Rundum zufriedene Mitarbeiter?

Regelmäßig werden Mitarbeiter und Führungskräfte von unterschiedlichen Menschen bewertet. 360°-Feedback nennt sich eine Methode, Mitarbeitergespräche eine weitere. In diesem Artikel beschreiben wir beide Methoden mit deren Vor- und Nachteilen und geben wichtige Hinweise für die praktische Umsetzung im Unternehmen.

Zur Einschätzung der Kompetenzen und Leistungen von Mitarbeitern, besonders von Fach- und Führungskräften, gibt es das Instrument des 360°-Feedbacks. Die Idee dahinter ist denkbar einfach, die Umsetzung nicht immer. Die Führungskraft wird aus verschiedenen Perspektiven (z. B. vom Vorgesetzten, vom Kollegen von Teammitgliedern oder auch – zumindest theoretisch – vom Kunden) »bewertet«. Im Optimalfall gibt es ebenfalls eine Selbstbewertung der Führungskraft, um im Anschluss Eigen- und Fremdbild zu vergleichen und so ein objektives Feedback zu erhalten. Das Fremdbild wird anonymisiert, damit bei negativer Bewertung keine Konsequenzen zu befürchten sind. Einzusetzen ist es dann, wenn jemand wirklich und ehrlich gemeintes Feedback wünscht, so wie bei jedem anderen Feedback auch. Wird es hingegen verwendet, um die Performance oder die Beliebtheit einzelner Mitarbeiter zu vergleichen – was in der Praxis regelmäßig vorkommt – birgt es Gefahren. Harald Preyer (Gründer und Partner von EUCUSA) weiß, wie das Instrument in der Praxis angewandt wird: »360°-Feedbacksysteme sind in Wirklichkeit meist 270°-Feedbacks. Viele Unternehmen sind es noch nicht, die wirklich den Mut haben, die Meinung der Kunden über die Führungskräfte einzuholen. Umso wirksamer werden die Feedbacks, wenn auch die Kundenmeinung rückgespiegelt wird. Wirklich kundenorientierte Unternehmen orientieren sich schließlich radikal an ihren Kunden. Dabei ist wesentlich, nicht nur nach der Zufriedenheit mit Teilaspekten zu fragen, sondern auch nach der Wichtigkeit dieser Themen aus Kundensicht. Das macht die anschließenden Umsetzungsmaßnahmen erst effektiv und kundenorientiert. Beispiel: Die Fachkompetenz einer Führungskraft wird den meisten Kunden unwichtig sein. Ihre Fähigkeit, im Eskalationsfall bei einer Beschwerde rasch, unbürokratisch und nachvollziehbar zu entscheiden, wird eher wesentlich sein.«

Gefahren

Richtig eingesetzt bietet 360°-Feedback für die zu bewertende Führungskraft ein geniales Feedback. Falsch eingesetzt birgt es einige Risiken.

Katharina Sigl (Strategische Leitung Didactic bei Festo Österreich) kennt ein Risiko aus der Praxis: »Wenn Führungskräfte mit dem Feedback alleine gelassen werden und die Reflexion bzw. Umsetzung der Erkenntnisse alleine in der Verantwortung der Führungskraft liegt. Fehlinterpretationen mangels Erfahrung können die Folge sein. Auch ist es bei fehlender professioneller Begleitung (Coaching) oft schwierig, die echten ›Big Points‹ anzupacken – oder es geht nach großer anfänglicher Motivation bei der Umsetzung rasch die Ausdauer verloren. Ein organisierter, begleiteter Transferprozess darf beim 360°-Feedback nicht fehlen.«

Barbara Thoma (Geschäftsführung ARGO) kennt weitere Gefahren und gibt einen Überblick:

»Falsches Instrument: Werden die Fragen des 360°-Feedbacks falsch gestellt, also lassen sie z. B. Bewertungen und Zuschreibungen zu, statt Häufigkeiten von beobachtbarem Verhalten abzufragen, kann das Ergebnis ins Revanchistische, wenig Konstruktive oder Nichtssagende kippen.

Falscher Anlass: Will ich ein Führungsteam beurteilen und vergleichen, ist im ersten Schritt ein 360°-Feedback ungeeignet. Unerwünschte Verzerrungen im Vorfeld – von Versprechungen, Belohnungen bis hin zu Einschüchterungen oder auch Sorge um den Feedbacknehmer oder Anzweiflung der Anonymität des Feedbackgebers – führen zu wenig sinnvollen Ergebnissen z. B. einer undifferenzierten positiv Bewertung aller Personen in allen Items. Einsatz des 360°-Feedbacks in diesem Sinn ist nur in Organisationen mit hoher Feedbackkultur nach wiederholter, positiv erlebter Durchführung sinnvoll. In allen anderen Fällen gibt es für Auswahl und Potenzialabschätzung weit bessere und organisationssensiblere Instrumente!

Falscher Umgang mit den Ergebnissen: Das Versprechen der Anonymität muss eingehalten werden: Weder dürfen Ergebnisse in falsche Hände geraten, noch darf der Feedbacknehmer Einzelnennungen zurückverfolgen. Das ist bezüglich der quantitativen Daten durch den Anbieter sicherzustellen. Die Antworten auf die offenen Fragen, die 1:1 im Berichtsband stehen, können durch Wortwahl, Schreibweise und Formulierung zuordenbar sein. Darauf muss im Vorfeld hingewiesen werden, damit der Feedbackgeber ein spontanes und für ihn typisches ›Manchmal glaub ich, der Chef is derrisch!‹ in ein ›Ich habe oft den Eindruck, dass der Chef mir nicht wirklich zuhört‹ umformulieren kann. Besonders wichtig ist es, dass der Feedbacknehmer nach Erhalten seiner Ergebnisse eine kurze Rückmeldung an die Feedbackgeber gibt mit einem Danke und seinem ersten Gesamteindruck. Jeder weiß ja, dass der Chef seine Ergebnisse erhalten hat, und beobachtet, wie der wohl jetzt reagiert. In der Folge sind Gespräche mit den Feedbackgebergruppen sinnvoll, wo nachgefragt werden kann und man sich zu einzelnen Umsetzungszielen verpflichtet. So stellt man sicher, dass auch der Feedbackgeber sieht, dass sich die Mühe gelohnt hat – ein produktiver Lernkreislauf etabliert sich.«

Der Umgang mit den Ergebnissen ist das A und O. Schnell kann es also zu Unzufriedenheit und Demotivation des zu bewertenden Mitarbeiters kommen. Coaches können hier, wie schon kurz beschrieben, helfen, das Resultat und die Aussagen besser anzunehmen und zu verstehen. Paul Lürzer (Vize Präsident des ICFs sowie Trainer und Coach) hat als Coach Erfahrungen dazu in der Praxis gesammelt: »Bei einer wirklich exzellent vorbereiteten Mitarbeiterbefragung der Filialen in einem der größten Geldinstitute in einem Bundesland in Deutschland wurde ich als Coach eingeladen, die Führungskraft bei der Ergebnisanalyse zu begleiten und anschließend in Teamcoachings die wesentlichen Punkte zur Umsetzung zu bringen. Dabei habe ich erlebt, wie rasch die ersten Interpretationen der Leitenden oftmals in eine falsche Richtung liefen und dass die Umsetzungen manchmal viel zu problemorientiert angedacht wurden. Einfache aber wirkungsvolle Coaching-Tools ebneten den Weg zum nachhaltigen Erfolg. Die erhaltenen Feedbacks sowohl von den Führungskräften als auch von den Mitarbeitern bestätigten die Wirkung des Coachings sehr eindrucksvoll.«

Ehrlichkeit?

Gerade die als Vorteil angesehene Möglichkeit, wegen der unterschiedlichen Perspektiven ein möglichst zutreffendes Bild vom Mitarbeiter zu zeichnen, erweist sich in der Praxis regelmäßig als Illusion. »Wenn man 5 Mitarbeiter denselben Manager mithilfe desselben Fragebogens beurteilen lässt, ist die Überlappung in den Aussagen im Schnitt nur 30 %«, weist Oswald Neuberger in einem Artikel der FAZ auf einschlägige Forschungsergebnisse hin. Grund: Statt des Managers selbst werde die Qualität der Beziehung zu diesem beurteilt. Und zu diesem Urteil kommt es möglicherweise, weil der Feedbackgeber sich an ein besonders (un)angenehmes Zusammentreffen mit dem Beurteilten erinnert – Psychologen sprechen hier vom sogenannten Ankereffekt.

Barbara Thoma weiß, wie man schöngefärbten Aussagen vorbeugen kann: »Im 360°-Feedback funktioniert das durch den passenden Anlass für den Einsatz und eine sorgfältige Kommunikation und Umsetzung. Im Mitarbeitergespräch durch hohe Gesprächskompetenz vonseiten der Führungskraft und die Bereitschaft, dieses Gespräch gemäß seinem Sinn – der Verbesserung der Zusammenarbeitsqualität von Mitarbeiter und Führungskraft im Sinn der gemeinsamen Ergebniserreichung – zu nutzen.«

Ablauf und Kosten: 360°-Feedback

Für den zeitlichen Rahmen und den Ablauf gibt es kein Patentrezept. Je nach Unternehmensgröße, Anzahl der involvierten Personen etc. gibt es hinsichtlich Zeit und Kosten Unterschiede. Das macht auch einen Anbietervergleich recht mühsam. Die Angaben über Preise, Kosten und Leistungen der Anbieter sind verwirrend und intransparent. Achten Sie darauf, dass der Fragebogen den notwendigen Qualitätsstandards (Objektivität, Validität und Reliabilität) entspricht. Zu beachtende Kosten sind unter anderem faktische und Opportunitätskosten, Verfahrens- und Folgekosten, Sachkosten wie Materialkosten, Fremdkosten (Berater), Arbeitszeit – und das alles kurz- und langfristig. Daher empfiehlt es sich, sich immer persönlich von der Qualität der Berater zu überzeugen und alle Fragen zu stellen, um Unklarheiten zu beseitigen.

Katharina Sigl schildert einen optimalen Ablauf: »Zunächst definieren die Geschäftsleitung und HR gemeinsam, begleitet von einer professionellen, neutralen Organisation, die entscheidenden Fragencluster. Diese sollten bestmöglich von den Werten und strategischen Zielen des Unternehmens abgeleitet sein. In Iterationsschleifen werden dann die Fragencluster mit HR operationalisiert und im Anschluss der Feedbackgeber-Kreis definiert. Das 360°-Programm sollte bei der Geschäftsleitung starten. Dann werden die Führungskräfte über das Programm informiert und etwaige Fragen geklärt. Anschließend wählen die Führungskräfte die Feedbackgeber aus und der Prozess der Selbst- und Fremdbewertung wird gestartet. Sind die Befragungen abgeschlossen, werden die Ergebnisse von der neutralen Organisation ausgewertet und der Führungskraft zu Verfügung gestellt. Nun kann dann der Reflexions-, Erkenntnis- und Maßnahmenprozess gestartet werden.

Schritt 1: Selbst gesteuerte Reflexion und erste Erkenntnisse

Schritt 2: Reflexion mit einem Coach führt zu weiteren Erkenntnissen und ersten Ideen für konkrete Maßnahmen

Schritt 3: Reflexion mit dem Vorgesetzten und Präsentation der Ideen – festlegen der Umsetzungsbegleitung

Schritt 4: Definition und Abstimmung eines Aktionsplans

Schritt 5: Einbindung der Mitarbeiter – Start der (idealerweise begleiteten) Umsetzung.«

Mitarbeitergespräche

Im Unterschied dazu gibt es die Mitarbeitergespräche, die auch das Ziel haben, Feedback zu geben und zu erhalten, vor allem aber über Leistungen zu sprechen. Barbara Thoma weiß: »Das jährliche Mitarbeitergespräch kann nicht durch ein 360°-Feedback ersetzt werden. Es kann der Rahmen sein, in dem die gesteckten Entwicklungsziele daraus weiter beobachtet werden, hat aber darüber hinaus viele andere Funktionen zu erfüllen. Im Gegenzug bietet es nicht die breite und tiefe Qualität an Feedback.«

Mitarbeitergespräche gibt es in unterschiedlichen Formen, mit standardisierten Fragebögen oder völlig offen oder Mischformen. Es ist für den Mitarbeiter meist eine angespannte Situation, daher ist eine empathische Herangehensweise der Führungskraft empfehlenswert. Nicht jeder Leader kann sofort ein Mitarbeitergespräch führen.

Paul Lürzer rät: »Eine fundierte Ausbildung ist für Führungskräfte unabdingbar. Wer der Meinung ist, als Führungskraft hat man das schon drauf, irrt. Ablaufbeschreibungen und Checklisten geben zwar Hilfe, aber wie so oft, steckt auch hier der Teufel im Detail. In manchen Organisationen habe ich mehrseitige Formulare gesehen, die dann in einem einseitigen Gespräch einfach abgehakt wurden. Das hat den Namen Mitarbeitergespräch nicht verdient und führt kaum zum Erfolg. So wenig Regelwerke/Formalismen wie notwendig und soviel Freiraum bei der Durchführung wie möglich, lautet daher die Devise. Und Mitarbeitergespräche können nicht verordnet werden. Wenn eine Führungskraft den Sinn nicht erkennt, ist auch das Instrument nutzlos und erzeugt Demotivation und Frust.«

Es gibt für Führungskräfte regelmäßig Situationen, die unvorhersehbar sind. Nehmen wir an, die Führungskraft Simone hat einen Mitarbeiter namens Wolfgang und ist mit ihm unzufrieden. Er ist in den Augen von Simone demotiviert, arbeitet langsam und fordert ständig ein höheres Gehalt. Wolfgang selbst fühlt sich als langjähriger Mitarbeiter nicht wertgeschätzt, obwohl er doch alle Aufgaben gründlich und ordentlich erledigt. Hier ist beim Mitarbeitergespräch viel Fingerspitzengefühl erforderlich. Simone sollte sich gründlich auf das Gespräch vorbereiten und sachliche Argumente sammeln. Externe Coaches können hier helfen. Paul Lürzer weiß genau, warum: »Beim Mitarbeitergespräch kann ein Coach als Sparringpartner wertvolle Dienste bei der Reflexion/Vorbereitung für die Führungskraft leisten. Ergebnis- und Prozessanalyse sind wesentliche Faktoren. Auch wie schwierige Themen gekonnt angesprochen werden können, schafft wertvolle Entwicklungspotenziale für Führungskräfte. So kann das Führungstool Mitarbeitergespräch permanent Nutzen stiftend und sinnvoll erweitert werden.«

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