Unsere Stimme ist trainierbar! Durch richtiges Training ist es möglich, allein durch die Stimme zu überzeugen und kompetent zu wirken. Was Sie dazu tun können und wie nachhaltiges Stimmtraining aussehen kann, erfahren Sie hier.
Haben Sie das Coverbild dieser Ausgabe vor Augen? Wenn nicht, schauen Sie es sich bitte nochmals kurz an. Sie sehen dort einen gut trainierten Mann, der viel Zeit in den Aufbau seiner Muskelmasse investiert hat.
Er hatte natürlich nie den Anspruch, so einen muskulösen Körper in zwei Tagen aufzubauen. Doch gerade bei Seminaren nehmen Teilnehmer an bzw. erwarten sogar, dass sie nach Absolvierung eines 2- bis 3-tägigen Seminars Meister auf dem jeweiligen Gebiet sind. Daher ist der Vergleich mit einem Fitnessstudio so passend. Um etwas für ihren Körper und vor allem etwas für ihre Gesundheit zu machen, gehen Menschen regelmäßig dorthin, oft über Jahre und mehrmals pro Woche. Nach einigen Monaten erkennt man erste Ergebnisse. Wenn man dranbleibt, kann man den Erfolg halten und sogar noch verbessern.
Genauso verhält es sich beim Lernen. Wann immer wir etwas Neues lernen, brauchen wir Zeit dafür. Wiederholen und üben ist unabdingbar für einen nachhaltigen Erfolg.
Gerade beim Thema Stimme ist es mit einem Wochenendseminar nicht getan. Ein Seminar kann der Auslöser sein, sich mit dem Thema Stimme zu beschäftigen und dazu die ersten wichtigen Impulse liefern. Es kann die Bandbreite des Themas aufzeigen und darstellen, was alles möglich ist.
Doch üben muss der Teilnehmer danach selbst. In guten Seminaren bekommen Sie auch genau dafür Übungssequenzen mit, der Trainer bereitet sozusagen die Teilnehmer auf die »Zeit danach« vor. In unserem Fall nun mit Atemübungen, Leseübungen etc. Genauso wie ein Fitnesscoach dem Trainierenden weitere Übungen mitgibt.
Barbara Blagusz (Sprechtrainerin und Inhaberin des Unternehmens »Sozusagen«) erklärt, wie nachhaltiges Stimmtraining aussehen sollte: »Stimme ist Gewohnheit. Weit mehr als angeboren – und wie für jede Gewohnheitsänderung braucht es auch hier etwas Übung. Nicht viel: 5 Min pro Tag reichen, um z. B. die Stimmlage zu verändern oder die Deutlichkeit bzw. die Sprechwirkung zu erhöhen. Weiters kommt es auf Ihr Ziel an: Was wollen Sie erreichen? Wollen Sie eine andere Stimmlage? Das ist leicht und in wenigen Stunden plus ein bisschen Übung veränderbar. Wollen Sie kompetent klingen? Dazu muss man zuerst wissen, was das heißt. Kompetenz geht immer mit einer tiefen Stimme mit gezielten Lautstärkenbetonungen einher. Sowie – ganz wichtig – das Absenken der Stimme am Ende des Satzes. Bleiben Sie mit der Stimme am Satzende oben, verlieren Sie immer ein wenig an Souveränität. All das ist gezielt lernbar. Daher ist es im Stimmtraining so wichtig, dass Potenzial jedes einzelnen Teilnehmers ganz genau zu betrachten, sowie sein Ziel und die Sprechsituationen zu berücksichtigen. Arbeiten Sie am Telefon oder halten Sie Vorträge? In beiden Fällen muss Ihre Stimme jeweils völlig unterschiedliche Dinge können.«
Der Teilnehmer ist – wie übrigens bei jedem anderen Seminar auch – selbst für seinen Lernerfolg verantwortlich. Es ist daher höchst zweifelhaft, ob es viel Sinn macht, Mitarbeiter auf ein Stimmseminar zu schicken, wenn sie es selbst gar nicht wollen. Das ist möglicherweise eine Geldvernichtung und hilft niemandem, außer dem Seminaranbieter.
Gute Trainer schaffen es jedoch oft schon im ersten Block eines Seminars, dieses Thema den Teilnehmern so schmackhaft zu machen, dass viele trotz anfänglicher Skepsis ein ehrliches Interesse daran entwickeln.
Jürgen Pfaffinger (leitender Stimm- und Sprechtrainer bei Intomedia) weiß genau, wie wichtig die Einstellung eines Teilnehmers bei einem Seminar ist: »Der Lernerfolg hängt immer ganz wesentlich auch vom Teilnehmer ab – bzw. von der Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Stimme und Sprechen haben viel mit körperlichem und geistigem Offensein zu tun – genauso wie etwa bei Schauspielern. Wer das zulässt und sich darauf einlässt, wird mehr von einem Training profitieren und mehr mitnehmen können, als jemand, der ›blockiert‹. Zum ›Öffnen‹ kann und muss natürlich auch der Trainer durch persönliches und individuelles Eingehen und Einfühlen beitragen: Man kann Menschen, die das nicht gewöhnt sind, zum Öffnen ihrer eigenen Person motivieren. Das ist für den Trainer einerseits Teil seines handwerklichen Könnens, hängt aber naturgemäß auch von der Chemie zwischen Trainer und dem zu Trainierenden ab – auch das kann man sich ähnlich vorstellen, wie in der Theaterarbeit: Zwischen manchen Regisseuren und Schauspielern entsteht eine besondere Dichte und kreative Intensität, in anderen Fällen passiert genau das nicht.«
Häufig haben Teilnehmer Vorurteile über ein Stimmtraining. Man hat Angst, sich zu blamieren, ist es doch etwas sehr Persönliches, an der eigenen Stimme zu arbeiten. Es kursieren Fotos und Geschichten von Übungen, bei denen man sich lächerlich macht. Das schreckt einige Menschen sicherlich ab, sich auf das Thema einzulassen.
Beim Seminar ist genau das Gegenteil der Fall. Die Trainer sind sich der Situation für die Teilnehmer bewusst und beginnen das Seminar meist mit ein paar kurzen theoretischen Inputs und mit einfachen Übungen, die jeder meistern kann. Das lockert die »Stimm-ung« und schafft Offenheit. Bei allen Stimmseminaren, bei denen ich in den letzten Jahren war, habe ich nicht eine peinliche Situation erlebt.
Übungen
Es gibt natürlich verschiedene Ziele eines Stimmtrainings, daher muss ein Trainer seine Übungen an den jeweiligen Teilnehmer anpassen.
Petra Berger (diplomierte Sprechtrainerin und Eigentümerin von »Sprichmitmir«): »Das Sprechtraining hat vor allem zum Ziel, die Sprechweise der Menschen im täglichen Leben zu ver-ändern. Deshalb unterscheiden sich Methodik und Didaktik grundlegend von dem Stimmtraining für Sänger und Schauspieler. Zwar betrifft es dasselbe Organ und viele Übungen zum allgemeinen Muskel-aufbau sind die gleichen, aber im Sprechtraining für das Geschäfts- und Privatleben müssen die wechselnden ›Alltagsrollen‹ für die Verankerung eines neuen Sprechverhaltens mitberücksichtigt werden. Sprechtechnik, Sprachmuster und Sprechverhalten werden von den unterschiedlichsten, plötzlich auftretenden Gegebenheiten getriggert und sind hochgradig automatisiert. D. h. diese Situation, jener Mensch oder eine inhaltliche Unsicherheit lösen unbewusst eine bestimmte Haltung, einen bestimmten Stimmklang aus. Um die Stimme eines Klienten für die verschiedensten Situationen seines Lebens fit zu machen, erarbeiten und verankern wir neue Verhaltensweisen.«
Barbara Blagusz beschreibt eine Übung, die jeder sofort ausprobieren kann: »Viele Menschen öffnen den Mund nicht weit genug beim Sprechen. Das lässt eine Person immer ein wenig kleiner und verhaltener erscheinen als nötig. Daher meine Empfehlung: Sprechen Sie folgenden Satz und machen Sie bei jedem »A« den Mund übertrieben weit auf. So als Richtwert: 2 Fingerbreit sollen zwischen die Zahnreihen passen. ›Am Anfang ist alles anders.‹ oder ›Abraham aß am Abend Ananas.‹ Diesen Satz mehrfach wiederholen hilft, dass der Mund weiter öffnet.
Eine weitere Übung, übrigens meine Lieblingsübung, sieht so aus: Summen Sie! (In verschiedenen Tonhöhen.) Das bringt viel in kürzester Zeit. Es wärmt die Stimme optimal auf, lockert verschleimten Belag und macht Ihre Stimme wohlklingend vom ersten Ton, den Sie sprechen.«
Auch Petra Berger kennt eine gute Übung, die Sie jetzt gleich, noch bevor Sie weiter lesen, ausprobieren können: »Spielen Sie Omama oder Opapa ohne Zähne: Stülpen Sie Ihre Ober- und Ihre Unterlippe über die Schneidezähne und lesen Sie einen kurzen Zeitungsartikel laut vor. Kiefer gut auf und zumachen beim ›Reden‹ und die beiden Lippen schön drinnen lassen (die mogeln sich gern wieder zurück). Jetzt noch einmal ganz normal. Sie werden den Effekt bestimmt gleich hören! Verspannungen in der Oberlippe und dem Kaumuskel sind eine häufige Ursache für mangelhafte Aussprache.«
Es gibt natürlich auch komplexere Übungen, die sich mit dem jeweiligen Stimmthema des Teilnehmers beschäftigen. Der eine will eine tiefere Stimme haben, der nächste möchte eine deutlichere Aussprache. Wieder ein anderer möchte mehr Spielraum mit seiner Stimme schaffen. Also ganz unterschiedliche Ansprüche an ein Stimmtraining. Und das erfordert natürlich jeweils unterschiedliche Übungen.
Jürgen Pfaffinger rät daher zur Vorsicht: »Ich halte von Übungen ohne Anleitung wenig. Sie können unter Umständen sogar kontraproduktiv sein, weil der tiefere Sinn und der Hintergrund nicht oder falsch verstanden werden. Übungen sollten – vor allem auch in individueller Abstimmung auf den betreffenden Menschen und seine Möglichkeiten bzw. Defizite – unter professioneller und persönlicher Anleitung eines Trainers erarbeitet werden. Zusätzlich können und sollen erarbeitete Übungen dann quasi als Hausaufgabe selbstständig gemacht werden – auch, um das Erlernte längerfristig erhalten zu können. ›Allerwelts-Übungen‹ ohne persönlichen Bezug bringen wenig – Stimme und Sprache sind ja schließlich etwas besonders Persönliches und Individuelles!«
Stimme und Karriere
Um den Bedarf von Stimmtrainings zu verdeutlichen, sollen hier ein paar Zahlen genannt werden: Bei einer Studie von Barbara Blagusz, bei der im Zeitraum 2012 bis 2014 rund 400 Personen in Österreich und Deutschland befragt wurden, kam heraus, dass nur 7 % mit ihrer Stimme sehr zufrieden sind. 78 % wünschen sich eine Verbesserung in Stimmqualität und Sprechwirkung. Ganze 15 % sind mit ihrer Stimme sogar unglücklich. Die häufigsten Veränderungswünsche sind: mehr Sicherheit, höhere Glaubwürdigkeit und Kompetenz, und dabei nicht zu krächzen, heiser oder rau zu klingen. 92 % der Befragten erachten die Stimme für entscheidend für eine erfolgreiche Karriere.
In einer älteren Studie, die im Auftrag von stimme.at durchgeführt wurde, kamen ebenfalls interessante Ergebnisse zutage: 82 % der Befragten sagen, dass Stimme eher unbewusst wirkt. Diese unbewusste Wirkung der Stimme schlägt sich auch in Bewerbungsgesprächen nieder. Bei der Personalauswahl erfassen 73 % der Befragten Stimme und Sprechweise der Kandidaten nach subjektivem Eindruck, nur 23 % legen objektive Bewertungskriterien zugrunde. 91 % der Befragten ziehen Bewerber mit guter Stimme und Sprechweise anderen Bewerbern vor. Neben anderen Schlüsselqualifikationen kommt der Ausdrucksfähigkeit somit überraschend hohe Bedeutung zu. Eine ›gute Stimme‹ wird dabei jenen attestiert, die mit kräftiger Stimme auftreten, klar und deutlich sprechen und begeistern.
Was ist möglich?
Ein Verkäufer ist wirklich unglücklich mit seiner Stimme und möchte sie nachhaltig verändern. Er ist bereit, Zeit und Geld zu investierten, macht brav seine Übungen zu Hause. Ist es möglich, nachhaltig seine Stimme zu verändern? Automatisch? So, dass man, sagen wir nach einem Jahr, nicht mehr daran denken muss? Zumal sich unsere Stimme ja ohnehin von alleine regelmäßig ändert.
Petra Berger: »Selbstverständlich können Stimmklang, -volumen und -modulation verändert werden. Das passiert ja auch im Alltag schon. Mir ist niemand bekannt, dessen Stimme nicht anders klingt, wenn er z. B. mit einem Kleinkind oder seinem Vorgesetzten, seinen Freunden oder seinen Kunden spricht. Das heißt, wir variieren je nach Situation und erlernten Mustern. Die physiologischen Gegebenheiten kann man nicht ändern, aber der Stimmklang selbst kann in wenigen Übungsstunden schon ganz ein anderer sein. Wie lang dann der Prozess des tatsächlich selbstverständlichen Anwendens dauert, das hängt ganz davon ab, wie sehr das neue Verhalten verankert und automatisiert wurde. Die Dauer der Automatisierung ist ganz individuell und hängt davon ab, wie gut das neue Verhalten umgesetzt werden kann – von wenigen Tagen bis mehreren Monaten.«
Auch Barbara Blagusz ist überzeugt davon, dass man seine Stimme tatsächlich verändern kann: »Stimme ist Gewohnheit und daher veränderbar. Was wir oft im Kleinkindalter sprechtechnisch von unseren Vorbildern wie Eltern oder Lehrern kopieren, muss nicht unbedingt sinnvoll sein. Vor allem später im Berufsleben zeigt dann z. B. eine hohe piepsige Stimme, die ›lieb‹ sein will, wenig Wirkung. Genauso wenig wie eine leise, verhaltene Sprechweise sich durchsetzen kann. Genau dies wird in einem Stimmtraining gezielt umtrainiert bzw. umgewöhnt. Dann kann ich auch kompetent, sicher und überzeugend wirken. Die Stellschrauben sind oft nur klein, findet man den richtigen Hebel, haben sie jedoch eine große Wirkung. Es ist daher eine Investition, die sich immer auszahlt. Das dauert je nachdem, wie weit jemand von seinem persönlichen Optimum entfernt ist, von wenigen Stunden bis zu höchstens ein paar Wochen.«
Sie können das selbst überprüfen. Würden Sie sich vor Gericht von einer Anwältin vertreten lassen, die eine Stimme wie Verona Feldbusch hat? Warum nicht? Weil zu hohe Piepsstimmen kein Vertrauen erzeugen.
Es kann auch gefährlich sein, eine Stimme zu »erarbeiten«, die nicht zu einem passt. Sie kennen bestimmt auch Menschen, die irgendwie komisch wirken, und Sie wissen nicht aus welchem Grund. Häufig ist es, weil gewisse Merkmale nicht zusammenpassen. Beispielsweise ist es sehr markant, wenn Menschen frisch gebleichte Zähne haben, also ganz weiße. Das stimmt irgendwie nicht und wirkt eigenartig, ja beinahe befremdend. Mit der Stimme ist es ähnlich.
Jürgen Pfaffinger ist sich dessen bewusst: »Eine ›andere Stimme‹ zu bekommen halte ich grundsätzlich für gefährlich. Jeder Mensch sollte immer mit seiner Stimme sprechen – eine ›andere Stimme‹ hieße Unnatürlichkeit und Nicht-Authentizität. Und das ist immer schlecht. Je natürlicher, je authentischer jemand ist, desto besser ist seine Wirkung – selbst wenn das sogenannte ›Fehler‹ beinhaltet. Man denke an Politiker, die z. B. bedächtig, fast langweilig langsam und vielleicht sogar nuschelnd sprechen, aber trotzdem eine starke Wirkung und Aufmerksamkeit erzeugen, weil sie als authentisch wahrgenommen werden. (Kreisky war z. B. ein Paradebeispiel dafür.) Worum es im Stimm- und Sprechtraining geht, ist also nicht, die Stimme und das Sprechen zu ändern und zurechtzubiegen, sondern vorhandene Möglichkeiten und Fähigkeiten herauszuholen. Also nicht eine andere Stimme oder ein anderes Sprechen sind das Ziel, sondern die EIGENE Stimme und das EIGENE Sprechen zu verbessern und zu verfeinern – oft geht es nur darum, das Erkennen der eigenen Möglichkeiten herauszuholen.«
Wir alle kommunizieren den ganzen Tag, doch haben wir jemals wirklich bewusst REDEN gelernt?