Arbeiten im Flow-Zustand

Kennen Sie Ihr Potenzial? So richtig? Mit allen Stärken und Schwächen? Wissen Sie genau, in welcher Situation Sie wie reagieren? Wissen Sie es von Ihren Mitarbeitern? Welche Möglichkeiten es gibt, Potenziale herauszufinden, um bei der Arbeit im Flow-Zustand zu sein, lesen Sie in diesem Artikel.

»Für ein um nur 5 % höheres Gehalt nehmen 69 % der nicht engagierten Mitarbeiter einen Job in einem anderen Unternehmen an. Von den teilweise engagierten lassen sich nur 26 % verführen, während engagierte Mitarbeiter erst ab etwa 20 % Mehrgehalt überlaufen.« Das ist eine der Aussagen der Employee-Engagement-Studie von Dale Carnegie Training.
Um Engagement zu erreichen, sind mehrere Punkte wichtig. Ein wesentlicher Punkt ist sicherlich, dass sich der Mitarbeiter im Unternehmen wohlfühlt und seine Fähigkeiten einsetzen kann. Nicht über- und auch nicht unterfordert möchten Mitarbeiter sein, optimal im Flow-Zustand arbeiten, das ist das Ziel.
Allerdings ist es schwer, einen Mitarbeiter richtig im Unternehmen zu platzieren, wenn die Führungskräfte und die Recruiter nicht das volle Potenzial des Mitarbeiters kennen. Häufig weiß das der Mitarbeiter selbst nicht zu 100 %. Sie können das auch im Privaten sehr leicht testen. Fragen Sie einfach einmal Freunde, worin sie wirklich gut sind. Viele haben darauf ad hoc keine Antwort. Wenn Sie hingegen nach Schwächen fragen, fallen den meisten Menschen viele ein. Doch wie sollen wir im Beruf unsere Stärken einsetzen, wenn wir sie gar nicht kennen?
Um das eigene Potenzial herauszufinden, gibt es verschiedene Tools, sogenannte Potenzialanalysen. Sie werden einerseits im Recruiting eingesetzt, natürlich aber auch bei Mitarbeitergesprächen und internen Stellenbesetzungen. Genauso aber auch für die Personalentwicklung, um herauszufinden, welches Seminar oder welche anderen Entwicklungsmaßnahmen für welchen Mitarbeiter zielführend sind. Auch bei Teamanalysen können sie ein hilfreiches Tool darstellen, um eine harmonische Zusammenstellung eines Teams zu erreichen. Für diesen Artikel haben wir einige Anbieter und einige Anwender von Potenzialanalysen interviewt, um einen guten Überblick über die verschiedenen Tools zu bekommen. Vorab einmal: Was bringt mir eine Potenzialanalyse wirklich? Was kann sie und was nicht?
Bernhard Dworak (Geschäftsführer der Master Human Resources Consulting GmbH): »Tatsache ist, dass Potenzialanalysen direkt keine neuen Stellen schaffen, aber auch keine vernichten. Durch die bessere individuelle Übereinstimmung eines Mitarbeiters mit einer Position kann sie aber zum Wachstum eines Unternehmens beitragen. Realistisch sind Produktivitätssteigerungen von 2 bis 5 %. Studien belegen, dass Unternehmen mit engagierten und motivierten Mitarbeitern mindestens 20 % produktiver und profitabler sind als ihre Mitbewerber. Diese Studie bezieht sich auf den Einsatz von Potenzialanalysen in der Personalentwicklung. Potenzialanalysen treffen niemals eine Aussage über die Zukunft. Wer hätte dem jungen Steve Jobs zugetraut, wozu er im Laufe seines Lebens fähig war? Mittels Potenzialanalyse hätte man Entwicklungspotenziale aufzeigen können. Potenzialanalysen machen Unsichtbares sichtbar und zeigen somit Potenziale auf, die entwickelt werden können. Allerdings ist es nur mit der ausreichenden Passung von Können – Wollen – Dürfen auch möglich, Potenziale auszuschöpfen. Wenn Sie erwarten, dass Sie ›Potenziale‹ einkaufen und alles andere erledigt sich von selbst, muss ich Sie enttäuschen.«

Welche Tools gibt es denn jetzt, und wie funktioniere sie? Einen großartigen Überblick für alle, die sich mit diesem Thema in der Tiefe auseinandersetzen wollen, bietet das Buch »Handbuch der Persönlichkeitsanalysen« von Brand/Ion/Wittig, erschienen im GABAL-Verlag. Dort werden über 20 verschiedene Tools im Detail dargestellt, mit allen Hintergrundinformationen und wissenschaftlichen Tests. Wir beschränken uns hier im Artikel auf ein paar wenige, wir wollen nur eine Idee geben, was es alles am Markt gibt, und wie eine Potenzialanalyse ablaufen kann.

Ingrid Schwank (Leitung Bildungsberatung für Karriere & Unternehmen des WIFI Wien) setzt die eigene Potenzialanalyse vor allem dafür ein, um das optimale Bildungsprogramm dem Kunden anzubieten: »Die WIFI-Potenzialanalyse besteht aus 2 Beratungsgesprächen mit unserem Kunden. Im Vorgespräch nehmen wir uns viel Zeit, die Anliegen und die Fragestellung unserer Kandidaten kennenzulernen. In der Folge wird eine für ihn maßgeschneiderte Testpalette zusammengestellt, die sich auf seine Interessen, Neigungen und Potenziale bezieht. Im zweiten Gespräch, dem Auswertungsgespräch, besprechen wir die Testergebnisse und entwickeln gemeinsam mit dem Kunden Weiterbildungs- und Berufsvorschläge bzw. die nächsten Schritte in Richtung seines Ziels. Im Prinzip richtet sich unser Angebot an eine sehr breite Zielgruppe vom Jugendlichen bis zum Unternehmer, der Ablauf ist auch zielgruppenunabhängig, das Berater-Know-how und die Testpalette ist allerdings im Besonderen auf den Bedarf der jeweiligen Zielgruppe abgestimmt. Auch firmenintern ist eine maßgeschneiderte Potenzialerkennung machbar, wenn es z. B. um die Auswahl von High Potentials für bestimmte Projekte und Positionen geht.«

Bernhard Dworak beschreibt eine seiner Analysen: »Unsere Potenzialanalyse (MPA – Master Person Analysis) funktioniert so, dass der Teilnehmer vorab über ihren Sinn, über den Ablauf und über unsere Datenschutzrichtlinie informiert wird. Danach erhält er die Einladung zum Ausfüllen des Fragebogens per E-Mail. Der Teilnehmer kann aus derzeit 20 Sprachen auswählen. Die Beantwortung ist von jedem internetfähigen Gerät möglich und dauert ca. 20 Minuten. Sofort nach Beendigung des Fragebogens ist die Analyse verfügbar.
Bevorzugt ist ein individuelles Feedbackgespräch, im Rahmen eines Erst- oder Zweitinterviews. Der Zeitrahmen für dieses strukturierte Gespräch ist von der Zielsetzung abhängig und dauert ca. 30 Minuten. Dieses Gespräch wird ausschließlich von einem qualifizierten, zertifizierten Mitarbeiter durchgeführt. Optional, aber von großem Vorteil, ist die Erstellung von firmenspezifischen Anforderungs-/Sollkriterien, die einen Abgleich mit den Testergebnissen ermöglichen.«

Ein Tool, das nicht unbedingt eine klassische Potenzialanalyse darstellt, ist das PCM-Modell. Um eine größte Palette an unterschiedlichen Instrumenten vorzustellen, haben wir dazu einen Experten befragt.
Gerald Wahl (Identity Coach brandzwo gmbh – Büro für Markenlebendigkeit): »Das Process Communication Model (PCM) ist viel mehr als eine Potenzialanalyse. Es ist ein Persönlichkeits- und Kommunikationsmodell – so vielseitig einsetzbar wie vergleichsweise ein Schweizer Taschenmesser. Zu Beginn wird ein individuelles Persönlichkeitsprofil erstellt: In einem Online-Fragebogen beantwortet der Teilnehmer 45 Fragen – woraus ein PCM-Profil generiert wird. Dieses dient im Coaching oder in den Seminaren als Reflexionsinstrument. Es gibt verlässliche Auskunft über die Persönlichkeitsarchitektur, Charakterstärken, Wahrnehmungsarten, Interaktionsarten, Persönlichkeitsanteile, Persönlichkeitsphase, Motivatoren, bevorzugte Sozialumgebung und Warnsignale. Weiters beschreibt es die Art und Weise, wie wir zu anderen Kontakt herstellen und wiederum die Art der Kontaktaufnahme, die wir von anderen bevorzugen. Oder in welche eigenen Muster wir tappen, wenn wir in Konflikte schlittern – aber auch, wie wir sie bewältigen können. Und sie geben einen Hinweis darauf, wie wir uns selbst motivieren und motivieren lassen. Die Auswertung ist für die Klienten ein ›Schlüssel zu sich selbst‹, nachzulesen auf ca. 40 Seiten, mit Erklärungen, Aktionsplänen und Handlungsempfehlungen. Herzstück des Profils ist jedoch nicht das Handout – sondern das persönliche Debriefing mit dem zertifizierten PCM-Experten.«

Ulrike Kriener (Management Coach bei der ­AUMAIER COACHING|CONSULTING GmbH) erzählt ein konkretes Beispiel, wie sie an der internen Besetzung einer Teamleiterposition gearbeitet hat: »Ein Briefinggespräch mit HR und Abteilungsleiter gibt mir Aufschluss darüber, welche Persönlichkeitseigenschaften bevorzugt wären. (Zum Beispiel: soll sicher auftreten, soll sachlich sein, Dinge nicht gleich persönlich nehmen, soll Aufgaben auch bei hoher Aufgabenvielfalt engagiert bearbeiten etc.) Nach diesen Eigenschaften stelle ich die Potenzialanalyse zusammen. In diesem Beispiel erhielten wir Ergebnisse in Bezug auf soziale Selbstsicherheit, emotionale Robustheit und Engagement bei hoher Leistungsanforderung. Jetzt wird noch gemeinsam mit dem Abteilungsleiter die Ergebnisausprägung, das sogenannte Soll-Profil, bestimmt. Es wird im Soll-Profil zum Beispiel der Wunsch des Abteilungsleiters, dass der ideale Kandidat 80 % emotionale Robustheit mitbringt, festgehalten. Nun bekommt jeder interne Bewerber einen Einzeltermin für ein tiefenpsychologisches Interview und im Anschluss führt er die Potenzialanalyse durch. Die Auswertung wird grafisch aufbereitet. Die Ist-Kurve des Kandidaten wird über das gewünschte Soll-Profil des Abteilungsleiters gelegt. Abweichungen zeigen Ressourcen oder Qualifizierungsbedarf. Die schriftliche Auswertung wird mit dem Vermerk ›vertraulich‹ versehen und dem Abteilungsleiter und HR präsentiert. Sie enthält natürlich auch meine Empfehlung und hat den Mehrwert, dass der Qualifizierungsbedarf auch Hinweise auf gezielte Weiterbildung beinhaltet. Jeder Kandidat erhält ebenfalls eine Ergebnisrückmeldung in Form eines einstündigen Gesprächs.«
Teamzusammensetzung
Nachdem es bereits zahlreiche Artikel über Potenzialanalysen im Recruiting gibt, möchten wir uns diesmal auf die Teamzusammensetzung konzentrieren. Ein nicht effizient arbeitendes Team kann das Unternehmen viel Geld kosten, Kunden vergraulen und auf die einzelnen Mitarbeiter stark demotivierend wirken.
Gerald Wahl: »Gute Teams brauchen unterschiedliche Persönlichkeitstypen, die verschiedene Rollen einnehmen, um das Unternehmen zum Erfolg zu führen. Wenn alle oder überwiegend die gleichen Charakterstile in einem Team vorherrschen, dann ist das nett für das Team. Man wird sich gut verstehen, gut unterhalten – aber vielleicht nicht erfolgreich sein. Nehmen wir zum Beispiel ein Überangebot an Kreativen im Team: ›Ich hab eine neue Idee!‹, sagt die eine. ›Ich auch!‹, bringt der andere ein. Man steigert sich in einen Wettbewerb der Ideen, setzt immer wieder eines drauf und verläuft sich in einen Zickzack-Kurs, wo am Ende der Kunde nicht mehr weiß, wofür das Unternehmen steht. Oder das Team nicht mehr weiß, was die Ausgangssituation war. Oder man vor lauter besseren Ideen kein Produkt formulieren – und letztendlich auf den Markt bringen konnte. Potenzialanalysen sind wie Casting-Shows: Sie zeigen exakt auf, welche Rollen im Team bereits vorhanden sind – und welche ›Typen‹ noch fehlen, um Erfolgs-Geschichten Wirklichkeit werden zu lassen.«

Wie sieht es aus bei multikulturellen Teams? In wieweit können hier standardisierte Testverfahren für Klarheit sorgen?
Ingrid Schwank: »Das hängt im Grunde genommen stark vom Unternehmen ab und wie es mit dieser Unterschiedlichkeit im Sinne der gelebten Unternehmenswerte umgeht. Auch hier kann die Potenzialanalyse ein hilfreiches Element im Sinne der Verortung von interkulturellen Kompetenzen sein.«
Gerald Wahl: »Das PCM bietet eine Metaebene, um sich untereinander zu verständigen. Charaktereigenschaften wie etwa Empathie, Tatendrang oder die Freude am Gestalten setzen sich über Grenzen von Kulturen hinweg. Das ist – wenn Sie so wollen – vielleicht ein wenig wie mit der Musik …«
Bleiben wir doch gleich beim Beispiel der Musik. Bernhard Dworak hat hier eine schöne Metapher gefunden: »Als passionierter Musiker und Chorsänger liegen mir musikalische Vergleiche sehr nahe. Sie werden niemals in einem Chor identische Sänger-Persönlichkeiten finden. Wichtig ist vielmehr, dass die verschiedenen Persönlichkeiten zusammen musizieren können und wollen. Mit jedem einstudierten Musikstück steigt bei gleichbleibender Besetzung das Niveau – so lange, bis die ersten Sänger an ihre Grenzen stoßen. Im musikalischen Bereich könnte das der Tonumfang oder der Zeiteinsatz für Proben sein. Wenn man diese Dinge im Vorfeld abklärt, erspart man sich Ausfälle kurz vor einem Konzert.«
Tipps bei der Auswahl
Am Markt werden wahnsinnig viele verschiedene Testverfahren angeboten. Wir haben nachgefragt, woran man als Personalist erkennen kann, welche Tools gute Qualität bieten, bzw. worauf man generell achten sollte:
Ulrike Kriener: »Wichtig ist, auf die Test-Gütekriterien zu achten. Darüber hinaus ist es noch sehr wichtig, jenen, die sich der Potenzialanalyse unterziehen, eine Rückmeldung in einem Gespräch zukommen zu lassen – und nicht etwa ausschließlich eine schriftliche Auswertung auszuhändigen.«
Auch Ingrid Schwank weiß, worauf es ankommt: »Auf die Qualität der Beratung und die Verlässlichkeit des Tools, die gewünschten Kriterien tatsächlich adäquat zu messen. Das sollte durch einen Spezialisten im Unternehmen geprüft werden.«

Potenzialanalysen kosten auf den ersten Blick kurzfristig viel Geld. Erst wenn Unternehmen bewusst wird, wie hoch die Kosten für mögliche Fehlbesetzungen oder unmotivierte Mitarbeiter sind, ergeben Potenzialanalysen einen Sinn.

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