Wie unterschiedlich der Lockdown und die Zeit danach von Mitarbeitern erlebt werden kann, und wie sich diese Ungerechtigkeiten auswirken können.
Die Biologie steckt uns Menschen die Grenzen unserer möglichen Verhaltensmuster ab. Diese sind zwar weit gefasst, jedoch gibt es Momente im individuellen Erleben, wo die Grenzen schon recht eng gezogen sind. Meist spüren wir diese Grenzen, wenn es schön langsam ans Überleben geht. Wir werden reizbar und sehr fokussiert, wenn wir hungrig sind. Wir schalten die Vernunft ab, wenn wir sexuell erregt sind. Und wir reagieren höchst verärgert, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen.
Ungerechte Behandlung hat meist mit Ressourcen-Zuordnung zu tun: Wer bekommt wie viel von der Beute? Wer darf sich einen Partner zuerst aussuchen? Wer bekommt den besseren Schlafplatz? Wer bekommt mehr Zuspruch von den anderen Gruppenmitgliedern? Die Ressourcen Anerkennung und Einkommen gehen bei uns Menschen oft Hand in Hand. Daher haben wir auch ein sehr gutes Gespür dafür, wenn da etwas nicht passt. Jetzt, mitten in der Corona-Bewältigung, wird das auf unterschiedlichen Ebenen schlagend.
Im Rahmen des Corona-Lockdowns galten vorerst für fast alle Gruppenmitglieder dieselben Bedingungen. Ausfall von Einkommen, Verlassen der Wohnung nur im Ausnahmefall, keine Reisen mehr, kein zur Schaustellen von Vermögen. Durch diese, durch nahezu alle Bevölkerungsschichten gleiche Benachteiligung entstand ein Miteinander, eine Solidarität. Dies wirkt auf Gruppen nach innen einend. Man spricht von Ingroup-Phänomenen. Aus einem Nebeneinander wurde ein Mit- und Füreinander. Das wird auch lange in Erinnerung bleiben.
Das »Aufsperren« des Landes gestaltete sich jedoch anders, es war schwieriger: Denn es wurden die zuerst gleich behandelten Gruppen nun unterschiedlich schnell – oder noch immer gar nicht – zurück an die »Beute«, an die Ressourcen gelassen. Die einen durften wieder verdienen, die anderen noch immer nicht. Ein Flugzeug durfte man besteigen, die Kinos blieben versperrt. Verordnungen schienen wenig durchdacht, Berufsverbote und Berufserlaubnis scheinen ein wenig erratisch zugeordnet. Geld zur Unterstützung wurde sehr freihändig vergeben. Und schon ist es vorbei mit der Solidarität, mit dem Ingroup-Gefühl des Zusammengehörens. Neid und Ärger feiern wieder fröhliche Urständ’.
In Unternehmen spiegelt sich oft die ganze Welt: Es gab Profiteure des Lockdowns. Sie waren für viel Freizeit bei fast gleichem Gehalt dankbar. Das Kurzarbeitszeitmodell könnte für sie ein Leben lang gelten. Sie treffen nun auf Kollegen, deren Aufwand jedoch im Rahmen des Lockdowns viel höher war, ohne dass sie deswegen mehr verdient hätten. Sie organisierten das Aufrechterhalten des Unternehmens, kümmerten sich um funktionierende Kommunikationskanäle und kalkulierten rund um die Uhr die Zukunftsszenarien durch. Hart am Burn-out, treffen sie nun auf die Heimkehrer aus der Kurzarbeit.
Für Führungskräfte kommt jetzt zusätzlich zu gängigen Herausforderungen noch die Challenge hinzu, von Arbeit entwöhnte Mitarbeiter wieder zum Leistungsprinzip zurückzuführen. Gleichzeitig sollten sie sich intensiv um jene kümmern, die sich in der Ausnahmesituation für das Unternehmen ausgepowert haben. Diese Gruppe hat diesbezüglich bestimmt hohe Erwartungen hinsichtlich spür- und sichtbarer Dankbarkeit. Beide Gruppen wieder zusammenzuführen, wird eine von vielen Herausforderungen für Führungskräfte. Hier Neid bzw. Ärger zwischen den Gruppen im Zaum zu halten, braucht schon recht viel Impulskontrolle von allen Beteiligten. Und Impulskontrolle verlangt von uns das fast Unmögliche: Gegen die fixen Verhaltensmuster der erfolgreichen Evolution anzukämpfen – und sich das »sapiens« im Artnamen verdienen.
Gutes Gelingen!