Warum in den letzten Jahren die professionelle Bühne der Speaking-Branche zur Manege wurde und warum immer mehr Vortragende – zum Glück nicht alle – auf den Inhalt pfeifen und ihre Zeit in eine perfekt inszenierte Bühnen-Show investieren. Muss das so sein?
In den Konferenzräumen, wo einst Inhalte und tiefgründige Erkenntnisse regierten, haben sich die Zeiten gewandelt. Willkommen in der Ära der »Clown-Speaker«, wo Rhetorik und Show die neuen Könige sind. Wir befinden uns in einer Welt der modernen Vortragskunst, in der der Inhalt oft nur noch eine Nebenrolle spielt.
Die Renaissance der Rhetorik: Worte über Weisheit
Es war einmal, da zählte in einem Vortrag vor allem der Inhalt. Heute erleben wir Redner, die mit der Geschicklichkeit eines Jongleurs Worte in die Luft werfen, sie drehen und wenden, bis die Zuhörer hypnotisiert und begeistert sind. Der Inhalt? Ach, der ist oft so flüchtig wie die Seifenblasen, die bei diesen Shows aufsteigen. Wir sehen Redner, die mit einer Eloquenz à la Cicero ihre Zuhörer fesseln, aber hinterlassen sie auch etwas von Bedeutung?
Früher, als man noch von Fachvorträgen und nicht von Keynotes gesprochen hat, wollten die Zuhörer etwas zu einem speziellen Thema lernen. Dazu hat man entsprechende Experten eingeladen. Alles lief seinen geregelten Gang, bis einige findige Redner eine Entdeckung machten: Sie erkannten, dass sie ihre Honorare steigern konnten, wenn sie es schafften, ihre qualitativ hochwertigen Inhalte in den Rahmen einer fesselnden und mitreißenden Rede zu integrieren. Infolgedessen begannen die Redner, verstärkt in ihre Bühnenpräsenz zu investieren, wodurch eine Welle von außergewöhnlichen Talenten auf den Markt kam. Es entstand eine harmonische Balance zwischen gehaltvollem Inhalt und beeindruckender Performance. Langweilige Fachvorträge gehörten immer mehr der Vergangenheit an. Die Honorare schossen folglich in die Höhe. Früher, wie auch heute, lag das Honorar für einen inhaltlich gehaltvollen Fachvortrag üblicherweise zwischen 500,– und 1.000,– €. Im krassen Gegensatz dazu steht, was man provokant als »inhaltsleere Bühnenperformance« bezeichnen könnte: Hierfür werden oftmals Honorare gezahlt, die das Vier- bis Fünffache dieser Summe betragen. Und wieder stellt sich die Frage: Hinterlassen solche Vorträge etwas von Bedeutung?
Argumentiert werden diese aufgerufenen Honorare dann damit, dass die Redner erhebliche Zeit und finanzielle Mittel in ihre Ausbildung als professionelle Vortragende investiert haben. Dies übersieht allerdings häufig die Tatsache, dass auch Fachvortragende zahlreiche Jahre ihres Lebens dem intensiven Studium und der Vertiefung in ihre jeweiligen Fachgebiete gewidmet haben.
Inhalt, Inhalt, Inhalt
In den letzten Jahren hat dies zu einem wahren Ansturm von selbst ernannten Keynote-Speakern geführt. Viele Neulinge auf dem Markt scheinen sich nach dem Motto zu richten: »Ich kann zwar nichts außer gut reden, genau deshalb werde ich professioneller Speaker.«
Monika Herbstrith-Lappe (selbst humorvoller Speaker mit sehr hohem Anspruch an ihre fundierten Inhalte): »Wenn manche Speaker-Kollegen oder noch schlimmer Speaker-Ausbilder behaupten, die Botschaft sei irrelevant und es käme nur auf die Bühnenperformance an, antworte ich mit der Metapher: ›Was ist wichtiger: Motor oder Karosserie?‹ Ja, man kann kurzfristig auch ohne Motor eine Karosserie über die Bühne karren. Doch das Publikum merkt, dass man es manipulieren möchte. Das Schlimmste daran ist, dass es das riesige Unbehagen hinterlässt: ›Für wie dumm und ahnungslos schätzen sie uns ein, dass sie glauben, wir merken die hohle Fassade nicht.‹ Um die erwünschte Wirkung beim Publikum zu erzielen, ist entscheidend, dass Inhalt und Präsentationsform stimmig zusammenpassen und in einer guten Balance stehen.«
Diese Entwicklung hat teilweise dazu geführt, dass einige Speaker nicht nur ein begrenztes Wissen über ihr Thema haben, sondern manchmal sogar mit veraltetem oder schlichtweg falschem Wissen auftreten. Sie stützen sich auf erfundene Experimente, konstruierte Vergleiche oder weit hergeholte Metaphern, um ihre oft zweifelhafte »Botschaft« zu untermauern. Ein klassisches Beispiel ist der allgegenwärtige Satz vieler Motivationssprecher: »Du kannst alles erreichen, wenn du nur willst und an dich glaubst (und am besten in mich investierst).« Dieser wird häufig mit Gleichnissen von erfolgreichen Sportlern, Bergsteigern, Tauchern, Radrennfahrern und sogar von Sängern, Schauspielern oder Politikern illustriert. Selten wird diese Botschaft hinterfragt, vor den Risiken wird kaum gewarnt, und die möglichen Gefahren werden oft übergangen. Die Realität zeigt jedoch nur allzu oft, dass man trotz aller Motivation und Bestrebungen nicht immer alles im Leben erreichen kann, was man sich wünscht.
Viele Redner bieten zwei bis drei fertige, perfekt einstudierte Vorträge an, und halten diese dann einige hundert Male. Eingehen auf den Kunden? Fehlanzeige. So wirken, als hätte man den Vortrag extra für den heutigen Anlass geschrieben? Ja unbedingt, deshalb ja auch das Honorar!
Monika Herbstrith-Lappe über ihre Erfahrung mit Vorträgen von der Stange: »Es ist die Todsünde des Speakings, Vorträge einfach herunterzuspulen ohne darauf Rücksicht zu nehmen, in welchem Rahmen und zu wem man spricht. So habe ich einmal selbst erlebt, dass bei einem Vortrag für weibliche Unternehmer ein renommierter Redner so gesprochen hat, als würden männliche Konzernmanager vor ihm sitzen, auf die zu Hause die Ehefrauen warten. Wesentliche Inhalte sind natürlich unabhängig vom Publikum relevant. Je nach Veranstaltung und Zielgruppe passe ich den Titel, den Einstieg, die Erläuterungsgeschichten und das Ende des Vortrags an. Entscheidend ist auch, wie der Vortrag zeitlich in eine Veranstaltung integriert ist. Bei Auftaktveranstaltungen geht es stark darum, einerseits einen fruchtbaren Nährboden für das Thema der Veranstaltung zu legen und andererseits Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Eine gute Abschluss-Keynote sorgt dafür, dass sich die unterschiedlichen Aspekte des Events zu einem runden Bogen spannen und die Menschen inspiriert und gestärkt aus der Veranstaltung gehen.«
Der Clown mit dem Mikrofon: Unterhaltung vor Aufklärung
Stellen Sie sich vor: Ein Redner betritt die Bühne. Er trägt keine rote Schaumstoffnasen, aber seine Performance ist nicht weniger clownesk. Er jongliert mit Witzen, tanzt zwischen Anekdoten und reitet auf Metaphern. Die Zuhörer lachen, klatschen, sind unterhalten. Aber was bleibt? Ein flüchtiges Gefühl der Freude, vielleicht. Aber was ist mit Einsichten, die das tägliche Geschäft beeinflussen, mit Ideen, die inspirieren? Mit Veränderungsansätzen für das eigenen Verhalten, um in Zukunft mehr zu verkaufen, besser zu präsentieren, oder klarer zu kommunizieren? Während früher wirkliche Experten zu einem Thema gesprochen haben, z. B. Universitätsprofessoren, die sich voll einem Thema hingegeben haben, sind es nun Bühnen-Experten. Sie wissen, wie sie das Publikum einbinden und faszieren können, sodass der Feedback-Bogen vor Begeisterung übergeht und sie natürlich wieder gebucht werden. Doch welche Veränderung hat stattgefunden? Wie kommen die investierten drei-, vier- oder fünftausend Euro ins Unternehmen zurück?
Dieser Trend spiegelt sich auch in den zahlreichen Ausbildungsprogrammen für Speaker wider. Bemerkenswerterweise liegt der Fokus dieser Programme nie, wirklich niemals, auf dem inhaltlichen Aspekt. Dies ist auch nachvollziehbar, denn eine universelle Ausbildung inhaltlicher Expertise wäre kaum umsetzbar. Stattdessen konzentrieren sich diese Kurse hauptsächlich auf die Vermittlung von Fähigkeiten in Rhetorik, Präsentationstechnik und Bühnenpräsenz. Das Versprechen, das vielen angehenden Speakern gemacht wird, lautet: »Wer die Bühne beherrscht, bekommt die Aufträge.« Und bedauerlicherweise ist dies nicht gänzlich unzutreffend. In den letzten Jahren haben sich nicht unbedingt die wahren inhaltlichen Experten durchgesetzt, sondern vielmehr jene, die das Talent und Geschick besitzen, auf der Bühne zu glänzen. In diesen Speaker-Ausbildungen liegt der Fokus darauf, die Teilnehmer in der Kunst der perfekten Performance zu schulen, ihnen beizubringen, wie sie die Bühne dominieren und ihre oft oberflächlichen Inhalte auf leichte und verständliche Weise vermitteln können. Häufig ähnelt dies eher einem Schauspielunterricht, da genau diese Fähigkeiten für eine solche Darbietung erforderlich sind.
Natürlich, und das ist ein wichtiger Punkt, den man nicht übersehen sollte: Trotz der bisher eher kritischen Betrachtung, hat dieser Ansatz durchaus seine Berechtigung. Je nachdem, welche Ziele ein Unternehmen verfolgt, kann die Buchung eines solchen »Clown-Speakers«, wie wir ihn nun nennen wollen, durchaus sinnvoll sein. Auch Speaker-Ausbildungen sind grundsätzlich positiv zu betrachten, denn wenn jemand tolle Inhalte langweilig erzählt, bleibt auch nichts hängen. Für Personen, die umfangreiches Fachwissen haben, macht es absolut Sinn, Bühnenperformance zu lernen. Aber NUR Performance ist halt zu wenig.
Das Dilemma der Personalentwicklung: Show über Substanz
HR-Manager, Personalentwickler oder Veranstalter von Kongressen stehen häufig vor einem komplexen Dilemma. Einerseits sollen die von ihnen organisierten Veranstaltungen motivieren, inspirieren und die Mitarbeiter oder Teilnehmer begeistern. Andererseits liegt es in ihrer Verantwortung, sicherzustellen, dass diese Begeisterung über eine bloße Oberflächlichkeit hinausgeht – es sei denn, dies ist genau Ihr Ziel. Zum Beispiel – wie schon weiter oben erwähnt – am Ende eines intensiven Kongresstages, wenn die Köpfe voll sind und die Aufmerksamkeit nachlässt, können humorvolle Vortragende, die weniger auf inhaltliche Tiefe setzen, genau das Richtige sein. Solche Redner können wertvoll sein, um den Tag aufzulockern und einen angenehmen Ausklang zu bieten. Ebenso können zur Eröffnung eines Kongresses Speaker, die das Thema des Kongresses auf leichte, humorvolle Weise einführen, den perfekten Start in den Tag bieten.
Echte Experten finden
Seit einigen Jahren ist es modern für Speaker, sich »Experte für …« zu nennen. Die guten Speaker zu erkennen, die wirklich etwas zu sagen haben und eben nicht nur »warme, lustige Luft produzieren«, ist eine echte Herausforderung geworden. Provokant formuliert: Echte Experten würden sich niemals als »Experten« bezeichnen. Monika Herbstrith-Lappe erzählt – in Anlehnung an die drei Siebe des Sokrates – worauf Sie bei der Auswahl von Speakern achten sollten:
»Wahrheit: Stimmt das Gesagte tatsächlich? Das geht in zwei Richtungen: Einerseits werden manchmal umlaufende Mythen und Fabeln als tatsächliches Erleben berichtet oder erfundene Erfolgsgeschichten behauptet. Vor einiger Zeit wurde z. B. ein Speaker enttarnt, der von sich behauptet hat, als Coach zum Weltmeistertitel eines Spitzensportlers beigetragen zu haben und von diesem daraufhin geklagt wurde. Und andererseits sind so viele Fake News im Umlauf. Ja, es gibt Phänomene, die noch nicht naturwissenschaftlich bewiesen sind. Und es gibt vieles, das einfach unsinnig ist. Als Physikerin blutet mir das Herz, wenn die Quantenphysik als Erklärung für Aspekte unserer Makrowelt herangezogen wird, obwohl sie nur unter bestimmten Annahmen in der Mikrowelt gilt. Bezüglich unseres Gehirns ist nach wie vor so viel im Umlauf, was längst widerlegt ist.
Güte: Ist es zum Wohl der anderen? Bei mir läuten alle Alarmglocken, wenn Speaker das eine heilversprechende Erfolgsrezept von der Bühne predigen. Sowohl unser Umfeld als auch die Vielfalt der unterschiedlichen Persönlichkeiten sind jedoch wesentlich komplexer, sodass es die EINE Lösung nicht geben kann. Besonders kritisch sind Vorträge nach dem Muster: ›Mach es auch so wie ich, dann schaffst du es auch.‹ So hat z. B. ein Extremkletterer dem Publikum empfohlen: ›Gehen Sie dahin, wo die Gefahr am größten ist, dort gibt es am meisten zu gewinnen.‹ Noch bevor ich wusste, dass es in der Wissenschaft den ›Survivorship Bias‹ gibt, habe ich ihm mit Hausverstand geantwortet: ›Das behauptet ein Überlebender. Voll sind die Bergfriedhöfe.‹ Mit diesem missionarischen Speaker-Ansatz stellen sich Speaker erhaben über das Publikum. Sie sprechen nicht dialogisch auf Augen- und Herzensebene.
Erfordernis: Welchen Nutzen bewirkt es? Der Philosoph Martin Buber hat formuliert: ›Wo ein Gespräch gelungen ist, ist uns etwas geblieben, das uns verändert hat.‹ Das sollte noch viel mehr für Vorträge für viele Menschen gelten. ›Was können sich die Teilnehmer mitnehmen?‹ ›Worin habe ich sie gestärkt oder ermutigt?‹ ›Welche nützlichen Perspektiven und Möglichkeiten habe ich ihnen erschlossen?‹ ›Was trägt der Vortrag dazu bei, dass sie Chancen besser nutzen und Hürden besser meistern können?‹ sind die relevanten Fragen zur Beurteilung der Relevanz und Sinnhaftigkeit von Vorträgen.«
Fazit
Es ist leicht, sich von charismatischen Rednern mitreißen zu lassen, die eine Show abziehen, die jedes Broadway-Stück in den Schatten stellt. In einer Welt, in der alle mit einem YouTube-Kanal zu »Experten« werden können, ist es umso wichtiger, genauer hinzuschauen. In einer idealen Speaker-Welt gäbe es ein perfektes Gleichgewicht zwischen Unterhaltung und Information. Redner, die nicht nur das Publikum begeistern, sondern auch zum Nachdenken anregen. Aber bis wir diese Welt erreichen, liegt es an uns, kritisch zu sein, sorgfältig auszuwählen und den wahren Wert hinter der Fassade von Rednern zu erkennen.