Wie sich die Belastungen im Home-Office im Laufe der Zeit verändert haben, und warum es sinnvoll ist, diese zu messen, erfuhr TRAiNiNG von zwei Experten.
Seit 1. Jänner 2013 ist die Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz in Österreich verpflichtend (Novelle ASchG). Wie gehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber damit um, dass sich der Arbeitsplatz in den letzten Jahren zunehmend ins Home-Office verlagert hat? Welche neuen Herausforderungen ergeben sich und wie kann man diese aktiv angehen? TRAiNiNG hat dazu Mario Filoxenidis und Peter Aichberger von der Unternehmensberatung EUCUSA interviewt.
Welche Vorteile bringt es, wenn in der Organisation die psychische Belastung konsequent auf den Prüfstand gestellt wird und Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt werden?
Peter Aichberger: Die Wichtigkeit psychischer Gesundheit und Prävention arbeitsbedingter Einflussfaktoren, die zu Fehlbeanspruchungen führen, wird stärker betont. D. h. die Evaluierung ist einerseits gesetzlich verpflichtend. Das muss auch dokumentiert werden, Maßnahmen geplant und Verantwortliche dafür benannt werden. Man sollte neben der Administration aber auch den Nutzen sehen: Arbeitsbedingungen, die den Arbeitsaufgaben und Menschen angemessen sind, fördern die Gesundheit und die Produktivität der Mitarbeiter, die Kommunikation und ein gutes Betriebsklima. Das sollte gerade in Zeiten von Arbeitskräftemangel übermäßige Fluktuation verhindern helfen. Denn bei hoher Fluktuation muss mehr in Recruiting, Einschulungen etc. investiert werden. Gerade der Generation Z wird nachgesagt, dass diese wechselbereiter ist und laufend Feedback und Berücksichtigung der Ansprüche erwartet.
Mario Filoxenidis: Der ursprüngliche Sinn der gesetzlichen Regelung war eine objektive Beschreibung eines Arbeitsplatzes. Bei der Evaluierung der psychischen Belastung sollen also die Bedingungen für den einzelnen Arbeitsplatz beurteilt werden, nicht die Belastung einer einzelnen Person. Im Home-Office ist das allerdings schwer zu trennen, da der Arbeitgeber kaum Standards setzen kann.
Welche Schwierigkeiten ergeben sich nun durch New Work, wenn viele Mitarbeiter – zumindest teilweise – zu Hause arbeiten?
Mario Filoxenidis: Neue psychische Belastungen treten im Home-Office auf, z. B. das Problem Ablenkung durch private Verpflichtungen, häufige virtuelle Meetings, die erhöhte Konzentration erfordern usw. Wir hören hier von Arbeitspsychologen, mit denen wir arbeiten, von einem neuen Thema.
Ich darf Ulrike Amon-Glassl (VERMÖGEN-MENSCH) zitieren: »Der Arbeitgeber hat zwar insgesamt die Verantwortung dafür, mögliche Gefährdungen und Belastungen zu evaluieren (wie z. B. ungünstige Körperhaltung und Sehbedingungen, Bewegungsmangel, Beleuchtung, fehlende Ruhe und räumliche Abgrenzung oder mangelnde Abgrenzung vom Privatleben). Die Gestaltungsmöglichkeiten zur Maßnahmensetzung sind aber im Home-Office begrenzt. Der Arbeitgeber kann beispielsweise bei Bürostuhl und Bildschirm unterstützen oder auch die Nutzung der Arbeitsmittel schulen und Workshops zu verschiedenen Themenbereichen anbieten. Auch Arbeitsgestaltung als Führungsaufgabe ist mehr denn je gefragt im Home-Office, etwa bei der Arbeitsmenge. Die Umsetzung bei der Pausenplanung, Trennung von Arbeits- und Privatzeit etc. liegen dann aber im Verantwortungsbereich der jeweiligen Mitarbeiter im Home-Office.«
Welche Tendenzen sind im Bereich psychischer Belastungen erkennbar?
Peter Aichberger: Die soziale Distanz war zu Zeiten von Lockdowns eine dominante Belastung, vor allem für die jüngeren Mitarbeiter. Das ist auch bei unserer Studie zum Home-Office-Check klar herausgekommen. Dieser Aspekt hat sich in der Zwischenzeit aber wieder verbessert. Denn jetzt gibt es für zahlreiche Büroarbeiter die freie Wahl, ins Büro zu kommen oder im Home-Office zu arbeiten. Wurde die Abwesenheit von Kollegen anfangs als Nachteil gesehen, haben sich viele in der Zwischenzeit ans Home-Office gewöhnt. Durch alle Befragungen zieht sich der Wunsch nach einem etwa 50%igen Home-Office-Anteil durch – natürlich nur in Branchen, wo das auch möglich ist.
Teilweise gibt es sogar großen Widerstand gegen eine Rückkehr ins Büro! Ich zitiere Erfahrungen von Cornelia Martens (EAP-Institut): »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Widerstand hier besonders groß ist, wenn Betriebsvereinbarungen sehr strikt sind. Je flexibler die Vereinbarungen sind, desto eher werden sie von den Mitarbeitern akzeptiert. Wichtig ist allerdings weiterhin, den Teamzusammenhalt zu stärken, wenn sich das Team nicht mehr täglich persönlich sieht. Viele Führungskräfte haben hier einen Lernprozess durchgemacht, sind aktiv geworden und haben den Führungsstil angepasst.«
Aus allen Befragungen ist erkennbar, dass der Stellenwert der internen Kommunikation weiter steigt – ob im Home-Office oder im Büro. Mit dem EUCUSA Home-Office-Check sind jedenfalls Tendenzen erkennbar.
Welche Methoden zur Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz empfiehlt EUCUSA, wenn ein Teil der Angestellten mobil arbeitet (z. B. im Home-Office)?
Mario Filoxenidis: Das hängt von der Unternehmensgröße ab. Der Großteil der Unternehmen in Österreich ist kleinstrukturiert, d. h. wird beispielsweise von der AUVA betreut. Kunden von EUCUSA im Bereich Evaluierung psychischer Belastungen sind normalerweise personalintensiver. Ein validiertes Screening-Verfahren wie EWOPLASS von EUCUSA, das wir mit unserem Partner INDIVIDUAL COACHING entwickelt haben, ist nach ÖNORM/DIN/EN/ISO 10075 zertifiziert. Der standardisierte Fragebogen ist universell einsetzbar und kann auch in Kombination mit einer strategischen Mitarbeiterbefragung verwendet werden. Für Unternehmen mit einem gewissen Anteil an Home-Office-Arbeitsplätzen bietet sich die Kombination mit dem Home-Office-Check an. Diese Methode der Befragung haben bereits Kunden im Bereich Banken oder Industrieunternehmen im Vertriebsbereich in Anspruch genommen.
Peter Aichberger: Bei der EUCUSA-Methode fragen wir die Befragungsteilnehmer nach den Aspekten, welche besonders wichtig erscheinen. So ergeben sich handlungsanleitende Ergebnisse, und in der Umsetzung der erforderlichen Aktivitäten lassen sich wirksame Prioritäten setzen. So wurde auch erkennbar, dass der Aspekt der sozialen Distanz im Home-Office zu Zeiten von Lockdowns eine dominante Belastung war, in der Zwischenzeit aber weniger wichtig ist, also ein sogenannter »irrelevanter Nachteil«.
Mario Filoxenidis: Ebenfalls wichtig: Erhebungen und Maßnahmen sollten wiederholend und regelmäßig durchgeführt und somit »Usus« werden. Denn sonst schleichen sich so manche Belastungen durch die Hintertür wieder ein. (Ein anderes Beispiel: Datenschutz. Auch hier muss immer wieder auf mögliche Gefahren hingewiesen werden, damit diese nicht in Vergessenheit geraten.)
Ab welcher Unternehmensgröße macht ein validiertes Screeningverfahren Sinn?
Mario Filoxenidis: Bei kleinen Unternehmen reichen oft wenige Workshops für eine flächendeckende Evaluierung. Bei Unternehmen ab ca. 200 Mitarbeitern ist aus Kosten-Nutzen-Gründen ein validiertes Screeningverfahren zu überlegen. Denn flächendeckende Workshops zur Evaluierung sind hier meist zu aufwändig in Bezug auf Kosten und interne Ressourcen. Mit Screening-Verfahren können zudem alle Mitarbeiter relativ kostengünstig befragt werden.