Agile Transformation

Unternehmen in allen Branchen haben sich auf das Abenteuer agiler Transformation eingelassen. Manche haben schon wieder genug davon. Für andere ist es Top-Prio.

ING und Adidas sind Role Models für erfolgreiche agile Transformation. Thomas Cook und Toys ’R Us haben die agile Transformation verpasst. Die deutsche Autoindustrie strebt nach Agilität, um auch in Zukunft in einem Umfeld von Tesla, Google, Apple, Uber tonangebend bleiben zu können.
Es gibt noch wenige gute Beispiele großer Unternehmen, von denen behauptet werden kann, dass sie die agile Transformation »geschafft haben«. Aber es gibt einige Unternehmen, z. B. aus dem Silicon Valley, die sich aus agilen Start-ups in agile Großkonzerne entwickelt haben. Ergibt der Versuch der Transformation eines traditionellen Unternehmens in ein agiles Unternehmen überhaupt Sinn? Wäre es nicht einfacher, traditionelle Unternehmen, solange es geht, gewinnbringend laufen zu lassen und in disruptive Start-ups zu investieren? In der Wirtschaftsgeschichte waren es tatsächlich selten die Marktführer, die marktumwälzende Innovationen hervorgebracht haben.

Allerdings befinden wir uns – zumindest technisch und wirtschaftlich gesehen – mitten in einer massiv beschleunigten Evolution. Und es gibt immerhin Beispiele für Unternehmen, die in der Lage sind, sich selber zu disruptieren, um damit den Weg für neue Marktlösungen frei zu machen. Es sind wieder einmal die großen Silicon-Valley-Firmen, wie Google und Apple, die ihre eigenen Produkte einstellen, um Platz für Neues zu machen.
Der Selbsterhaltungstrieb wird in einem bedrohlichen Umfeld besonders wach. Um einen großen Teil der Arbeitsplätze und der Unternehmens-Assets wie z. B. Filialen oder Produktionsstandorte zu sichern, braucht es die Bereitschaft, aktuelle Arbeitsplätze und Assets in Frage zu stellen bzw. weiterzuentwickeln.
Die Entscheidung für agile Transformation erhöht zumindest die Chance auf langfristigen Bestand. Und wir wissen aus Studien (z. B. McKinsey), dass agile Unternehmen finanziell deutlich besser performen. Für die Transformation gibt es einige hilfreiche Denk-Werkzeuge.

3 Werkzeuge agiler Transformation

1. Land/Wasser: Um zu entscheiden, ob es in einem Unternehmen oder Unternehmensbereich Agilität braucht, hilft die »Land/Wasser-Metapher«.
Wer in einem einigermaßen stabilen Umfeld tätig ist, kann auf festem Untergrund aufbauen und wird mit einer traditionellen Management- und Führungsphilosophie gut bedient sein. Zu agile Methoden würden sogar irritieren. Wer andererseits einer Disruptionswelle nach der anderen ausgesetzt ist, lernt besser bald Wellenreiten. D. h. die Unternehmenseinheit muss ständig in Bewegung sein, um im Gleichgewicht bleiben zu können. Ambidextrie – die Kunst der Beidhändigkeit – ist das Gebot der Stunde für viele Organisationen. Sie brauchen sowohl die Fähigkeit, das Gegenwärtige zu managen, als auch die Kunstfertigkeit, die noch ungewisseren Zukunftschancen zu erschließen. Die Antwort auf Land und Wasser ist die passende Kombination aus Stabilität und Agilität:

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Die eine Hand repräsentiert die Fähigkeit, eine stabile Grundlage zu schaffen. Zum Beispiel klare Prozesse, kein unnötiges Neuerfinden des Rades, ein Kennzahlensystem, eine Struktur, an der man sich noch anhalten kann.
Die andere Hand steht für die Fähigkeit, Veränderungen voranzutreiben, aufmerksam die hereinbrechenden Disruptionswellen zu sehen, die richtigen auszuwählen und zu reiten. Es geht um Geschwindigkeit, optimale Anpassungsfähigkeit, kontinuierliche Interaktion und Proaktivität. Agile Transformation bedeutet nicht, dass jeder Unternehmensbereich maximal agil sein soll, sondern es ist die Bewegung hin zur idealen Kombination aus Agilität und Stabilität. Zum Beispiel ein Retail-Unternehmen erkennt, dass die eigene Zukunft durch das Bereitstellen eines kombinierten Einkaufserlebnisses aus Online-Welt und physischen Point of Sale/Delivery gesichert wird und die Unternehmenskultur sich von »Weisung und Kontrolle« zu einer fruchtbaren Koexistenz von agilen und stabilen Elementen entwickelt.

2. TIE: Transparenz, Iteration und Empowerment sind die 3 Hauptprinzipien der Agilität, die sich in allen agilen Tools wiederfinden. Sie eignen sich, um den aus jetziger Sicht idealen Agilitätsgrad der Unternehmenskultur zu definieren. Was z. B. als optimale Transparenz gesehen werden kann, unterscheidet sich je nach Branche. In der Finanzwirtschaft gibt es z. B. berechtigte Einschränkungen. Unternehmen sollten für sich selber festlegen, was sie aktuell für den idealen Ausprägungsgrad von Transparenz, Iteration und Empowerment halten. Die insbesondere in der Lösungsorientierung bekannt gewordene Skalenfragetechnik erweist sich hier als hilfreich. Einige Beispiele für Frageformulierungen und ihre Wirkungen:
Woran würden wir erkennen, dass wir die für uns ideale Empowerment-Kultur leben? Woran würden unsere Mitarbeiter/Kunden/Führungskräfte … das festmachen? Wie fühlt sich das an? Wie würden sich Mitarbeiter und Führungskräfte verhalten? Was unterscheidet uns dann von anderen Mitspielern am Markt?
Die Antworten fügen sich zu einem detailliert beschriebenen Zielbild – der Vision des Transformationsprozesses – zusammen. Die gemeinsame Vision ist eine der wichtigsten Motivationsgrundlagen, die es braucht, um die notwendige Energie für die Veränderung aufbringen zu können.
Auf einer Skala von 1 bis 10 (10 = optimale Transparenz, Iteration, Empowerment), wo stehen wir da heute? So ergibt sich die Standortbestimmung.
Was ist der Unterschied zwischen 1 und dem gewählten Wert? Als Antwort kommt zum Vorschein, was schon gut läuft und worauf aufgebaut werden kann.
Was müsste in welchem Unternehmensbereich passieren, damit wir einen Punkt nach oben kommen? Was konkret werden wir als Nächstes tun, um diesen Punkt nach oben zu kommen? Damit ist die konkrete Aktionsplanung gestartet.

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3. Transformations-Reiseplan: Der Trafo-Reiseplan (basierend auf einer Idee von HR Pioneers) hilft uns, das Vorankommen auf unserer Agilitätsreise zu steuern. Er ist eine Matrix, deren horizontale Achse die Transformations-Bereiche und deren vertikale Achse den Fortschritt über die Zeit darstellen (siehe Grafik oben).

Jedes Unternehmen kann entscheiden, bestimmte Transformationsbereiche dazu zu nehmen oder wegzulassen. Es sollte sich dabei nicht ausschließlich an der eigenen Branche orientieren. Vielleicht verkauft das Unternehmen aktuell Produkte, wie z. B. Trainings und wird in Zukunft hauptsächlich Softwarelösungen anbieten, die die bisherigen Produkte weitgehend ersetzen. Im Sinne der Transparenz wird der Trafo-Reiseplan für alle Mitarbeiter sichtbar gemacht. Zumindest einmal pro Quartal trifft sich ein repräsentativ aus den Unternehmensbereichen zusammengestelltes Team, um einen Rückblick auf das Erreichte zu machen und zu definieren, was im kommenden Quartal angegangen wird.

Ein gut durchdachtes und gelebtes Kennzahlensystem stellt sicher, dass die kontinuierliche Fortschrittsmessung auf einer objektiven und stabilen Grundlage erfolgt. Dieses KPI-System beinhaltet meist Messgrößen in Bezug auf Finanz, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Produktivität und Innovation und trägt neben der beabsichtigten Agilität vor allem zur Stabilität bei.

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Gastautor
Gunther Fürstberger
ist Geschäftsführer des MDI (Management Development Institut).
www.mdi-training.com