Der Staat als Bildungsbremse?

Lebenslanges Lernen ist häufig nur ein Schlagwort. 2016 werden wichtige -Förderungen gestrichen. Mögliche Konsequenzen haben wir mit Martin Röhsner besprochen.

Im Zuge der jüngsten Steuerreform wurde für Österreich beschlossen, dass Ende 2015 der Bildungsfreibetrag sowie die Bildungsprämie gestrichen werden. Beides sind Programme zur Förderung von betrieblicher Aus- und Weiterbildung. Laut der Seite bildungspraemie.info wurden seit 2008 fast eine Viertel Million Weiterbildungen mit der Bildungsprämie gefördert. Wie oft der Bildungsfreibetrag beansprucht wurde, ist nicht eruierbar. Der Staat rechnet durch das Streichen der Förderungen in den Folgejahren mit jährlichen Einsparungen in Höhe von 25 Millionen Euro. (Quelle: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00129/imfname_415902.pdf)

Warum ist es Aufgabe des Staates, sich um die Weiterbildung von Menschen zu kümmern?

Martin Röhsner (Geschäftsführer dieBerater®): In Österreich werden Aus- und Weiterbildungen von drei Säulen getragen. Das ist zu einem die Primärausbildung, also Schule und möglicherweise Universitäten. Zweitens tragen natürlich die Unternehmen für die Weiterbildung der Mitarbeiter bei. Und drittens ist es das Individuum selbst, das in der Verantwortung ist, sich persönlich auf eigene Kosten weiterzubilden. Das reicht von kleineren Ausbildungen wie z. B. Kommunikationskurse an den Volkshochschulen bis hin zu langjährigen, teils akademischen Ausbildungen wie z. B. MBA-Programmen. Wir sehen aktuell – in einer Zeit, in der die Lebenshaltungskosten gestiegen sind – immer geringere Bereitschaft, in die eigene Aus- und Weiterbildung zu investieren.

Der Staat konzentriert sich vor allem auf die Erstausbildung. Das führt genau dazu, dass lebenslanges Lernen nur ein Schlagwort ist. Menschen mit Matura sind um die 20 Jahre alt und Universitätsabsolventen um die 25 Jahre. Die sollen dann bis sie 65 sind am Arbeitsmarkt aktiv sein. Es wird ohne Fort- und Weiterbildungen nur sehr schwer möglich sein, hier up to date zu bleiben. Ich sehe es daher schon als Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass die Qualifizierung am Arbeitsmarkt erhalten bleibt.

Ist dafür nicht auch das Unternehmen verantwortlich?

Ja, die Unternehmen sind selbstverständlich auch dafür verantwortlich. Heutzutage ist allerdings ein Angestellter nicht mehr ein ganzes Leben lang von der Lehre bis zur Pension in einem Unternehmen. Es gibt häufige Personalwechsel. Daher stellen sich immer mehr Unternehmen die Frage, wozu sie für eine relativ kurze Verweildauer im Unternehmen die Gesamtverantwortung der Aus- und Weiterbildung übernehmen sollen, und nicht nur die ganz spezifische Ausbildung für einen Arbeitsplatz. Daher ist eben auch die Initiative der Mitarbeiter selbst gefragt, sich privat weiterzubilden. Das ist natürlich auch eine Frage der Kosten.

Daher gibt es Förderungen …

Genau. Es gibt – bald muss man leider sagen gab – staatliche Förderungen zur betrieblichen Weiterbildung. Daher ist meiner Meinung nach das Streichen des Bildungsfreibetrages und der -prämie ein Zeichen in die völlig falsche Richtung. Der Staat signalisiert damit doch, dass das Thema Weiterbildung nicht wichtig ist.

Die Politik argumentiert damit, dass die oben angesprochenen Förderungen kaum in Anspruch genommen wurden. Das stimmt natürlich, wenn wir von der Gesamtbevölkerung ausgehen, wird pro Person nicht so viel überbleiben. Aber dennoch war es für viele Tausend Menschen ein Anreiz, in die eigene Weiterbildung zu investieren.

Warum werden die Förderungen Ihrer Meinung nach dann gestrichen?

Ich nehme einmal an, der Staat will einfach Geld sparen. Das ist auch legitim und wichtig. Nur wird hier der Rotstift an der falschen Stelle angesetzt. Es gibt leider kein vernünftiges Ersatzsystem. Gerade jetzt, wo viele Menschen akute Angst vor Arbeitsplatzverlust haben, tragen diese Maßnahmen nicht unbedingt zur Sicherheit bei. Der Fokus bei der Steuerreform wurde so gesetzt, das für die Mehrheit der Bevölkerung am Monatsende mehr überbleibt. Aber für den klassischen Mittelstand mit einem leicht gehobenen Einkommen wird das nicht zutreffen. Besonders für diesen Mittelstand, dessen Angehörige vielleicht auch bereit sind, privates Vermögen in die Aus- und Weiterbildung zu investieren, ist die Streichung der Förderungen ein absolut falsches Signal.

Warum ist das ein Problem? Geld sparen in
wirtschaftlich schlechten Zeiten ist wichtig?

In Österreich wird traditionell alles auf die Erstausbildung gesetzt. Wenn z. B. bei der Zentralmatura etwas nicht funktioniert, sind die Medien voll von solchen Meldungen. Wenn hingegen in der Erwachsenenbildung etwas nicht funktioniert, findet das kaum Beachtung. Haben Sie z. B. von den Streichungen der Förderungen gelesen? 99 von 100 Personen, die im Trainingsbereich tätig sind, haben davon gar nichts mitbekommen. Die Erwachsenenbildung hat in Österreich leider einen untergeordneten Stellenwert. Das ist in anderen Ländern völlig anders. Wenn wir den Zeitraum von einer Schulausbildung inkl. möglicher universitärer Ausbildung mit der Lebensarbeitszeit vergleichen, ist das völlig unverhältnismäßig und an der Realität vorbeigedacht. Die Schulabgänger haben dann natürlich immer ein aktuelleres Wissen als diejenigen, die jetzt 40 und älter sind. Dadurch kommt es zu einer Art Verdrängungswettbewerb. Das führt dann wiederum dazu, dass Unternehmen lieber jüngere Menschen einstellen. Da spielt das angeblich so hohe Gehalt der älteren gar nicht so eine große Rolle.

Das AMS hat in jüngster Zeit auch massiv Kurse
gestrichen. Was sagen Sie dazu?

Natürlich sind auch diese Kürzungen ein weiteres Signal, dass Weiterbildung für den Staat keinen allzugroßen Stellenwert hat. Eine Reformierung ist natürlich völlig in Ordnung, auch »sinnlose« Kurse zu kürzen, ist klug. Aber so strikt einfach Zigtausende Aus- und Weiterbildungen zu streichen ist fraglich. Es wurde im Gegenzug versucht, mit sogenannten »unternehmensbezogenen Förderungen« entgegenzuwirken, wie z. B. Einstellbeihilfen für Unternehmen, die bereit sind, arbeitsuchende Personen, die teilweise länger vom Arbeitsmarkt weg sind, einzustellen. Diese Förderungen wurden stark angehoben. Die Frage ist nur, ob das für alle Bereiche das richtige Instrumentarium ist. Gleichzeitig werden nämlich auch die Pönalen diskutiert, die Firmen zahlen müssen, wenn sie ältere Mitarbeiter kündigen. So konterkariert das eine System das andere. Außerdem stellt es natürlich für die Altersgruppe selbst eine Botschaft dar: »Ohne Förderung schaffst du es nicht selbst am Arbeitsmarkt.« Natürlich sind solche Förderungen auch wichtig, aber eben nicht ausschließlich. Wenn ich nun als Unternehmen drei Monatsgehälter als Förderung bekomme, ändert das nichts am möglicherweise veralteten Wissensstand der Person. Das Unternehmen muss dann erst recht wieder in die Qualifizierung des neuen Mitarbeiters investieren. Damit ist der finanzielle Vorteil sofort wieder relativiert.

Wie könnte das Konzept »lebenslanges Lernen«
aussehen?

Es gibt im wesentlichen zwei Laufwegplanungen, die im Idealfall eine hohe Überschneidungsmenge haben. Das eine ist der individuelle Karriereplan eines Menschen, der seine Ziele im Leben hat, und bereit ist, dafür zu arbeiten. Das andere ist der Karriereweg, der im Unternehmen von der HR-Abteilung geplant und vorgegeben wird. Im Idealfall passen diese beiden Wege gut zusammen. Dann ist die Verweildauer des Mitarbeiters im Unternehmen möglichst lange, es ergibt sich eine Win-win-Situation. Ein häufiges Kündigungsmotiv ist nun einmal, dass Menschen beruflich weiterkommen wollen. Je mehr Weiterbildungen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern. Andererseits gilt: Je höher das Bildungsniveau, umso weniger wird für diese Person vom Staat getan.

Warum ist das so?

Der Staat ist bei den weniger qualifizierten Menschen enorm unter Druck. Er möchte natürlich, dass eine gewisse Mindestausbildung gegeben ist. Das Nachholen von Lehr- oder Schulabschlüssen steht im Vordergrund und daran ist auch nichts falsch. Die Budgetmittel reichen anscheinend nicht aus, um auch die besser ausgebildeten Menschen zu unterstützen. Wenn ich heute als Akademiker arbeitslos bin, kann ich auf keine große Hilfe von der öffentlichen Hand rechnen.

Was wäre ein Lösungsvorschlag?

Der Staat könnte eine höhere Sensibilität in die Arbeitsmarktsituation der Menschen legen, und zwar eben nicht nur in die statistische höchste Arbeitslosengruppe. Eine Möglichkeit wäre es, präventiv zu agieren und Menschen zur Selbstverantwortung zu motivieren, z. B. durch Förderungen von Weiterbildungen. Eine Sensibilisierungskampagne, um bewusst zu machen, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist, up to date zu bleiben, wäre sinnvoll. Österreicher sind es nicht gewohnt, für Aus- und Weiterbildung zu zahlen. Während z. B. ein Amerikaner mit über 100.000,– US$ Schulden die Universität verlässt, haben wir dafür nichts bezahlt. Das will ich auch nicht kritisieren, im Gegenteil das ist toll. Dennoch muss die Bereitschaft gesteigert werden, in die eigene Ausbildung zu investieren.

Was kann HR dafür tun?

Die Aufgabe der Personalabteilung ist es in diesem Zusammenhang, gemeinsam mit dem Mitarbeiter Karriereplanung zu besprechen und Ziele zu entwickeln. HR könnte auch einmal ein wenig über den Tellerrand schauen und Modelle fördern, bei denen ein Mitarbeiter für ein oder zwei Jahre das Unternehmen verlässt, sich persönlich wo anders weiterentwickelt und dann zurückkommt. Vielleicht auch in eine andere Abteilung. Diese Gedanken gibt es in Österreich noch kaum. Eine Weiterentwicklung durch neue Aufgaben, also nicht nur in Seminaren. Ich spreche gar nicht von einem gesetzlich zustehenden Rückkehrrecht. HR muss über den klassischen Dienstvertrag hinausdenken und neue Möglichkeiten schaffen, das Personal bestmöglich auf den aktuellen Wissensstand zu bringen und dort zu halten.

Danke für das Gespräch. 

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Röhsner

Martin Röhsner

Geschäftsführer die Berater®

Studium der Handelswissenschaften in Wien

Coaching- und Trainerausbildung

seit 1998 selbstständig: Gründung die Berater®

Über die Berater®

die Berater® bietet als Consultingunternehmen für Aus- und Weiterbildung Unternehmensberatung an, coacht Mitarbeiter und Führungskräfte und ist spezialisiert auf Persönlichkeits-, Sprach- und IT-Trainings. Das Dienstleistungsangebot richtet sich an Privatpersonen, Unternehmen aller Branchen und jeder Größe und an den öffentlichen Sektor.

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