »Virtuelle Teams brauchen Moderatoren, die darauf achten, dass vereinbarte Regeln eingehalten werden – mit Fokus auf die Themen- und Zeitdisziplin aller Teilnehmer. Darüber hinaus muss darauf geachtet werden, dass konkrete Maßnahmen, Entscheidungen und Zuständigkeiten vereinbart werden. Denn Besprechungen sind keine unverbindlichen Zusammentreffen, sondern sollen greifbare Ergebnisse hervorbringen.«
Walter Sedlacek: »Führung ist natürlich erwünscht und unumgänglich. Der Stil muss sich anpassen, da ein wesentliches Element der Kommunikation – die nonverbale Kommunikation – wegfällt. Die Meetings müssen kürzer ausfallen, mehr Pausen eingeplant werden. Ziele sollten kürzer gesteckt werden und Elemente aus der agilen Welt, wie das Daily-Standup-Meeting bereichern den Führungsstil und helfen, mehr Transparenz zu schaffen.«
Erfolgsfaktoren
In der Literatur gibt es Hinweise auf Faktoren, die virtuellen Projekten zum Erfolg verhelfen:
- eine klare, gemeinsame Zieldefinition
- die richtigen Mitarbeiter auswählen
- aktives Team-Building fördern
- sensibles Konfliktmanagement
- technische Ausrüstung
- Selbstdisziplin und Selbstverantwortung aller Team-Mitglieder
wenn möglich hie und da persönlich treffen - Raum für informellen Austausch schaffen
Brigitte Schaden: »Ich möchte gerne noch einmal einen besonderen Erfolgsfaktor hervorheben: Vertrauen. Viele Unternehmen haben im letzten Jahr gesehen, dass Mitarbeiter aus dem Home-Office eigenverantwortlich ihre Arbeit erledigen. Führungspersonen tragen die Verantwortung für den Projekterfolg und müssen produktive Rahmenbedingungen für die Projekt-Mitarbeiter schaffen. Und es gilt Potenziale zu entdecken, Stärken zu nutzen und dort, wo notwendig, im Team zu unterstützen. Auch und besonders im virtuellen Umfeld.«