Die EU hat eine Richtlinie für die Work-Life-Balance erlassen. Welche Relevanz diese für Österreich hat, beschreibt Birgit Vogt-Majarek.
Mit der »Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige« – kurz »Work-Life-Balance-RL« (RL) wurden von der EU Mindestvorschriften zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben festgelegt. Die Richtlinie wäre bis 2. August 2022 umzusetzen, wobei es bisher keinen (aktuellen) Gesetzesentwurf in Österreich gibt. Das liegt sicher auch daran, dass Österreich, anders als andere Mitgliedstaaten, bereits vor Abschluss der RL umfassende Möglichkeiten der Elternkarenz, Pflegefreistellung etc. und teilweise auch weiter reichende Rechte als die RL vorsah. Dennoch ergibt sich in einzelnen Punkten Anpassungsbedarf. Der folgende Artikel fasst die wesentlichen Eckpunkte der RL und deren Umsetzungsstand in Österreich sowie gebotene Ergänzungen zusammen.
Anspruch auf Vaterschaftsurlaub
Die Richtlinie bestimmt, dass Väter sowie gleichgestellte zweite Elternteile Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub anlässlich der Geburt eines Kindes haben. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, ob der Vaterschaftsurlaub auch teilweise vor der Geburt des Kindes oder ausschließlich danach und ob er in flexibler Form konsumiert werden kann. Der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub ist laut RL nicht an eine vorherige Mindestbeschäftigungs- oder Betriebszugehörigkeitsdauer geknüpft und unabhängig vom Ehe- oder Familienstand des Arbeitnehmers (nach nationalem Recht) zu gewähren. Während des Vaterschaftsurlaubs ist grundsätzlich eine Vergütung in jener Höhe zu gewähren, wie sie dem Anspruch bei Unterbrechungen der Tätigkeit wegen Krankheit oder Unfall entsprechen würde.
Die Mitgliedstaaten können für die Vergütung eine vorherige Beschäftigungsdauer von maximal sechs Monaten unmittelbar vor dem errechneten Geburtstermin des Kindes vorsehen. In Österreich kann von Arbeitnehmern seit September 2019 ein »Papamonat« gegen Entfall des Entgelts bis zum Ende des Beschäftigungsverbots der Kindesmutter (d. h. acht bis zwölf Wochen nach der Geburt) konsumiert werden. Der während des Papamonats zustehende »Familienzeitbonus« (von € 22,60 täglich) ist bei der Krankenkasse zu beantragen und schmälert bei Inanspruchnahme von Karenz das (vom Modell und der Dauer der Karenz abhängige) Kinderbetreuungsgeld. Eine Anpassung der bisher für den Papamonat vorgesehenen Vergütung an die RL-Vorgaben ist aufgrund der laut RL zulässigen Ausnahmen wohl nicht geboten.
Recht auf Elternkarenz im Ausmaß von vier Monaten
Laut RL ist zudem zu gewährleisten, dass alle Arbeitnehmer einen eigenen Anspruch auf vier Monate Elternurlaub haben, der zu verbrauchen ist, bevor das Kind ein bestimmtes Alter erreicht. Dieses Alter kann von den Mitgliedstaaten so festgelegt werden, dass jeder Elternteil sein Recht auf Elternurlaub tatsächlich und gleichberechtigt wahrnehmen kann (jedoch maximal acht Jahre nach der Geburt des Kindes). Zwei Monate dieses Anspruchs sind jedoch ausnahmslos nicht auf den anderen Elternteil übertragbar. Die Mitgliedstaaten können den Anspruch auf Elternurlaub von einer Beschäftigungs- oder Betriebszugehörigkeitsdauer von maximal einem Jahr abhängig machen und zudem festlegen, unter welchen Umständen ein Arbeitgeber die Gewährung des Elternurlaubs mit schriftlicher Begründung aufschieben darf, weil diese zum vom Arbeitnehmer gewünschten Zeitpunkt eine gravierende Störung der betrieblichen Abläufe bewirken würde.
Urlaub für pflegende Angehörige
Die Mitgliedstaaten haben ferner sicherzustellen, dass Arbeitnehmer Anspruch auf (zumindest) fünf Arbeitstage pro Jahr Urlaub für die Pflege von Angehörigen haben. Aus den Erwägungen der RL geht hervor, dass Hintergrund für diese Vorgabe der durch die Bevölkerungsalterung allgemein steigende Pflege- und Betreuungsbedarf in der Familie war. Der Pflegeurlaub darf laut RL von einem geeigneten Nachweis abhängig gemacht und für diesen auch ein anderer Bezugszeitraum als ein Jahr (pro unterstützungsbedürftiger Person oder pro Fall) eingeräumt werden. Außerdem ist vorzusehen, dass Arbeitnehmer im Falle höherer Gewalt das Recht auf Arbeitsfreistellung aus dringenden familiären Gründen haben, wenn eine Erkrankung oder ein Unfall ihre unmittelbare Anwesenheit erfordern, wobei die aufgrund dessen gewährte Freistellung pro Jahr und/oder pro Fall beschränkt werden kann.
Flexible Arbeitszeitregelungen
Laut RL muss der nationale Gesetzgeber notwendige Maßnahmen dafür ergreifen, damit Arbeitnehmer mit Kindern bis zu einem bestimmten Alter (von mindestens acht Jahren) sowie pflegende Angehörige das Recht haben, flexible Arbeitsregelungen für Betreuungs- und Pflegezwecke zu beantragen, wobei dafür eine angemessene zeitliche Begrenzung vorgesehen werden kann. Jede Ablehnung eines solchen Antrags bzw. jede Aufschiebung der Inanspruchnahme muss vom Arbeitgeber begründet werden. Nach Ende der vereinbarten Zeitspanne, bzw. bei besonderen Umständen schon vorher, können die Arbeitnehmer zum ursprünglichen Arbeitsmuster zurückkehren. Die RL regelt, dass der Anspruch auf Beantragung flexibler Arbeitsregelungen von einer Beschäftigungsdauer von maximal sechs Monaten abhängig gemacht werden darf.
Diskriminierungs- und Kündigungsschutz
Die Richtlinie enthält auch Regelungen zum Schutz vor Schlechterstellung von Arbeitnehmern, die Vaterschaftsurlaub/Elternurlaub/Pflegeurlaub/flexible Arbeitszeit u. a. i.S.d. RL beantragen oder in Anspruch nehmen. Macht ein Arbeitnehmer geltend, dass seine Kündigung aufgrund einer solchen Inanspruchnahme/eines entsprechenden Antrags erfolgt ist, trifft den Arbeitgeber vor Gericht oder anderen zuständigen Stellen die Beweislast dafür, dass die Kündigung auf anderen Gründen basiert. Diese Vorgaben sind im Wesentlichen bereits jetzt gesetzlich vorgesehen und werden durch den besonderen gesetzlichen Kündigungsschutz während Mutterschutz, Elternkarenz und Elternteilzeit, wonach eine Kündigung grundsätzlich nur aus den im Gesetz angeführten Gründen nach vorheriger gerichtlicher Zustimmung wirksam erfolgen kann, sogar (weit) überschritten. Für die Zeit nach dem 4. Geburtstag bis zum 7. Geburtstag des Kindes besteht im österreichischen Recht ein der RL entsprechender Motivkündigungsschutz.
Anpassungsbedarf in Österreich?
In Österreich sehen Mutterschutzgesetz (MSchG) und Väterkarenzgesetz (VKG) bereits bisher umfassende Ansprüche i.S. Elternkarenz und Elternteilzeit vor, die z. T. weit über die Standards der RL hinausgehen. Mütter haben laut Gesetz zunächst ein absolutes Beschäftigungsverbot von i.d.R. acht Wochen vor und nach der Geburt. Beide Elternteile (bzw. diesen gleichgestellte Personen) können bereits jetzt bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes (mit dem sie im gleichen Haushalt leben) in Karenz gehen; einen Monat Karenz dürfen sie zeitgleich in Anspruch nehmen. Die zweijährige Zeitspanne laut Gesetz für die Elternkarenz steht grundsätzlich im Einklang mit den Vorgaben der RL (wonach der mögliche Verbrauch des »Elternurlaubs« durch Gesetz oder Kollektivvertrag mit einer Zeitspanne bis maximal zum achten Geburtstag des Kindes festzulegen ist, aber eben auch kürzer sein darf). Im Anschluss gibt es für beide Elternteile laut MSchG oder VKG die Möglichkeit, Elternteilzeit in Anspruch zu nehmen. Dabei wird die (vorher vereinbarte) Arbeitszeit um mindestens 20 % verringert (die verbleibende Wochenarbeitszeit muss mindestens 12 Stunden betragen). Ein Anspruch auf Elternteilzeit besteht in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern und bei einem mindestens drei Jahre andauernden Arbeitsverhältnis, längstens bis zum Ablauf des siebten Lebensjahres des Kindes. Andernfalls kann Elternteilzeit auch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbart werden. Der in der RL vorgesehene unübertragbare Anspruch von zwei Monaten Elternurlaub, der vom Elternteil konsumiert werden muss, und sonst verfällt, ist dagegen noch nicht gesetzlich geregelt und müsste wohl angepasst werden.
In puncto finanzielle Absicherung wie im Krankheitsfall sieht die RL eine Ausnahme dahingehend vor, dass während des Vaterschaftsurlaubs keine finanzielle Leistung in der Höhe des bei Unfall oder Krankheit zustehenden Entgelts vorgesehen sein muss, wenn es während des Elternurlaubs für jeden Elternteil in der Dauer von mindestens sechs Monaten einen Einkommensersatz von mindestens 65 % gibt, auch wenn dafür eine Obergrenze gilt. In Österreich gibt es während der Elternkarenz das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (von der Krankenkasse) mit einem Einkommensersatz von (bis zu) 80 % (maximal jedoch 2.000,– €). Denkbar wäre daher, dass Österreich keine weitere Anpassung der finanziellen Gegenleistung im Gesetz vorsieht. In § 16 Urlaubsgesetz (UrlG) ist bereits bisher die Pflegefreistellung verankert, wonach Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für eine Woche gegenüber dem Arbeitgeber haben, wenn sie u. a. wegen der notwendigen Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden, erkrankten nahen Angehörigen oder wegen der notwendigen Betreuung seines (Wahl- oder Pflege-)Kindes oder des leiblichen Kindes des anderen Ehegatten/Lebensgefährten infolge eines Ausfalls der das Kind sonst betreuenden Person nachweislich verhindert sind.
Darüber hinaus besteht laut UrlG Anspruch auf bezahlte Freistellung für eine weitere Woche innerhalb eines Arbeitsjahres, wenn die Arbeitnehmer den Freistellungsanspruch verbraucht haben, jedoch wegen der notwendigen Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten Kindes, das das zwölfte Lebensjahr noch nicht überschritten hat, an der Arbeitsleistung neuerlich verhindert sind. Andernfalls können die Arbeitnehmer einseitig Urlaub (ohne vorherige Vereinbarung mit dem Arbeitgeber) antreten. Die Freistellung wegen höherer Gewalt laut RL wird betreffend Kinder wohl bereits durch die erwähnte Pflegefreistellung erfüllt, reicht in puncto sonstige Angehörige aber u. U. weiter als das UrlG dies vorsieht. Hier könnte sich daher trotz der z. T. weit über die Mindestvorschriften der RL hinausgehenden nationalen Regelungen noch gesetzlicher Anpassungsbedarf ergeben.