Lernen aus der Konserve

Lernen durch fix fertige Videokurse ist eine gute Möglichkeit, um sich schnell und kostengünstig neues Wissen anzueignen. Welche Stärken und Schwächen Videokurse haben und für welche Themen sie sich eignen, lesen Sie in diesem Artikel.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen. Lernen, wie wir es aus der Schule kennen, ist eine Möglichkeit. Nicht unbedingt die beste, denn im Falle, dass Lehrer oder Trainer vor einer Gruppe stehen und monologartig über ihre Themen referieren, bleibt kaum etwas nachhaltig hängen. Gerade in den letzten zwei Jahren haben sich, situationsbedingt, Online-Trainings mehr und mehr durchgesetzt. Dabei gibt es verschiedene Varianten: Hybrid, Live-Online, aufgezeichnete Seminare etc. Aber auch Lernapps verhelfen bei vielen Themen zu neuem Wissen.

Und natürlich auch nicht zu vergessen: die meist günstigste Art zu lernen – Bücher und kostenlose Videos auf Youtube.

Für etwas professionellere Lernvideos als auf Youtube gibt es einige Plattformen, die für relativ wenig Geld Kurse für nahezu alle Themen anbieten. Ein Beispiel dafür ist Udemy (www.udemy.com). Hier finden alle etwas zu jedem Thema.

Sei es ein dreistündiger Kurs über die Zauberkunst um 15,– €, oder ein achtstündiger Kurs über »Gitarre für Einsteiger« um ebenfalls 15,– €. Aber natürlich gibt es hier auch berufliche Themen im Angebot wie z. B.: Leader-shipkurse, Präsentationskurse, Konfliktmanagement und vieles andere mehr. Es steht auf der Startseite von Udemy zu lesen, dass sie 183 000 Kurse anbieten. Und diese Kurse sind keinesfalls billige Videos. Nein, es sind (zumindest die drei Kurse, die wir für diesen Artikel gekauft und getestet haben) hochwertige, didaktisch gut aufbereitete Kurse, die sich in Lektionen aufteilen, Aufgaben für daheim geben und durchaus zum Dranbleiben motivieren. In der Wirtschaft haben sich auch schon einige Plattformen dazu gebildet, wie z. B. GoodHabitz, die für Unternehmen interessante Pakete je nach Mitarbeiteranzahl schnüren und unbegrenzte Zugänge zu allen Business-Kursen anbieten.

Fertige Videokurse »aus der Konserve« werden einmal produziert und dann verkauft, ohne sonstige Leistungen. Daher sind diese meist auch recht günstig. Sie sind nicht live, daher haben Teilnehmer keinerlei Möglichkeiten, eine Frage zu stellen oder etwas in anderen Worten erklärt zu bekommen. Dennoch bieten sie eine Lernmöglichkeit, die wir von der TRAiNiNG-Redaktion unter gewissen Voraussetzungen durchaus für Unternehmen empfehlen können. Nämlich z. B. unter der Voraussetzung, dass diese Kurse ergänzend zu einem (Präsenz- oder Online-)Training mit einem Trainer gekauft werden. Die Kosten für die Videokurse sind vernachlässigbar. Doch das Wissen, dass die Mitarbeiter hier schon generieren, bringen sie dann schon mit ins Training. Dadurch kann die Zeit im Seminar mit Üben verwendet werden, denn das können Videokurse nicht bieten. Es ist nicht sinnvoll, in einem Seminar über Kommunikation sämtliche relevante Kommunikationstheorien vom Trainer zu hören, dieses Wissen kann man sich wirklich vorher aneignen. Um die Anwendung allerdings, um die geht es dann im Training.

Vorteile von Videokursen

Viele Trainer sind skeptisch gegenüber fertigen Videokursen, da sie eine gewisse Konkurrenz darstellen. Doch aus unserer Sicht ist das zu kurz gedacht. Wie oben beschrieben stellen sie eine großartige Ergänzung dar und können den Output eines Lernkonzepts erhöhen. Wir haben zwei Trainer gefragt, welche Vorteile sie in Videokursen sehen.

Anna Langheiter (Trainer1 und Trainingsdesigner): »Fertige Videokurse geben den Teilnehmern die Möglichkeit, zeit- und ortsunabhängig zu lernen. Ob am Arbeitsplatz, im Home-Office, in den Bergen oder am Meer: Lernen ist immer möglich. Und ganz plakativ: Es ist Freitagabend und bis Montagfrüh möchte man ganz schnell viel Wissen zu einem Thema in sich hineinsaugen – dann ist so ein Videokurs wunderbar. Denn er kann jetzt(!) gebucht und gleich konsumiert werden. Ob man sich dabei nur die Videos ansieht oder auch die Übungen macht, bleibt einem selbst überlassen.«

Schien Ninan (Trainer und Partner bei HPS): »In unserem Bereich, also der Kommunikation, erachten wir Videokurse als wenig sinnvoll für die Weiterentwicklung der Kursteilnehmer, außer als Refresher im Zuge einer Learning Journey. Kommunikation ist Verhalten und Verhaltensänderungen müssen aktiv trainiert werden. Der Nutzen von Videokursen liegt also für die Teilnehmer darin, sich bereits gelernte und trainierte Trainingsinhalte in Erinnerung zu rufen und damit die Chance auf adäquate Anwendung zu erhöhen.«

Durch fertige Videokurse für firmeninterne Verwendung ist es innerhalb kürzester Zeit kostengünstig möglich, die Belegschaft zu schulen. Wenn z. B. ein neues Kassensystem eingeführt wird, das sich nur in wenigen Schritten vom alten System unterscheidet, können sogar selbst gemachte Kurzvideos hervorragende Arbeit leisten, und dazu muss kein Webinar abgehalten werden.

Themen für Videokurse

Das Angebot an Videokursen, die man im Netz findet, ist nahezu unendlich. So können Sie z. B. einen dreistündigen Kurs absolvieren, um einen Airbus-A320 zu fliegen. Der Kurs kostet mal wieder 15,– €. Im Vergleich zu einer formellen Ausbildung zum Airbus-Piloten, die vermutlich 100.000,– € und mehr kostet, ein wahres Schnäppchen. Doch – möchten Sie mit Piloten fliegen, die 3 Stunden ein Video dazu gesehen haben, wie man die Maschine steuert? Vermutlich nicht.

Also dieser Kurs eignet sich mehr oder weniger nur für an Flugzeugen interessierte Personen, um zu verstehen, was im Cockpit vorgeht. Ähnliches gilt für Businesskurse. Man bekommt einen Einblick in ein Thema, es mangelt aber an Übungszeit und Transfermöglichkeiten in den Alltag.

TRAiNiNG hat sich auch einen Programmierkurs angeschaut, und zwar über die Programmiersprache »Python«. Das Thema ist komplex, wir haben uns durchaus etwas geplagt und hätten gerne öfters Fragen gestellt. Aber es ist eine tolle Einführung, die dann sehr schnell in die Tiefe geht. Und wenn wir mehr Zeit investiert hätten, hätten wir vermutlich auch komplexere Programme schreiben können.

Nun gut, ich nehme einmal an, Sie als Leser sind weniger daran interessiert, ein Flugzeug fliegen oder programmieren zu lernen, sondern eher an relevanten Schulungen für Ihre Mitarbeiter. Dafür haben wir als Beispiel einen Kurs über »Verkaufen am Telefon« gekauft und größtenteils angesehen. Fazit: Der Kurs war gut, aber nicht großartig. Wir haben ein paar neue Tipps bekommen, die wir in der Form noch nie gehört hatten. War es phasenweise langweilig und langwierig? Eindeutig ja. Der Kurs war ein wenig in die Länge gezogen, vermutlich damit man mehr Lernzeit »verkaufen« kann. War er das Geld wert? 100 %! Bei den paar Euro, die diese Kurse kosten, genügt ein neuer Gedanke, der den Verkauf am Telefon verändert, und das war es dann schon wert. Hätten wir Telefonverkäufer, wir würden sie genau mit so einem Kurs beginnen lassen, um sie danach in ein Präsenzseminar zum Üben zu schicken.

Anna Langheiter sagt über die möglichen Themen: »Von Resilienz über Yoga, vom pferdegestützten Coaching & Training über Projekt- und Prozessmanagement, von den Wegen zur Klarheit bis zum Kochkurs: Videokurse kann man zu jedem Thema erstellen, zumindest fällt mir derzeit keines ein, wo das nicht möglich wäre. Denn Videos drehen und einen Kurs draus zu machen, ist das eine. Die Anwendungsorientierung das andere. Die Grenze liegt dort, wo es nicht hauptsächlich um Wissen (deklaratives Wissen), sondern um die konkrete Anwendung, oft mit einer Feedbackschleife (prozedurales und konditionales Wissen) geht. Wenn ich Kochen lernen will, dann kann ich mich in die Küche stellen und Schritt für Schritt der Video-Anleitung folgen. Die Rückmeldung gebe ich mir selbst oder ich bekomme sie von den von mir Bekochten. Anders ist es, wenn ich Präsenztrainer ausbilden will: Dann könnte ich zwar einen Videokurs vorab zur Verfügung stellen, doch z. B. das Arbeiten mit Flip und Pin, die Live-Training-Session mit dem Feedback durch alle Teilnehmer kann ich nur live durchführen. Und ich hoffe, dass das Fahren eines Gabelstaplers und die Herzdruckmassage nicht nur mit Videokursen gelernt wird.«

Kombination mit Präsenzkursen

Wie oben beschrieben eignet sich für ein nachhaltiges Lernen die Kombination von Videokursen mit Präsenzseminaren. Nur so kann sichergestellt werden, dass das theoretische Wissen auch in der Praxis richtig angewandt wird.

Anna Langheiter: »Je nach Aufbau der Videokurse können diese wunderbar mit Präsenzschulungen kombiniert werden: Das Ergebnis nennt sich Blended Learning. Und, je nachdem ob es sich um eine vor-, nachgelagerte oder verzahnte Struktur handelt, können die Videos zum jeweils notwendigen Zeitpunkt verwendet werden. Die Aufgabe des Trainingsdesigners ist es, zu entscheiden, ob dann die Videos sukzessive freigeschaltet werden oder ob die Teilnehmer gleich auf das ganze Material zugreifen können.«

Nachdem es so viel Lernmaterial zu fast allen Themen gibt, ist es ein zusätzlicher Mehrwert für Teilnehmer, wenn ihnen Trainer entsprechende Materialien zur Verfügung stellen, bzw. die Links zu Videos weitergeben. Trainer werden somit auch ein wenig zu Verwaltern von »Wissensressourcen« und können je nach speziellen Interessen der Teilnehmer im Seminar die entsprechenden weiterführenden und günstigen Videokurse empfehlen, sofern sie diese selbst kennen.

Didaktische Aufbereitung

Um einen dreistündigen Videokurs zu absolvieren, muss man wirklich motiviert sein, das eigene Wissen zu erweitern. Außerdem muss der Kurs abwechslungsreich und spannend sein. Überraschungsmomente sollten ebenfalls eingebaut sein, damit nichts zu vorhersehbar ist. Einfach nur in die Kamera sprechen und aufnehmen, ist zu wenig. Solche Kurse werden dann nicht oft gekauft, weil sie wenig Nutzen haben. Die meisten Kurse sind in mehrere kürzere, in sich abgeschlossene Lektionen unterteilt, sodass man beispielsweise täglich 15-Minuten-Einheiten ansehen kann, dieses neue Wissen dann übt und wenn wieder Zeit ist, die nächste Lerneinheit ansieht.

Anna Langheiter: »Beim Erstellen der Videos ist es wichtig, die Zielgruppe ganz klar im Fokus zu haben. Das Thema selbst muss didaktisch klug reduziert, mit guten Visualisierungen und einfach, aber nicht zu einfach sein. Wichtig ist, dass es einen Call-to-Action gibt, der die Kursteilnehmer auffordert, das Gelernte auch anzuwenden. Die Aufforderung zur Anwendung folgt dabei dem Prinzip: ›Mach es den Teilnehmenden zu leicht, um es nicht zu tun!‹, also sehr kleinteilige Anleitungen zu formulieren, die zu raschen Erfolgserlebnissen führen.«

Lernmotivation

Wer sich selbst und privat aus reinem Interesse einen Videokurs kauft, wird vermutlich motiviert sein, sich die gesuchten Informationen zu erarbeiten. Zumindest am Anfang. Wenn der Kurs langweilig ist bzw. nicht viele neue Informationen für die Lernenden bietet oder auch diese überfordert, werden die Teilnehmer rasch das Interesse verlieren und den Kurs nicht gut bewerten. Denn natürlich zählen auch die Bewertungen anderer Teilnehmer bei der Auswahl des passenden Kurses.

Wenn jemand von seinem Unternehmen »gezwungen« wird, einen Kurs zu absolvieren, kann das mit der Motivation schon mal schwieriger werden. Gleiches gilt natürlich auch bei Präsenzkursen. Hier können Trainer allerdings länger auf den Nutzen des Seminars eingehen und so Interesse aufbauen. Bei einem Videokurs fehlt natürlich die Gruppe als Motivator.

Anna Langheiter: »Wer an einem Videokurs dranbleiben will, klärt vorher, warum genau dieser Kurs jetzt wichtig ist. Früher war ich selbst nicht sorgfältig in der Aufbereitung des ›Warums‹. Doch das Geld ist schnell bezahlt und wenn ich dann nur das Intromodul schaffe, ist es gut für die Ersteller und weniger gut für mich als Lernende. Dieses ›Warum‹ sollte man am besten am Schreibtisch, auf der Pinnwand oder auf einem Post-it am Laptop gut sichtbar haben. Eine Learner Journey dient dazu, den Teilnehmern zu visualisieren, was in welcher Reihenfolge zu lernen ist und wie viel Zeitaufwand es dafür bedarf. Trägt man sich die Lern-, Reflexions- und Transferzeiten in den Kalender ein, erhöht das die Wahrscheinlichkeit des Dranbleibens. Besser funktionieren Videokurse allerdings, wenn sie von einer Gruppe oder von Trainern begleitet werden. Denn der soziale Kitt und die Erreichbarkeit der Trainer für die Lernunterstützung helfen den Lernenden. Wenn ich weiß, dass sich die Lerngruppe trifft oder die Trainer eine Sprechstunde anbieten, werde ich mich verlässlicher mit dem nächsten Videomodul auseinandersetzen. Auch die Diskussion über das zu lernende Material hilft beim Transfer in die oft unterschiedlichen Alltagsanwendungen.«

Geschäftsmodell für Trainer

Warum sich einige Trainer für Videokurse entschieden haben, liegt auf der Hand. Einmal bedeutet es viel Aufwand, dann kommt das Einkommen ganz von selbst. Theoretisch! Praktisch sieht das schon ganz anders aus und wir kennen nur wenige Trainer, die wirklich davon leben können.

Anna Langheiter über die Möglichkeiten, die Videokurse für Trainer bieten: »Die Idee hinter Videokursen ist, dass Zeit nicht direkt gegen Geld eingetauscht wird, sondern man sich einmal die Arbeit macht und passives Einkommen lukriert. Zusätzlich sehe ich Modelle mit Trainerbegleitung:

Fragen können auf einer Plattform gestellt werden und werden asynchron abgearbeitet.

Begleitender Kurs, wobei die Videoeinheiten parallel zum Training freigeschaltet werden.

Zu jedem Kurs werden eine gewissen Anzahl an Coaching-Stunden automatisch mitverkauft. Das hat den ›Nachteil‹ des Tausches von Zeit und Geld und den Vorteil, dass Coaching ortsunabhängig und die Transferbegleitung punktgenau erfolgen können.«

Fazit

Fertige Videokurse aus der Konserve sind in der Regel sehr günstig bis kostenlos. Hier erhält man schnell, flexibel und on-demand das Wissen, das man sich wünscht. Die Nachteile sind mangelnde Rückfragemöglichkeit und teils langwierige Lernstrecken, die vermeidbar wären. TRAiNiNG ist dennoch ein Fan von dieser Möglichkeit, die diese Lernplattformen bieten. Für diejenigen, die lieber ein Video schauen als ein Fachbuch zu lesen, bietet sich dies etwa zum etwa gleichen Preis an. Machen Sie sich selbst ein Bild und suchen Sie sich einen Kurs aus!

Schildern Sie uns doch bitte Ihre Erfahrungen damit: office@magazintraining.com

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langheiter

Anna Langheiter

»Je nach Aufbau des Videokurses können diese wunderbar mit Präsenzschulungen kombiniert werden.«

annalangheiter.com

 

Schien-Ninan

Schien Ninan

»Der Nutzen von Videokursen liegt für die Teilnehmer darin, sich bereits gelernte und trainierte Trainingsinhalte in Erinnerung zu rufen und damit die Chance auf adäquate Anwendung zu erhöhen.«

www.hps-training.com

 

 

Zur sprachlichen Gleichbehandlung aller Menschen verwenden wir geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen auf Basis des generischen Neutrums.
Infos dazu unter www.generisches-neutrum.com