Eine Disziplin ist 10 Jahre jung und läuft Gefahr steinalt zu sein.
Employer Branding ist eine junge Disziplin, im deutschen Sprachraum gerade mal zehn Jahre alt. Karin Krobath, Partnerin von identifire, Österreichs erster Internal & Employer Branding Agentur fasst zusammen und denkt 10 Thesen voraus. Oder sollte man da schon 10# sagen?
Dass sich traditionelle Identitäts- und Unternehmensgrenzen aufweichen, ist ein Faktum. Und dass die New Economy all jene Talente hat, die man in der Old Economy gerne hätte, auch. Employer Branding versucht vielfach mit analogem Denken den digitalen Brückenschlag – und sieht dabei manchmal ganz schön alt aus. Industrie 4.0 verlangt Employer Branding 4.0. So weit so gut. Aber gut genügt nicht, wenn es die neuen digitalen Unternehmen nicht nur besser, sondern anders machen.
These 1: Die neue Konkurrenz
Nicht nur traditionelle Arbeitgeber Mitarbeitende suchen, sondern auch Projekt- und Entwicklungsgemeinschaften. Charakteristika: Menschen arbeiten hier temporär, unternehmensübergreifend zusammen. Sie werken nicht primär für ein Unternehmen, sondern für eine „coole, geile, abgefahrene“ Forschungsfrage oder Idee. Dieser Level an inhaltlicher Auseinandersetzung hat ebenso Zugkraft wie die Gewissheit, bei etwas dabei zu sein, das „top of the box“ oder „ahead of times“ ist. Hierarchie, Organisationrichtlinien und Arbeitszeitgesetze spielen hier keine Rolle. Attraktive Arbeitgeber werden künftig jene Marken sein, die Content vor Kontrolle stellen und die Coworking-Spaces und Labs wie Key Accounts betreuen. Marke hat mehr denn je das Zeug, nicht nur Identifikationsfläche für Menschen, sondern auch inhaltlicher Knotenpunkt in der digitalen Welt zu sein.
These 2: Die neuen Fähigkeiten
Die Überlebensfähigkeit von Unternehmen hängt auch an IT- und HR-Verantwortlichen, die smarten digitalen Workflow und neue Arbeitsmodelle bieten müssen.
Von der Personalverwaltung über den HR-Businesspartner zum Personalmarketer – diese Entwicklung mussten Human Resources Fachleute in den letzten zehn Jahren im Eiltempo vollziehen. Jetzt steht die nächste Herausforderung vor der Tür: HR-Profis werden zu Key Account- und Beziehungsmanagern ihrer Unternehmen. Eine ähnlich große Anforderung haben nur die Kollegen aus der IT-Abteilung zu bewältigen. Die haben sich früher darum gekümmert, dass jeder Mitarbeiter einen PC hat und dass die AS400 läuft. Heute sind digitale Produktlösungen gefragt. Ein unendlich spannender Perspektivenwechsel – für den, der ihn denken und gestalten kann. Unternehmen, die aus Personal- oder IT-Sicht diese digitale Kurve nicht „kriegen“, steht ein unlustiger Überlebenskampf bevor. Denn: Mitarbeiter mit digitalem Potenzial werden gehen, „blutige Nasen holen“ und an „gläserne Wände laufen“ ist zunehmend uncool. Was für HR-Arbeit konkret heißt: Die digitale Infrastruktur von Unternehmen und Führungskräfte mit der Fähigkeit, in dieser digitalen Welt zu „führen“, werden zu den wichtigsten Wettbewerbsfaktoren im War for Talent. Gelingt das nicht, beißt sich die digitale Katze in den analogen Schwanz.
These 3: Das neue Selbstvertrauen
Der berufliche Leidenswille der Menschen nimmt ab. Die Bereitschaft einen Job zu kündigen, ohne einen neuen zu haben, wird weiter steigen. Programme wie Bildungskarenz oder Sabbatical fördern diesen Umstand ebenso wie die Tatsache, dass alle ernstzunehmenden Studien aufzeigen: Werte und Haltungen des Unternehmens müssen zu jenen des Mitarbeiters passen. Sonst kommt der Job nicht in Frage oder man geht eben schnell wieder. Wie wollen wir unter diesen Voraussetzungen Mitarbeiter an Unternehmen binden? Am besten wir lassen den Bindungsgedanken fallen, belohnen nicht lange Betriebszugehörigkeiten und reagieren verschnupft, wenn jemand geht. Ein guter Mitarbeiter bekommt anderswo einen besseren Job? Gratulieren, die erbrachten Leistungen sichtbar machen, stolz sein und ein Abschiedsparty schmeißen! Denn man trifft sich sicher wieder.
These 4: Die neuen Kombinationen
Generation Slash macht aus der Not eine Tugend und plötzlich hat die Tugend ihren eigenen Wert. Über Slashies wird derzeit viel geschrieben. Es geht um jene Menschen, die unterschiedliche Tätigkeiten zeitlich so integrieren, dass am Ende des Monats in etwa das Einkommen einer klassischen Vollzeitbeschäftigung steht. Ob man aus Hobby und Neigung als Kommunikationstrainer auch einen Fahrradbotendienst betreibt oder als Vertreter der „Generation Praktikum“ rein ökonomisch gezwungen ist, als Teilzeit-Grafikerin auch im Bio-Laden zu kochen, sei dahingestellt. Der Effekt ist jedenfalls unübersehbar: Es ist hipp, wenn man mehrere Jobs macht, es schafft Unabhängigkeit vom klassischen Arbeitgeber und es bereitet HR-Managern zunehmend Kopfzerbrechen.
These 5: Die neuen Lebensstile
Die Städte gewinnen weiter an Bedeutung, das Rekrutieren an der Peripherie wird noch schwieriger. Renommierte IT-Unternehmen zum Beispiel lösen zunehmend lokale Software-Entwicklungsteams auf, weil man sie regional nicht bekommt. Jedoch kein Trend ohne Gegentrend, sagt das Zukunftsinstitut: Der „Power of Places“ steht der Wunsch nach urbanem und ökologischem Lifestyle gegenüber. Das lässt sich auch in der Peripherie inszenieren. Omicron in Klaus (Vorarlberg) ist dafür ein spannendes Beispiel oder Erber mit außergewöhnlicher Forschungsinfrastruktur in Getzersdorf (Niederösterreich). Unternehmen, die hier smart agieren, sammeln sicherlich Gutpunkte und das nicht nur auf kununu.
These 6: Das neue Miteinander
Die Zukunft ist weiblich – haben wir schon oft gehört, jetzt könnte es tatsächlich so sein. Und dabei spielt auch der „neue Mann“ eine durchaus wichtige Rolle. Venetzt, teamfähig, flexibel sind die Eigenschaften im digitalen Zeitalter. Der Geschäftsführer von Tele Haase, Markus Stelzmann sagt: „Als wir die Hierarchien abgeschafft und die Selbststeuerung eingeführt haben, sind 35 – 40 % der Mitarbeiter gegangen. Jetzt sind wir nicht nur viel jünger, sondern auch viel weiblicher.“ Female Shift fordert von HR Verantwortlichen, in Lebensphasen zu denken und nicht in Altersgruppen. Die ersten Dadvertising-Employer Branding-Kampagnen stellen uns ja bereits den neuen Typus Business-Papa vor. Wenn es den dann flächendeckend gibt, sind die Business-Mamas nicht mehr aufzuhalten.
These 7: Die neuen Unternehmenskulturen
Mobiles Arbeit kann man nicht mit Organisationsrichtlinien steuern oder wie es Anja Förster so nett ausdrückt: Wer Zäune um Menschen baut, bekommt Schafe. Mobiles Arbeiten entzieht sich den üblichen Kontrollmechanismen. Es funktioniert nur, wenn das Endergebnis zählt und der Weg dorthin dem jeweiligen Mitarbeiter überlassen ist. Die aktuelle Verschärfung der Arbeitszeitgesetze in Österreich mutet unter diesem Blickwinkel anachronistisch an. Während Start-Ups auf der ganzen Welt mit Begeisterung Neues denken und ausprobieren, frustriert Österreichs Old Economy am Gängelband der Gesetzgebung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Zugangsbeschränkungen und Haftungsfragen. Wer keinen All-In-Vertrag hat, greift nach Arbeitsschluss nicht auf seine E-Mails und Arbeitsunterlagen zu. Wer eine Abendveranstaltung besucht, kommt erst um 10.00 Uhr ins Büro, damit die Tagesarbeitszeit nicht überschritten wird. Home-Office ist montags, freitags und an Fenstertagen nicht erlaubt. Geht´s noch? Gute Unternehmenskulturen sind Möglich-Macher-Kulturen, in denen Spaß an der Arbeit, Gestaltungsraum und Hausverstand zählen und die sich von den üblichen Standards nicht beeindrucken lassen. (Die sind ja auch für asymmetrische Beschäftigungsverhältnisse geschrieben, die es leider immer noch gibt und wo es tatsächlich um Absicherung der Arbeitnehmer geht.)
These 8: Das neue Kunst des Führens
Herkömmliche Leadership Programme bilden für die neue Situation nicht aus. Internal Branding richtet Kommunikation, Personalmanagement und Führung an der Marke aus. Markenorientiert führen ist schon in der Old Economy die größte Baustelle, will man Identifikation und Engagement der Mitarbeiter erhöhen. Die Herausforderung steigt exponentiell, wenn die Unternehmensfundamente quasi im Echtbetrieb digitalisiert werden. Das hat schon etwas von „Den-Boden-unter-den-Füßen-Wegziehen“. Der menschliche Reflex: festhalten und kontrollieren.
Resonanz-, Gestaltungs- und Begeisterungsfähigkeit werden wohl die Schlüsselhaltungen sein, die man künftig in Leadership-Programmen entwickeln muss. Führungsmantra: „WIR ist wichtiger als ICH. Mein Job ist es, Dinge möglich zu machen. Das beste Argument zählt, nicht die Hierarchie.“
These 9: Der neue Qualifizierungsdruck
Das Zusammenspiel von Robotschafter und Markenbotschafter wird Employer Branding 4.0 prägen, sollten bis 2050 tatsächlich 59 % der Arbeitsplätze durch Automatisierung wegfallen. ING Diba hat diese Rechnung für Deutschland angestellt. Die Vorstellung ist ebenso gespenstisch wie faszinierend. Branden wir dann Algorithmen? Menschen kann man ja bekanntlich Brand Commitment und Brand Behaviour nicht mit dem Löffel verabreichen, den Roboter dementsprechend programmieren schon. Wenn Automatisierung in diesem Maßstab Platz greift, treffen Endkunde und Maschine „persönlich“ aufeinander. Integrierte Lösungen, die Roboter Kundenanfragen beantworten lassen, bis sie erkennen, dass sie überfragt sind und die menschlichen „Kollegen“ dazu holen, gibt es ja schon. Dienstleistung, Administration, Montage, Handwerk, Verkauf – dieses schleichende Erdbeben geht dann alle an und macht uns klar: Mittelmäßige Ausbildungen führen in die Arbeitslosigkeit, durchsetzen werden sich einmal mehr die „Talente“. Diejenigen, die wach, aufgeweckt, unternehmerisch sind und das Leben im permanenten Betastadium als inspirierenden Normalzustand empfinden. Wie kann man als HR-Manager darauf reagieren? Nur in dem man den Stellenwert der Unternehmenskultur höher ansetzt als bisher und ein Umfeld schafft, das möglichst viele Menschen befähigt, ihre besten Seiten weiter zu entwickeln.
These 10: Die neue Denke.
Europa verspielt derzeit auf vielen Ebenen seine Attraktivität und Vorreiterrolle – auch als Arbeitsplatz für Digital Leaders. Die Erfolgschancen steigen für die, die sich international vernetzen. Reformstau, überbordende Bürokratie, Schulden- und Flüchtlingskrise. Wäre Europa ein Unternehmen, würden wir sagen: Altes Flaggschiff am absteigenden Ast, mit sich selber beschäftigt, hat den Markt – die Welt – nicht mehr im Blick. Während sich europäische Banken und Versicherungen mit Basel III und Solvency II quälen, gründet einer der Twitter-Väter seine Square Bank. Kernleistung: Kreditkartenzahlungen über Smartphone. Was das mit Employer Branding zu tun hat? Erst der 25. Mitarbeiter (mittlerweile hat die Bank über 1.000) war vom Fach, also ein Banker. Die ersten 24 – so erzählt es Franz Kühmayer im Digital Leadershipreport – waren Softwarefreaks und selber genervte Bankkunden. Das Ergebnis wird heute mit 6 Mrd US-Dollar bewertet und die Square Bank ist einfach easy, weil Prozesse und Sprache verständlich sind. Oder anderes Beispiel: Silicon Savannah, die Startup Szene Ostafrikas mit 16.000 Mitgliedern. Hier geht die „digitale Post“ ab. Festnetztelefonie und PC-Zeitalter sind übersprungen, man ist direkt im mobilen Zeitalter gelandet und spielt ganz vorne mit. Airtel Africa bietet den ersten interkontinental Tarif (17 Länder in Asien und Afrika – ein Tarif, keine Roaming-Gebühren!) und M-Pesa, einer Gründung der kenianischen Safaricom und Vodafon, macht das Smartphone zum Bankkonto. Hans Stoisser führt in seinem Buch „Der schwarze Tiger“ eindringlich vor Augen, dass Europa Afrika immer noch als Entwicklungshilfe-Kontinent sieht, während China, Brasilien und Indien in den Afrikanern Geschäfts- und Forschungspartner finden. Hier boomt eine Wirtschaftsregion, die wir nicht im Blick haben. Oder ist Ihnen bewusst, dass Angola Portugal in der Wirtschaftskrise massiv unterstützt hat und dass heute 100.000 Portugiesen als Gastarbeiter in Angola arbeiten? Employer Branding 4.0 hat diese wirtschaftlichen Entwicklungen am Radar, erweitert seinen Aktions- und Suchradius, unterstützt weltweite Talente-Kooperationen und agiert so global, wie es heute schon in den Jobanzeigen von den Kandidaten und Kandidatinnen verlangt wird.
Literatur:
Krobath, Karin (2016): „“Hab ich nicht gewusst“ gibt´s nicht mehr!“. TELE-rismus statt Taylorismus in der Smart Factory. Interview mit „Regisseur“ Markus Stelzmann, IN: Prisma Aktuell, Mai 2016, Wien
Kühmayer, Franz (2015): Leadershipreport 2016. Digitale Disruption.
Zukunftsinstitut GmbH, Frankfurt a. M.
Stoisser, Hans (2015): Der schwarze Tiger. Was wir von Afrika lernen können. Kösel-Verlag, München.