Ein ganz klein wenig überzeichnet, vielleicht jedoch durchaus realistisch – die -Erlebnisse von Trainern und Seminarteilnehmern im Seminarhotel »Zum freudigen Lernen«.
Wie schön, Karl Meier darf auf Seminar. Führungskräftetraining Executive, also etwas ganz Spezielles für Führungskräfte der höchsten Ebene. Hardcore für Manager sozusagen.
Karl Meier kommt zur Rezeption und wird mit einem aufgesetzt herzlichen Lächeln begrüßt. »Herzlich willkommen in unserem Haus, Herr Schneider, wir freuen uns, dass Sie unser Gast sind«, sagt die Angestellte. Karl Meier erkennt die Freude in den Augen der Rezeptionistin nicht wirklich und außerdem: »Nein, ich bin nicht Herr Schneider, ich bin Herr Meier.« Irritierendes Schweigen, dann ein gedehntes »Aha«. Langes Suchen in der Liste, ach ja, da ist er ja, der Herr Meier.
Leider – leider – leider
»Wo kann ich parken?« – »Gleich eine Straße weiter. Unser Hotelparkplatz ist voll. Wir haben leider viele Gäste.« Wieso eigentlich »leider«? Bin ich auch ein »Leider-Gast«?
Das »eine Straße weiter Parken« entpuppt sich als Fußmarsch von 20 Minuten, vom Parkplatz zum Hotel.
Dort angekommen, nun leider etwas zu spät, erklingt die glockenhelle Stimme der Rezeptionistin: »Zum Seminarraum gehen Sie zuerst gerade, dann links, die Treppen hinauf, scharf rechts, wenige Stufen hinunter und dann gleich neben dem Wellnessbereich und der Kinderbetreuung. Der Gruppenraum ist im 2. Stock. Die Sauna übrigens auch. Sie müssen sich nur 45 Minuten vorher anmelden, sie ist dann sehr schnell warm. Wenn Sie WLAN am Zimmer möchten, müssen sie bei mir einen Code kaufen. 60 Minuten kosten 3,– €, 24 Stunden 20,– € und 7 Tage 100,– €.« »Ärgerlich«, denkt sich Herr Meier, »ich möchte ja eigentlich nur zweimal am Tag kurz meine Mails checken.«
Der Trainer reist an
Während der Seminarteilnehmer den Raum sucht, sucht der Trainer einen Parkplatz und bleibt kurz vor dem Hotel stehen. »Leider, extra Trainerparkplätze haben wir nicht und die Ladezone ist leider besetzt, aber nur eine Straße weiter …« So viele »leider«. »Bin ich willkommen?«, denkt der Trainer.
Der Seminarraum ist klein, aber gar nicht fein. Eng, dunkel bis finster, Licht kommt nur von zwei Lampen. Tageslicht gibt es keines. Er befindet sich neben der Pool-Landschaft und der Kinderbetreuung. Na egal. Irgendwie schauen die Tische komisch aus, denkt der Trainer. Irgendwie kleiner, schmäler als üblich. Er kommt nicht dazu, weiter über diesen Umstand nachzudenken, denn er erkennt gerade ein anderes Problem. Der Beamer steht mitten im Raum, die Kabel sind mit Klebebändern am Boden festgemacht. »Wie oft werde ich da wohl drüberstolpern?«, überlegt er. Aber kaum schiebt er dieses Problem genau wie die anderen auf die lange Bank, macht sich ein anderes breit. Der Wellnessbereich will nämlich auch benutzt werden. Die ersten Gäste kommen gerade um die Ecke, 4 kleine Kinder im Schlepptau. Die Eltern sind lustige Menschen.
Der Trainer ruft verärgert den Auftraggeber an, der ist nicht zu erreichen. Er fragt an der Rezeption nach, ob wirklich dieser Raum gebucht wurde. »Naja, eigentlich nicht, aber wir haben leider gerade keinen anderen, wir sind überbucht, weil wir leider so viele Gäste haben.« Schon wieder das »Leider«. Der Trainer fragt sich nun, wieso hier so viele Gäste sind und drückt seinen Unmut deutlich aus. »Tut mir leid,« hört er die wenig bedauernde Antwort. Lösung?
Die Seminarteilnehmer treffen ein, nehmen Platz und erleben unfreiwillig starken Körperkontakt mit dem Nachbarn. It’s Kuscheltime. Die Tische sind zu klein und zu schmal. Dafür gehen mehr in den Seminarraum hinein. Tische nämlich und damit Seminarteilnehmer und damit Tagespauschalen. Die Tische sind mit Namensschildern, Seminarunterlagen, Getränken und Gläsern gewissenhaft drapiert. Der erste Teilnehmer nimmt die Seminarunterlage zur Hand, da fällt bereits das erste Glas zu Boden. Gleich darauf ein zweites und ein drittes. Man erkennt sofort: Gläser und Seminarunterlagen gemeinsam auf einem Tisch, das geht hier nicht. Toller Seminarstart. Man fühlt sich richtig wohl und weiß, dieses Hotel sieht uns nie wieder.
Trotzdem sind Trainer und Teilnehmer noch guten Mutes, sie freuen sich auf »Führungskräfte Executive«. Der Trainer erläutert gerade den hoch konzentrierten Managern wesentliche Punkte eines heiklen Kündigungsgespräches, als er durch ein schrilles, dafür um so lauteres »Maaaaaaammmmmmmaaa« in seinem Vortrag gestört wird. Man hört Kleinkinder-Fußgetrappel und plötzlich steht ein kleiner Knirps in Badehose im Seminarraum, brüllend und schluchzend seine Mama suchend. Die überraschten und fragenden Gesichter der Seminarteilnehmer sprechen Bände. Die Mama kommt, in Bademantel und Schlapfen und schnappt sich ihren hoffnungsvollen Sprössling. Sie murmelt peinlich berührt eine Entschuldigung. Sicher wird der Knirps auch einmal eine bedeutende Führungspersönlichkeit. Wenn er schon in so jungen Jahren den Weg ins Seminar findet.
Und das darf alles nicht wahr sein
Das solide Flipchart ist Modell »rollenloser Pyramidenständer« und wiegt ca. 15 kg. Netterweise sind Whiteboard-Stifte bereitgelegt. Internet im Seminarraum gibt es nicht, auch keinen Handyempfang.
Die Kaffeemaschine bleibt außerhalb der genau definierten Pausenzeiten abgesperrt, es gibt ein Getränk pro Person. Bei der gleichzeitigen Kaffeepause aller Seminare gibt es in der Warteschlange immer »zweckdienliche« Gelegenheiten zum seminarübergreifenden Austausch. Falls man die Seminarinhalte der anderen Seminare nicht ohnehin schon durch die hauchdünnen Wände mitbekommen hat.
Mittags: Die Seminarteilnehmer haben die Wahl zwischen Schnitzel mit Pommes Frites, Schweinsbraten mit Kraut und Knödel oder panierter Scholle mit Mayonnaisesalat. Der Vegetarier in der Gruppe freut sich über Pommes mit Knödel und Mayonnaisesalat als Beilage.
Eine wirklich gelungene Menüauswahl, Suppenkoma gleich inkludiert. Unterschriften für Getränke müssen sofort geleistet werden, säumige Personen werden gnadenlos bis in den Seminarraum verfolgt.
Da das Hotel, wie schon erwähnt, auch Wellness-Gäste beherbergt, sitzen nun im Speisesaal Bademantel-Erholungssuchende neben Anzug tragenden Managern. Das ergibt zwar von außen gesehen ein lustiges, buntes Bild, passt aber, von innen betrachtet, nicht zusammen. Beide Gästegruppen fühlen sich deplatziert. Die gute Nachricht: Der Speisesaal hat Tageslicht und die Teilnehmer genießen den Ausblick auf den Spielplatz im Grünen. Ach nein, die Sonne scheint ja.
Es ist 17.05 Uhr, das Seminar geht in die Abschlussrunde. Unerwartet öffnet sich die Tür zum Seminarraum und eine wenig motivierte Mitarbeiterin des Hauses tritt herein. Sie knurrt unfreundlich: »Der Raum wurde nur bis fünf Uhr gebucht. Sie müssen leider gehen, da wir den Raum für morgen vorbereiten wollen. Ich will ja dann auch nach Hause.«
Der erste Seminartag geht vorbei, der Trainer bemüht sich nun an der Rezeption um einen anderen Seminarraum für den nächsten Tag. »Ich bestehe auf den vom Auftraggeber gebuchten Seminarraum«, deponiert er bestimmt.
»Leider, leider, es ist niemand Zuständiger da, ich bin nur die Urlaubsvertretung«, bekommt er kompetent erklärt. »Ich kann leider gar nichts machen.« »Ist der Hoteldirektor zu sprechen?« »Nein, leider, der ist nicht da. Er ist auf einer Veranstaltung zur Wahl des Super-über-drüber-Seminarhotels. Da hofft er auf den ersten Preis.« Der Trainer wähnt sich im falschen Film. Er kann sich dieser kafkaesken Situation aber nicht entziehen. So bringt er recht und schlecht sein Seminar über die Bühne, die Bewertungen für das Seminar UND den Trainer sind, kurz gesagt, schlecht. Wobei hier ganz eindeutig der Unmut der Teilnehmer über das Seminarhotel den Trainer trifft. Die Auswahl des Hotels wird der Trainer beim nächsten Mal selbst übernehmen, und hierher kommt er bestimmt nie wieder.