Der Kampf um Talente

Der Kampf um die besten Köpfe wird härter. Durch Corona sind derzeit so viele Personen arbeitslos wie schon lange nicht. Das bietet Unternehmen die Chance, für die Zeit nach der Krise perfekt passende Mitarbeiter zu finden und zu halten.

Die Corona-Krise bringt für Unternehmen zahlreiche Herausforderungen. Organisationen müssen sich nach innen teils völlig neu aufstellen. HR hat in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle eingenommen. Und das, obwohl sich HR zuerst einmal selbst neu aufstellen musste. Home-Office, Telearbeit und neue Prozesse mussten etabliert werden, für HR selbst und für das Unternehmen. Das Überleben der Organisation musste durch Kurzarbeit gesichert werden. Und auch die Gesundheit der Mitarbeiter wurde in den Mittelpunkt gestellt. HR- und Talent-Manager sehen sich derzeit vor allem in der Rolle des Change-Begleiters in die digitale Transformation. So werden viele Prozesse rund um Recruiting und Talent-Management digitalisiert.

TRAiNiNG hat bei 2 Experten nachgefragt, wie die Corona-Krise das Talent-Management verändert hat und noch verändern wird.

Nikolai Dürhammer (Geschäftsführer von StepStone Österreich): »Das Wichtigste im Personalmanagement ist aktuell, die Gesundheit von Mitarbeitenden und dem Unternehmen sicherzustellen – immerhin geht es in manchen Unternehmen um die Existenz. Das Talent-Management besitzt viele Kompetenzen, die in der derzeitigen Krise gebraucht und aktiv nachgefragt werden: Zu wissen, wo, wie viele und welche Art von Talenten im Unternehmen benötigt werden, vorhanden sind und entwickelt werden können, ist fundamental. In der aktuellen Situation steht so manches Unternehmen vor der Herausforderung, sich neu aufzustellen oder bestimmte Teile der Organisation neu justieren zu müssen. Hier ist das Talent-Management gefragt, die richtigen Lösungen anzubieten. Dabei sollte aber nicht rituell an Bewährtem festgehalten, sondern die Krise auch dafür genutzt werden, etablierte Talent-Instrumente auf den Prüfstand zu stellen, um die Krisenfestigkeit des Unternehmens zu erhöhen und mittelfristig wieder erfolgreich durchstarten zu können.«

Gerade im Bereich Recruiting und Talent-Management bieten zahlreiche etablierte Unternehmen und Start-ups spannende, teils sehr kostengünstige Lösungen für Unternehmen. So muss nicht immer alles neu erfunden werden. Doch es ist die Aufgabe von Talent-Managern, sich regelmäßig darüber zu informieren, mit welchen Lösungen ihrem Unternehmen geholfen werden kann. Jetzt, in Corona-Zeiten, mehr denn je. Die Digitalisierung nimmt noch einmal richtig Fahrt auf.

Thomas Olbrich (Chief Culture Officer bei ­karriere.at): »Der Trend zum Digitalen hat durch Corona auch die allermeisten heimischen HR-Abteilungen erreicht. Um unnötig viel Sozialkontakt zu vermeiden, helfen Video-Meetings vor allem beim Erstkontakt mit Kandidaten. Bei diesem allerersten persönlichen Kennenlernen ist das Videoformat absolut kein Nachteil: Man macht sich ein konkreteres Bild zum Lebenslauf, kann gezielt Fragen stellen und der Kandidat spart sich dabei die Anreise. Wichtig dafür ist natürlich ein professionelles Setup. Ein ›echtes‹ Kennenlernen ersetzen digitale Möglichkeiten im Recruiting allerdings nie. Und auch kulturelle Prozesse und Führung brauchen diese sozialen Komponenten unbedingt. In der Krise wurde deutlich, wie wichtig gute Führung und Kommunikation für den Teamzusammenhalt und die Zufriedenheit sind.«

Interne Vermittlung

Das Talent Management bezieht sich nicht nur auf das Rekrutieren neuer Talente, sondern auch auf mögliche interne Umbesetzungen. Flexibilität ist gefragt, um auch kurzfristige Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten in Ordnung sind. Und wer weiß, welche bis dato unentdeckten Talente ihre Mitarbeiter an einer neuen Position zeigen? Durch Talent-Review-Meetings ist es möglich, noch unbekannte Fähigkeiten und Interessen der Mitarbeiter herauszufinden.

Während noch zu Beginn des Lockdowns die meisten Unternehmen eine Vollbremsung vollführten, was das Einstellen neuer Mitarbeiter betrifft, hat sich dies mittlerweile geändert. Die Stellenausschreibungen werden mehr – Unternehmen suchen wieder geeignete Mitarbeiter. Gerade jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sich nach passenden Talenten umzuschauen, denn es sind – coronabedingt – viele Menschen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar. Sobald sich die Corona-Krise weiter beruhigt hat, geht der Kampf um Talente in vollem Umfang los. Laut der weltweiten Studie der Manpower Group beklagten sich bereits 2019 54 % der Unternehmen darüber, nicht genügend qualifizierte Bewerber für ihre Stellen zu finden. Im Jahr 2009 waren es »nur« 30 %. Unternehmen, die jetzt komplett auf Neueinstellungen verzichten, riskieren es, in der Phase eines wirtschaftlichen Aufschwungs unterbesetzt zu sein oder langen Besetzungszeiten ausgesetzt zu sein.

Social Distancing

Durch Social Distancing ist es schwierig geworden, neue Talente zu entdecken. Karrieremessen wurden größtenteils abgesagt. Assessments und Vorstellungsgespräche finden online statt.  Das stellt besonders die Unternehmen vor große Herausforderungen, die solche Prozesse vor der Krise noch nicht etabliert hatten. Recruiter müssen entscheiden, ob sie lieber ein Online-Interview führen oder ein persönliches Interview mit Mund-Nasen-Schutz. Doch in beiden Fällen können Fehler beim Auswählen passieren, denn der zwischenmenschliche Eindruck ist eindeutig verzerrt.
Führungskräfte, die ihr Team leiten und sich auch um das Fördern von Talenten kümmern, sind natürlich genauso vom Social Distancing betroffen.

Thomas Olbrich: »Zusammenarbeit ist der Schlüssel für ein gelungenes Social Distancing – wie in vielen Bereichen des täglichen Arbeitslebens. Natürlich sollte es einen klaren, für alle gültigen und jederzeit einsehbaren Leitfaden geben. Dabei gilt es aber auch, dass jeder im Unternehmer dazu aufgefordert ist, klare Verstöße dagegen anzusprechen, ohne von Kollegen schief angeschaut zu werden. Die richtige Kommunikation ist deshalb so wichtig: Nämlich allen klarzumachen, dass alle sich beteiligen müssen, um alle zu schützen. Es ist ein Miteinander und kein Gegeneinander. Dass das Ganze trotzdem humorvoll und dabei erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigt sich bei uns im Unternehmen: Wir haben uns dazu entschieden, mit unserer Marketing-Abteilung eine Comic-Figur namens ›Virli‹ zu designen. Diese ist im ganzen Unternehmen als Sticker oder auf Karten verteilt und zeigt Abstände auf, erinnert ans Händewaschen oder Lüften. Dieses kleine grüne Männchen hatte von Anfang an ›Fans‹ unter unseren Mitarbeitern und wurde dementsprechend gut aufgenommen.«

Für zukünftige und aktuelle Mitarbeiter ist das Verhalten der Unternehmen gerade in Extremsituationen wie der Corona-Krise durchaus relevant. Sei es im Freundeskreis oder über Medien – es sickert mehr aus Unternehmen nach draußen als die meisten annehmen. Und das Image von Unternehmen ist für die meisten Kandidaten ausschlaggebend, ob sie sich bewerben oder nicht – ein extrem wichtiger Punkt, der niemals unterschätzt werden darf.

Nikolai Dürhammer: »Führungskräfte müssen die Balance finden zwischen Distanz und Nähe zu ihren Mitarbeitern: Wenn Arbeit virtuell über mehrere Orte verteilt ist, funktioniert das klassische Führen über Präsenz nicht. Dafür braucht es neue Methoden: Etwa, gemeinsam mit den Mitarbeitern Ziele zu vereinbaren oder auch die Frequenz der Kommunikation zu erhöhen. Letzteres betrifft auch den HR-Bereich besonders: Reichte es vor der Krise, Mitarbeiter im Fall des Falles über anstehende Änderungen zu informieren, braucht es in und nach der Krise konsistente und verlässliche Kommunikationsanlässe, wie etwa einen wöchentlichen Update-Jour-fixe. Auch wenn es nicht immer Neues zu erzählen gibt, verleiht das den Mitarbeitern ein Gefühl der Sicherheit und das Bewusstsein, dass man im Unternehmen auf sie achtet. Damit bleibt nicht nur die Motivation während krisenhafter Zeiten aufrecht. Auch nach der Rückkehr zum ›new normal‹ bleibt ein Vertrauensverhältnis bestehen, das langfristig für den Unternehmenserfolg ausschlaggebend ist.«

Digitales Talent-Recruiting

Der Trend, Recruiting und das gesamte Talent-Management zu digitalisieren, wurde durch Corona stark beschleunigt. Die Möglichkeiten sind vielfältig und werden größtenteils von den Kandidaten positiv aufgenommen.
Thomas Olbrich: »Laut einer aktuellen Studie geben 60 % der Personalverantwortlichen an, bei der Personalsuche künftig digitale Möglichkeiten stärker nutzen zu wollen (z. B. Bewerbungsgespräche via Videochat, Online-Schulungen fürs Onboarding). Wichtig ist aber, sich bewusst zu machen, dass die menschliche, soziale Komponente via Video immer leidet. In vielen Positionen sind Persönlichkeit und Auftreten eines Kandidaten sehr wichtig und die lassen sich rein digital schlecht einschätzen. Der persönliche Kontakt ist für manche Entscheidungen essenziell. Wie sich bei vielen Umfragen immer wieder herauskristallisiert, funktioniert ja auch ausschließliches Home-­Office für die Mehrheit nicht, weil der Kontakt zu den Kollegen irgendwann fehlt.«
Folgende Beispiele illustrieren, was u. a. unter digitalem Recruiting verstanden wird:

Robot Recruiting:
Darunter versteht man nicht, dass einem Kandidaten ein echter Roboter gegenüber sitzt, sondern vielmehr Programme und Algorithmen, die dem Recruiter zur Seite stehen. Es sind KI-Lösungen (Künstliche Intelligenz), die z. B. Stimme, Mimik, Lebensläufe oder Arbeitszeugnisse automatisch auswerten und dem Recruiter eine Zusammenfassung der Analyse bieten.

Active Sourcing via Social Media
Wurde früher Active Sourcing ausschließlich von Headhuntern betrieben, können durch die Sozialen Medien Unternehmen recht einfach potenzielle Kandidaten direkt ansprechen.

Digitale Interviews
Bewerbungsgespräche können gut mittels Videokonferenzen abgehalten werden. Skype, Zoom und andere Plattformen eignen sich dafür.

Videobewerbung
Manche Unternehmen haben schon die Möglichkeit geschaffen, dass sich Kandidaten mittels eines Videos bewerben. So können Bewerber ihren Lebenslauf oder ihre Motivationen  persönlicher gestalten und das Unternehmen bekommt rascher einen Eindruck über die Qualifikation eines Kandidaten.

Nikolai Dürhammer: »Natürlich hat die Krise der Digitalisierung auch und gerade im HR-Bereich Vorschub geleistet. Aber der persönliche Kontakt ist und bleibt maßgeblich für Personalentscheidungen. Gerade wenn es um strategische Positionen mit nachhaltigem Einfluss auf den Betrieb geht, sind persönliche Gespräche durch nichts zu ersetzen. Dazwischen und für eine erste Vorauswahl sind digitale Methoden aber gekommen, um zu bleiben: Ob im Employer Branding oder in digitalen Vorstellungsgesprächen, die neuen Technologien bringen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hier weit im Vorfeld zueinander und ermöglichen einen ersten Abgleich, ob man hinsichtlich seiner Werte- und Arbeitsvorstellungen zusammenpasst.«

Tipps für das digitale Talent-Management

Die Leistungen und die Talente der Mitarbeiter online zu erfassen, ist der Personalabteilung eine große Hilfe. So kann z. B. eine Performance-Analyse, die auf den jeweiligen Mitarbeiter zugeschnitten ist, konkrete Daten liefern, wie ein Mitarbeiter performt, wie er sich entwickelt, und in welchen Bereichen er noch Luft nach oben hat. Ziele können gemeinsam definiert und mittels digitaler Erfassung leichter mit der Zielerreichung verglichen werden.

Ein digitaler Talente-Pool hilft dabei, stets die Fähigkeiten der Mitarbeiter im Blick zu haben. Allerdings nur dann, wenn dieser regelmäßig aktualisiert wird. Sobald ein Mitarbeiter kündigt, weiß HR sofort, welche Fähigkeiten dieser Mitarbeiter hatte, und welche daher für den Nachfolger wichtig sind.
Wenn ein Bewerber zustimmt, dürfen seine Daten für bestimmte Zeit aufbewahrt werden. So können gute Kandidaten, die zu einem Zeitpunkt nicht gepasst haben, später wieder schneller und einfacher kontaktiert werden.

Fazit
Karriereplanung und Talententwicklung brauchen in Zukunft ein hohes Maß an Individualisierung. Die Karrierewege der einzelnen Mitarbeiter müssen sich stärker an den Potenzialen der Talente orientieren als an ihrer aktuellen Performance und Kompetenzen.
Software kann der HR-Abteilung, dem Recruiter und dem Talent Manager dabei helfen, die richtigen Talente zu finden und zu fördern.

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