Begünstigt Behinderte stellen Arbeitgeber oft vor große Herausforderungen.
Dieser Artikel beschreibt ein Dilemma, für das es derzeit noch keine Lösung gibt.
Das österreichische Arbeitsrecht ist hochkomplex und stark durchreguliert. Je nach Perspektive (Arbeitnehmer oder Arbeitgeber) wird die eine oder andere Regelung sozialpartnerschaftlich aufs Korn genommen und die Kräfteverhältnisse verschieben sich ein wenig in die eine oder andere Richtung. Dies ist in einem lebendigen Rechtsstaat normal und richtig. Ab und an treibt das österreichische Arbeitsrecht aber auch Blüten, hinter denen eine sinnvolle Absicht des Gesetzgebers nicht mehr wirklich vermutet werden kann. Dies zeigt der nachfolgende Erlebnisbericht (anonym, aber nicht erfunden): Ein Arbeitgeber betreibt ein Industrieunternehmen und beschäftigt in seinen Produktionsbetrieben Arbeiter, die Anlagen bedienen, warten und überwachen. Diese Arbeiten sind physisch teilweise anspruchsvoll und es müssen strenge Sicherheitsvorkehrungen eingehalten werden, um Selbst- und Fremdgefährdungen hintanzuhalten und das Produktionsergebnis nicht zu gefährden. Die Arbeiter werden hauptsächlich zur Überwachung, aber auch zur Behebung von (leichteren) Störungen eingesetzt. Der Arbeitsplatz unterscheidet sich damit von einem klassischen Bürojob deutlich.
Ein Arbeiter übermittelt dem Arbeitgeber nunmehr einen Bescheid, aus dem hervorgeht, dass er begünstigter Behinderter ist. Der Grad der Behinderung wird im Bescheid mit 80 % angegeben, damit besteht Kündigungsschutz nach dem Behinderteneinstellungsgesetz, aber auch die Vermutung, dass der Arbeitnehmer gravierend gesundheitlich beeinträchtigt ist. Weitere Informationen erhält der Arbeitgeber, der am Verfahren über die Zuerkennung der Behinderteneigenschaft nicht beteiligt ist, nicht. Die Hauptaufgabe des Arbeitnehmers liegt in der Überwachung von Messwerten an zahlreichen Bildschirmen.
Der Arbeitgeber war bislang immer sehr zufrieden mit dem Arbeitnehmer und möchte ihn gerne auch weiterhin einsetzen. Daher tut er nun, was jeder vernünftige Arbeitgeber in dieser Situation tun würde: Er sucht das Gespräch mit dem Arbeitnehmer und fragt ihn, worin die Behinderung bestehe, um seine weitere Einsatzfähigkeit am bisherigen Arbeitsplatz bzw. im Unternehmen zu klären. Hätte der Arbeitnehmer wahrheitsgemäß geantwortet, wäre wohl relativ rasch eine vernünftige Lösung gefunden worden. Der Arbeitnehmer weigert sich aber – beraten vom Betriebsrat –, irgendeine Information an den Arbeitgeber herauszugeben. Dieser sieht sich daraufhin gezwungen, den Arbeitnehmer nicht mehr am bisherigen Arbeitsplatz einzusetzen, weil er das Risiko für den Arbeitnehmer selbst, aber auch die Kollegen und die Sicherheit der Produktion nicht einzuschätzen vermag. Haftungsüberlegungen, letztlich aber auch die Fürsorgepflicht zwingen den Arbeitgeber somit, den Arbeitnehmer entweder dienstfrei zu stellen oder zu versetzen.
Eine dauerhafte Versetzung war im konkreten Fall nicht möglich, auch weil sie mit erheblichen Entgeltverlusten (Zulagen) verbunden gewesen wäre und auch der Betriebsrat seine Zustimmung zur dauerhaften Versetzung verweigerte. Eine dauerhafte Dienstfreistellung scheint als Alternative ebenfalls wenig reizvoll. Die letzte Möglichkeit ist daher, den Behindertenausschuss beim Sozialministeriumsservice anzurufen und die Zustimmung zur Kündigung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung des Arbeitnehmers zu beantragen. Im Zustimmungsverfahren werden ein medizinischer und ein berufskundlicher Sachverständiger bestellt; die Gutachter kommen zum Ergebnis, dass der Arbeitnehmer eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung hat, die ihm die Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz unmöglich macht. Relativ friktionsfrei einigen sich nun beide über eine Versetzung in einen anderen Bereich bei leichten Entgelteinbußen durch Zulagenverlust.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Rechtsauffassung, wonach der Arbeitnehmer nicht verpflichtet sei, die Ursache seiner Behinderung bekannt zu geben, zu ziemlich bescheidenden Ergebnissen führt. Der Arbeitnehmer ist zwar nach dieser Ansicht nicht gezwungen, dem Arbeitgeber freiwillig Informationen zu erteilen, sieht sich dafür aber gleich mit einem Antrag auf seine Kündigung konfrontiert und muss sich im Verfahren jedenfalls einer medizinischen Begutachtung stellen, deren Ergebnis auch der Arbeitgeber erfährt. Ich glaube, dass die These, der Behinderte sei unter keinen Umständen zur Auskunft über seinen Gesundheitszustand verpflichtet, nicht richtig ist. Gerade weil sich an den Behindertenstatus ein besonderer Bestandschutz und eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers knüpfen, erhöht sich meines Erachtens auch die Informationspflicht des Arbeitnehmers, soweit sie dessen konkrete Einsatzmöglichkeit betrifft. Das ist schon anhand der bisherigen Gesetzeslage argumentierbar, sollte aber vom Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet werden, damit Situationen wie die hier beschriebene anderen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erspart bleiben.
Derzeit gibt es aber sogar Meinungen in der Literatur, wonach schon die Frage des Arbeitgebers nach der Ursache der Behinderung eine Belästigung und damit eine Diskriminierung auf Grund der Behinderteneigenschaft sei, die den Arbeitgeber schadenersatzpflichtig mache. Das kann nicht richtig sein, weil in einer sachlich begründeten Frage niemals eine »Belästigung« liegen kann. Mit einer solchen Frage ist weder eine Beleidigung noch eine sonstige Herabsetzung des Behinderten verbunden.
Es stellen sich auch andere spannende Fragen in dieser seltsamen Konstellation: Grundsätzlich gebührt bei Dienstfreistellung durch den Arbeitgeber gemäß § 1155 ABGB volle Entgeltfortzahlung. In der hier vorliegenden Konstellation kann sich der Arbeitgeber aber meines Erachtens auf den Standpunkt stellen, dass nach der sogenannten Sphärentheorie des § 1155 ABGB der Grund für den Entfall der Dienstleistung aus der Sphäre des Arbeitnehmers kommt (freilich nur, wenn man wie hier vertreten eine Informationspflicht des Behinderten annimmt). Der Grund für die Dienstfreistellung liegt ja eben nicht in der Behinderung selbst, sondern in der mangelnden Bereitschaft des Arbeitnehmers, seinen Gesundheitszustand offen zu legen. Auch der OGH scheint in einer Entscheidung mit ähnlichem Sachverhalt in diese Richtung zu tendieren. Damit erhält der Arbeitnehmer aber für die Dauer der »Verweigerung« kein Entgelt (außer er befindet sich im Krankenstand, dann kann er Entgeltfortzahlung geltend machen, die aber zeitlich limitiert ist).
Insgesamt ist die Rechtslage derzeit mehr als unbefriedigend und auch unklar. Der Arbeitgeber ist ab dem Zeitpunkt, indem er den »Einstellschein« vom Arbeitnehmer erhält und dieser die Auskunft über sein Leiden verweigert, de facto nicht mehr handlungsfähig mit der einzigen Ausnahme, ein Zustimmungsverfahren zur Kündigung – mit völlig ungewissem Ausgang – einzuleiten. Solche Verfahren sind in der Regel gar nicht gewollt, noch tragen sie dazu bei, die Stimmung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu verbessern. Meines Erachtens ist daher der Gesetzgeber gefragt: Die Auskunftspflicht des Behinderten über die Auswirkungen seines beeinträchtigten Gesundheitszustands sollte im Gesetz ausdrücklich verankert werden. Das wäre für die erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, der den Arbeitnehmer so einsetzen muss, dass es seinem Gesundheitszustand entspricht, letztlich das zwingend notwendige Gegenstück. Der Arbeitgeber könnte seinerseits an eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht gebunden werden, sodass das Risiko eines weiteren »Streuens« der Gesundheitsdaten ausgeschlossen ist. Jedenfalls muss dem Arbeitgeber die Möglichkeit gegeben werden, die mögliche Verwendung des Arbeitnehmers einzuschätzen. Das hohe Schutzniveau für begünstigt behinderte Arbeitnehmer wird dadurch nicht beeinträchtigt. Eine solche Informationspflicht wäre aber letztlich wohl der einzig sinnvolle Weg, unnötige, ungewollte und belastende Zustimmungsverfahren zu Kündigungen zu verhindern und dient damit auch dem Schutz des behinderten Arbeitnehmers.