Bereitschaftszeiten in der Praxis

In der Praxis bereitet die Abgrenzung zwischen Arbeits- und Rufbereitschaft, und somit zwischen Arbeits- und Ruhezeit, oftmals Probleme.

Arbeitsbereitschaft versus Rufbereitschaft
Muss sich der Arbeitnehmer während einer vereinbarten Zeit in der Arbeitsstätte oder an einem vom Arbeitgeber definierten Ort in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätte aufhalten und zur jederzeitigen Arbeitsaufnahme bereit sein, handelt es sich um Arbeitsbereitschaft. Typische Arbeitsbereitschaftszeiten sind z. B. Nachtdienste von Ärzten, Pflegepersonal oder Apothekern etc. Zeiten der Arbeitsbereitschaft werden – selbst bei nahezu Nullintensität der Inanspruchnahme von Arbeitsleistungen innerhalb des vereinbarten Zeitrahmens – grundsätzlich als Arbeitszeit qualifiziert, können jedoch bei diesbezüglicher Regelung im anwendbaren Kollektivvertrag oder sonst mittels (gegenüber dem Kollektivvertrag nicht ungünstigerer) einzelvertraglicher Vereinbarung geringer vergütet werden. Da die Arbeitsbereitschaft an sich zur Arbeitszeit zählt, schadet es nicht, wenn sich Arbeitsbereitschaft mit tatsächlicher Arbeitserbringung abwechselt (so z. B. wenn ein Berufsfeuerwehrmann während seines Dienstes, in dem er sich vorwiegend in der Feuerwehr-Zentrale aufhält, zweimal zu Einsätzen gerufen wird).
Gerade im technischen Supportdienst müssen Arbeitnehmer regelmäßig auch spätabends oder am Wochenende für Notfälle, wie z. B. technische Ausfälle, erreichbar sein und gegebenenfalls unverzüglich Kundentermine wahrnehmen oder Störungen im betroffenen Betrieb bzw. von unterwegs via Laptop beseitigen. Solche Rufbereitschaften zählen nicht als Arbeitszeit, sondern fallen zunächst unter den Begriff der »Ruhezeit«, wenn der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft noch in erheblichem Umfang zur freien Gestaltung seiner Zeit berechtigt und daher weniger stark eingeschränkt ist als bei der Arbeitsbereitschaft. Der Arbeitnehmer muss aber sicherstellen, dass er eine allfällig notwendige Arbeitsaufnahme während der Rufbereitschaft nicht z. B. durch Alkoholkonsum vereitelt. Zudem widerspricht es dem Zweck der Rufbereitschaft, wenn der Arbeitnehmer sich währenddessen an Orten aufhält, an denen er weder telefonisch noch per E-Mail erreichbar ist. Der Arbeitnehmer hat daher darauf zu achten, dass er z. B. keine Wanderungen in Gebieten ohne WLAN- bzw. ohne Telefonempfang macht oder sich nicht in (Keller-)Lokalen ohne ausreichenden Empfang aufhält.

Vereinbarung der Rufbereitschaft
Bereits im Arbeitsvertrag sollte bei für Bereitschaftsarbeit passenden Tätigkeitsbereichen eine Rahmenvereinbarung getroffen und die Vergütung der Rufbereitschaft geregelt werden. Ungeachtet dessen müssen die konkreten Rufbereitschaftseinsätze eines Arbeitnehmers aber ausdrücklich vereinbart werden. Dabei sind allfällige Regelungen betreffend das erlaubte Ausmaß der Rufbereitschaft bzw. das dem Arbeitnehmer dafür zustehende Entgelt im auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Kollektivvertrag zu berücksichtigen, wie sie z. B. der IT-Kollektivvertrag und der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (»SWÖ-KV«) enthalten. Gibt es weder im Kollektivvertrag noch im Arbeitsvertrag eine Entgeltregelung, so schuldet der Arbeitgeber ein »angemessenes Entgelt« (ortsübliches Entgelt), das geringer sein kann als das Entgelt für die eigentliche Arbeitsleistung.
Sobald der Arbeitnehmer aber tatsächlich – etwa aufgrund des Anrufs eines Kunden oder einer Weisung des Arbeitgebers – tätig werden muss, zählt seine Tätigkeit zur Arbeitszeit und hat er dafür daher Anspruch auf sein anteiliges normales Entgelt. Diesbezüglich sehen manche Kollektivverträge – so der SWÖ-KV – vor, dass auch Wegzeiten zur Arbeitsstätte, die grundsätzlich nicht als Arbeitszeit qualifiziert und daher idR nicht entlohnt werden, als Arbeitszeit zu entlohnen sind, wenn sie im Zusammenhang mit Rufbereitschaftszeiten anfallen.

Beschränkungen iZm Rufbereitschaft
Viele Arbeitgeber übersehen die gesetzliche Obergrenze von 10 Rufbereitschaftstagen pro Monat, die durch Kollektivvertrag bzw. Betriebsvereinbarung auf 30 Rufbereitschaftstage in drei Monaten erweitert werden kann. Dadurch wird eine höhere Flexibilität der betriebsinternen Organisation von Bereitschaftszeiten ermöglicht, weil im einzelnen Monat somit auch mehr als 10 Rufbereitschaftseinsätze erlaubt sind (sofern in drei Monaten nicht mehr als 30 Rufbereitschaften verrichtet werden). Zu berücksichtigen ist in der Praxis ferner, dass ein Rufbereitschaftstag nicht kalendertagsbezogen gezählt, sondern dafür ein 24-Stunden-Zeitraum herangezogen wird. Auch kurze Rufbereitschaftszeiten von z. B. 18.00 Uhr abends bis 24.00 Uhr zählen daher als Rufbereitschaftstag. Übernimmt ein anderer Arbeitnehmer die darauf folgende Rufbereitschaft von 0.00 Uhr bis 6.00 Uhr, ist dies wiederum als ein Rufbereitschaftstag zu qualifizieren. Wenn hingegen nur ein Arbeitnehmer von 18.00 Uhr bis 6.00 Uhr Bereitschaftsdienst hat, wird (trotz der stundenmäßig längeren Rufbereitschaft) nur ein Rufbereitschaftstag »verbraucht«.
Der Arbeitgeber darf Arbeitnehmern in Rufbereitschaft durchaus die Vorgabe machen, sich z. B. nicht weiter als 18 Kilometer von der Arbeitsstätte zu entfernen oder im Falle eines notwendigen Arbeitseinsatzes zu gewährleisten, innerhalb von 30 Minuten an der Arbeitsstätte einzutreffen. Der Arbeitgeber muss dabei – auch angesichts der aktuellen EuGH-Judikatur – jedoch besondere Sorgfalt walten lassen: Wird der Arbeitnehmer z. B. während der Rufbereitschaft dazu angewiesen, sich an einem Ort in unmittelbarer Nähe zur Arbeitsstätte aufzuhalten und muss sich der Arbeitnehmer bei Bedarf innerhalb von 8 Minuten in der Arbeitsstätte einfinden, schränkt dies die persönlichen und sozialen Interessen des Arbeitnehmers laut EuGH so sehr ein, dass in diesem Fall bereits Arbeitsbereitschaft und keine Rufbereitschaft mehr vorliegt.

Arbeitserbringung während Rufbereitschaft
Verrichtet der Arbeitnehmer während seiner Rufbereitschaft tatsächlich Arbeit, ist die dafür aufgewendete Zeit als reguläre Arbeitszeit zu qualifizieren. Das Gesetz erweitert in diesem Fall aber die tägliche Höchstarbeitszeitgrenze von 10 auf 12 Stunden. Hat der Arbeitnehmer daher vor seinem Rufbereitschaftsdienst bereits von 8 Uhr bis 16.30 Uhr (inkl. 30 Minuten Pause) gearbeitet und wird er während seiner Rufbereitschaft für 3 weitere Stunden zu einem Kunden gerufen (die Gesamtarbeitszeit beträgt sohin 11 Stunden), ist dies unproblematisch, solange die tägliche Arbeitszeit an einem anderen Tag in den nächsten zwei Wochen um 1 Stunde gekürzt wird.
Wenn der betroffene Arbeitnehmer keinem flexiblen Arbeitszeitmodell (wie etwa Gleitzeitarbeit) unterliegt, ist die geleistete Arbeitszeit während der Rufbereitschaft u. U. mit Mehrarbeits- bzw. Überstundenzuschlägen auszuzahlen und damit entsprechend teurer für den Arbeitgeber.
Einhaltung der Ruhezeiten
Hat ein Arbeitnehmer nach einem Arbeitstag (Montag) von 8.00 bis 16.30 Uhr (inkl. Pause) z. B. ab 16.30 bis 8.00 Uhr am Folgetag Rufbereitschaft und kommt es währenddessen zu einem Arbeitseinsatz, darf die tägliche Ruhezeit von 11 Stunden unterbrochen werden. Zwischen dem Arbeitseinsatz am Montag und jenem am Dienstag muss aber eine ununterbrochene Ruhezeit von zumindest 8 Stunden liegen; andernfalls darf der Arbeitnehmer seine Arbeit erst später aufnehmen. Erfolgt der Arbeitseinsatz sohin z .B. zwischen 23.30 Uhr und 1.00 Uhr, darf er seinen Dienst am folgenden Tag erst um 9 Uhr antreten. Ferner ist diesfalls eine Ruhezeit des Arbeitnehmers innerhalb der nächsten zwei Wochen um 4 Stunden (pauschaliert) zu verlängern. Darüber hinaus ist die Vereinbarung von Rufbereitschaftszeiten während der wöchentlichen Ruhezeiten (von ununterbrochen 36 Stunden) nur zweimal pro Monat zulässig.

Ausweitung der Arbeitszeit
Fällt in zumindest ein Drittel der (vereinbarten) Arbeitszeit des Arbeitnehmers regelmäßig – z. B. bei Nachtdiensten mit Schlafberechtigung – Arbeitsbereitschaft, kann die wöchentliche Normalarbeitszeit auf bis zu 60 Stunden und die tägliche Normalarbeitszeit auf 12 Stunden erweitert werden. Dazu bedarf es einer Ermächtigung im anzuwendenden Kollektivvertrag, einer darauf basierenden Betriebsvereinbarung bzw. in Betrieben ohne Betriebsrat eines Zulassungsbescheids durch das Arbeitsinspektorat.

Folgen bei nicht korrekter Qualifizierung
Die Auswirkungen eines nicht durch das AZG bzw. die diesbezüglichen Erweiterungsmöglichkeiten abgedeckten Arbeitszeitmodells mit Bereitschaftsdiensten können gravierend sein: Arbeitszeiten der Arbeitnehmer könnten z. B. aufgrund einer Überschreitung der täglichen bzw. wöchentlichen Normalarbeitszeitgrenzen als Überstunden zu behandeln und mit entsprechenden Zuschlägen zu vergüten sein, sofern kein All-in-Gehalt vereinbart ist. Eine (allfällige) Unterentlohnung kann zudem nach den Bestimmungen des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (»LSD-BG«) strafbar sein, das Geldstrafen iHv 2.000,– bis 20.000,– € pro betroffenem Arbeitnehmer vorsieht. Auch die Sozialversicherungsbehörden können diesfalls Sozialversicherungsbeiträge einfordern. Nicht zu vergessen sind auch die empfindlichen Verwaltungsstrafen bei Nichteinhaltung der Vorgaben des AZG und ARG.

Fazit: Das System der Bereitschaftsdienste ermöglicht weitgehende Flexibilisierung für den Arbeitgeber, birgt jedoch bei unbedachter Handhabung auch einige Gefahren.

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Vogt-Majarek

Gastautorin
Birgit Vogt-Majarek
ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Arbeits- und Gesellschaftsrecht und Partnerin der Kanzlei Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte GmbH (KSW).
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