Karriere mit Kind: Hürde oder Chance?

Mitarbeiterbindung statt teurer Fluktuation: Wie kluges Karenzmanagement Unternehmen auf Erfolgskurs hält.

Dem österreichischen Arbeitsmarkt stehen viele Herausforderungen bevor: Während Unternehmen zunehmend unter wirtschaftlichem Druck stehen, verschärft sich der Arbeits- und Fachkräftemangel dramatisch. Eine EY-Studie (2023) zeigt, dass 82 % der KMU Schwierigkeiten haben, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden. Gleichzeitig offenbart eine StepStone-Analyse (2024), dass 25 % der berufstätigen Eltern über eine Kündigung nachdenken – oft aufgrund fehlender Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und ein Drittel der Mütter kehrt erst gar nicht in das ursprüngliche Unternehmen zurück.
Diese Trends sind alarmierend, denn ungewollte Fluktuation ist für Unternehmen nicht nur ein Kostenfaktor – die Nachbesetzung kostet mind. 14.000,– € (Deloitte 2019), bei einer Führungskraft oder bei Spezialisten sogar bis zu 100.000,– €. Sie gefährdet auch langfristig die Wettbewerbsfähigkeit. Dabei ist es wie in der Kundenpflege: Investitionen in die Bindung bestehender Schlüsselkräfte sind langfristig kostengünstiger als der permanente Kampf um neue Mitarbeiter.
Die Mathematik ist einfach: Wollen Arbeitgeber im »War for Talents« bestehen, muss Beruf und Familie intelligent verknüpft werden – nicht nur durch Lippenbekenntnisse, sondern durch nachhaltige und individuell angepasste Lösungen und als integraler Bestandteil der Unternehmenskultur.

Die Zahlen der Ungleichbehandlung

Die Herausforderungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind komplex. Mehr als die Hälfte der Frauen und knapp 40 % der Männer in Österreich sehen Kinder als Hindernis für ihre beruflichen Ziele (Social Survey Österreich 2016). Bereits im Recruiting zeigt sich eine deutliche Ungleichbehandlung wie ein Experiment der FH Burgenland verdeutlicht: Bei identischen Qualifikationen würden 81 % der Recruiter einen zweifachen Vater, aber nur 61 % eine zweifache Mutter auswählen. Die sogenannte »Motherhood Penalty« führt dazu, dass 27 % der Bewerber ihre Betreuungspflichten verschweigen und 20 % bereits Diskriminierung erfahren haben.
Interessanterweise gaben 60 % der befragten Unternehmen einer Deloitte-Studie (2019) an, den Frauenanteil in Führungspositionen erhöhen zu wollen. Jedoch sehen davon 25 % Herausforderungen beim Finden von qualifizierten weiblichen Kandidaten – obwohl empirisch nachweisbar ist, dass weibliche Führungskräfte durchschnittlich besser qualifiziert sind als ihre männlichen Kollegen.

Der Schlüssel liegt in einem strategischen Bottom-up-Ansatz, der bereits im Recruiting ansetzt und Vorurteile aktiv abbaut.

Strategisches Karenzmanagement als Wettbewerbsvorteil

Die wissenschaftlichen Belege für die Bedeutung von Diversität sind eindrucksvoll, 93 % der von Deloitte (2019) befragten Personen sehen Frauen in Führungsteams als klaren Wettbewerbsvorteil. Eine Performance-Analyse von 59 spanischen Banken belegt: Zwei Frauen in Führungspositionen steigern die Produktivität signifikant (BKA/Economica 2021).
Ein strategisches Karenzmanagement kann diese Potenziale gezielt erschließen. Drei zentrale Handlungsfelder sind entscheidend:

1. Proaktive Kommunikation
Familienfreundlichkeit muss mehr sein als ein internes Ziel – sie muss glaubwürdig kommuniziert werden. Stellenanzeigen sollten flexible Arbeitszeitmodelle, Remote-Optionen und familienfreundliche Benefits transparent hervorheben. Eine bemerkenswerte Erkenntnis: Allein die Nennung von Teilzeitmöglichkeiten führt zu einer signifikant höheren Anzahl weiblicher Bewerber (BKA 2021 nach Hacohen, R. 2019), der Nachsatz »m/w« zeigt jedoch keinerlei Auswirkungen.
Unternehmen können sich auch durch einen gezielten Blick auf Karenzerfahrungen differenzieren. Kompetenzen wie Empathie, Konfliktlösung und Organisationsgeschick werden während der Elternzeit oft deutlich geschärft. Authentische Erfolgsgeschichten von Führungskräften mit Karenzerfahrungen sind oft wirkungsvoller als jede Werbekampagne, denn sie schaffen Vertrauen und holen potenzielle Bewerber stärker ab.

2. Bias-freie Bewerbungsprozesse
Um unbewusste Diskriminierung zu verhindern, braucht es standardisierte Bewertungskriterien und diverse Auswahlteams. Der Fokus muss auf Kompetenzen und Potenzialen liegen, nicht auf vermeintlichen Lücken im Lebenslauf. Gerade bei Eltern sind Karriereunterbrechungen oft mit wertvollen Erfahrungen verbunden, die im Bewerbungsprozess Anerkennung finden sollten.
Schulungen zur Bias-Prävention für Recruiter sind entscheidend, um stereotypische Denkmuster zu durchbrechen, wie etwa die Annahme, dass Eltern weniger belastbar oder flexibel seien.

Es muss der Vergangenheit angehören, dass Lebensläufe von Frauen »im gebärfähigen Alter« oder Müttern vorzeitig aussortiert werden.

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) definiert klare Grenzen: Fragen zum Familienstand, zur Schwangerschaft oder Familienplanung sind unzulässig (AMS 2024a). Kommt ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer Diskriminierung nicht zustande, steht den Stellenwerbern ein Schadenersatz von mind. zwei Monatsentgelten zu. Ein Schadenersatzanspruch von bis zu 500,– € steht dann zu, wenn die Berücksichtigung einer Bewerbung im Auswahlverfahren verweigert wurde (Gleichbehandlungsanwaltschaft Österreich) – ein weiterer Anreiz für faire Prozesse.

3. Individualisierte Einstiegsmodelle
Flexibilität ist der Schlüssel. Teilzeitmodelle, gestaffelte Arbeitszeiten und hybride Arbeitskonzepte bieten Eltern die Planungssicherheit, die sie brauchen. Klare Karriereperspektiven, die vor und während der Karenz kommuniziert werden, signalisieren langfristige Entwicklungsmöglichkeiten.
Die direkte Führungskraft hat hierbei im Unternehmen oft die wenigste Aufmerksamkeit in Karenzmanagement-Konzepten, obwohl sie über flexible Arbeitszeitmodelle, spannende Projekte und der realen Integration im Team entscheidet. Die besten Konzepte scheitern, wenn Führungskräfte sie nicht mittragen oder subtil untergraben. Anders gesagt: »People quit bosses, not jobs.« Der Mehrwert ist eindeutig: Mehr Diversität bedeutet mehr Innovationskraft, nachhaltigere Investitionen und eine stärkere Verankerung von Corporate Social Responsibility. Internationale Studien belegen positive Auswirkungen auf Umsatzentwicklung, Gewinn und Kapitalrendite (AMS 2024b). Somit ist die Botschaft klar: Familienfreundlichkeit ist keine Kostenfrage, sondern eine Investition in den Unternehmenserfolg.

Vom »nice to have« zur echten Win-win-Situation

Der anhaltende Arbeits- und Fachkräftemangel macht strategisches Karenzmanagement bereits im Recruiting zu einem unverzichtbaren Erfolgsfaktor für Unternehmen. Wer seine Recruiting-Prozesse an die Bedürfnisse von Eltern anpasst, sichert sich nicht nur die besten Köpfe, sondern positioniert sich als Vorreiter in einer modernen Arbeitswelt.
Denn die Realität ist eindeutig: Wenn Eltern gezwungen sind, zwischen ihrer Familie und dem Unternehmen zu wählen, werden sie sich fast immer für die Familie entscheiden. Proaktive Maßnahmen und die dazugehörige Unternehmenskultur können solche Entscheidungen verhindern und eine echte Win-win-Situation schaffen – für Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen.

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Gastautor
Tabea Reicher
Tabea Reicher ist Experte zum Thema Karenz­management und Gründer von »Alles bisschen viel«.
www.allesbisschenviel.at