IT: Den Code im Recruiting knacken

Um IT-Fachkräfte zu finden, müssen sich Unternehmen schon einiges einfallen lassen. Nachfolgend bekommen Sie wichtige Anregungen und Tipps.

Was sind die wichtigsten Punkte beim Rekrutieren von IT-Fachkräften?

Janine Kawlath: Beim Recruiting von IT-Fachkräften gibt es keine einfachen »Geheimrezepte«. Es ist vielmehr ein Mix aus verschiedenen Maßnahmen, die zum Erfolg führen. Unsere Erfahrung zeigt, dass in vielen Organisationen noch wenig vernetzt rekrutiert wird. Wir vergleichen das sehr gerne mit einem Fußballteam. Gute Stürmer allein können keine Meisterschaft gewinnen – es braucht das gesamte Team. Nur wenn Employer Brand, Führungskräfte und Unternehmensführung zusammenspielen und auf das gleiche Tor zielen, sind IT-Stellen erfolgreich und langfristig zu besetzen. Im Recruiting-Prozess selbst sind vor allem Schnelligkeit und Kommunikation auf Augenhöhe wichtig.

Wie wichtig sind diesen Fachkräften eine starke Arbeitgebermarke?

Karin Krobath: Natürlich ziehen starke Marken an. Es müssen aber nicht für alle die ganz großen wie Apple oder Google sein. Vor allem die Unternehmenskultur ist ein wichtiger Faktor für IT-Fachkräfte. Auch kleinere Unternehmen können sich durch Employer-Branding-Maßnahmen bei ihrer Zielgruppe regional und international als Top-Arbeitgeber platzieren. Im Zentrum sollten dabei jedenfalls immer ein authentisches und im ganzen Unternehmen gelebtes Arbeitgeberversprechen, die sogenannte Employer Value Proposition, kurz EVP, stehen. Ein gutes Arbeitgeberversprechen muss nicht allen gefallen, aber den Richtigen. Wer es schafft, die EVP durch gutes Storytelling nach außen zu tragen, erhöht den Recruiting-Erfolg nachhaltig.

Über welche Kanäle lässt sich diese Zielgruppe am besten erreichen?

Janine Kawlath: Durch ein gezieltes Active Sourcing – und damit ist nicht die reine Direktansprache für eine bestimmte Stelle gemeint. Es geht darum, langfristige Beziehungen aufzubauen. Zum Beispiel:

  • Auf LinkedIn und Developer-Plattformen (mit Projekten) sichtbar werden
  • Role-Models bewusst einsetzen, z. B. bei Keynotes
  • An Hochschulen präsent sein, z. B. Themen für Bachelor- und Masterarbeiten stellen
  • Sponsoring bei Events, die der Zielgruppe wichtig sind oder eigene Eventreihen

Eine bisher wenig genutzte Ressource im Recruiting sind die eigenen IT-Fachkräfte im Unternehmen. Egal, ob Systemadministrator oder Softwareentwickler – beide haben in ihrem Umfeld mehr IT-Fachkräfte als die HR- und Marketingverantwortlichen. Mit einem gezielten Jobbotschafterprogramm lässt sich dieses Potenzial heben. Dabei werden laufend Mitarbeiter ausgebildet und übernehmen als Jobbotschafter für eine gewisse Zeit eine klar definierte Rolle, z. B als Corporate Influencer in den sozialen Medien oder als Co-Recruiter.

Was motiviert IT-Fachkräfte im Unternehmen?

Janine Kawlath: Die Zielgruppe der IT-Fachkräfte wird zunehmend diverser, was Ausbildung, Geschlecht, Lebensmodell und Interessen betrifft. Und genauso individuell ist auch die Motivlage der einzelnen Personen. Schaut man sich entsprechende Umfragen an, gibt es allerdings ein paar Punkte, die der Mehrheit wichtig sind. Die Möglichkeit, Neues zu lernen und die eigenen technischen Skills laufend zu verbessern, ist einer der wichtigsten Faktoren, um IT-Fachkräfte zu halten. Aber auch die besten Rahmenbedingungen können kein marktgerechtes Gehalt ersetzen. Nach wie vor wird ein Jobwechsel finanziell belohnt, langjährige Zugehörigkeit hingegen kaum. Hier gilt es, eine gute Balance zu finden.

Wie könnte eine perfekte Stellenanzeige für IT-Fachkräfte aussehen?

Janine Kawlath: Die Stellenanzeige ist immer eine der wichtigsten Informationsquellen. Oft verlässt sich Recruiting auf grobe Informationen der Führungskraft und umgekehrt ist diese der Meinung, die HR-Profis werden das schon machen. Idealerweise arbeiten beide eng zusammen, und man diskutiert die Anzeige noch einmal mit den zukünftigen Kollegen im Team. Damit Stellenanzeigen ihren Job machen, sollte man auf lange Unternehmensbeschreibungen verzichten und lieber den künftigen Beitrag zum großen Ganzen herausstreichen. Und: Werden Sie so konkret wie möglich, was das Team, die Arbeitsweisen und den Tech-Stack betrifft. Last but not least nur Benefits anführen, die auch welche sind. Ein Firmenlaptop für IT-Fachkräfte ist Mindeststandard.

Wie erreicht man Frauen?

Karin Krobath: Um das Grundproblem zu lösen, sind Maßnahmen gefragt, die Mädchen schon früh für Technik begeistern. Es ist aber nicht allein Sache der Politik, hier für mehr Awareness zu sorgen. Es braucht viel mehr Gelegenheiten, weibliche Roll-Models sichtbar zu machen und Stereotypen abzubauen. Dazu gibt es bereits viele tolle Beispiele. Christiane Noll (Geschäftsführer von Avanade) hat dazu das wunderbare Buch »IT-Girls: Wie Frauen die digitale Welt prägen« geschrieben. Innerhalb der Organisationen helfen klar definierte Ziele und KPIs, um den Frauenanteil zu steigern. Nur wenn dies in den strategischen Zielen verankert wird und Führungskräfte auch daran gemessen werden, wird sich langfristig etwas ändern.

Wie kann man am besten IT-Fachkräfte aus dem Ausland ansprechen?

Janine Kawlath: Vorher sollte man sich die Frage stellen, ob man die Fachkräfte tatsächlich vor Ort braucht. Die Personalgewinnung im Ausland und die anschließende Re-Location sind sehr aufwendig und mit hohen Kosten verbunden. Wenn ich das als kleines Unternehmen nicht leisten kann, können spezialisierte Agenturen helfen. Das Thema Remote-Work ist in der IT nichts Neues, hat aber während der Pandemie zu einem Umdenken in vielen Organisationen geführt. Hier lohnt es sich, einen Blick auf einen ganz anderen Kontinent zu werfen – nämlich auf Afrika.

Wie war das: IT-Fachkräfte und Afrika?

Karin Krobath: Ja, genau. Viele Menschen denken bei Afrika immer nur an Krise, Katastrophe, Korruption und Flüchtlinge. Es ist Zeit für ein grundlegendes Update. Länder wie Mauritius, Tunesien oder Südafrika sind Ihnen eventuell noch als Emerging IT-Countries ein Begriff, aber bitte lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auch auf Marokko, Ägypten, Kenia, Ghana, Ruanda, Senegal und Nigeria. Und das sind nur die Top 10, wenn es um die Relation von Bevölkerung zu Tech-Talent geht.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Karin Krobath: Allein in Kenias Hauptstadt entwickeln derzeit rund 500 junge Technologie-Unternehmen innovative Apps, Produkte und Services. Für Europäer faszinierend ist v. a. das sogenannte Leapfrogging. Darunter versteht man das Überspringen von Technologie. Stellen Sie sich eine IT-Landschaft ohne Legacy-Systeme vor. Sie müssten keine alte AS400 oder konventionelle Oracle-Datenbank ablösen. Ebenso fänden Sie keine flächendeckenden Infrastruktur-Grids und keine Festnetztelefonie vor.
Jedes Projekt startet auf der grünen Wiese oder besser gesagt in der gelben Savannah – als App, Cloud-Anwendung oder Off-grid-Infrastrukturlösung. Dementsprechend lebendig und dynamisch sind die Start-up-Szenen in Ägypten, Ghana, Kenia, Nigeria und Ruanda. Es gibt großartige Unternehmensideen, die sich an den Bedürfnissen jener Menschen orientieren, die aus der absoluten Armut kommen und Schritt für Schritt die afrikanische Mittelschicht aufbauen.

Wie löst das unser IT-Problem?

Karin Krobath: Viele unterschiedliche Faktoren generieren einen sehr spannenden IT-Sektor, der auch aufgrund der demografischen Situation mehr Tech-Talent hervorbringt als in unseren Breiten – hoch motivierte junge Leute, die unternehmerisch agieren, weil sie mangels großer Unternehmen gezwungen sind, ihr eigenes Business zu gründen. Im Silicon Valley und in Teilen Europas, wie z. B. in Skandinavien, UK, Spanien oder Deutschland, hat man dieses enorme Potenzial bereits erkannt. Auf unseren jährlichen Learning Journeys treffen wir auf unzählige Kooperationen, Joint Ventures und Investments aus diesen Staaten. Das offizielle und das unternehmerische Österreich sind auf diesen Zug – aus unserer Sicht – noch nicht ausreichend aufgesprungen.

Um im IT-Recruiting erfolgreich zu sein, lautet also die Devise: Die eigenen Prozesse hinterfragen, nah an der Zielgruppe sein, über den Tellerrand schauen und – wann immer es möglich ist – Neues ausprobieren.

 

Mehr zu dem Thema:

www.identifire.at/whitepaper-so-knacken-sie-den-code-im-it-recruiting

Learning Journeys nach Kenia oder Rwanda
www.identifire.at/was/workshops/learning-journey-digital-rwanda
www.identifire.at/was/workshops/lernreise-silicon-savannah

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krobath

Karin Krobath
ist Partner bei
identifire.
www.identifire.at

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Janine Kawlath
ist Junior-Partner bei identifire.
www.identifire.at