Employee Experience ist heutzutage mehr als ein HR-Trend. Das Ziel ist es, inspirierende Arbeitserlebnisse für Mitarbeiter zu schaffen, die sich unmittelbar auf deren Loyalität zum Unternehmen auswirken. Worauf dabei zu achten ist, erfahren Sie in diesem Artikel.
Haben Sie sich als HR-Manager oder als Führungskraft schon einmal ganz konkret die Frage gestellt, wie Ihr Unternehmen aus Sicht von Mitarbeitern, Bewerbern oder ehemaligen Mitarbeitern gesehen wird? Darum geht es nämlich bei dem Schlagwort »Employee Experience« (EX).
Angelehnt ist der Begriff an die Customer Experience, der die ganzheitliche Erfahrung eines Kunden mit einer Marke beschreibt und die Frage nach seiner Customer Journey und den Kontaktpunkten (Touchpoints) mit der Marke stellt.
Das wichtigste Kriterium bei diesem Thema sind die gesammelten Erfahrungen im Bewerbungsprozess, bzw. während der Arbeit. Wie verlief das Onboarding, falls es überhaupt eines gab? Wie sieht die Unternehmenskultur aus? Wie werden Erfolge gefeiert oder wie wird mit Fehlern umgegangen? Ziel ist es, zufriedene Mitarbeiter zu schaffen, die engagiert sind und loyal zum Unternehmen stehen und ihren Job mit Begeisterung ausüben. Denn zufriedene Mitarbeiter verweilen länger und sind effizienter. Und diese Begeisterung spüren selbstverständlich auch interne und externe Kunden.
Ist dies überhaupt ein Thema für Unternehmen in Österreich? Wenn ja, für welche? Nur für große Konzerne? TRAiNiNG hat nachgefragt, welchen Stellenwert Employee Experience in Österreich derzeit hat.
Niki Dürhammer (Geschäftsführer StepStone Österreich): »In unserer aktuellen Studie, die wir gemeinsam mit identifire durchgeführt haben, haben wir genau das Top-Manager und Mitarbeiter aus HR, Unternehmensentwicklung und Kommunikation im DACH-Raum gefragt. Das Ergebnis: 50 % geben an, dass Employee Experience in ihrem Unternehmen bereits einen hohen Stellenwert hat, 10 % erkennen sogar einen sehr hohen Stellenwert. In zwei Drittel der Unternehmen wird Employee Experience bereits durch konkrete Maßnahmen gestaltet. Man kann also sagen: Employee Experience ist in den Unternehmen in Österreich angekommen.«
Georg Konjovic (CEO karriere.at) sieht das ähnlich: »Vermutlich hat das Thema Employee Experience in Österreich einen zu geringen Stellenwert – weil er nicht hoch genug sein kann, wenn man bedenkt, wie umfassend die Konsequenzen sein können. Viele Unternehmen sind ja der Annahme, dass man ein Konzern sein muss, um Ressourcen für Employee Experience zu haben. Das Gegenteil ist der Fall: Nur weil es eine eigene Personalabteilung gibt, heißt das noch lange nicht, dass die sich automatisch besser um die Employee Experience kümmert, als wenn sich Chefs persönlich um Recruiting und Personal annehmen. Nur wenn die oberste Etage Commitment dafür zeigt und dieses auch lebt, herrschen die nötigen Voraussetzungen, um eine gute Employee Experience gestalten zu können. Das Verständnis dafür aufzubringen und den Zusammenhang mit anderen Bereichen zu erkennen (z. B. der Kundenzufriedenheit, die damit eng verbunden ist), das ist für Unternehmen oft noch sehr schwierig.«
Melanie Adam-Fischer (Juniorpartner von identifire): »Die aktuellen Studienergebnisse zeigen den bereits hohen Stellenwert von Employee Experience, lassen aber auch vermuten, dass es sich vielfach um Einzelmaßnahmen, nicht um Gesamtstrategien handelt. Arbeitgebermarken haben hier also noch einiges zu tun. Vereinzelte Maßnahmen sind eine Sache, Employee Experience hat aber vielmehr mit einem kompletten Kulturwandel zu tun. Lohnend ist stets der Blick hinter die Zahlen. Da wird nämlich schnell klar, dass in der Praxis wenig Trennschärfe zwischen Employer-Branding-Maßnahmen und Employee Experience (Design) besteht.«
Auswirkungen von Corona
Durch die Krise haben viele Mitarbeiter und Unternehmer Angst vor der Zukunft. Viele Veränderungen, Kurzarbeit und Home-Office haben in manchen Unternehmen nicht unbedingt vertrauensfördernd gewirkt. Die gesammelten Erfahrungen im Umgang mit der Krise verändern die Wahrnehmung auf das eigene Unternehmen.
Georg Konjovic: »Bei der Employee Experience geht es viel ums Mindset bzw. um den Willen dazu – und das hat die Corona-Pandemie in vielen Fällen definitiv beeinflusst. Viele Arbeitgeber haben erst jetzt den Stellenwert davon verstanden, was es heißt (körperlich und psychisch), gesunde Mitarbeiter zu haben. Die Themen Gesundheitsvorsorge und betriebliches Gesundheitsmanagement werden in Zukunft auf jeden Fall eine wichtige Rolle spielen.«
Niki Dürhammer: »Die Corona-Pandemie hat in vielen Bereichen wie ein Katalysator gewirkt: Plötzliches Home-Office, Führung auf Distanz, Zusammenhalt im Team trotz ausschließlich virtueller Kontakte – viele Trends der HR wurden dadurch deutlich beschleunigt und verstärkt, so auch Employee Experience. Die veränderten Bedürfnisse der Mitarbeiter haben die Relevanz des Themas auf jeden Fall verstärkt ins Bewusstsein gerückt. Um die notwendigen Ressourcen für die interne Umsetzung bereit zu stellen, hat Corona jedoch wenig beigetragen.«
Melanie Adam-Fischer: »IT-Ausstattung, Software und Tools haben durch die Corona-Pandemie einen wahren Boost erfahren, das spiegelt sich in den Ergebnissen wider. Aber natürlich auch die Bedürfnisse nach flexiblen Arbeitszeiten etc. haben mehr Beachtung erfahren.«
Ein Auszug aus der oben zitierten StepStone-Studie zeigt, was die Pandemie technisch verändert hat:
- 83 % der befragten Unternehmen bieten ortsunabhängig digitalen Zugriff auf die wichtigsten Informationen.
- 82 % greifen ortsunabhängig digital auf Server und Datenbanken zu.
- 73 % geben an, dass die wichtigsten Anwendungen und Programme auf jedem Gerät nutzbar sind.
- 66 % der Events werden auch online für Mitarbeiter angeboten.
- 61 % geben an, dass die Nutzerfreundlichkeit der bereitgestellten Geräte und Software sichergestellt ist.
Positive Mitarbeitererfahrungen erzeugen
Es sind oft Kleinigkeiten, die den großen Unterschied machen. Das Agieren der Personalverrechnung eines Unternehmen mit rund 30 Mitarbeitern zeigt es uns: Bei jeder Gehaltsüberweisung an die Mitarbeiter stand ein persönlicher Satz, den die Gehaltsempfänger auf ihren Kontoauszügen lesen konnten. Irgendetwas, das sie im letzten Monat besonders großartig gemacht haben. So freuen sich die Mitarbeiter nicht nur über das Geld, sondern auch über Anerkennung und Wertschätzung.
Was können Unternehmen, HR und Führungskräfte alles dazu beitragen, damit die Mitarbeiter positive Erfahrungen sammeln?
Melanie Adam-Fischer: »Employee Experience in der Unternehmenskultur zu verankern, ist Chefsache. Wird das Thema nicht von ganz oben getrieben, hat ein so mächtiges, vielschichtiges und interdisziplinäres Thema wie EX kaum eine Chance, wirklich strategisch angegangen zu werden und Einzug in die Gesamtorganisation zu halten. Für Führungskräfte muss der Employee-Experience-Ansatz fixer Bestandteil ihrer täglichen Arbeit sein. Zwischenmenschliches und ›Everyday Relationship‹ beeinflussen ebenso das gesamte Arbeitserlebnis, wie an den entscheidenden ›Moments that matter‹ für wahre WOW-Momente zu sorgen.«
Niki Dürhammer: »Es gibt im Grunde unendlich viele Möglichkeiten, das Erleben der Arbeitgebermarke zu verbessern. Employee Experience entsteht im Auge und der Gefühlswelt der Kandidaten und Mitarbeiter, beginnt mit dem ersten Sichtkontakt, etwa bei der Job-Ausschreibung und begleitet jede Phase des Employee Lifecycle. Im Grunde sind das alles Bereiche, wo man ansetzen kann. Human Resources muss daher viele Abteilungen und Puzzleteile orchestrieren und dafür sorgen, dass in Summe der Eindruck stimmt und das Arbeitgeberversprechen vom ersten bis zum letzten Tag eingelöst wird. Aber natürlich stellt sich die Frage: Wo beginnen?«
Die Studie von StepStone und identifire bietet einen Einblick, was andere Unternehmen bereits tun, um die EX zu verbessern:
Candidate Experience:
72 % nennen Ansprechpartner für Bewerber namentlich.
59 %: Bewerbungen können digital unter 10 Minuten eingereicht werden.
53 %: Anforderung und Angebot halten sich die Waage.
42 % verlinken zu einem Company-Portal, wo Bilder und Texte Einblicke in den Betriebsalltag bieten.
73 % der Befragten gaben an, dass sie sich innerhalb von 14 Tagen bei Kandidaten melden.
Lebensphasen berücksichtigen:
69 % berücksichtigen bereits Elternschaft aktiv in der Planung ihrer EX.
Know-how-Transfer:
Nur 16 % der befragten Unternehmen initiieren bereits Projekte, um Mitarbeiter unterschiedlicher Generationen zusammenzubringen und dem Know-how-Verlust durch die Pensionierungswellen der nächsten Jahre entgegenzuwirken.
Technik:
61 % geben an, dass die Nutzerfreundlichkeit der bereitgestellten Geräte und Software sichergestellt ist.
Weiterbildung:
72 % bieten zumindest hausinterne Weiterbildungen gemäß individueller Entwicklungsinteressen an.
Georg Konjovic: »In vielen Unternehmen wird die Employee Experience mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Idealerweise begegnet man dem Ganzen mit einem Konzept. Man fragt sich etwa: Wo können wir die Employee Experience in unserem Unternehmen spüren und messen? Es geht darum, festzustellen, was die wichtigsten Touchpoints sind. Die werden dann nach Priorität gestaltet. Das ist ein iterativer Prozess mit viel Herumprobieren, Feedbackschleifen, und das am besten zahlengestützt. Employee Experience gelingt meist nicht rein über Employer-Branding-Maßnahmen, sondern darüber, was Menschen über ihren Job erzählen. Ganz wichtig: Die Erfahrungen der Mitarbeiter müssen mit den Versprechungen im Employer Branding übereinstimmen. Wenn man weiß, was den Mitarbeitern wichtig ist und man es gemeinsam (!) umsetzt, können Erfolge sehr schnell spür- und messbar sein.«
Vorteile für Unternehmen
Warum ist das Thema in den letzten Jahren so wichtig geworden? Weil es enorme Vorteile für Unternehmen und Mitarbeiter bringt. Weil wir nicht mehr im Taylorismus arbeiten, sondern in einer selbstbestimmten Arbeitsumgebung. Weil glückliche Mitarbeiter besser für das Unternehmen sind.
Niki Dürhammer über weitere Vorteile: »EX wird in den nächsten Jahren zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Nicht nur, weil EX beim Kampf um die besten Bewerber eine immer größere Rolle spielen wird, sondern auch, weil sich eine positive EX auf Produktivität, Motivation und Innovationskraft auswirkt.«
Melanie Adam-Fischer: »Dass Unternehmen wirtschaftlich von Investitionen in die EX profitieren, zeigte schon die 2017 veröffentliche Studie von EX Thought Leader Jacob Morgan. Im Zuge seiner Studie stellte er nicht nur die berühmte EX-Formel auf, sondern bestätigt auch die These, dass die Unternehmen, die bereits in eine verbesserte Employee Experience investieren, auch mehr als das Vierfache des durchschnittlichen Gewinns erwirtschaften.«
Georg Konjovic: »Im Endeffekt geht es darum, Mitarbeiter mit ihrem Know-how zu halten – eine Mammutaufgabe! Denn wie wir aus diversen Umfragen wissen, sind mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer bereit, den Job zu wechseln, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Was wir auch wissen: Eine Kündigung kostet Arbeitgeber rund 15.000,– €. Und nicht zu vergessen ist, dass zufriedene, motivierte Arbeitnehmer bessere Arbeit leisten, die Innovation im Unternehmen vorantreiben und für mehr Kundenzufriedenheit sorgen. Das heißt, eine positive Employee Experience ist nicht nur ein ›Nice to have‹, sondern essenziell für den wirtschaftlichen Erfolg.«
Beispiele aus der Praxis
Abschließend hat TRAiNiNG die Interviewpartner um ein paar konkrete Beispiele gebeten, was alles getan werden kann, um positive Mitarbeitererfahrungen zu schaffen.
Georg Konjovic: »Für jedes Unternehmen zählt etwas anderes mehr oder weniger, aber Klassiker für Employee Experience sind zum Beispiel der erste Arbeitstag oder ein privates Ereignis. Das sind mitunter sehr emotionale Momente, die auch einflussreich auf die weitere Beziehung zum Arbeitgeber sind. Aus einer Erhebung von 2019 weiß man etwa, dass rund 30 % der Mitarbeiter bereits am ersten Tag demotiviert sind. Ein anderes Beispiel: Viele verlassen das Unternehmen noch in der Probezeit, wenn sie etwas anderes erleben, als vorab erzählt wurde. Das bedeutet doppelten Recruiting-Aufwand und die damit verbundenen Kosten. Das sind Dinge, die man mit gezielten Prozessen und Maßnahmen von vornherein abfangen kann.«
Niki Dürhammer: »Fachkräftemangel ist bereits heute ein Thema, das viele Unternehmen, vor allem KMU, trifft und laut aktuellen Prognosen wird es in Zukunft für Unternehmen noch schwieriger werden, wichtige Stellen zu besetzen. Schritt eins muss daher sein: Interne Potenziale voll auszuschöpfen, den Fachkräftebedarf mittel- und langfristig zu erheben und die Mitarbeiter im Unternehmen so zu schulen und weiterzubilden, dass sie künftig diese Stellen ausfüllen können. Dazu muss man sie aber halten und bei der Weiterbildung unterstützen. Schritt zwei muss sein, die richtigen Kandidaten zu erreichen. Dazu muss ich aber auch darauf eingehen, was diese brauchen. Wenn wir z. B. wissen, dass Inserate mit Video Content deutlich häufiger geklickt werden, warum mach ich dann kein Video? Wenn ich weiß, dass sich gute Leute aussuchen können, wo sie arbeiten und eine positive Candidate Experience die besseren Kandidaten bringt, dann sollte ich darauf einen Fokus legen und eben diese gewünschten Einblicke bieten, mich um Talente bemühen, persönlich und zeitnah antworten, authentisch auftreten, mich mit Videocontent abheben etc.«
Fazit
Employee Experience ist im Grundsatz ein Anstoß dazu, dass Prozessgestalter im Unternehmen sich in die Lage der Mitarbeiter und Kandidaten versetzen und den Arbeitsalltag damit mitarbeiterfreundlich gestalten wollen. Das ist sehr sinnvoll, da zufriedene Mitarbeiter länger bleiben und wirtschaftlicher arbeiten. Eine gute Employee Experience sorgt bei Mitarbeitern mit Kundenkontakt häufig automatisch für eine positive Customer Experience, also für zufriedenere Kunden. Es sind viele Kleinigkeiten, vor allem aber das Mindset der Führungskräfte, die für positive Erfahrungen im Unternehmen sorgen können.