Die Angst um die eigene Authentizität

Wohin mit den Händen beim Präsentieren? Sind übertrainierte Redner unauthentisch? Warum ist die »Merkelraute« bewusst gewählt? Gregor Fauma hat Antworten.

Als Präsentations-, Rede- und Medientrainer widerfahren mir regelmäßig auf Vorurteile basierende Widersprüche seitens der Kunden. Ich verbringe Jahrzehnte damit, Missverständnisse aufzuklären, Vorurteile auszuräumen und Kontexte zurechtzurücken.
Die unangefochtene Nummer 1 unter den Widerständen ist die Sorge um die eigene Authentizität. Kaum schlägst du ein neues Verhaltensmuster vor, kommt schon der Ruf: »Aber dann bin ich nicht mehr authentisch …!« Schon drücke ich die Playtaste in meinem Antwortspeicher und erkläre mein Konzept von Authentizität. Das beruht nämlich auf einem Können, auf dem Beherrschen einer Technik. Diese gilt es entsprechend lange zu üben. Talente sind da in der Regel flotter unterwegs. Und erst dann kann Authentizität zu wirken beginnen. Nämlich dann, wenn man eine Technik auf die einem eigene Art und Weise ausübt. Skifahren, Tennis, … viele Sportarten haben eine funktionierende Technik im Hintergrund, die es zu beherrschen gilt – aber die Vorhand eines Roger Federers sieht komplett anders aus als jene von Rafael Nadal. Erst einmal etwas kennenlernen, dann entsprechend bis zur Beherrschung üben, und dabei dann Authentizität entwickelt haben – so geht das. Wer diese Via Dolorosa nicht gehen mag, wird es nicht zur Meisterschaft bringen. Und wovor haben die meisten Angst? Dass sie auf der Via Dolorosa erwischt werden – denn sich weiterzuentwickeln scheint vielen gerade in Österreich immer noch peinlich zu sein. Traurige Diagnose, ich weiß.

Nächste Replik: Kaum müssen Menschen unter Beobachtung vor anderen kommunizieren, wissen sie nicht mehr, was sie mit ihren Händen machen sollen. Sie bitten dann um Hilfe. Ich drücke wieder meine innere Playtaste: Plan A ist es, die Hände und Arme nicht zu beachten, sie einfach hängen zu lassen, mitsprechen zu lassen, den Fokus auf etwas ganz anderes zu richten. Wenn das nicht geht, dann – und nur dann, – dürfen Sie die Moderatorenposition einnehmen. Das bedeutet, dass die Hände ganz knapp unter dem Nabel zusammenkommen, ohne dabei die Schultern hängen zu lassen oder die Finger ineinander zu verschränken, die Arme sind eher luftig am Rumpf denn angepresst. Man kann die Hände/Finger auf verschiedene Arten zusammenbringen. Dabei zu variieren ist kein Fehler. In Summe ganz einfach, wenn man es kann. Angela Merkel hat nach einigen Jahren eine fixe Handposition eingenommen – die berühmte Merkelraute. Warum? Weil sie nicht in unschicklichen Positionen von Fotografen und Kamerateams festgehalten werden wollte. Jogi Löw wurde einmal beim Taschenbillard gefilmt, einmal beim Nasenbohren. Er hätte sich die Merkelraute bestimmt gewünscht.
Zur Verzweiflung bringt mich der Einwurf, dass man es hören würde, wenn jemand eine rhetorische Technik trainiert hätte. Speziell bei Politikern ist dies der Fall. Diese Person, so schreiben es auch gerne Journalisten, wäre übertrainiert. Ganz falsch! Diese Personen sind untertrainiert – übertrainiert habe ich noch nie jemanden erlebt. Ich wüsste auch nicht, wie das aussehen soll. Ja, es ist schon seltsam. Da kommt jemand zu dir ins Training, spricht ganz normal und gut, und lernt dann eine Prägnanztechnik kennen. Und schon ist die normale Sprache wie weggefegt. Nur, weil die Gedanken neu geschlichtet werden, kippen die meisten in einen komischen Sing-Sang, ändern ihren Wortschatz in Richtung seltsamer Gebilde und verlieren jegliches Gefühl für Sprachmelodie, Gedanken am Wort und Sprechen zum Punkt. Ja, das hört man. Aber wer so auftritt, hat zu wenig trainiert, nicht zu viel.
Unlängst habe ich mit dem von mir sehr geschätzten Trainerkollegen Georg Wawschinek geplaudert. Wir waren uns rasch einig, dass unser Job sehr oft darin besteht, Menschen zu ihrer normalen Kommunikation zu ermutigen. Nicht unsere neuen Techniken stehen ihnen im Weg, sondern ihr Glaube, in Präsentationen, bei Reden oder TV-Interviews irgendwie anders sprechen zu müssen. Haben wir diese dann zu ihrem Ich zurückgeführt, können wir vorsichtig mit der einen oder anderen Technik deren Werkzeugkoffer erweitern. Wenn sie es zulassen.

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Gregor Fauma
ist Verhaltensbiologe, Trainer und Keynote-Speaker.
www.gregorfauma.com