Der Tanz mit der Zukunft

Was sagt die Forschung über die Zukunft im HR-Bereich? Steffi Bärmann stellt die Personalentwicklung auf den Prüfstand.

Ideen für eine Personalentwicklung der Zukunft – sind nötig, gibt es, werden bereits umgesetzt? Unabhängig von der Organisationsform wird die Digitalisierung von Abläufen und Prozessen die Art der Zusammenarbeit verändern bzw. der Unternehmenserfolg davon abhängen, wie effektiv die Mitarbeiter miteinander arbeiten können. Der Fokus Mensch ist damit im Bewusstsein der Organisations- und Personalentwickler angekommen.

Selbstführung, Ganzheit und ­evolutionärer Sinn

Frederic Laloux (2017), Verfasser des Grundlagenbuches für die integrale Organisationsentwicklung, geht davon aus, dass die sinnvolle Zusammenarbeit in evolutionären Organisationen von einer höheren Stufe der Ich-Entwicklung des Menschen inspiriert ist. Es geht also nicht mehr nur um Leistung und Innovation und um noch mehr Leistung und noch mehr Innovation. In der Zukunft haben wir eine reale Chance, Sinn zu schaffen für jeden Kunden und Mitarbeiter und diesen in die tägliche Arbeit zu integrieren. Hierarchien werden hier überflüssig und die Selbstführung steht im Vordergrund. Jeder Mitarbeiter ist eingeladen, sich selbst in seiner vielfältigen Ganzheit einzubringen. Selbstführung, Ganzheit und evolutionärer Sinn sind damit die 3 Prägungen, die hier Aufmerksamkeit erhalten. Grundlage für die Umsetzung ist die Entwicklung eines höheren Bewusstseins, ein mutiger, langwieriger und sehr persönlicher Prozess. Otto Scharmer (2016) stellt mit seiner Theory U eine Möglichkeit des von der »Zukunft der höchsten Möglichkeiten« Führens zur Verfügung. Die Weisheit der Menschen entsteht hier durch verschiedene Ebenen des Zuhörens (u. a. Gedanken, Herzensangelegenheiten, Lebenssinn), tiefen Reflektierens und des Entdeckens einer Zukunft, die entwickelt werden kann. Diese Ansätze haben das Potenzial, das bestehende Weltbild der Anwender zu überdenken und zu verändern und damit Raum zu eröffnen, zu derzeit überwältigend scheinenden Zukunftsproblemen einen neuen Zugang zu erlangen.
Sonja Hofert (2018) greift diese Gedanken auf und geht von dem Erfordernis eines radikal neuen Denkens aus, um die Zukunft der Arbeit erfolgreich zu gestalten. Sie beschäftigt sich mit der Entwicklung von agilen Mindsets und beschreibt, wie Entwicklungsstufen analysiert und auf dieser Basis Entwicklungsschritte für Mitarbeiter gesetzt werden können.
Auffällig bei diesen Betrachtungen ist, dass sich die Personalentwicklung nicht mehr von der Organisationsentwicklung trennen lässt, sondern das eine das andere bedingt. Personalentwicklung wird somit zum Organisations- und Kulturgestalter.

Realität und die Bereitschaft zur Veränderung der eigenen Weltsicht

In der Realität hängt die Entwicklung von Organisationen solchen neuen Paradigmen hinterher. Laut Kienbaumstudie (2017) stehen in Unternehmen noch die Veränderung von Prozessen, die Einführung von digitalen Business-Modellen und Produkten sowie die Implementierung von Technologien im Vordergrund. Entwicklungsmodelle für Mitarbeiter, flexible Job-Modelle und die Kulturveränderung in Unternehmen sind derzeit noch zweitrangig.

Neue agile Organisationsmodelle, die an Laloux’ Paradigmen Anschluss finden, gehen weg von traditionell hierarchischen Strukturen hin zu agilen flachen Netzwerkorganigrammen. Statt herkömmlicher Wasserfall-Top-Down-Szenarien, werden Buttom-up-Entscheidungen in selbstorganisierten Teams getroffen. Obwohl die Aussicht auf selbstorganisierte Mitarbeiter, die sinnvolle Arbeit verrichten und sich eigenständig weiterbilden, sehr ideal klingt, ist auch hier bereits klar, dass das Anwenden von Unternehmensmodellen jeglicher Art vor der Herausforderung einer guten Umsetzung stehen.
Fraglich ist hier, inwiefern die Bereitschaft der Mitarbeiter – insbesondere der Unternehmensführung – gegeben ist, sich mit neuen, eher kollaborativen statt kompetitiven Formen der Zusammenarbeit auseinanderzusetzen, und inwieweit sie die Kompetenz haben, in diesen neuen Formen zu arbeiten und weiterzuentwickeln. Je nach Bedarf ist Raum für langfristige Entwicklungsprozesse bezüglich der Selbstführungs- und Selbstorganisationskompetenz aller Mitarbeiter notwendig, sowie Raum für Reflexion und Integration von Sinn.

Vorbildwirkung der Personalentwicklung

Eine an diese Erfordernisse angepasste Personal- und Personalentwicklungsstrategie steht entsprechenden Veränderungen gegenüber. Verschiedene Konzepte sind denkbar. In einer traditionell hierarchischen Organisation mit entsprechender Personalabteilung wird sich diese mit bewährten HR-Werkzeugen Lösungen erarbeiten. Für agile(re) Organisationsformen ist das zu kurz gegriffen. Es bedarf einer Orientierung am Kunden und einer Nutzenbringung für diesen. Zudem dient Personalentwicklung der Weiterentwicklung und Pflege der Unternehmenskultur. Operativ können auch die eigenen Mitarbeiter z.B. Bewerbungsgespräche, Bewerberauswahl, Weiterbildungsverantwortung übernehmen (vgl. Häusling 2018, Laloux 2017).
Versteht sich die Personalentwicklung (in evolutionär agilen Organisationen) unter dem Paradigma der Selbstorganisation und Selbstführung, wird diese als Rolle bestehen bleiben, die von verschiedenen Mitarbeitern abwechselnd und je nach Bedarf getragen werden kann. Eine Konstante bildet hier die Entwicklung und Pflege von Kultur und Werten im Unternehmen, sowie einem kontinuierlichen Erfragen und Einbetten von Sinn der Arbeit für jeden Mitarbeiter.

Fazit
Personalentwicklung kann sich in der Zukunft als Organisations- und Lernkulturentwickler verstehen, was Chancen einer Höherentwicklung der Personalentwicklung an sich in sich birgt, aber auch Risiken einer inkonsequenten Umsetzung. Dazu braucht es unter anderem Mut, Auseinandersetzung auf Mitarbeiter-, Kunden- und Organisationsebene und evolutionäre Personalentwicklungskonzepte. Spannend wird es in jedem Fall.

Literaturhinweise:
Häusling A. (2018): Agile Organisationen. Haufe, Freiburg
Hofert S. (2018): Das agile Mindset. Springer Gabler, Wiesbaden
Kienbaum und DGFP (2017). HR Strategy & Organization
Laloux F. (2017): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen, München
Scharmer O. (2016): Theory U: Leading from the Future as it emerges. Berrett-Koehler Westminster, Maryland

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Gastautorin
Steffi Bärmann
Academic ­Coordinator Human Resources Development, Training & Coaching, Department of Management, Human Resources & Organisation Study Programs, FHWien der WKW.
steffi.baermann@fh-wien.ac.at