Coaching zwischen Theorie und Praxis

Über die Wissenschaftlichkeit von Coaching sowie Entwicklungen, Zahlen, Fakten und Hintergründe schreibt Gastautorin Steffi Bärmann.

Coaching-Wissen wurde lange Zeit eher von Coaching-Praktikern weiterentwickelt. Das Interesse an Forschung zur Weiterentwicklung von Coaching auf verschiedenen Ebenen steigt jedoch.

Welche Entwicklungen haben sich seit dem Einzug der Bezeichnung »Coaching« als professionelle Gesprächsform in den 1980ern vollzogen? Wie ist die Beziehung zwischen Praxis und Wissenschaft und was braucht diese Beziehung in der Zukunft, um Nutzen für Coaching zu bringen?

Coaching-Pioniere lehnten sich an wissenschaftliche Grundlagen an

Coaching-Pioniere der ersten Generation (1990er) haben aufgrund von damals aktuellen wissenschaftlichen Richtungen und Theorien Konzepte und Methoden entwickelt, die noch heute angewendet werden. Grundtenor war jedoch: Das Klientel – die an Coaching interessierten Manager – seien nicht interessiert an Theorien und wissenschaftlichen Hintergründen. Somit blieben Quellen der entstandenen Konzepte gerne ungenannt. (vgl. Looss 1991, S. 123 ff.) Leni Wildflower (GB) und Sir John Withmore (US) waren beispielsweise beeinflusst von der humanistischen Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers. Wildflower erwähnt zudem die Gestalttherapie nach Fritz Perls, die auch Wolfgang Looss (D) und Astrid Schreyögg (D) im deutschsprachigen Raum beeinflusste. Wildflower und Looss waren des Weiteren von der Transaktionsanalyse und von der systemischen Therapie (Virginia Satir, Helm Stierlin und Fritz Simon) geprägt. Withmore gewann Erkenntnisse aus der Zielsetzungstheorie (Doran, Locke und Latham), um das populäre Konzept der SMART-Zielkriterien (spezifisch, messbar, gemeinsam übereinstimmend akzeptiert (agreed), realistisch und zeitlich strukturiert (time phased) zu entwickeln (Whitmore 1992, S. 62). Schreyögg bezog Kenntnisse aus der Führungs- und Organisationsliteratur sowie von Soziologen (Max Weber). Dies sei nur ein Auszug beispielhafter Einflüsse im deutsch- und angloamerikanischen Raum (vgl. Greif 2014, S. 296 ff.).

Wissenschaftliche Bezüge in Coaching-Verbänden und -Ausbildungen

Seit den 1990er-Jahren bemühten sich nationale und internationale Verbände um die Professionalisierung von Coaching. So wurde 1992 der European Mentoring and Coaching Council (EMCC) gegründet, 1995 folgte der heute größte Berufsverband, die International Coach Federation (ICF). Neben diesen entstanden viele nationale Coachingverbände. Ziel ist es, einheitliche und transparente Qualitätsstandards und Kompetenzkriterien zu schaffen und über Akkreditierungen und Zertifizierungen zugänglich zu machen. Sowohl der EMCC als auch der ICF betonen die Wichtigkeit wissenschaftlicher Forschung für die Weiterentwicklung der Profession und bemühen sich diese voranzutreiben. Wie jedoch eine Recherche von Greif ergeben hat, bleibt es in Coachingausbildungen oft nur bei einem Verweis auf Pionierbegriffe. Nur selten findet eine Ankoppelung an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse statt. Ziel könnte hier sein, die Lücke zwischen den Anliegen der Verbände und der Realität der Ausbildungsanbieter zu schließen (vgl. Greif 2014, S.306 f.).

Zunahme der Coaching-Forschung

Das wissenschaftliche Interesse am Coaching nimmt zu. Die 2002 innerhalb des Australischen Psychologieverbandes gegründete »Interest Group on Coaching Psychology« (IGCP) verfolgt das Ziel, »durch die Verbindung von Forschern und Praktikern die praktische Anwendung von Coaching zu fördern« (frei übersetzt von Greif). Dem folgte 2003 die erste Coaching Psychologie Unit an der Universität Sydney, ins Leben gerufen von Anthony Grant, und 2004 die Gründung der Interessengruppe Coaching Psychologie im britischen Psychologieverband (BPS). Gemeinsam gründeten sie die International Society for Coaching Psychology (ISCP) mit nationalen Einzelverbänden in mehreren Europäischen Ländern und den USA (vgl. Greif 2014, S.303 f.).

Das damit auflebende evidenzbasierte Coaching befasst sich zum einen mit der Wirksamkeit von Coaching und den einzelnen Methoden und versucht, Evidenzen aus der Forschung zu nutzen, um Ergebnisqualität von Coaching zu verbessern. Zudem befasst sich die Coaching-Forschung mit der Untersuchung von Wirkfaktoren von Coaching (vgl. Stober & Grant 2006, S. 4 ff.; Greif 2014, S. S.303).

Allgemeiner Grundtenor: Der Zugang für Wissenschafter im Bereich Coaching ist schwer. Im Ergebnis bringt die Coaching-Forschung jedoch gewinnbringende Erkenntnisse für Praktiker. Ein höherer Bedarf an Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis wird hier deutlich (vgl. Kotte et al. 2015, S. 37).

Übrigens wurden die ersten Diplomarbeiten im deutschsprachigen Raum bereits ab 1995 und die erste Dissertation ab 2000 betreut. Inzwischen gibt es Forschungsschwerpunkte an über 10 deutschsprachigen Universitäten und Fachhochschulen (vgl. Greif 2014, S. S.303).

Zunahme wissenschaftlicher Coaching-Publikationen

Auch die Zahl der wissenschaftlichen Artikel zum Thema Coaching hat zugenommen. Datenbankrecherchen z. B. an der Kasseler Universitätsbibliothek ergaben für den Begriff Coaching 7838 Treffer, was allerdings darauf zurückzuführen ist, dass Coaching als Containerbegriff für viele Bereiche, wie z. B. das Übergewichts-Coaching verwendet wird. Unter der Spezifizierung des »Executive Coaching« ergab die Trefferquote 384 Publikationen zwischen 1981 und 2014 mit steigender Tendenz. Auffallend hier, dass primär in Coaching-spezifischen Zeitschriften und weniger in allgemeinen (Psychologie-)Journals publiziert wurde und nur 3 »top-ranked« Publikationen (bis 2014) ausfindig gemacht werden konnten (Bono et al 2009, Feldmann und Lankau 2005, Smither et al 2003). Diese Erkenntnis wird auch von einer weiteren Recherche untermauert, wonach 71 % der Publikationen für Praktiker-Journale geschrieben wurden, 15 % für akademische und 14 % für sonstige Zeitschriften (vgl. Kotte et al 2015, S. 29 f.). Die Diskrepanz zwischen Wissenschafts- und Praxisinteresse wird somit auch hier deutlich. Generell erscheint es wichtig, Publikationen sowohl für die Theorie als auch für Praktiker lesbar und zugänglich zu machen als auch eine Kooperation zwischen diesen beiden Welten zu verstärken.

Kooperation zwischen Praxis und Wissenschaft vorantreiben

Coaching und Wissenschaft haben offenbar ein verbesserungswürdiges Verhältnis. Beide Seiten, sowohl Praktiker als auch Wissenschafter sind dazu angehalten, stärkere Kooperationen einzugehen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, die der Praxis des Coachings nutzen.

Eine detaillierte Literaturliste stellen wir auf Anfrage gerne zur Verfügung.

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Gastautorin

Steffi Bärmann

ist Bereichsleiterin Personalentwicklung, Training und Coaching am Institut für Personal und Organisation, FHWien der WKW.

steffi.baermann@fh-wien.ac.at