Recruiting zwischen Effizienz und Ethik

Kann Europa im KI-Recruiting den Anschluss halten, während amerikanische Unternehmen dank moderner Algorithmen und automatisierter Prozesse bereits die Zukunft gestalten, und die DSGVO europäische Innovationen auf den Prüfstand stellt?

Die Digitalisierung des Recruitings hat in den letzten Jahren eine dramatische Beschleunigung erfahren. Künstliche Intelligenz revolutioniert dabei nicht nur die Art und Weise, wie Unternehmen Talente finden und einstellen, sondern stellt HR-Manager auch vor neue Herausforderungen. Die Integration von KI-Technologien in den Recruitingprozess verspricht dabei enorme Effizienzsteigerungen und qualitativ bessere Matches zwischen Kandidaten und Unternehmen. Gleichzeitig entstehen dadurch aber auch neue Herausforderungen im Bereich Datenschutz, Ethik und Compliance. Dieser Artikel beleuchtet den aktuellen Stand der KI-gestützten Recruiting-Technologien, analysiert deren Potenziale und Grenzen und geht besonders auf die datenschutzrechtlichen Aspekte im europäischen Kontext ein.

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Die Evolution des KI-gestützten Recruitings

Die Entwicklung von KI im Recruiting spiegelt die gesamte Evolution der künstlichen Intelligenz wider. Was mit einfachen regelbasierten Systemen begann, die nach Schlagworten in Lebensläufen suchten, hat sich zu hochkomplexen Systemen entwickelt, die kontextuelle Zusammenhänge verstehen und subtile Muster in Karriereverläufen erkennen können. Diese Entwicklung wurde durch verschiedene technologische Durchbrüche ermöglicht, insbesondere im Bereich des maschinellen Lernens und der Verarbeitung natürlicher Sprache. Besonders seit November 2022 ist ChatGPT wohl jedem bekannt. Dadurch hat sich die Entwicklung der generativen KI massiv beschleunigt. Plötzlich sind KI-Systeme auch für Unternehmen hoch relevant geworden.

Moderne KI-gestützte Bewerbungsanalysesysteme nutzen fortschrittliche Natural-Language-Processing-Algorithmen, um Bewerbungsunterlagen in ihrem gesamten Kontext zu verstehen und zu bewerten. Diese Systeme sind in der Lage, nicht nur offensichtliche Qualifikationen zu erkennen, sondern auch verborgene Potenziale und Soft Skills aus der Art und Weise abzuleiten, wie Kandidaten ihre Erfahrungen und Erfolge beschreiben. Sie können komplexe Karriereverläufe analysieren und dabei Muster erkennen, die auf besonderes Entwicklungspotenzial hinweisen. Dabei greifen sie auf umfangreiche Datensätze erfolgreicher Karrierewege zurück und können so Vorhersagen über mögliche Karriereentwicklungen treffen.

Auch die Art und Weise, wie Unternehmen mit Bewerbern kommunizieren, kann sich durch den Einsatz von KI fundamental verändern. Moderne Recruiting-Chatbots haben sich zu wahren Kommunikationsassistenten entwickelt, die weit mehr leisten als nur vorgefertigte Antworten zu liefern. Sie führen kontextsensitive Gespräche, können auf individuelle Fragen eingehen und den gesamten Bewerbungsprozess personalisiert begleiten. Diese Systeme lernen kontinuierlich aus jeder Interaktion und verbessern ihre Kommunikationsfähigkeiten stetig. Sie sind in der Lage, erste Screening-Interviews durchzuführen, dabei Soft Skills und Kommunikationsfähigkeiten der Kandidaten zu evaluieren und gleichzeitig eine konsistente und professionelle Candidate Experience zu gewährleisten.

Technische Grundlagen moderner KI-Recruiting-Systeme

Die technische Basis moderner KI-Recruiting-Systeme besteht aus mehreren Komponenten, die nahtlos zusammenarbeiten müssen. Das Fundament bilden meist sogenannte »Large Language Models« (LLMs), die für die Verarbeitung und das Verständnis natürlicher Sprache zuständig sind. Diese Modelle wurden für verschiedene Spezial-Anwendungen trainiert und angepasst, u. a. auch für den Recruiting-Kontext. Sie können sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Daten verarbeiten.
Ein weiterer wichtiger Baustein sind Knowledge Graphs, die komplexe Beziehungen zwischen Fähigkeiten, Erfahrungen und Jobprofilen abbilden. Diese Graphen ermöglichen es den Systemen, nicht nur direkte Übereinstimmungen zu finden, sondern auch verwandte oder transferierbare Skills zu identifizieren. Die Graphen werden kontinuierlich durch Machine Learning aktualisiert und erweitert, wodurch sie sich an verändernde Anforderungen und neue Berufsbilder anpassen können.
»Recommendation Engines«, die auf collaborative filtering und content-based filtering basieren, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie analysieren erfolgreiche Matches zwischen Kandidaten und Unternehmen und nutzen diese Erkenntnisse, um die Qualität zukünftiger Empfehlungen zu verbessern. Dabei werden nicht nur harte Faktoren wie Qualifikationen berücksichtigt, sondern auch weiche Faktoren wie Unternehmenskultur und Teamfit.

KI-gestützte Talentsuche

Findem, ein US-Unternehmen (findem.ai), hat sich als Pionier im Bereich der KI-gestützten Talentsuche etabliert und setzt dabei auf eine innovative Kombination verschiedener Technologien. Das System geht dabei über traditionelle Matching-Verfahren hinaus und nutzt fortschrittliche Deep-Learning-Algorithmen, um Karriereverläufe zu analysieren und Entwicklungspotenziale vorherzusagen.

Das Besondere an Findem ist sein holistischer Ansatz zum Verständnis von Karrieren und Kompetenzen. Statt sich auf statische Qualifikationen zu konzentrieren, analysiert die KI die dynamische Entwicklung von Fähigkeiten und Erfahrungen. Sie erkennt Muster in Karriereverläufen und kann dadurch Potenziale identifizieren, die bei einer klassischen Bewertung möglicherweise übersehen würden. Das System nutzt dafür eine komplexe Graph-Datenbank, die nicht nur direkte Verbindungen zwischen Qualifikationen und Anforderungen herstellt, sondern auch indirekte Zusammenhänge und Entwicklungspfade erkennt.

Findems technologische Architektur basiert auf mehreren Schichten von KI-Algorithmen. Die unterste Ebene bildet ein »Natural Language Understanding System«, das Texte nicht nur oberflächlich analysiert, sondern deren tiefere Bedeutung erfasst. Darauf aufbauend arbeitet ein Machine-Learning-System, das kontinuierlich aus neuen Daten lernt und seine Vorhersagen verfeinert. Eine besondere Stärke liegt in der Fähigkeit des Systems, potenzielle Bias zu erkennen und zu minimieren, wodurch (angeblich) fairere Entscheidungsprozesse ermöglicht werden.

Der Einfluss von KI auf den gesamten Recruiting-Prozess

Die Integration von KI verändert nicht nur einzelne Aspekte des Recruitings, sondern den gesamten Prozess von der Stellenausschreibung bis zur Einstellung. Bei der Erstellung von Stellenanzeigen helfen KI-Systeme dabei, Anforderungsprofile zu optimieren und eine inklusive Sprache zu verwenden. Sie analysieren erfolgreiche Stellenausschreibungen und geben Empfehlungen für Formulierungen, die eine diverse Kandidatengruppe ansprechen.

In der aktiven Kandidatensuche (Sourcing) ermöglichen KI-Systeme eine präzisere und effizientere Identifikation potenzieller Kandidaten. Sie können große Datenmengen aus verschiedenen Quellen analysieren und dabei auch passive Kandidaten identifizieren, die nicht aktiv auf Jobsuche sind, aber gut zum Unternehmen passen würden. Dabei berücksichtigen sie nicht nur fachliche Qualifikationen, sondern auch kulturelle Passung und Entwicklungspotenzial.
Die Bewertung von Bewerbungen wird durch KI objektiver und effizienter. Die Systeme können Qualifikationen und Erfahrungen standardisiert bewerten und dabei auch weniger offensichtliche Qualifikationen berücksichtigen. Sie erkennen Potenziale, die in klassischen Bewerbungsprozessen möglicherweise übersehen würden, und können Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen.

All diese Schritte können mit amerikanischer Software bereits vollständig automatisiert werden. Als Recruiter (oder Headhunter) sagt man dem System einfach nur, wonach man sucht, und das KI-System macht sich vollständig autonom auf die Suche nach passenden Kandidaten. Es schreibt diese auch an, analysiert die zurückgekommenen Unterlagen, priorisiert die Kandidaten, führt automatisch Gespräche, um weitere Fragen abzuklären und lädt dann die drei am besten geeigneten Kandidaten zu einem persönlichen Termin ein, den dann menschliche Recruiter wahrnehmen und dann entscheiden.
Klingt nach Zukunft? Ist Gegenwart! Allerdings ist dies innerhalb der EU aufgrund mehrerer Gesetze und Regulierungen verboten. Gott sei Dank?

Die »DSGVO-Problematik« im Detail

Die Verwendung von KI-Tools wie das oben beschriebene Tool »Findem« und Konkurrenzprodukte wie entelo (Teil von Rival) und hireEZ steht in Europa in einem fundamentalen Konflikt mit der DSGVO, was deren Einsatz erheblich einschränkt oder sogar unmöglich macht. Die Problematik betrifft verschiedene Aspekte der Datenverarbeitung und des Datenschutzes.

Ein zentrales Problem liegt in den Transparenzanforderungen der DSGVO. Die Verordnung verlangt vollständige Transparenz über die Verarbeitung personenbezogener Daten, was bei komplexen KI-Systemen oft schwer zu gewährleisten ist. Die verwendeten Algorithmen arbeiten häufig als »Black Box«, deren Entscheidungsprozesse selbst für die Entwickler nicht immer vollständig nachvollziehbar sind. Dies steht im direkten Widerspruch zu den Anforderungen der DSGVO, die eine klare und verständliche Erklärung der Datenverarbeitung verlangt.
Die Frage der datenschutzrechtlichen Einwilligung stellt einen weiteren kritischen Punkt dar. Die DSGVO fordert eine explizite Einwilligung für die Verarbeitung personenbezogener Daten. Bei der automatisierten Analyse von öffentlichen Profilen, wie sie von vielen KI-Recruiting-Tools durchgeführt wird, fehlt diese Einwilligung meist. Auch die Weiterverarbeitung von Daten für andere Zwecke als die ursprünglich angegebenen ist stark eingeschränkt, was die Flexibilität und Lernfähigkeit der KI-Systeme erheblich einschränkt.

Die DSGVO stellt spezifische Anforderungen an den Einsatz von KI im Recruiting. Ein besonders wichtiger Aspekt ist das Recht auf menschliche Intervention. Betroffene haben das Recht, nicht einer ausschließlich automatisierten Entscheidung unterworfen zu werden, die ihnen gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt (Art 22 DSGVO). Dies bedeutet, dass KI-Systeme im Recruiting-Prozess nicht eigenständig Entscheidungen treffen dürfen. Selbst das Priorisieren durch KI-Systeme ist rechtlich sehr heikel.

Die Anforderung der Zweckbindung stellt eine weitere Herausforderung dar. Personenbezogene Daten dürfen nur für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben werden. Dies schränkt die Möglichkeiten ein, Daten für das Training von KI-Modellen zu nutzen oder sie für andere als die ursprünglich angegebenen Zwecke zu verwenden. Auch die Speicherbegrenzung spielt eine wichtige Rolle: Daten dürfen nur so lange gespeichert werden, wie es für die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, erforderlich ist.

DSGVO-Konformität

Die Umsetzung der DSGVO-Anforderungen erfordert sowohl technische als auch organisatorische Maßnahmen. Auf technischer Ebene müssen Systeme so gestaltet werden, dass sie dem Prinzip »Privacy by Design« entsprechen. Dies bedeutet, dass Datenschutz bereits bei der Entwicklung und Implementierung von KI-Systemen berücksichtigt werden muss. Dazu gehören Mechanismen zur Datenverschlüsselung, zur Pseudonymisierung von Daten und zur sicheren Löschung nicht mehr benötigter Informationen. Was im übrigen ein weiteres Problem darstellt.
Organisatorisch müssen Unternehmen klare Prozesse und Verantwortlichkeiten definieren. Dies umfasst die Dokumentation aller Datenverarbeitungsvorgänge, regelmäßige Datenschutz-Folgenabschätzungen und die Einrichtung von Prozessen zur Wahrung der Betroffenenrechte. Mitarbeiter müssen auch regelmäßig geschult werden, um die Einhaltung der Datenschutzanforderungen zu gewährleisten (siehe auch Artikel in dieser Ausgabe ab Seite 52).
Die Herausforderungen der DSGVO haben zu verschiedenen innovativen Ansätzen geführt. Ein vielversprechender Weg sind hybride Systeme, die KI-Unterstützung mit menschlicher Entscheidungsfindung kombinieren. Dabei wird klar dokumentiert, welche Entscheidungen von der KI vorgeschlagen und welche von Menschen getroffen werden. Dies ermöglicht eine transparente Nachvollziehbarkeit des gesamten Prozesses.

Ethische Aspekte und Bias-Prävention

Neben den rechtlichen Anforderungen spielen auch ethische Aspekte eine wichtige Rolle beim Einsatz von KI im Recruiting. Ein zentrales Thema ist dabei die Prävention von Bias und Diskriminierung. KI-Systeme können vorhandene gesellschaftliche Vorurteile reproduzieren oder sogar verstärken, wenn sie mit historischen Daten trainiert werden, die diese Vorurteile enthalten. Um diesem Problem zu begegnen, werden verschiedene Ansätze verfolgt. Dazu gehört das De-Biasing von Trainingsdaten, die Verwendung von Fairness-Metriken beim Training der Modelle und regelmäßige Audits der Systementscheidungen. Auch die Diversität der Entwicklerteams spielt eine wichtige Rolle, um verschiedene Perspektiven in die Entwicklung einzubringen.
Fazit
Die Integration von KI in den Recruitingprozess ist keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit, um im Wettbewerb um die besten Talente bestehen zu können. Der Erfolg wird dabei maßgeblich davon abhängen, wie gut es gelingt, die technologischen Möglichkeiten mit den rechtlichen Anforderungen und ethischen Prinzipien in Einklang zu bringen. Derzeit hat Europa in dieser Hinsicht einen massiven Wettbewerbsnachteil gegenüber amerikanischen Unternehmen. Letztendlich geht es darum, KI als Werkzeug zu verstehen, das den Menschen im Recruitingprozess unterstützt.

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