Der gekochte Frosch und der dumme Floh

Angelehnt an die Coverstory unserer März-Ausgabe überprüfen wir einige der Geschichten, die von Trainern und Speakern gerne erzählt werden, auf ihren Wahrheitsgehalt.

Haben Sie schon einmal einen lebenden Frosch in kochendes Wasser geworfen? Nein? Etliche Trainer und Speaker schon, behaupten sie zumindest. Etwas ehrlichere behaupten Folgendes: »Wirft man einen Frosch in kochendes Wasser, wird er sofort wieder herausspringen um zu überleben. Gibt man einen Frosch jedoch in einen Topf und bringt das Wasser darin langsam zum Kochen, unternimmt der Frosch keinen Fluchtversuch.« (Die Geschichte wurde von Charles B. Handy in dem Buch »The age of unreason« veröffentlicht.)
Und der Speaker zieht auch schon Parallelen. »Es gibt viele Menschen, die in ihrem Leben nichts ändern, obwohl ihre berufliche oder private Situation immer schlechter wird. Lieber ergeben sie sich ihrem Schicksal und verlieren ihren Job oder Partner. Im schlimmsten Fall werden sie krank. Sie denken nicht daran, sich mit einem beherzten Sprung aus der Problemsituation zu retten.«

Speaker fragen nun das Publikum um ihre Meinung. »Wie würde ein Mensch reagieren, wenn die Verschlechterung nicht schleichend, sondern von jetzt auf gleich stattfindet? Würde er so wie der Frosch mit letzter Kraft aus dem kochenden Wasser springen?«
Andere Referenten, je nach Thema des Seminars, ziehen Parallelen zu Marketing und Verkauf. Der Gedanke dahinter: Dem Kunden nicht zu schnell den Preis servieren, sonst springt er ab, erst langsam mit vielen Argumenten dazu hinleiten.
In manchen Zeitungen wird sogar schon vom »Boiling Frog Syndrom« gesprochen, vor allem bei Themen rund um Angst vor Veränderungen.

Scared frog jumping out of boiling water in bonfire

Was steckt hinter dieser Geschichte? Ist sie wahr? Die Redaktion von TRAiNiNG hat zwar keine Frösche getötet, jedoch eine umfangreiche Recherche angestellt. Mit dem Ergebnis: Die Geschichte ist schön. Schön erfunden, und von der Wahrheit ganz weit entfernt. Victor Hutchison (University of Zoologie of Oklahoma) hat dazu Stellung genommen und gesagt: »The legend is entirely incorrect!« Die kritische Temperatur, bei der ein Frosch stirbt, wurde von mehreren Forschern untersucht. Je wärmer das Wasser wird, um so mehr Aktivität zeigt der Frosch, um daraus zu entkommen. Wenn der Frosch eine Möglichkeit zur Flucht findet (so zum Beispiel, wenn von Anfang an kein Deckel auf dem Topf ist), so nutzt er sie. Wenn er den Weg in die Freiheit aber zu spät entdeckt, dann kann es zwar sein, dass er noch lebt, aber er unternimmt keine Fluchtversuche, da er z. B. unter Muskelkrämpfen oder Hitzestress leidet. (Quelle:http://srel.uga.edu/outreach/ecoviews/ecoview021118.htm).

Es ist verständlich, dass Referenten diese Geschichte verwenden. Sie zeigt eine schöne Metapher, ist aber so nicht richtig. Auch Politiker verwenden diese Geschichte, so z. B. der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore. (http://www.nytimes.com/1989/03/19/opinion/an-ecological-kristallnacht-listen.html). Es gibt gerade zu diesem Thema einige ähnliche Geschichten, die vielleicht wahr sind, warum nicht diese verwenden?

Wie Lernen passiert

Zu diesem Thema gibt es etliche Anekdoten. Manche wahr, manche zweifelhaft, andere wiederum nachweisbar falsch.
Wir untersuchen hier zwei Behauptungen:

1. Behauptung
Wenn wir etwas lesen, merken wir uns 10 % des Inhaltes, wenn wir etwas hören 20 %, und was wir sehen, davon bleiben 30 % haften. Jedoch – was wir hören und sehen, davon bleiben 50 %, von dem, was wir selber sagen 70 % und von dem, was wir selber tun 90 %.
Das Modell stammt ursprünglich von dem amerikanischen Pädagogen Edgar Dale (1900 – 1985), der in den 1930er-Jahren das sogenannte »Cone of Experience«-Modell erschuf. In diesem Modell unterteilte er Lernerfahrung in Lesen, Hören etc. Edgar Dale schrieb jedoch niemals die Prozentzahlen dazu, die wurden 1967 von D. G. Treichler ergänzt. Die Begründung der Zahlen und deren Herkunft ist nicht auffindbar. Edgar Dale hat mehrfach darauf hingewiesen, dass sein Modell nur einen ungefähren Lernrahmen darstellt und er warnte davor, das Modell zu genau zu nehmen. Von den konkreten Zahlen distanziert er sich.

Conclusio: Das Modell gibt eine Idee, wie Lernen funktioniert. Die Zahlen sind angenähert, wurden aber nie wissenschaftlich untersucht. Die Zahlen sind also Unsinn. Es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass nicht zwangsläufig mehr »hängen bleibt«, wenn wir hören statt zu lesen. Das ist stark personenabhängig.

2. Behauptung: Das 70:20:10 Modell
Demnach lernen erfolgreiche Manager 70 % während ihrer normalen beruflichen Tätigkeit,
20 % von anderen Menschen, und nur 10 % in Seminaren und durch Bücher und Artikel.
Das Modell geht zurück auf den Forscher Morgan McCall vom »Center for Creative Leadership«. Es wurde erstmals 1996 im Buch »The Career Architect Development Planner« veröffentlich und basiert auf qualitativen Interviews mit knapp 200 Managern.
Von manchen Trainern hört man dann, dass sich diese Theorie auf jegliches Lernen bezieht. Das ist aber von den Autoren niemals so gemeint gewesen, sondern hat sich lediglich auf Leadership-Skills bezogen und niemals auf andere Fähigkeiten, wie z. B. Verkaufs-Skills.
Außerdem sind die konkreten Zahlen anzuzweifeln. Wie aus qualitativen Interviews so schöne gerade Zahlen entstehen, ist nicht erklärbar, spielt aber im Endeffekt keine Rolle. Das Modell gibt eine Idee, wie Führungskräfte lernen, ob es nun 70 oder 65 oder 80 % sind, ist wirklich egal.

Der Floh und die Glasplatte

Die nächste Geschichte: In einem Experiment haben Forscher angeblich mehrere Flöhe in ein Glas gesetzt, aus dem sie leicht fliehen konnten, da sie ja hoch genug springen können. Nachdem man das Glas mit einer durchsichtigen Platte verschlossen hatte, lernten die Flöhe sehr schnell, nicht zu hoch zu springen, da der Anprall an die Glasplatte ihre Grenzen aufzeigte. Sie sprangen in Zukunft weniger hoch. Wurde die Platte nach einiger Zeit entfernt, sprangen die Flöhe trotzdem nur die anerzogene Höhe und schafften es daher nicht mehr aus dem Behälter.
Fügt man neue Flöhe hinzu, so könnte man annehmen, dass sie den Alteingesessenen vorzeigen, wie sie entkommen können. Das Gegenteil passiert allerdings. Die neuen Flöhe schauen sich von den alten die niedrigere Sprunghöhe ab und schaffen es daher auch nicht, aus dem Glas zu entkommen.
Die Aussage dahinter kann für mehrere Themen genutzt werden. Für das Recruiting wird daraus gerne Folgendes abgeleitet: Neue Mitarbeiter passen sich schnell an eine bestehende Unternehmenskultur an und nicht umgekehrt.

Ist die Floh-Geschichte wahr oder falsch? Trotz langer Recherche war und ist es uns unmöglich, einen Forscher zu finden, der diesen Versuch durchgeführt hat. Das Ergebnis könnte wahr sein oder frei erfunden, anscheinend hat das Experiment noch nie stattgefunden.
Die Aussage stammt allen Anschein nach von Laien bzw. auch von Spaßvögeln, die so eine Situation mit einem »Flohzirkus« durchgespielt haben könnten.

Noch etwas zum Abschluss, damit Sie die Lektüre dieses Artikels schmunzelnd beenden: Sie kennen sicher die Behauptung »Erfolg hat 3 Buchstaben: T-U-N!«
Tatsächlich hat Erfolg aber 6 Buchstaben:
E-R-F-O-L-G.

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