Ausbildung neu denken

Weniger Bewerbungen – schlechtere Qualifikationen. Jannike Stöhr wirft einen kritischen Blick auf den Lehrlingsmarkt und appeliert an die Unternehmen.

Wenn Sie dieses Jahr Schwierigkeiten hatten, Ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, sind Sie in bester Gesellschaft. Ihnen wird nicht entgangen sein, dass sich – den Trend der letzten Jahre fortsetzend – wieder weniger Jugendliche beworben haben und, dass die Bewerber nicht unbedingt qualifizierter waren, als in den Jahren zuvor. Die Gründe für diese Entwicklung liegen auf der Hand: die demografische Entwicklung, Akademisierung, Orientierungslosigkeit sowie als unattraktiv wahrgenommene Berufsbilder und Verdienstmöglichkeiten. Die Universitäten platzen derweil aus allen Nähten.

Fakt ist, es ist dringend an der Zeit, etwas zu tun. In Deutschland versucht die Politik, der Entwicklung mit Fördermöglichkeiten nach Ausbildungsabschluss, wie dem Meister-BAföG, zu begegnen. Aber ist das genug?

Schauen wir uns andere Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt an, zeichnen sich weitere Probleme ab. Viele der heutigen Ausbildungsberufe fallen der Automatisierung und Digitalisierung zum Opfer. Laut einer Studie der Oxford-Professoren Carl Benedikt Frey und Michael A. Os-borne sind dies allen voran Büro- und Sekretariatsjobs sowie Berufe in den Bereichen Verkehr und Gastronomieservice. Berufe, die in unserer Gesellschaft leider kaum Ansehen genießen, werden immer wichtiger. Pflege- und Erziehungskräfte zählen zu dieser Gruppe.

Der Ruf nach Kompetenzen und Fähigkeiten statt Fachwissen bei zukünftigen Arbeitnehmern ist groß. Die Fähigkeit zu lernen, Kreativität, Flexibilität und Unternehmergeist sowie interkulturelle und technische Kompetenzen werden auf dem Arbeitsmarkt immer wichtiger.

Ausbildung aus zwei Perspektiven

Lassen Sie uns einmal ein wenig weiter als bis zum Meister-BAföG denken. Was wäre, wenn die Berufsausbildung einen Rahmen schaffen würde, der Jugendlichen Orientierung gibt, der Kompetenzen und Fähigkeiten vor Fachwissen vermittelt und der eigenständig denkende Menschen hervorbringt?

Denn wovon lässt man sich motivieren, wenn einem die Orientierung fehlt? Extrinsische Anreize wie Anerkennung, Karriere und Geld, liegen nahe. Aber ist für die große Karriere nicht ein Studium hilfreicher? Alle extrinsischen Anreize haben eines gemeinsam: Sie sind niemals genug. Die ersehnte Zufriedenheit bringen sie nicht, sofern man sich nicht bewusst für diesen Weg entscheidet. Nach Fähigkeiten wie Kreativität, Eigenverantwortung und unternehmerischem Denken braucht man in einem extrinsisch motivierten Arbeitssystem ebenfalls nicht zu suchen.

Schaut man sich beispielsweise die Schule im Aufbruch von Margret Rasfeld oder die D.School für Design Thinking am Hasso Plattner Institut an, sieht man, dass es auch anders funktionieren kann. Während an der Schule im Aufbruch Fächer wie »Herausforderung« und »Verantwortung« unterrichtet werden, bilden an der D.School Prinzipien wie das Team im Team oder der Interdisziplinarität den Rahmen. Beide Schulen kommen ohne Noten aus, zumindest bis zu einer gewissen Stufe.

Als Personalerin habe ich einige Zeit nach meiner Ausbildung selbst bei der Auszubildendenauswahl mitgewirkt. In den Vorstellungsgesprächen wurde deutlich, dass sich die wenigsten Bewerber tatsächlich aufgrund des Berufes bewarben. Andere Gründe waren oft ausschlaggebend für die Bewerbung.

Wie soll man als 15-jähriger Jugendlicher auch wissen, was das Richtige für einen ist? Wie sehr kann man sich in diesem Alter schon selbst mit seinen Interessen und Fähigkeiten kennen? Wie viel hat man von seiner Umwelt gesehen, um zu beurteilen, was wirklich zu einem passt? Die Berufswahl wirkt schnell wie eine massive Entscheidung für das eigene Leben, wenn man einen späteren Berufswechsel nicht in Betracht zieht. Der Trend geht ohnehin weg von dem einen Beruf auf Lebenszeit. Dieser Aspekt allein könnte schon einiges an Druck bei den Jugendlichen nehmen. Zum anderen tut sich hier eine zusätzliche Zielgruppe für Ausbildungen auf: die Umsteiger.

Der Ausbildungsmarkt

Eine weitere Möglichkeit, Ausbildung wieder attraktiver zu machen, liegt im Aufgreifen genau derjenigen Schwierigkeiten, vor denen Jugendliche, aber auch Sie als Arbeitgeber, stehen. Fangen wir einmal mit der Orientierungslosigkeit an. Wenn Jugendliche von der Anzahl der Möglichkeiten gelähmt sind und sich und die Umwelt zu wenig kennen, um eine passende Entscheidung zu treffen, sollte das Ausbildungssystem zuallererst einmal durchlässiger werden und Berufswechsel während der Ausbildung ermöglichen. Im ersten Ausbildungsjahr bietet sich eine »Grundausbildung« an, in der es in erster Linie um Kompetenzen und Fähigkeiten geht. Stellen Sie Ihre Auszubildenden vor Herausforderungen, zu deren Lösung sie Kreativität, Eigenverantwortung und flexibles Denken benötigen. Möglichst zu Fragestellungen, die Sie in Ihrem Unternehmen ohnehin angehen wollten. Wir erinnern uns an die oben genannten Schulfächer Verantwortung und Herausforderung in der Schule im Aufbruch und dem interdisziplinären und kooperativen Ansatz aus Potsdam. Ist Ihr Betrieb zu klein für Team- und Projektarbeit von Auszubildenden, bieten sich Kooperationen mit angrenzenden Unternehmen an. Schicken Sie die Auszubildenden auf Entdeckungsreise, vergeben Sie keine Noten, bilden Sie Teams. Lassen Sie die Auszubildenden in Berufe hineinschnuppern und darüber berichten. Das verhilft zu Orientierung. Es unterstützt die Auszubildenden dabei, sich selbst besser kennenzulernen und sich untereinander zu vernetzen.

Im zweiten Schritt kann es dann in die fachliche Ausbildung gehen. Hatten die Jugendlichen die Chance, sich selbst, den Beruf und das Umfeld besser kennenzulernen, stellt sich die Frage, ob der angestrebte Ausbildungsberuf noch immer der richtige ist. Gegebenenfalls müssen Anpassungen vorgenommen werden. Sollten Ihnen auch hier die Kapazitäten fehlen, bietet sich der Austausch mit den Kooperationspartnern an. Denkbar ist der Tausch von Ausbildungsplätzen, womöglich sogar auf Initiative der Auszubildenden im Einvernehmen mit dem Betrieb. Abschiede tun im Zweifelsfall zwar weh, dafür macht Wiedersehen aber Freude. Zum einen wächst Ihr Alumni-Netzwerk, das in einer vernetzten Welt nicht außer Acht gelassen werden sollte und zum zweiten sind Mitarbeiter, die zum zweiten Mal eingestellt werden, zuverlässiger und loyaler.

Ihnen werden Einwände in den Sinn kommen, warum das so oder so ähnlich nicht funktionieren kann: kein Budget, keine Kapazitäten, zu starke Regulationen auf dem Ausbildungsmarkt. Vergessen Sie aber nicht, dass auch Sie, sofern Sie nicht gerade vor der Rente stehen, zu den Menschen zählen, die in der Zukunft Kompetenzen brauchen werden, um sich auf dem Arbeitsmarkt einbringen zu können. Auch von Ihnen als Ausbilder, Personaler, Führungskraft werden Dinge wie Problemlösefähigkeit und unternehmerisches Denken in der Zukunft erwartet werden. Fangen Sie heute damit an.

Schreiben Sie einen Kommentar!


*

jannike-stöhr-30-jobs-in-einem-jahr

Gastautorin
Jannike Stöhr

ist Autorin und Berufsberaterin. Zuvor arbeitete sie als Personalerin bei Volkswagen und testete auf der Suche nach einem für sie erfüllenden Job 30 Berufe innerhalb von einem Jahr.

Beim diesjährigen Lehrlingsforum hält sie eine Keynote.

https://30-jobs-in-einem-jahr.de

www.businesscircle.at