Warum Menschen in die Kurzfrist-Falle tappen, wie wir alle dort herauskommen, und welche Folgen das für die Führung der Zukunft hat.
Wie sehen Sie die Zukunft grundsätzlich?
Die Lebensqualität wird sich weiter verbessern, und zwar weltweit. Wir haben heute schon und werden noch viel mehr erstaunliche technische Möglichkeiten dafür nutzen können. Auf der anderen Seite verstehen wir den Menschen immer besser und können mehr für unser Wohlbefinden tun. Das sind alles chancenreiche Zukunftsmärkte.
Wir geraten allerdings immer häufiger in die Kurzfrist-Falle, so dass wir am Ende zwar mehr Lebensqualität haben können, aber die Grundlagen dafür zerstören. Wir fischen die Meere leer. Wir holzen Wälder ab. Und es gibt so gut wie keinen entwickelten Staat, dessen Haushalt nicht chronisch defizitär wäre, in dem also nicht ständig mehr ausgegeben als eingenommen wird. Auch unsere Ernährung und Lebensweise ist nach wie vor wenig intelligent. Es zählt vor allem der kurzfristige Vorteil, das sofortige Wohlgefühl, die langfristigen Folgen sind uns viel zu gleichgültig.
Warum tappen wir in die Kurzfrist-Falle?
Als wir noch gejagt und gesammelt haben, war der Blick in die Zukunft nicht nötig. Also hat uns die Natur – oder wer auch immer – diese Fähigkeit nicht gegeben. Unser Gehirn hat sich in den letzten Jahrtausenden praktisch nicht verändert. Wir sind gebaut für eine Welt, in der sich wenig verändert und in der unser Tun keinen großen Schaden für uns oder andere anrichten kann. Heute müssten wir ständig die langfristigen Folgen unseres Tuns abschätzen, was uns leider immer weniger gelingt. Wir haben eine so schnelle und komplexe Welt geschaffen, dass wir überfordert sind. Wir sind für ein Leben in der Gegenwart gebaut.
Was ist Ihrer Ansicht nach zu tun?
Jeder Mensch muss seine Entscheidungen und Taten viel stärker danach beurteilen, welche Auswirkungen sie auf sein Zukunfts-Ich haben. In Familien, Unternehmen, Gemeinschaften und Gesellschaften ist das Zukunfts-Wir der Maßstab.
Ist das nicht etwas arg idealistisch?
Wir können natürlich auch so weitermachen. Ja, es ist idealistisch, aber es ist not-wendig, um die Not zu wenden. Es bedarf einiger Voraussetzungen für das Gelingen. Aber es gibt Mittel und Wege, das im Alltag zu verwirklichen.
Welche Voraussetzungen sind das konkret?
Die erste Voraussetzung ist, dass man überhaupt Zukünfte ersinnt und durchdenkt und ein Zukunfts-Ich und Zukunfts-Wir entwickelt.
Die zweite Voraussetzung: Wer entscheidet, muss von den Folgen selbst betroffen sein. Dafür braucht es Kontinuität bei Anteilseignern, Managern und Mitarbeitern in Unternehmen. Wer Aktien nur ein paar Tage hält, hat eben genau diesen Denkhorizont. Wenn irgendwie möglich, muss das Unternehmen raus aus der Abhängigkeit von Kurzfrist-Investoren. In der Politik ist das alles schwer zu verwirklichen, also wird es dort mit der Langfristorientierung im wirklichen Tun am wenigsten funktionieren.
Die dritte Voraussetzung: Weil unser Zukunfts-Ich willig, aber unser Jetzt-Ich stärker ist, müssen wir unsere Willenskraft schonen, stärken und erweitern. Dann brauchen wir weniger Willenskraft, um das Richtige zu tun. Da sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt. Magenringe für das Abnehmen und Daueraufträge für das Sparkonto sind solche Beispiele. Auch in Unternehmen kann man den Willen erweitern, um das langfristig Richtige zu tun. Etwa dadurch, dass der Erfolg nicht mehr nur am EBIT gemessen wird.
Die vierte Voraussetzung: Wir müssen es als richtig anerkennen, wenn unser Wille im gesellschaftlichen Konsens erweitert wird. Bringt man Kantinen-Esser dazu, sich eine Woche im Voraus auf ihr Essen festzulegen, treffen sie viel gesündere Entscheidungen. Das ist solide erforscht. Die Wahlmöglichkeit bleibt ja frei, nur eben mit etwas mehr Vorlauf. Es gibt viele Umsetzungsmöglichkeiten für dieses Prinzip, den Menschen zum langfristig nützlichen Tun zu bewegen und von langfristig schädlichem Tun abzuhalten. Am wirksamsten ist es immer, wenn das langfristig richtige Verhalten im Hier und Jetzt durch ein entsprechendes soziales Image belohnt wird. Beim Umweltschutz im Kleinen haben wir es ja auch geschafft.
Was bedeutet das alles für Unternehmen und Führungskräfte?
Am längerfristigen Erfolg können sich Manager und Mitarbeiter nur dann orientieren, wenn sie eine klare Vorstellung davon haben, was genau der langfristig angestrebte Erfolg ist. Sie müssen eine strategische Vision haben. Sie müssen – Sie ahnen es – das gemeinsame »Future We« entwickeln. Durch den ständigen Abgleich mit dem alle Maßnahmen zusammenführenden »Future We« kann jeder im Unternehmen erkennen, welche Strategien, Projekte und Prozesse heute zielführend sind.
Was heute in der Bilanz eines Unternehmens steht, ist das Ergebnis der Annahmen und Entscheidungen, die vor Jahren getroffen wurden. Die heutigen Annahmen und Entscheidungen bestimmen wiederum, was in vielen Jahren in der Bilanz stehen wird. Damit das Wohlergehen des »Future We« im Zentrum der Aufmerksamkeit eines Führungsteams stehen kann, und nicht etwa die rückwärtsgerichtete Erfolgsrechnung, muss es passende Erfolgskriterien geben.
Der heutige Grad der Kundenzufriedenheit oder der Füllungsgrad der Pipeline mit vielversprechenden Produkten sind einfache Indikatoren, die in jedem Unternehmen mit wenig Aufwand beurteilbar sind. Sie sind die Vorsteuergrößen langfristigen Erfolges. Die Praxis ist leider, dass, wenn es hart auf hart kommt, die Ist-Zahlen aus der kurzfristigen Erfolgsrechnung mehr zählen als vermeintlich weiche Frühindikatoren, obwohl sie weitaus wichtiger sind.
Managern hat man zu lange eingetrichtert, dass man nur das managen kann, was man messen kann. Sie tun also nur das, was die herrschende Lehre sagt. Schon seit Jahrzehnten geistert die Idee der schwachen Signale durch die Fachwelt. Sie sollen auf zukünftig mögliche Entwicklungen aufmerksam machen. Weil die Signale der Zukunft aber per Definition schwach sind und man nicht weiß, wie man mit ihnen umgehen soll, lässt man es ganz bleiben und kontrolliert peinlich genau die Ist-Zahlen. Kurzfrist-Falle!
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar, heißt es poetisch. Das Wesentliche ist in Euro, Franken und Dollar nicht sichtbar, könnte man ableiten. Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterengagement, Differenzierungsgrad von Wettbewerbern, Bedrohungsgrad durch alte und neue Konkurrenten, soziale Kongruenz, Umweltverträglichkeit – all das sind Faktoren, die nicht so leicht fassbar sind wie Auftragseingang, Umsatz, Kosten und Ertrag. Aber diese und ähnliche Faktoren sind wesentlich wichtiger als die zuletzt genannten. Sie sind es, die für das »Future We« zählen. Sie müssen zu den zentralen Geboten werden, zu den Fixpunkten des Denkens und Handelns.
Danke für das Gespräch.